Der Vetter.

„Das Mal in die Bäder gereist und nimmermehr wieder!“, entgegnete der Vetter auffahrend, als ich mich nach den Wirkungen des Doberaner Seebades auf seine Gesundheit erkundigte.

„Keine zehn Pferde sollen mich wieder in ein Bad bringen“, fuhr er fort; nur nach einer Pause, die ich benutzte, ihm die Frage vorzulegen: ob denn auch seine Frau ebenso unzufrieden sei, setzte er bedächtlich hinzu, als ob die Erinnerung an diese seine Besinnung weckte:


„falls ich nicht muss.“

Bald klagte er sein Geschick an, das ihn feindlich gemisshandelt; bald trauerte er über die schweren Kosten, welche diese Reise über ihn gebracht habe.

Meine Zweifel an seinen vermeintlichen Unfällen, da ich ihn ganz wohl fand, brachen seinen Eigensinn, stumm zu bleiben.

Nach und nach gab er mir einige von seinen Bade-Abenteuern, wie er sie nannte.

Meine Teilnahme mochte wohltätig auf ihn wirken, er ward immer offenherziger, aber als ich endlich ihm lachend den Vorschlag machte: seine Abenteuer in den Druck zu geben, ernstlich böse.

Die Aussicht jedoch, die ich ihm zeigte, so zum Ersatze der schweren Reisekosten zu gelangen, besänftigte ihn bald und machte ihn meinem Plane geneigt. Als ich vollends ihm die Sache erleichterte, die Beschreibung - ohne ihn zu nennen - entwerfen, und ihm allein den Gewinn überlassen wollte, fand er diesen Vorschlag so umsichtig ausgedacht, dass er sich mir mit aller Offenheit hingab.

So sammelte ich nach und nach diese Bruchstücke von seiner Reise, und führe ihn redend ein, wie er mir solche allmählich mitgeteilt hat.



Der Vetter ist ein Mann in den vierziger Jahren; emsig und streng in seinen Berufsgeschäften, hypochondrisch zuweilen bis zur Schwermut, und dann wieder heiter bis zur Ausgelassenheit. Ängstlich besorgt zu einer Zeit, und bedächtlich über die unbedeutendste Handlung, die er vorhat; und zur andern Zeit unbesonnen sich hingebend und handelnd, als ob er auch das Mindeste nicht überlegte. Der Schreibtisch ist sein Element. Allem geselligen Umgange hat er seit einiger Zeit entsagt, wenn nicht etwa seine Frau ihm, dieses oder jenes Opfer auflegt.

Ihrem Willen unterwarf er von jeher den seinigen, und findet das, wie er versichert, ausnehmend bequem. Nur die letzte Reise nimmt er davon aus.

Da er nur seinen Geschäften lebt, so überlässt er die Sorge für seine leiblichen Bedürfnisse seiner Gebieterin, der er auch durch die unbegrenzte Hingebung in ihre Vorschriften über seine Handlungsweise jedes Mal - mindestens so lange als sie ihn im Auge behält - Folge leistet.

Früher war es anders. Er war der gefälligste, sorgsamste Ehemann. Wo seine Gebieterin nicht war, war er unzufrieden. Ein Genuss, den er nicht mit ihr teilte, war für ihn keiner. Er war im eigentlichen Verstande der zärtlichste Liebhaber seiner Frau, der aufmerksamste Beobachter ihrer Bedürfnisse. Manchen ihrer Wünsche hatte er erfüllt, ehe sie selbst ihn deutlich gedacht hatte.

War die Frau entweder nicht umsichtig genug, dies gehörig zu würdigen, oder schmeichelte es ihrer Eitelkeit, auch andern bemerklich werden zu lassen, wie groß ihre Gewalt über ihn sei, oder war es Laune, dass sie ihre Ansprüche an ihn immer vermehrte, oder was sonst, das eine Verwandlung in ihm hervorbrachte; ich lasse es dahingestellt sein.

Oft genug wurde er als Muster der Ehemänner andern aufgestellt, wenngleich ebenso oft wegen der Plagen bedauert, welche die Launen seiner Hälfte dem folgsamen Ehemanne verursachten.

Vielleicht war es das ihm als guten Ehemanne gezollte Lob selbst, das in ihm eine Veränderung hervorbrachte; denn mitunter wurde doch an ihm, den die Launen seiner Frau nie außer Fassung brachten, eine leise Empfindlichkeit bemerkbar, wenn man ihn als einen guten Ehemann lobte.

Kurz seit einiger Zeit war er nicht mehr der Gefällige, Zuvorkommende, sondern bloß der Gehorsame. Aus dem aktiven Zustande war er in den passiven übergegangen.

Was ihm von seiner Herrin vorgeschrieben wurde, befolgte er zwar in ihrer Gegenwart, aber dabei blieb er auch stehen. Da die Erfüllung ihrer Wünsche nicht mehr aus ihm selbst hervorging, so war dieser Gehorsam nur mechanisch, und wurde ebendaher, sobald er ihr aus den Augen war, fast immer vernachlässigt.

Aus dem sonst so gewandten Ehemanne war ein Phlegmatikus erster Größe geworden. Seine sonst heitere Laune, die ihn keineswegs ganz verlassen hatte, blieb in ihrer Gegenwart immer stumm. Dazu kam, dass er die Kunst zu meditieren studierte, in der er, wie oft von ihm beklagt wurde, in der Jugend vernachlässiget war; und da ihm die Notwendigkeit, während des Meditierens von andern Gegenständen zu abstrahieren als die erste Bedingung eines glücklichen Erfolgs einleuchtete, so war ihm dies so sehr gelungen, dass er oft in der Abstraktion die Beachtung des Gewöhnlichsten versäumte.

Kein Wunder, dass diese große Veränderung seiner Hälfte auffallend war. Alle Versuche, ihn zurückzubringen, scheiterten. Da glaubte sie, die wahre Veranlassung nicht ergründend, - die Ursache in seinem Gesundheitszustande zu finden. Auf diesen zu wirken hielt sie für notwendig, und so kam dieser, nichts weniger als körperlich leidende Freund, zur Kur und zur Badereise.

Doch wie er dazu kam, wollen wir von dem Leidträger selbst hören. ...
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Des Vetters Feldzug in die Seebäder von Doberan