Die Wüste Sur

Abermals sah ich hier zwei Weltteile einander so nah gegenüber liegen und nur durch einen Meeresarm getrennt; bei Konstantinopel waren es Europa und Asien, hier Afrika und Asien. Aber der Unterschied zwischen dem lebendigen Bosporus und dem toten roten Meere ist eben so groß, wie zwischen den grünen prächtigen belebten Ufern Kleinasiens und Thraciens und denen der einsamen, von steilen grauen Felsenbergen gebildeten ägyptischen Küste und des gegenüber liegenden düstern Felsenwalles im steinigen Arabien. Aber nichtsdestoweniger hat auch dieser Anblick seine Reize; es sind die eines großartigen, tiefernsten Charakters. Wir empfangen von ihm einen Eindruck wie von der ersten Geschichte des Menschengeschlechts die hier in der Morgendämmerung des Erdlebens spielt.

Nach einer halben Stunde betraten wir das Ufer des steinigen Arabiens und mussten wohl eben so lange auf unsre Kamele warten, welche um die nördliche Spitze des Meerbusen herumgegangen waren. Wir zogen nun längs der Küste hin und genossen den Anblick des ägyptischen Ufers mit seinen imposanten Bergen. Vorzüglich präsentierte sich der Attaka mit seinem steilen Abfall sehr malerisch. Nach zwei Stunden eine Gruppe von Dattelpalmen und niederes Palmengebüsch. Sie stehen bei dem Mosesbrunnen, zu welchem wir nun gelangten. Er besteht aus mehreren kleinen Wasserbecken von verschiedenem Umfange, alle in geringer Entfernung von einander liegend. Eins derselben zeichnet sich vor den andern durch Größe aus, dann sind ungefähr 4 bis 5 größere und eine Anzahl kleinere Quellen. Ihr Wasser schmeckt salzig. Der Sage nach soll Moses auf seinem Zuge zum Sinai mit seinem Zauberstabe die Felsen des Bodens geöffnet und diesen Brunnen hervorgerufen haben, um die durstigen Kinder Israel zu tränken.


Wir entfernten uns nun allmählich vom Ufer des Meeres, dessen Anblick uns endlich ein sanft ansteigender kleiner Höhenzug verdeckte. Wir waren in der Wüste Sur, unser harter mit Feuersteinen übersäter Weg lief zwischen Kreidekalkhügeln hin. Nach etwa neun Stunden erreichten wir eine andre, bittere und schwefelhaltige Quelle auf einem Hügel, wiederum mit Palmbäumen umstanden. Es war der Brunnen Howara, in der Bibel Mara*) genannt, der ein kleines Felsenbecken füllt. Wir schlugen hier unser Zelt zur Nachtruhe auf. Am Morgen tränkten wir unsre Kamele und füllten unsre Schläuche, denn nach der Angabe unsrer Führer sollten wir erst in vier Tagen wieder zu einem Brunnen kommen. Dann verweilten wir noch in stiller Andacht, denn es war heute Sonntag (20. Okt.), und der Ort zu einer sonntäglichen Feier sehr geeignet.

Hier hatte der große Gesetzgeber des Altertums, dessen Namen in dieser Gegend an Berge, Felsen, Brunnen für ewige Zeit geheftet ist, ein Wunder verrichtet, von hier hatte er sein Volk in die unwirtbaren Täler des felsigen Urgebirges geführt, von dessen höchster Spitze unter Donner und Blitz das Gesetz gekommen war, dessen ewige Wahrheit sich aufs Neue im Christentume betätigt hat. Auch wir wollten jene ragende Felfenwarte besteigen, auf welcher nach der bildlichen Sprache der Bibel der Herr mit seinem Knechte Moses geredet, und wir durften nicht hoffen, sie unter einer Woche zu erreichen. Und welchen beschwerlichen Weg hatten wir vor uns! Keine Menschenwohnung, eine einzige Quelle, ein wildes starres Felsengebirge mit tiefen Schluchten und Tälern, die selten mit sparsamen Grün geschmückt sind. Führwahr, wir bedurften des Mutes und der Stärkung durch Gebet. Die sonntägliche Stimmung verließ mich den ganzen Tag nicht; ich saß in mich gekehrt auf meinem Kamele und überlegte, welcher Gnade mich Gott vor vielen Tausenden gewürdigt, dass ich den heiligen Ort seiner ersten Offenbarung betreten, dass ich den Berg besteigen sollte, von welchem alle Religion und Kultur ausgegangen ist seit mehr als dreitausend Jahren. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass der Gipfel des Sinai schon damals ein durch uralte Anbetung Gottes geheiligter Altar der Völker Arabiens war, und dass dieser Umstand den weisen Greis bestimmte, diesen Berg zum Ort seiner Gesetzgebung zu wählen.

*) 2. Buch Mosis 15, 23-22. Da kamen sie gen Mara; aber sie konnten das Wasser zu Mara nicht trinken, denn es war fast bitter. Daher hieß man den Ort Mara, — Da murrte das Volk wider Mose und sprach - Was sollen wir trinken? — Er schrie zu dem Herrn! und der Herr wies ihm einen Baum, den tat er ins Wasser, da ward es süß.