Die Wüste zwischen dem Niltal und dem Roten Meer

Nach wenigen Stunden schon, obgleich die Kamele sehr langsam gehen, betraten wir den einsamen düsteren Bereich der Wüste. So öde und traurig auch die mich umgebende Natur war, gleichsam das Gerippe des vegetativen Lebens, so lebendig und freudig war meine innere Welt. Hehre Erinnerungen an die Frühzeit des Menschengeschlechtes, an jene erste heilige Dämmerung der Geschichte durchschauerten mich. Frisch und lebendig standen die im Knabenalter in der Dorfschule erhaltenen ersten Eindrücke mir vor dem innern Auge. Was ich einst vom Auszuge der Kinder Israel aus Ägypten, von ihrem Wege durch die Wüste, von ihrem Durchgange durch das rote Meer, von der wunderumhüllten Gesetzgebung auf dem Sinai, was ich von Moses und Aaron und von den zwölf Stämmen gelesen, und was die Phantasie des Knaben so sehr beschäftigt hatte, das glühte gleichsam wieder in mir auf und war mir deutlich erinnerlich. Zog ich doch jetzt dieselbe Straße, welche Moses an der Spitze seines Volks gewandert war, durch dasselbe unwirtbare Land, durch welches eine Feuersäule bei Nacht und eine Rauchsäule bei Tage die Kinder Gottes geleitet hatte.

Die Wüste zwischen dem Niltal und dem roten Meer ist keine unabsehbar ausgedehnte, mit feinem Sande erfüllte Ebene, wie man sich die Wüsten meist und mit Recht vorstellt, sondern ein sehr unebenes von Gebirgszügen durchschnittenes Gelände. Das Hauptgebirge lief wie unser Weg von Westen nach Osten und blieb uns stets zur Rechten; mehrere seiner Nebenarme hatten wir auf unsrer viertägigen Reise bis Suez zu übersteigen; meist ging unsere Straße durch Täler und in der Ebene durch die Rinnsale der Winterwasser im Sande. Zur Linken war die Gegend vorzugsweise eben. Der Boden bestand entweder aus hartem Kiesgerölle oder aus Kalkgeschiebe, seltener aus weichem Sande. Hie und da gewahrten wir in den Tälern etwas kümmerliche Vegetation, und Manches, was sich davon am Wege bot, ward von unsern Kamelen gierig abgeweidet. Die Gebirge, entweder aus hartem Sandstein oder Kalkstein bestehend, boten eine eigentümliche zackige Form und schnitten stets scharf am Horizonte ab. Die Stille in der Wüste hat einen unbeschreiblichen, schier beängstigenden Charakter, vorzüglich für die, welche aus dem geräuschvollen Kairo kommen.


Die Reise selbst war für mich äußerst beschwerlich. Nicht nur, dass ich die langsam schaukelnde Bewegung des Kamels nicht vertragen konnte und aus diesem Grunde, vorzüglich in den ersten Tagen, unaufhörlich von Übelkeit heimgesucht wurde, die mit der Seekrankheit viel Ähnlichkeit hatte, sondern die Hitze war auch am Tage schier unerträglich, so dass wir von 10 Uhr Morgens bis 5 Uhr Nachmittags Stillstand machen mussten. Wir schlugen unser Zelt auf und brachten im Schatten desselben in einem dumpf brütenden Zustande, in halber Bewusstlosigkeit zu. Die Luft lag um uns wie die Temperatur eines Backofen. Um 5 Uhr packten wir das Zelt zusammen und ritten dem sich langsam verkühlenden Abend entgegen bis 9 oder 10 Uhr, je nachdem der Lagerplatz näher oder weiter entfernt war. Denn diese Kamelbesitzer, stets Beduinen, haben bestimmte Stellen, auf denen sie, durch die Wüste ziehend, übernachten. Rasch lodert nun ein Feuer empor, das Nilwasser, das, wie begreiflich, nicht mehr frisch ist, wird aus dem Lederschlauch in den Topf gefüllt und der Reis aus dem Sacke dazu geschüttet, um zur Mahlzeit zu kochen. Dieser, getrocknete Früchte und geräucherter Fisch, machen den Speisevorrat aus; das ohnedies schlechte Brod wird in der Sonnenglut steinhart. Eine Tasse Tee wird zum Labsal, obgleich sie den brennenden Durst gänzlich zu stillen nicht im Stande ist. Die Nächte brachte ich in der Regel außerhalb dem Zelte, an dessen Wand auf eine wollene Decke gebettet, zu, die schlaftrunkenen Augen bald auf das verglimmende Feuer, bald auf die Sterne des Himmels gerichtet, bis sie mir zufielen. Die Nacht hat in der Wüste einen weit großartigern Charakter, als bei uns. Sie ist hehrer, heiliger; man fühlt sich Gott näher und von der belebten Welt so weit, als sei man schon in einen hohem Zustand versetzt. Man begreift leicht, dass die Araber der Wüste den gestirnten Himmel genau kennen müssen: die Hitze des Tages nötigt sie zur Ruhe, und in der Nacht glänzen ihnen die Sterne heller als den Bewohnern Europas. Meine Gedanken waren, eh' ich entschlief, gewöhnlich mit den Kindern Israel beschäftigt; was Wunder, wenn ich von Moses träumte, von der Feuer- und Rauchsäule, vom Himmelsmanna usw. Vor Tagesanbruch bestiegen wir unsere Kamele schon wieder, das frugale Frühstück in der Hand. Die Morgen waren die genussreichste Zeit der Reise; Körper und Geist fühlten sich frisch, und ich war im Stande, meinen Gedanken freie Audienz zu geben. Man war auch in der Regel ganz auf sie gewiesen; denn da die Kamele nicht neben einander, sondern alle im langen Zuge hinter einander gehen, jedes vom andern durch einen kleinen Zwischenraum getrennt, so kann man mit seinem Hinter- oder Vordermanne höchstens nur einige Worte mit starker Lungenanstrengung wechseln. Aber auch diese dürftige Unterhaltung unterbleibt, sowie die Sonne höher steigt; dann nehmen auch allmählich die Gedanken Abschied, und wenn das mächtige Tagesgestirn nun seine glühenden Pfeile auf unser Haupt herabschießt, dann starrt man gedankenlos in die von Hitze zitternde Luft und versinkt in einen halb leblosen Zustand. Von Minute zu Minute wird die Glut der von den nackten, steilen Felsenbergen abprallenden Sonnenstrahlen furchtbarer, das Atmen wird einem schwerer; man meint sterben zu müssen. — Das Zelt wird aufgeschlagen, man kriecht hinein und vegetiert sieben böse Stunden in seinem wenig Kühlung gewährenden Schatten.

Außerdem ist mir auf diesem Wege nichts Merkwürdiges begegnet. Am dritten Tage sahen wir zu unsrer Rechten in Südost die ungeheuere Felsenstirne des Attaka sich erheben, der auf der ägyptischen Seite jäh nach dem roten Meere zu abstürzt. Dieser mächtige Bergrücken hat eine sehr imposante Form.

Am vierten Tage gegen Abend erblickten wir endlich von einer kleinen Anhöhe aus die dunkle von der untergehenden Sonne leicht gerötete Flache des roten Meeres und drüber hinaus im Abend-Himmel verschwimmend die Gebirge, welche die Felsenwarte des Sinai umlagern. Wir begrüßten das von den letzten Strahlen der Sonne beleuchtete Suez mit lautem Rufe.

Plötzlich war alle Abspannung von uns wie abgeschüttelt. Die Kalk, und Sandsteingegend, aus lauter kleinen Hügeln bestehend, wird im höchsten Grade trostlos und traurig, und nur der Blick auf den majestätischen Attaka und in seine tiefen Schluchten, so wie auf das nahe Meer und die Mauerzinnen und Minaretts des Städtchens entschädigt für die Öde der nächsten Umgebung. Das Kastell Adscherud ließen wir links zur Seite und gelangten auf einer allmählich sich absenkenden Fläche zu dem etwa noch eine Stunde von Suez entfernten, mit einem kastellartigen steinernen Hause überbauten Brunnen Bir Suez. Das salzig schmeckende Wasser desselben wird durch von Ochsen getriebene Räder in Rinnen gehoben, die es in große steinerne Tröge vor dem Gebäude führen. Menschen und Kamele tranken; mir wollte es nicht recht schmecken.

Das nahe Meer wurde von der Dämmerung immer dunkler gefärbt, der Attaka starrte unheimlich in den Abendhimmel. Mit Einbruch der Nacht langten wir in Suez an.