Abschnitt 2

siebter Teil


Wir mußten das Leck ausfindig machen, um ihm womöglich beizukommen und es zuzustopfen. Die Gewässer des atlantischen Ozeans sind in dieser Gegend so klar und durchsichtig, daß man auch in eine größere Tiefe ziemlich deutlich sehen kann. Wir entdeckten dann auch, daß ungefähr vier bis fünf Fuß unter der Wasseroberfläche Späne von der äußeren Haut abstanden. Unstreitig war das ein trauriges Andenken an den Zusammenstoß mit dem portugiesischen Schiffe.


Wir mußten das Leck schleunigst abdichten. Ich ließ sogleich eine von den Zitronenkisten zerschlagen, die wir in Lissabon eingenommen hatten. Ich nahm den biegsamen Boden davon und schnitt dann aus meiner mit Baumwolle gesteppten Bettdecke ein genau so großes Stück. Das Zeug und den Kistenboden teerte und talgte ich auf beiden Seiten und nagelte sie zusammen. Darauf wurden am Rande acht bis zehn Löcher gebohrt und in jedes Loch ein Nagel gesteckt. Diese Nägel umwickelte ich mit etwas Werg, damit sie nicht etwa wieder herausfielen.

Nun sollte sich einer von meinen Leuten rittlings auf den vierbeinigen Bootsanker setzen. Damit wollten wir ihn bis zu dem Leck hinunterlassen, damit er das präparierte Brett über der schadhaften Stelle festnagelte. Aber keiner wollte diese halsbrecherische Wasserfahrt wagen. Nicht einmal um eine Monatsgage, die ich dafür zahlen wollte. Ich machte ihnen klar, daß wir alle ohne Barmherzigkeit ersaufen müßten, wenn sie dies kleine Wagnis scheuten. Ich bat, ich flehte; ich schalt und drohte. Aber die feigen Seelen sahen mich verdutzt an und blieben bei ihrem Kopfschütteln.

„Nun denn!“ sagte ich endlich ingrimmig. „So will ich selbst der Mann sein, der sein Leben für euch Feiglinge in die Schanze schlägt!“ - Dabei war wenig Prahlerei. Ich hatte als junger Bursche mit meinen Spielkameraden das Schwimmen und Tauchen fleißig geübt und war oftmals bis dreißig Sekunden unter Wasser geblieben. Hoffentlich hatte ich diese kleine Kunst in den drei Dutzend Jahren nicht wieder verlernt. Und sollte ich dennoch ertrinken, so konnte es mir gleich sein, auf welche Weise das geschah.

Ich nahm also getrost meinen Platz auf dem Bootsanker ein, an dessen Tau mich meine Leute hinablassen mußten. Nach meiner Anweisung sollten sie, von dem Augenblick an, wo ich mit dem Munde unter Wasser käme, langsam zu zählen beginnen und mich bei fünfundzwanzig hurtig wieder emporziehen. Ich beeilte mich möglichst; zwei, drei tüchtige Schläge auf jeden Nagelkopf, und das Brett saß fest. Der Sog des Wassers nach innen tat das übrige und trieb die Fasern der Decke in die offenen Fugen. Ich war fertig mit meiner Arbeit, aber meine Leute droben dachten noch immer nicht daran, mich wieder hinaufzuziehen. Endlich, nach einigen Sekunden, brachten sie mich wieder an Gottes freie Luft. So war das Abenteuer glücklich überstanden. Aber hatten wir damit auch etwas gewonnen? Wir eilten an die Pumpen. Sie schafften das eingedrungene Wasser. Es verminderte sich sichtbar. Wir durften es wagen, nur mit einer Pumpe die See zu halten. Unsre Reise ging nun ohne Zwischenfall weiter.

Nachdem wir die Küsten von Dover und Calais aus den Augen verloren hatten, waren wir elf Tage lang von meist stürmischen Winden in der Nordsee umhergeworfen worden. Während der ganzen Zeit hatten wir weder Jütland, noch Norwegen oder sonst ein Land erblickt. Dennoch wagten wir uns um die gefährliche Spitze von Skagerrak ins Kattegat hinein. Es glückte, aber gerade hier überfiel uns nunmehr auch ein schrecklicher Sturm aus Norden, der so hart in unser dicht gerefftes Fock- und Vormarssegel blies, daß bald die Fetzen davonflogen.

Danach wollte sich unser Schiff nicht mehr vor dem Winde steuern lassen. Es sollte eine andre Focke untergeschlagen werden, allein das Schiff arbeitete und schlingerte in der brausenden, kochenden See so gewaltig, daß wir kaum die Augen aufmachen konnten. Das neue Focksegel ward zwar aus der Segelkammer hervorgezogen und an die Rahe geschlagen. Doch sobald die Stange in die Höhe ging, peitschte auch dieses Segel dergestalt um sich, daß es in den nächsten Augenblicken ebenfalls in Lappen davongeführt wurde. Ich schrie meinen Leuten, die oben in den Masten saßen, zu, die Fäuste wie brave Kerle zu rühren und das Segel unter die Rahe zu bringen. „Brandung leewärts!“ ward in diesem Augenblick geschrien. Jetzt mußte sich unser Schicksal entscheiden! Da das Schiff dem Ruder nicht mehr folgte, war hier alle Steuerkunst vergebens. Wir wurden in unsern Untergang getrieben, und saßen nach wenigen Augenblicken auf einem Felsen fest. Sogleich auch stürzte die stürmende See über unser Schiff hinweg, daß der Schaum bis hoch an die Mastkörbe spritzte. Es wurde durch die gewaltigen Stöße am Boden durchlöchert und lief voll Wasser. So war denn an ein Abkommen von dieser Klippe und an Rettung des Schiffes gar nicht mehr zu denken.

Auf dem Verdeck konnten wir uns der überflutenden Brandung wegen nicht mehr halten. Wir waren alsogleich sämtlich auf die Masten geflüchtet. Ich machte meinen Unglücksgefährten klar, daß unser aller Heil darauf beruhte, die Schaluppe in unsre Gewalt zu bekommen. Die Rüstigsten sollten hinuntersteigen und die Taue zerschneiden, woran die Schaluppe auf dem Verdeck festgemacht sei. Dann müßten mehrere lange Taue an das Fahrzeug geknüpft werden, deren Enden wir oben im Mast sicher halten würden. So könnte uns die Schaluppe nicht von den Wellen entführt werden, wenn sie über Bord gespült würde.

Sofort kletterten auch drei wackre Kerle hinab und machten die Schaluppe los. Jeder von ihnen knüpfte ein Tau fest und brachte das Ende davon glücklich wieder zu uns in die Höhe.

Schließlich brach, wie wir längst befürchtet hatten, unser Schiff in der Mitte auseinander. Der Fockmast und der Großmast stürzten über Bord. Die acht Menschen, die auf dem Großmast gesessen hatten, konnten sich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Sie kletterten zu uns. Und so war denn die volle Mannschaft hinten bei mir auf dem Besanmast beisammen.

Jetzt durften wir nicht länger mehr zaudern. Wir zogen die Schaluppe an den Tauen näher zu uns heran und holten die Spitze soweit in die Höhe, daß ein Teil Wasser nach hinten abfließen konnte. Dann stiegen wir der Reihe nach ein, schöpften sie mit unsern Hüten vollends aus und schnitten endlich die Taue durch, die uns noch am Wrack festhielten. Glücklich kamen wir aus dem Labyrinth voll brandender Klippen ins offene Wasser hinaus.

Oft zwar füllten ungestüme Schlagwellen unser Fahrzeug fast zum Sinken mit Wasser an, doch waren wir unermüdlich, es augenblicklich mit unsern Hüten wieder auszuschöpfen. So trieben wir wohin Wind und Wellen wollten. Bis wir endlich die Insel Anholt vor uns zu Gesichte bekamen und hier an der Ostspitze, unweit des Feuerturms, gegen ein Uhr nachmittags auf den Strand setzten.

Mein erstes war, mich in den trocknen Ufersand auf die Knie zu werfen und dem Barmherzigen droben für die wunderbare Erhaltung meines Lebens und meiner Gefährten zu danken. Dann aber stiegen allmählich freilich auch allerlei trübe Gedanken in mir auf. Mein schönes, gutes Schiff war verloren! Wäre mir ein Freund gestorben, sein Verlust hätte mir nicht näher gehen können.

Und wie vieles ging in dieser unglücklichen Nacht mit meinem Schiffe verloren! Zwar mein Reeder in Stettin war zu allen Zeiten ein zu umsichtiger Mann gewesen, um sich nicht auch gegen ein Ereignis dieser Art möglichst zu decken. Ich hatte das Schiff in seinem Auftrage, so oft ich aus einem Hafen abging, assekurieren lassen; so brachte ihm der Verlust keinen wesentlichen Schaden.

Anders lag die Sache bei mir. Dieser Schiffbruch hatte mein eigenes, eben wieder aufkeimendes Glück völlig zertrümmert. Mein Gehalt als Schiffer hatte ich allerdings stets bei meinem Patron stehen lassen; dies ging mir nicht verloren. Allein ein Schiffskapitän hat auf vollkommen rechtmäßige Weise noch so mancherlei Gelegenheit zu Nebenverdiensten. Alle diese kleinen Nebeneinnahmen hatte ich immer wieder in Waren angelegt. Nach und nach kam eine ganze Menge zusammen. So hatte ich diesmal beinah für elftausend holländische Gulden eigene Waren an Bord gehabt. Alles dies war nun mit dem Schiffe verloren gegangen.

Als wir uns nach einer Weile etwas genauer umsahen, erblickten wir auf der Landspitze neben dem Feuerturm ein einzelnes Haus. Wir schritten darauf zu und fanden darin den Feuerinspektor, seine Frau und zwei zur Unterhaltung des Feuers erforderliche Knechte. Erschöpft von den Anstrengungen und niedergedrückt von Kummer und Sorge, sank ich gleich nach der ersten Begrüßung auf das Bett und verfiel in ein halbwaches Brüten.

Nachdem wir uns hier bei unsern freundlichen Gastgebern von unsern schweren Mühseligkeiten erholt hatten, war es hohe Zeit, weiterzumarschieren. Auf dem östlichen Teil der Insel, wo sie am breitesten ist, lag das einzige hier vorhandene Fischerdörfchen, dem ein Schulze vorstand. Er stellte uns dann auch ein Fahrzeug mit ausreichendem Proviant zur Verfügung, mit dem wir am 18. Mai Helsingör erreichten.

Um die Zahlung der Assekuranz zu sichern, schrieb ich hier vor Gericht sofort eine eidliche Erklärung über den Hergang unseres Unglücks nieder. Meine Leute empfingen ihre Löhnung, die ihnen nach den Seerechten gebührt. Da wir aus verschiedenen Nationen stammten, gingen wir nach allen Himmelsrichtungen auseinander.