Fünfte Fortsetzung
Somit war es mir vergönnt, unseren berühmten Zug gegen Paris mitzumachen und an den darauf folgenden Begebenheiten den tätigsten Anteil zu nehmen. Als nach heftigen Kämpfen die Marschälle Marmont und Mortier zu kapitulieren begehrten, wurde ich mit dem Obristen Michael Orloff zu den Unterhandlungen entsandt. Wir trafen mit den französischen Bevollmächtigten in einem am Tore von Clichy gelegenen Hause zusammen. Sobald die Kapitulationsbedingungen festgestellt waren, beauftragte ich den Obristen Orloff, sich in die Wohnung des Marschalls Marmont zu begeben, die Kapitulationsakte aufzusetzen und sie mit dem dazu bevollmächtigten Obristen Fabvier zu unterzeichnen. Ich selbst kehrte nach Bondy zurück, um dem Kaiser über meine Sendung Bericht zu erstatten. Während wir in der Vorstadt von Clichy mit den Unterhandlungen beschäftigt gewesen waren, hatte Napoleon die Armee verlassen und war nach Fontainebleau geeilt noch in der Hoffnung, durch seine Gegenwart Paris zu retten. Zugleich hatte er Alexander von Girardin mit dem Befehle an die Marschälle vorausgeschickt, sich um jeden Preis zu halten. Als dieser ankam, waren gerade die Unterhandlungen im vollen Gange. Da wir von früher her bekannt waren, so wandte er sich an mich und suchte mich durch die Nachricht einzuschüchtern, dass Napoleon dem General Winzingerode, der beauftragt war, unseren Marsch nach Paris zu decken, eine vollständige Niederlage beigebracht hätte. Zur Bestätigung dieser Nachricht erzählte er mir auch, dass in der Schlacht eine ganze Division russischer Infanterie gefangen genommen worden wäre. Ich antwortete ihm lächelnd: das möchte doch etwas schwierig sein, denn das ganze Korps von Winzingerode besteht nur aus 6.000 Mann Kavallerie. In der Kapitulation war festgestellt, dass eine Deputation der Stadt Paris sich nach Bondy begeben sollte, um dem Kaiser Alexander zu erklären, dass die Stadt sich ergeben wolle. Die Deputation langte um sechs Uhr Morgens an und bestand aus Männern, die später bedeutende Stellungen eingenommen haben, aus dem Polizeipräfekten Pasquier — aus dem Präfekten des Seinedepartements Chabrol — aus den Repräsentanten der Nationalgarde Tourton und Alexander de Laborde und aus mehreren Andern, deren Namen mir nicht mehr gegenwärtig sind. Ich empfing sie und führte sie beim Kaiser ein. Wenige Augenblicke vorher war Sr. Majestät gemeldet worden, dass so eben der Herzog von Vicenza mit einem Auftrage Napoleons angelangt sei. Da der Kaiser nicht wünschte, dass der Herzog mit der Deputation zusammen treffe, so befahl er mir, ihn an das Ende des Gartens zu führen und ihm während der Audienz Gesellschaft zu leisten. Sobald diese zu Ende war und die Deputation sich entfernt hatte, ließ mich der Kaiser rufen und befahl mir, Herrn von Caulaincourt einzuführen, dann aber auf der Stelle nach Paris zu eilen, um mit Talleyrand die dringendsten Maßregeln zu besprechen. In der Befürchtung, Letzterer konnte gezwungen sein, Paris zu verlassen, bat ich einen der Herren von der Deputation, Herrn Alexander de Laborde, mich beim Fürsten anzumelden.
Um die Rolle zu erklären, die Talleyrand während dieser wichtigen Ereignisse spielte, muss ich etwas nachholen. Als unser Hauptquartier sich in Troyes befand, erschien bei mir eines Tages ein Herr, der sich St. Georges nannte. Dieser zog aus seiner Tasche ein kleines Heft und ließ, indem er es mir reichte, folgende mit sympathetischer Tinte geschriebene Worte hervortreten: „die Person, die ich Ihnen sende, verdient volles Vertrauen, hören Sie sie an und erkennen Sie mich. Es ist Zeit deutlicher zu sprechen, Sie gehen auf Krücken, bedienen Sie sich Ihrer Beine und wollen Sie nur das, was Sie können." Ich erkannte die Handschrift des Herzogs von Dalberg. Der angebliche St. Georges war Niemand Anders, als Herr v. Vitrolles, der in der Folge unter der Restauration eine der Regierung nicht sehr nützliche Rolle spielte. Im Hauptquartier war er auf Anstiften Talleyrands erschienen, der sich an die Spitze einer Partei gestellt hatte, die auf Napoleons Sturz hinarbeitete. Herr v. Vitrolles setzte mich von der in Paris herrschenden Stimmung in Kenntnis und stellte mir vor, wie leicht es die Verbündeten haben würden, sich der Stadt zu bemächtigen, wenn sie nur etwas eifriger zu Werke gehen wollten; ja mehr noch, der Empfang, der uns erwarte, werde, meinte er, ein sehr freudiger sein. Er wurde dem Kaiser vorgestellt, auch hatte er mehrere Unterredungen mit dem Fürsten Metternich und Lord Castlereagh. Später begab er sich zu dem Grafen von Artois, als dieser in Nancy angekommen war.
So fand ich also den Boden für meine Tätigkeit aufs Beste bereitet, als ich im Hotel Florentin *) abstieg. Ich war ohne Gefolge gekommen, nur in Begleitung eines Kosaken, aber in Gesellschaft eines österreichischen Offiziers, des Fürsten Lichtenstein, den ich unterwegs getroffen und den ich aufgefordert, mit mir zusammen die Fahrt zu machen. Es war an einem Sonntage, das Wetter war herrlich, die Boulevards waren bedeckt mit Spaziergängern im Sonntagsstaat und Alles hatte den Anschein, ein freudiges Fest begehen zu wollen, nicht aber den Einzug eines feindlichen Heeres zu erwarten. Herr von Talleyrand war gerade bei seiner Toilette, als ich bei ihm erschien. Nur zur Hälfte gekämmt stürzte er mir entgegen, umarmte mich ungestüm und — beschüttete mich über und über mit Puder. Sobald sich die erste Aufregung gelegt hatte, ließ er die Herren zu sich bitten, mit denen er eine vollständige Verschwörung gebildet hatte. Es waren folgende: der Herzog von Dalberg, der Abbe de Pradt und der Baron Louis. Während wir uns noch besprachen, hielt der Kaiser an der Spitze des Heeres seinen Einzug. Ich teilte diesen Herren die Absichten des Kaisers mit und sagte ihnen, dass Se. Majestät nur Einen Beschluss gefasst habe, nämlich den, Napoleon nicht auf dem Throne von Frankreich zu dulden, was aber alles Übrige betreffe, so behalte er sich die Entscheidung nach geschehener Beratung mit den erleuchteten Männern des Landes vor.
*) Anmerk. Talleyrands Polais benannt nach der Straße Rue Saint-Florentin, in der es lag.
Der Kaiser hatte die Absicht, im Palais Elysée Bourbon Wohnung zu nehmen. Während unseres Einzugs steckte aber ein Unbekannter dem Fürsten Wolchonsky einen anonymen Brief zu, der vor dem Palais warnte, da es unterminiert sei. Der Kaiser befahl, dass mir der Brief zugestellt würde. Dies geschah durch Herrn von Durnowo, den Adjutanten Wolchonskys. Herr v. Talleyrand, dem ich den Brief zeigte, bezweifelte wohl die Wahrheit des Mitgeteilten, riet aber doch, aus Vorsicht den ursprünglichen Plan aufzugeben, und ließ dem Kaiser den Antrag machen, bis zur geschehenen Untersuchung sein Hotel beziehen zu wollen. Der Zug des Heeres erreichte auf dem Platze Ludwig XV. sein vorherbestimmtes Ziel. Eine Stunde darauf stieg der Kaiser in der Tat in Gesellschaft des Königs von Preußen und des Fürsten Schwarzenberg im Talleyrand'schen Hotel ab und beschied die Personen, mit denen ich kurz vorher verhandelt hatte, zu sich. Man beriet sich unter allgemeiner Beteiligung über die zu treffenden Maßregeln und einigte sich endlich in dem Beschluss, dass vor Allem im Namen der verbündeten Herrscher eine Proklamation erlassen werden müsse, in der sie erklären, dass sie weder mit Napoleon, noch mit irgend einem seiner Verwandten in Unterhandlung treten würden. Ich wurde mit dem Herzog von Dalberg beauftragt, die Proklamation abzufassen. Wir zogen uns dazu in ein angrenzendes Zimmer zurück und unterlegten schon nach einer halben Stunde den beiden Monarchen den Entwurf, der auch ihre Beistimmung erhielt und vom Kaiser Alexander unterzeichnet wurde. Nach einigen Stunden war die Proklamation gedruckt und in allen Teilen von Paris angeschlagen.
Der Kaiser speiste bei Talleyrand zu Mittag. Die Herrscher sollten den Abend in der Oper erscheinen. Kurz ehe wir uns zu Tische setzten, erfuhr der Kaiser, dass man die Aufführung des Stückes „Trajans Triumph" angeordnet habe. Nichts konnte ihm bei seiner Bescheidenheit ungelegener sein, als gerade dieses Stück. Er äußerte daher den Wunsch, dass anstatt dessen die Oper „die Vestalin" aufgeführt werden möchte. Als der Kaiser im Theater erschien, wurde er mit lebhaften Freudenbezeugungen empfangen. Was auch die seit dem Jahre 1830 aufgetretenen Geschichtsschreiber dagegen sagen mögen, es bleibt doch eine unbestreitbare Tatsache, dass die allgemeine Stimmung gegen Napoleon war.
In der am Morgen gehaltenen Konferenz war beschlossen worden, dass am folgenden Tage der Senat zusammenberufen werden und Talleyrand bei demselben auf Absetzung Napoleons antragen solle. Eine provisorische Regierung wurde noch am selben Abend errichtet. Sie bestand unter dem Vorsitz von Talleyrand aus dem General Beurnonville, dem Herzog von Dalberg, dem Grafen Jaucourt und dem Abbée Montesquiou, der seit seiner Rückkehr in ununterbrochenem Briefwechsel mit Ludwig XVIII. stand. Ich logierte gleichfalls im Talleyrand'schen Palais und verbrachte den ganzen Tag und nicht selten auch einen Teil der Nacht in beständigem Hin- und Hergehen bald vom Kaiser zu den Leitern der Angelegenheiten, bald von diesen wieder zurück. Hinsichtlich der Absetzung Napoleons waren Alle einig, es handelte sich nur um die Frage, durch wen man ihn ersetzen solle. Und hierbei trat eine starke Meinungsverschiedenheit zu Tage. Unterdes erschien von Napoleon aus Fontainebleau eine aus den Marschällen Ney, Macdonald, Marmont und dem Herzoge von Vicenza bestehende Deputation mit dem Auftrag, in seinem Namen zu erklären, dass er bereit sei, zu Gunsten seines Sohnes zu entsagen, während dessen Minderjährigkeit die Kaiserin Marie Louise die Regentschaft führen solle. Diesem Anerbieten trat Talleyrand entgegen, der von dem Augenblick unseres Einzugs an sich für die Wiederherstellung der Bourbons erklärt hatte. Der Kaiser schwankte, die Konferenz dauerte die ganze Nacht hindurch, endlich entschied sich Ersterer für die Meinung Talleyrand's. Die Marschälle, mit Ausnahme Marmonts, der sich zu dem in Essonne stehenden Korps begab, kehrten nach Fontainebleau zurück. In den letzten Werken von Thiers und Viel-Castel sind die Begebenheiten dieser Zeit im Allgemeinen richtig und unparteiisch geschildert. So ist hier auch die beleidigende Anmaßung, mit der sich Ludwig XVIII. gegen den Kaiser Alexander benahm, der ihm bis Compiegne entgegen gefahren war, nicht mit Stillschweigen übergangen worden. Auf dieser Fahrt begleitete ich den Kaiser. Der verletzende Hochmuth, den Ludwig XVIII. in seinem Benehmen gegen den Kaiser Alexander zeigte, konnte nicht verfehlen, auf Letzteren den peinlichsten Eindruck zu machen und auf die weitern Beziehungen zwischen den beiden Monarchen von Einfluss zu sein.
Sobald der Kaiser von Österreich, Fürst Metternich und Lord Castlereagh angelangt waren, begannen die Friedensverhandlungen. An diesen nahm ich als des Kaisers Bevollmächtigter den tätigsten Anteil. Den 18./30. Mai kam es zum Abschluss des Friedens. Die Monarchen waren unterdes nach England gereist, wo sie mit Begeisterung empfangen wurden. Für den Kaiser Alexander verging übrigens die Anwesenheit daselbst nicht ohne Unannehmlichkeiten. Denn er stimmte hinsichtlich seiner Regierungsgrundsätze mit dem damaligen Regenten, dem späteren König Georg IV., durchaus nicht oberem. Die Großfürstin Katharina Pawlowna, die schon früher als der Kaiser in London eingetroffen war, fühlte sich mehr zu den Grundsätzen der Opposition, als zu denen der damals herrschenden Torypartei hingezogen und flößte auch ihrem Bruder eine gleiche Neigung ein. Dies erregte das Missfallen des Prinz-Regenten und verursachte eine ziemliche Spannung, so dass der Kaiser in Missstimmung, zugleich aber auch von hoher Achtung erfüllt vor des Landes Wohlstand und Macht, England verließ.
Da noch zwei Monate vor Eröffnung des Wiener Kongresses verfließen sollten, so benutzte der Kaiser die Zeit zu einer Reise nach Petersburg. Ich begleitete ihn auf derselben. Während dieser Petersburger Anwesenheit bekam denn auch meine Stellung eine feste Gestalt. Der Kanzler Rumianzoff, der in Folge von mehreren Schlaganfällen fast an völliger Taubheit litt und nur dem Namen nach dem Kollegium der auswärtigen Angelegenheiten vorstand, fühlte sich tief gekränkt, dass er bei den die Regierung Alexanders verherrlichenden Verträgen war übergangen worden, und bat um seinen Abschied. Der wurde ihm bewilligt und ich mit dem bescheidenen Titel eines das Kollegium der auswärtigen Angelegenheiten dirigierenden Staatssekretärs zu seinem Nachfolger ernannt. Diesen Titel behielt ich bis in die Regierungszeit des Kaisers Nikolai hinein bei, der mich nach Abschluss des Friedens von Turkmantschai zum Vizekanzler erhob....
Um die Rolle zu erklären, die Talleyrand während dieser wichtigen Ereignisse spielte, muss ich etwas nachholen. Als unser Hauptquartier sich in Troyes befand, erschien bei mir eines Tages ein Herr, der sich St. Georges nannte. Dieser zog aus seiner Tasche ein kleines Heft und ließ, indem er es mir reichte, folgende mit sympathetischer Tinte geschriebene Worte hervortreten: „die Person, die ich Ihnen sende, verdient volles Vertrauen, hören Sie sie an und erkennen Sie mich. Es ist Zeit deutlicher zu sprechen, Sie gehen auf Krücken, bedienen Sie sich Ihrer Beine und wollen Sie nur das, was Sie können." Ich erkannte die Handschrift des Herzogs von Dalberg. Der angebliche St. Georges war Niemand Anders, als Herr v. Vitrolles, der in der Folge unter der Restauration eine der Regierung nicht sehr nützliche Rolle spielte. Im Hauptquartier war er auf Anstiften Talleyrands erschienen, der sich an die Spitze einer Partei gestellt hatte, die auf Napoleons Sturz hinarbeitete. Herr v. Vitrolles setzte mich von der in Paris herrschenden Stimmung in Kenntnis und stellte mir vor, wie leicht es die Verbündeten haben würden, sich der Stadt zu bemächtigen, wenn sie nur etwas eifriger zu Werke gehen wollten; ja mehr noch, der Empfang, der uns erwarte, werde, meinte er, ein sehr freudiger sein. Er wurde dem Kaiser vorgestellt, auch hatte er mehrere Unterredungen mit dem Fürsten Metternich und Lord Castlereagh. Später begab er sich zu dem Grafen von Artois, als dieser in Nancy angekommen war.
So fand ich also den Boden für meine Tätigkeit aufs Beste bereitet, als ich im Hotel Florentin *) abstieg. Ich war ohne Gefolge gekommen, nur in Begleitung eines Kosaken, aber in Gesellschaft eines österreichischen Offiziers, des Fürsten Lichtenstein, den ich unterwegs getroffen und den ich aufgefordert, mit mir zusammen die Fahrt zu machen. Es war an einem Sonntage, das Wetter war herrlich, die Boulevards waren bedeckt mit Spaziergängern im Sonntagsstaat und Alles hatte den Anschein, ein freudiges Fest begehen zu wollen, nicht aber den Einzug eines feindlichen Heeres zu erwarten. Herr von Talleyrand war gerade bei seiner Toilette, als ich bei ihm erschien. Nur zur Hälfte gekämmt stürzte er mir entgegen, umarmte mich ungestüm und — beschüttete mich über und über mit Puder. Sobald sich die erste Aufregung gelegt hatte, ließ er die Herren zu sich bitten, mit denen er eine vollständige Verschwörung gebildet hatte. Es waren folgende: der Herzog von Dalberg, der Abbe de Pradt und der Baron Louis. Während wir uns noch besprachen, hielt der Kaiser an der Spitze des Heeres seinen Einzug. Ich teilte diesen Herren die Absichten des Kaisers mit und sagte ihnen, dass Se. Majestät nur Einen Beschluss gefasst habe, nämlich den, Napoleon nicht auf dem Throne von Frankreich zu dulden, was aber alles Übrige betreffe, so behalte er sich die Entscheidung nach geschehener Beratung mit den erleuchteten Männern des Landes vor.
*) Anmerk. Talleyrands Polais benannt nach der Straße Rue Saint-Florentin, in der es lag.
Der Kaiser hatte die Absicht, im Palais Elysée Bourbon Wohnung zu nehmen. Während unseres Einzugs steckte aber ein Unbekannter dem Fürsten Wolchonsky einen anonymen Brief zu, der vor dem Palais warnte, da es unterminiert sei. Der Kaiser befahl, dass mir der Brief zugestellt würde. Dies geschah durch Herrn von Durnowo, den Adjutanten Wolchonskys. Herr v. Talleyrand, dem ich den Brief zeigte, bezweifelte wohl die Wahrheit des Mitgeteilten, riet aber doch, aus Vorsicht den ursprünglichen Plan aufzugeben, und ließ dem Kaiser den Antrag machen, bis zur geschehenen Untersuchung sein Hotel beziehen zu wollen. Der Zug des Heeres erreichte auf dem Platze Ludwig XV. sein vorherbestimmtes Ziel. Eine Stunde darauf stieg der Kaiser in der Tat in Gesellschaft des Königs von Preußen und des Fürsten Schwarzenberg im Talleyrand'schen Hotel ab und beschied die Personen, mit denen ich kurz vorher verhandelt hatte, zu sich. Man beriet sich unter allgemeiner Beteiligung über die zu treffenden Maßregeln und einigte sich endlich in dem Beschluss, dass vor Allem im Namen der verbündeten Herrscher eine Proklamation erlassen werden müsse, in der sie erklären, dass sie weder mit Napoleon, noch mit irgend einem seiner Verwandten in Unterhandlung treten würden. Ich wurde mit dem Herzog von Dalberg beauftragt, die Proklamation abzufassen. Wir zogen uns dazu in ein angrenzendes Zimmer zurück und unterlegten schon nach einer halben Stunde den beiden Monarchen den Entwurf, der auch ihre Beistimmung erhielt und vom Kaiser Alexander unterzeichnet wurde. Nach einigen Stunden war die Proklamation gedruckt und in allen Teilen von Paris angeschlagen.
Der Kaiser speiste bei Talleyrand zu Mittag. Die Herrscher sollten den Abend in der Oper erscheinen. Kurz ehe wir uns zu Tische setzten, erfuhr der Kaiser, dass man die Aufführung des Stückes „Trajans Triumph" angeordnet habe. Nichts konnte ihm bei seiner Bescheidenheit ungelegener sein, als gerade dieses Stück. Er äußerte daher den Wunsch, dass anstatt dessen die Oper „die Vestalin" aufgeführt werden möchte. Als der Kaiser im Theater erschien, wurde er mit lebhaften Freudenbezeugungen empfangen. Was auch die seit dem Jahre 1830 aufgetretenen Geschichtsschreiber dagegen sagen mögen, es bleibt doch eine unbestreitbare Tatsache, dass die allgemeine Stimmung gegen Napoleon war.
In der am Morgen gehaltenen Konferenz war beschlossen worden, dass am folgenden Tage der Senat zusammenberufen werden und Talleyrand bei demselben auf Absetzung Napoleons antragen solle. Eine provisorische Regierung wurde noch am selben Abend errichtet. Sie bestand unter dem Vorsitz von Talleyrand aus dem General Beurnonville, dem Herzog von Dalberg, dem Grafen Jaucourt und dem Abbée Montesquiou, der seit seiner Rückkehr in ununterbrochenem Briefwechsel mit Ludwig XVIII. stand. Ich logierte gleichfalls im Talleyrand'schen Palais und verbrachte den ganzen Tag und nicht selten auch einen Teil der Nacht in beständigem Hin- und Hergehen bald vom Kaiser zu den Leitern der Angelegenheiten, bald von diesen wieder zurück. Hinsichtlich der Absetzung Napoleons waren Alle einig, es handelte sich nur um die Frage, durch wen man ihn ersetzen solle. Und hierbei trat eine starke Meinungsverschiedenheit zu Tage. Unterdes erschien von Napoleon aus Fontainebleau eine aus den Marschällen Ney, Macdonald, Marmont und dem Herzoge von Vicenza bestehende Deputation mit dem Auftrag, in seinem Namen zu erklären, dass er bereit sei, zu Gunsten seines Sohnes zu entsagen, während dessen Minderjährigkeit die Kaiserin Marie Louise die Regentschaft führen solle. Diesem Anerbieten trat Talleyrand entgegen, der von dem Augenblick unseres Einzugs an sich für die Wiederherstellung der Bourbons erklärt hatte. Der Kaiser schwankte, die Konferenz dauerte die ganze Nacht hindurch, endlich entschied sich Ersterer für die Meinung Talleyrand's. Die Marschälle, mit Ausnahme Marmonts, der sich zu dem in Essonne stehenden Korps begab, kehrten nach Fontainebleau zurück. In den letzten Werken von Thiers und Viel-Castel sind die Begebenheiten dieser Zeit im Allgemeinen richtig und unparteiisch geschildert. So ist hier auch die beleidigende Anmaßung, mit der sich Ludwig XVIII. gegen den Kaiser Alexander benahm, der ihm bis Compiegne entgegen gefahren war, nicht mit Stillschweigen übergangen worden. Auf dieser Fahrt begleitete ich den Kaiser. Der verletzende Hochmuth, den Ludwig XVIII. in seinem Benehmen gegen den Kaiser Alexander zeigte, konnte nicht verfehlen, auf Letzteren den peinlichsten Eindruck zu machen und auf die weitern Beziehungen zwischen den beiden Monarchen von Einfluss zu sein.
Sobald der Kaiser von Österreich, Fürst Metternich und Lord Castlereagh angelangt waren, begannen die Friedensverhandlungen. An diesen nahm ich als des Kaisers Bevollmächtigter den tätigsten Anteil. Den 18./30. Mai kam es zum Abschluss des Friedens. Die Monarchen waren unterdes nach England gereist, wo sie mit Begeisterung empfangen wurden. Für den Kaiser Alexander verging übrigens die Anwesenheit daselbst nicht ohne Unannehmlichkeiten. Denn er stimmte hinsichtlich seiner Regierungsgrundsätze mit dem damaligen Regenten, dem späteren König Georg IV., durchaus nicht oberem. Die Großfürstin Katharina Pawlowna, die schon früher als der Kaiser in London eingetroffen war, fühlte sich mehr zu den Grundsätzen der Opposition, als zu denen der damals herrschenden Torypartei hingezogen und flößte auch ihrem Bruder eine gleiche Neigung ein. Dies erregte das Missfallen des Prinz-Regenten und verursachte eine ziemliche Spannung, so dass der Kaiser in Missstimmung, zugleich aber auch von hoher Achtung erfüllt vor des Landes Wohlstand und Macht, England verließ.
Da noch zwei Monate vor Eröffnung des Wiener Kongresses verfließen sollten, so benutzte der Kaiser die Zeit zu einer Reise nach Petersburg. Ich begleitete ihn auf derselben. Während dieser Petersburger Anwesenheit bekam denn auch meine Stellung eine feste Gestalt. Der Kanzler Rumianzoff, der in Folge von mehreren Schlaganfällen fast an völliger Taubheit litt und nur dem Namen nach dem Kollegium der auswärtigen Angelegenheiten vorstand, fühlte sich tief gekränkt, dass er bei den die Regierung Alexanders verherrlichenden Verträgen war übergangen worden, und bat um seinen Abschied. Der wurde ihm bewilligt und ich mit dem bescheidenen Titel eines das Kollegium der auswärtigen Angelegenheiten dirigierenden Staatssekretärs zu seinem Nachfolger ernannt. Diesen Titel behielt ich bis in die Regierungszeit des Kaisers Nikolai hinein bei, der mich nach Abschluss des Friedens von Turkmantschai zum Vizekanzler erhob....
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Des russischen Reichskanzlers Grafen Nesselrode Selbstbiographie.