Abschnitt 1

vierter Teil


Nunmehr sah ich auch die Gotenburger Papiere über die Havarie durch, und da standen mir wahrlich die Haare zu Berge. Sie befanden sich in der greulichsten Unordnung, als ob sie mit Vorbedacht verwirrt worden seien, um jede klare Einsicht unmöglich zu machen. Konnte ich meinen Assecuradeurs diese Rechnungen vorlegen? Sie würden sie ja von Anfang bis zu Ende für nichtig erklären. Den Schuft Steinkraus einsperren zu lassen, wie er’s verdiente, war nicht ratsam. Dann würden jene Versicherer Betrug wittern und mich selbst in das böse Spiel verwickeln.


Allein, ich mußte den Burschen bei Tag und Nacht wie meinen Augapfel hüten, durfte ihn aber mein Mißtrauen nicht merken lassen. Nichtsdestoweniger entschlüpfte er mir zwei Tage später auf der Börse, wo es bekanntlich immer ein dichtes Getümmel gibt. Die Börsenzeit ging zu Ende: aber kein Steinkraus war zu sehen! Auch an Bord hatte er sich nicht begeben. Er war und blieb verschwunden.

Durch sein Entlaufen schien die Lage, die vorher schon kritisch gewesen, rettungslos für mich zu werden. Ich hatte meinen Assecuradeurs die Havarierechnung des Schiffers vorlegen müssen. Selbst wenn alles in bester Ordnung gewesen wäre, hätten sie guten Grund gehabt, den Kopf zu schütteln und sich zu besinnen, ob sie zur Zahlung einer so enormen Summe verpflichtet wären. Nach Steinkraus’ Verschwinden wiesen sie jede Anforderung auf das bestimmteste zurück. Sie verlangten, daß ich ihnen vor allen Dingen den Schiffer zur Stelle schaffe, der die Havarie gemacht hätte. Er selbst müsse Rede und Antwort geben. Mit ihm und nicht mit mir hätten sie es zunächst zu tun.

Zufällig las ich in diesen Tagen nun in einem holländischen Zeitungsblatt eine Anzeige, in welcher stand, daß zu Schlinger-Want jenseits des Yssel ein ertrunkener Mann gefunden worden sei. Dessen Kleidung und nähere Kennzeichen waren zugleich angegeben. Der Prediger des Ortes, von welchem der Mann dort begraben worden war, forderte hier die etwaigen Angehörigen dieses Verunglückten auf, der Kirche die wenigen Begräbniskosten zu entrichten.

„Himmel!“, dachte ich bei mir selbst. „Wenn dieser Ertrunkene vielleicht der Steinkraus sein sollte!“ - Tag und Zeit und manches von den angegebenen Merkmalen ließen es beinahe annehmen. Hatte ihn sein Gewissen zu einer Verzweiflungstat getrieben oder hatte er sich, um sich den Blicken aller Bekannten zu entziehen, unvorsichtigerweise aufs Wasser gewagt und dort seinen Untergang gefunden?

Immerhin schien mir sein Tod unter diesen Umständen ein Glücksfall; und wie gern glaubt man, was man wünscht! Ich war also bald überzeugt, daß hier von niemand anders als von meinem Schiffer die Rede sei.

Ließ sich nun auf diese Art erweisen, daß der Mann nicht mehr unter den Lebenden war, mit welchen meine Assecuradeurs einzig und allein ihren streitigen Handel ausmachen wollten, so mußten sie auch seine Rechnungen annehmen oder beweisen, daß es sich hier um einen Betrug handelte. Dies aber durfte ihnen schwer fallen, wenn nicht unmöglich sein.

Ich als Reeder war hingegen befugt, mich buchstäblich an meine Police zu halten und auf volle Entschädigung zu dringen. In der Form war dann das Recht auf meiner Seite, doch ob auch dem Wesen nach - darüber hatte ich einige Bedenken, die ich nicht sofort loswerden konnte. Daß der Steinkraus bei der Havarie mit Lug und Trug zu Werke gegangen sein müsse, war nicht klar zu beweisen, schien jedoch nur zu glaublich. Mein eigenes Gewissen war gleichwohl rein und frei.

Wir fuhren also sofort nach Schlinger-Want hinüber und suchten den Ortsprediger auf. Ich machte ihm nun meine Anzeige, daß jener ertrunkene Mann, nach den angegebenen und von mir noch näher bestimmten Kennzeichen, mein Schiffer gewesen sei. Ich käme in der Absicht, ihm die aufgewandten Begräbniskosten dankbar zu vergüten. Sie betrugen einundzwanzig Gulden und wurden freundlich angenommen. Ich bekam dafür eine Quittung in Form eines Totenscheines und ging nunmehr getrost meines Weges.

Aufgrund dieses Dokumentes ließen sich meine Versicherer zu neuer Verhandlung herbei. Nach einigem Hin- und Widerreden kam es denn auch endlich zu einem Vergleich. Ich ließ die Hälfte meiner Forderung nach und zeichnete viertausend Gulden Bodmerei auf mein Schiff; wogegen meine Herren Assecuradeurs die andere Hälfte an die Bodmerei-Geber in Gotenburg zahlen wollten.

So kam ich bei diesem schlimmen Handel noch glücklich genug davon. Ich behielt mein Schiff und konnte damit nach Lust und Belieben fahren, um meine Scharte wieder auszuwetzen. Ich beschloß, mit Ballast nach Noirmoutier zu gehen, dort eine Ladung Salz für eigene Rechnung einzunehmen und demnächst in Königsberg loszuschlagen. Die Gelder zum Ankauf jener Ware wollten mir meine Amsterdamer Korrespondenten, die schon genannten Herren Kock und van Goens, gegen Bodmerei auf Schiff und Ladung in Frankreich besorgen. Anfang Mai lief ich aus dem Texel. In der Mitte des Monats kam ich vor Noirmoutier glücklich vor Anker.

Hier traf ich drei Schiffe, deren Kapitäne sämtlich zu meinen guten Freunden gehörten, nämlich Neste, mit einem Dreimaster aus Danzig, und Fries und Jantzen, beides Königsberger. Alsbald kamen sie auch zu mir an Bord. Sie brachten mir die unerwünschte Nachricht, daß das Salz hier knapp sei. Nach längerer Beratschlagung hielten wir es für das richtigste, uns auf die nächstgelegenen Salzhäfen Croisic, Bernif und Olonne zu verteilen, um dort, wenn möglich, besseren Markt zu finden. Das Los sollte entscheiden, wer hier zu bleiben und wohin ein jeder zu gehen und vorläufig seinen Handel für alle abzuschließen hätte.

Das Los bestimmte, daß ich nach Croisic zu fahren hätte. Diese Fahrt war nicht nur die weiteste, sondern auch sehr gefährlich. Sie geht durch das offene Meer, ohne durch Vorgebirge oder eine Insel geschützt zu sein. Mein im Texel gekauftes Boot ward nun sofort über Bord gesetzt.

Mit einem herzhaften „Nun, mit Gott!“ stieß ich ab. Ehe wir noch fünfzig Klafter gesegelt waren, ward’s mir allerdings klar, daß ich meine Jolle überladen hatte.

Bis ich um die kleine Insel Piquonnier herumkam, ging auch alles gut. Hier aber rollte mir die See von der Seite her in langen und hohen Wogen mächtig entgegen. Der steife Wind stand von dort her gerade aufs Land, und es sah ganz danach aus, daß wir hier mit Gemächlichkeit ersaufen könnten.

Nach vier, fünf Stunden brach die Nacht herein. Mit der Dunkelheit schien auch der Wind stärker zu werden. Keiner von uns sprach ein Wort, aber meine Matrosen drängten sich immer näher an mich. Da wir an der Mündung der Loire schon vorüber waren, in die ich mich sonst geflüchtet hätte, steuerte ich auf die Küste zu. Die Jolle schoß wie ein Pfeil durch die Wogen. Nach einer halben Stunde hörten wir auch schon das schreckliche Gebrüll der Brandung. Angestrengt blickten wir nach dem weißen Schaum aus. Allein die Nacht war so finster und unser Fahrzeug flog so schnell dahin, daß wir uns plötzlich mitten in der Brandung befanden. Ehe wir uns auch nur besinnen konnten, erblickten wir kurz hinter uns den schäumenden Kamm einer Woge, die sich bis zur Höhe unseres Mastes aufbäumte, dann brausend über uns niederschoß und uns in ihren Abgrund mit sich riß.

Nun trat die See für paar Augenblicke zurück. Ich bekam den Kopf in die Höhe und meine Füße spürten Grund. Ehe die nächste Welle wiederkehrte, hatte ich mich besonnen. Ich hielt stand, und da sie mir diesmal nur bis unter die Arme reichte, so konnte ich dem Strande zueilen und war bald in Sicherheit. Meine beiden Gefährten hatten gleichfalls Glück. Nur unsere Jolle war in die See zurückgerissen worden, bis sie endlich kieloben an Land trieb. Doch alles, was darin gewesen war, ging verloren. Wir mußten uns begnügen, unser Fahrzeug am Strande so hoch hinauf zu ziehen, daß es von den Wellen nicht mehr erreicht werden konnte.

Hierauf gingen wir landeinwärts einem Lichte zu, das wir in der Ferne schimmern sahen. Bei einem Bauern fanden wir Unterschlupf. Am Morgen begaben wir uns mit unserem Wirte zum Strande zurück, um nach unserer Jolle zu sehen. Wir fanden sie noch auf der alten Stelle. Da die See noch nicht wieder fahrbar geworden war, wußten wir nicht, was wir mit unserem Boote beginnen sollten. Aber unser Bauer, dem ich mich durch einen meiner Matrosen verständlich machen konnte, half uns aus der Verlegenheit. Wir befanden uns hier anderthalb Meilen von Pollien. Dieser Ort ist ebenfalls ein Salzhafen und liegt etwa zwei Meilen von Croisic entfernt. Nach Pollien wollte der Bauer nun unser Puppenfahrzeug über Land transportieren, indem er es zwischen zwei von seinen Eseln hinge.

Wirklich hielten er und seine Esel redlich Wort. In dem lustigsten und nie gesehenen Aufzuge zogen wir in Pollien ein. Die ganze Stadt lief zusammen. Ich ließ mir den angesehensten Salzhändler des Ortes nennen und ging sogleich zu ihm. Der Kaufmann Charault nahm mich sehr freundlich auf. Und bald konnte ich auch eine volle Ladung für alle vier Schiffe, das Muid zu vierundfünfzig Livres, ausmachen; und zwar dortigen Maßes, welches noch um fünf Prozent größer ist als auf Noirmoutier. Ich durfte mir also schmeicheln, einen vorteilhaften Handel abgeschlossen zu haben.