Abschnitt 2

vierter Teil


Ich hatte am 12. Juni an meine Korrespondenten Kock und van Goens in Amsterdam geschrieben, daß sie mein Schiff mit zweitausend Gulden versichern sollten. Sechs Tage später wiederholte ich diese Order mit dem Bemerken, daß ich bereits segelfertig läge und nur auf einen günstigen Wind warte. Zum Überfluß ließ ich am 22. Juni noch ein drittes Aviso ab. Ich sei in diesem Augenblicke bereits auf See. Zur Sicherheit erinnerte ich noch einmal an mein Verlangen.


Am 24. Juni überfiel mich schon ein so harter Sturm, daß ich nur vor einem kleinen Sturmsegel unterm Winde liegen konnte. Eine besonders schwere Sturzwelle zertrümmerte das Steuerruder. An ein Ausbessern auf offener See war nicht zu denken. Um das Schiff gleichwohl nach Möglichkeit auf Kurs zu halten, suchte ich es mit den Vorder- und Hintersegeln zu zwingen. Da aber der Wind geradezu aufs Land stand, waren wir genötigt, Segel über Segel zu setzen, um nur das Schiff hart an den Wind zu halten und vom Leger-Strande fern zu bleiben. Trotzdem liefen wir bald in den Wind, bald wieder davor. Durch die Unmenge Segel bekamen auch Stangen und Masten schier über ihre Kräfte zu tragen.

Und gar bald geschah, was ich gefürchtet hatte: mit einer schweren Böe, die sich plötzlich erhob, brach der große Mast, acht oder zehn Fuß überm Deck, gleich einer Rübe entzwei und stürzte samt der ganzen Takelage über Bord. Das ganze Gewirr von Rundhölzern - Mast, Stangen und Rahen - stieß nun unaufhörlich und mit solcher Kraft gegen die Seiten des Schiffes, daß wir jeden Augenblick erwarteten, Planken und Spanten zertrümmert zu sehen. Wir mußten schnell alles Tauwerk kappen, das mit dem gestürzten Mast noch zusammenhing.

Unser schwer beladenes Schiff trieb jetzt gleich einem Klotz auf dem Wasser. Die Wellen überspülten es unaufhörlich. Selbst die Kajüte schwamm beständig voll Wasser. Unsre Lebensmittel wurden naß. Auch unsre Ladung mußte leiden, da wir das eindringende Wasser selbst mit beiden Pumpen kaum zu bewältigen vermochten.

Des anderen Tages, sobald das Wetter ruhiger geworden war, hoben wir unser Bugspriet aus und befestigten es, so gut es gehen mochte, an dem Stumpf des abgebrochenen Mastes. Daran zogen wir dann ein paar Segel auf, die wir noch vorrätig hatten. Um nun das fehlende Steuerruder irgendwie zu ersetzen, ließ ich einen großen Klotz an einem etwa zwanzig Klafter langen Ankertau vom Hinterteil aus treiben. Gleichfalls wurden Taue von jeder Bugseite mit diesem Klotz verbunden. So ließ sich das Schiff notdürftig steuern, obwohl wir freilich keinen ordentlichen Kurs halten konnten. Vielmehr trieben wir bei anhaltendem Ostwind immer weiter auf das atlantische Meer hinaus. Unser größtes Glück war es, daß wir das Schiff dicht behalten hatten.

Sechs Wochen lang waren wir auf diese Weise hilflos auf dem Weltmeer umher gekreuzt. Am 6. August ereilte uns ein gewaltiger Weststurm. Das Wetter ward so furchtbar, wie ich es nie wieder erlebt habe. Unsre größte Besorgnis aber war, daß wir bei Nacht gegen die Lewis-Inseln mit ihren zahlreichen Klippen geworfen werden könnten. Unsre Furcht schwand erst, als wir uns am 9. August zwischen den orkadischen Inseln gegenüber Fairhill befanden. Da auch zugleich der Wind nach Nordwesten ging, so hofften wir die norwegische Küste zu erreichen und dort Hilfe zu finden.

Am 13. sahen wir denn auch die Küste. Mitten zwischen steilen Klippenwänden trieb unser Schiff, wie von unsichtbaren Händen gelenkt, in eine Bucht, wo ich Ankergrund und stilles Wasser fand. Sieben ewiglange Wochen waren wir ohne Mast und Ruder, unter Hunger, Durst und stetem Todeskampf umhergetrieben.

Unser Nothafen hieß Bommel-Sund, wie wir noch in der nämlichen Nacht von einigen Leuten erfuhren, die vom Land zu uns an Bord kamen. Sie waren mir auch behilflich, das Schiff noch tiefer in die Schären hinein in Sicherheit zu bringen. Am Morgen fuhr ich selbst an Land, um mir Hilfe zu suchen. Es fehlte mir geradezu an allem, um von der Stelle zu kommen. Doch Mast, Ruder und Takelage, wie ich es brauchte, war in dieser Gegend nicht zu haben. So mußte ich mir Fahrzeuge und Leute annehmen, die mich langsam zwischen den Klippen weiterbugsierten. Endlich gelangte ich denn in den Hafen von Fahresund.

Hier wandte ich mich an das Handelshaus Lund & Co., welches mir auch half, mein Schiff wieder in gehörigen Stand zu setzen. Um nichts zu versäumen, ließ ich vor allen Dingen mein Schiffsvolk eine gerichtliche Erklärung über die erlittenen Unglücksfälle während dieser Reise ablegen. Zudem versah ich mich mit den übrigen erforderlichen Zeugnissen und übersandte dies alles meinen Korrespondenten in Amsterdam. Ich trug ihnen auf, mir auf Grund der Versicherung meines Schiffes einen Kreditbrief über die Summe zu schicken, wie ich sie zur Ausbesserung des Schiffes erforderlich glaubte.

Da empfing ich von den Herren Kock und van Goens ein Schreiben, worin sie mir empfahlen, mich in meinen Ausgaben, soweit es ging, zu menagieren; es wäre ihnen nicht möglich gewesen, für mein Schiff und meine Ladung eine Versicherung abzuschließen. - Als hätte der Blitz vor meinen Füßen eingeschlagen, so überraschte und erschütterte mich dieser trockene Bericht! Zugleich aber gingen mir auch die Augen auf über das Schelmenstück, das man mir gespielt hatte. In der sichersten Jahreszeit und auf einem Platz wie Amsterdam sollte für keine Prämie, hoch oder niedrig, eine mäßige Assekuranz zu beschaffen gewesen sein? Und wenn in Holland kein Mensch sein Geld an eine so geringe Gefahr hätte setzen wollen, stand meinen Beauftragten nicht Hamburg, Kopenhagen oder London, kurz, jeder andere Handelsort frei und offen? - Es war klar - und in diesem Urteil hatte ich alle Sachverständigen auf meiner Seite -, daß die feinen Herrschaften es für zuträglicher gehalten hatten, die Assekuranz gar nicht auszubieten. Sie hatten das im Vertrauen auf meine Tüchtigkeit und die anderweitigen günstigen Umstände gewagt. Wäre die Fahrt glücklich abgelaufen, wie zu hoffen gewesen war, so hätten sie nicht vergessen, mir die Versicherungsprämie gehörig anzurechnen. Nun aber, da ich Havarie hatte, benahmen sie sich wie Schurken.

Ich saß in der Klemme und mußte abermals auf Schiff und Ladung Geld aufnehmen. Ich hatte indes die Hoffnung, das saubere Paar ihrer Unlauterkeit zu überführen und so wieder zu meinem Gelde zu gelangen. Ich ging also in See und langte bald darauf glücklich in Königsberg an. Kaum aber hatte ich dort meine Ladung Salz gelöscht, als auch der Bodmerei-Geber sein auf das Schiff vorgestreckte Geld zurückforderte, welches sich mit allen Nebenausgaben auf die Summe von siebentausend Talern belief Da ich nun auch noch in einigen andern Schulden steckte, so kam ich von Tag zu Tag immer mehr ins Gedränge, zumal an ein schleuniges Ende des Prozesses nicht zu denken war, den ich zunächst gegen Kock und van Goens in Amsterdam angestrengt hatte.

Hier war vielmehr ein Federfechten begonnen, das Jahr und Tag dauerte und immer bunter und verwickelter wurde. Endlich wurde mir der Handel und die Rabulisterei für meinen armen schlichten Menschenverstand zu arg. Ich packte meine dicken Prozeßakten zusammen und legte sie in tiefster Devotion Sr. Majestät dem Könige vor. Ich bat ihn inständigst, sich seines allergetreuesten Untertanen anzunehmen und diesen Prozeß gegen Kock und van Goens durch den preußischen beglaubigten Minister im Haag erledigen zu lassen.

Während meine Sache diesen gemächlichen Gang ging, mußte ich, um meine Gläubiger zu befriedigen, zuvörderst meine Ladung, dann aber auch mein schönes liebes Schiff samt allem, was ich um und an mir hatte, zu Geld machen. Als unschuldiges Opfer eines schändlichen Betruges stand ich da und konnte kaum das Hemd auf dem Leibe mein eigen nennen.

Drei mühselige Jahre blieb mein Schicksal in dieser Schwebe. Gott weiß, wie sauer, ja bitter sie mir geworden sind. Endlich ging vom Preußischen Gesandten im Haag ein großes Schreiben an mich ein. Es verkündigte, mein Prozeß sei in letzter Instanz glücklich gewonnen. - Gottlob! hätte ich aus tiefster Brust erleichtert gerufen, wäre damit nicht eine Hiobsbotschaft verbunden gewesen. Es hieß weiter in dem Schreiben: Kock, der eine meiner Widersacher, sei gestorben und nun sei der Bankrott des Hauses ausgebrochen. Auf alle Effekten sei von den übrigen Gläubigern Beschlag gelegt worden, und zur Befriedigung meiner Forderungen wäre leider nichts übrig geblieben.

So war ich denn ein ruinierter Mann. Ich hatte mir die schönsten Jahre meines Lebens gleichsam stehlen lassen, hatte mir den Leib unaufhörlich voll geärgert und mochte nun in Gottes Namen wieder von vorn anfangen!

So machten ich mich denn im Jahre 1771 als Passagier nach Holland auf den Weg. Ich hatte die gewisse Zuversicht, daß ich in diesem Land auf alle Fälle ein besseres Fortkommen finden werde.

Wenn irgend möglich, wollte ich an die Küste von Guinea. Die Art des Handelsverkehrs war mir bei meiner ersten Ausfahrt bereits bekannt geworden. Ich war darauf aus, mich auf irgendeinem dorthin bestimmten Schiff als Obersteuermann zu verdingen. In Amsterdam zwar gab es hierfür in diesem Augenblick keine Gelegenheit.

Als ich mich aber durch Freunde und Bekannte an das Haus Rochus & Copstadt in Rotterdam empfehlen ließ, ward ich mit den Reedern einig, auf einem ganz neuen Schiff namens „Christina“ unter Kapitän Jan Harmel als Obersteuermann die Fahrt nach der Küste von Guinea anzutreten.