Abschnitt 2

fünfter Teil


Unter meinen Gefährten befand sich ein englischer Matrose, der an Land schwimmen wollte, um die säumigen Neger herbeizuholen. Ich fürchtete jedoch, daß ein Haifisch ihn packen könnte, und versagte ihm meine Zustimmung. Mit dem vergeblichen Warten stieg indes unser Mißmut immer mehr. Der Engländer erbot sich zu wiederholten Malen, das, wie er meinte, ganz unbedenkliche Abenteuer zu bestehen. Ermüdet von seinem steten Andringen und hoffend, daß ja nicht gerade jetzt ein solches Ungetüm in der Nähe lauern werde, gab ich endlich meine Zustimmung.


Alsbald warf der Mensch frohen Mutes sein Hemd von sich, sprang über Bord und schwamm dem Lande zu. Allein, kaum hatte er sich zwei Klafter weit vom Boot entfernt, so ward er auch bereits von einem solchen gefürchteten Tiere umkreist. Es warf sich nach seiner Gewohnheit auf den Rücken, ergriff seine unglückliche Beute und zog mit ihr davon. Bald ragte der Kopf, bald Hand oder Fuß des armen Schwimmers über die Wellen empor. Endlich aber verschwand es ganz aus unserm Gesichte. Wir hatten Zeugen dieses gräßlichen Schauspiels sein müssen, ohne helfen und retten zu können. Daß es, als ich wieder an Bord kam, einen tüchtigen, aber auch verdienten Verweis von meinem Kapitän gab, kann man sich wohl vorstellen. Gott wird mir jedoch meine Sünde vergeben. Er weiß am besten, daß ich dies Unglück nicht mutwillig verschuldet habe, sondern wider meinen Wunsch und Willen!

Merkwürdig ist gleichwohl die Versicherung der Neger, die auch durch den Augenschein bestätigt wird, daß keiner ihresgleichen von diesen Haien etwas zu fürchten habe. Man muß wohl annehmen, die schwarze Farbe hielte diese gefräßigen Tiere ab, sie anzufallen.

Noch lagen wir in dieser Küstengegend vor Anker, als sich ein holländisches Sklavenschiff bei uns einfand und gleichfalls dicht neben uns ankerte. Sein Kapitän rief uns zu, daß wir ihn doch mit unserer Schaluppe zu uns herüber holen möchten. Als er an Bord gekommen war, klagte er uns seine drückende Not. Elf Mann seiner Besatzung wären ihm unterwegs gestorben, dazu habe er vierzehn Kranke liegen, so daß er kaum noch fünf gesunde Leute an die Arbeit stellen könne. Er habe seither nicht mehr als achtzehn Sklaven eingehandelt und wisse vor Sorge und Verlegenheit nicht, was er beginnen solle. Sein eigentlicher Wunsch aber war, wir möchten ihm einige von unseren Leuten überlassen. Hieran war jedoch nicht zu denken. Von den Unsrigen wäre freiwillig auch kaum jemand mit einem solchen Tausche einverstanden gewesen. Wir gaben ihm den Rat, er solle versuchen, St. George de la Mina zu erreichen. Das Gouvernement sei verpflichtet, sich seiner anzunehmen.

Als ich ihn zurückbrachte, erzählte er mir noch, daß das Schiff zu Middelburg in Seeland ausgerüstet worden sei; er heiße Harder, sei, gleich mir, Pommer und in Rügenwalde geboren. Mir tat es doppelt leid um den armen Landsmann, als ich auf sein Schiff kam und überall ein Elend und eine Unordnung wahrnahm, wie sie mir noch niemals vorgekommen war. Fast mit Tränen in den Augen trennten wir uns. Sowie ich mich von dem Schiffe entfernte, lichtete es die Anker und ging unter Segel. Doch mochte es kaum eine Viertelmeile gemacht haben, so legte es sich abermals vor Anker.

Mitten in der Nacht aber sahen wir dort Gewehrfeuer aufblitzen und hörten auch allerlei Lärm, ohne zu wissen, was wir daraus machen sollten. Erst als der Tag anbrach, erblickten wir jenes Schiff auf den Strand gesetzt und von unzähligen Negern umschwärmt. Daß sich während der zwei Tage, die wie hier noch liegen blieben, keiner von den Schwarzen zu uns an Bord traute, bestätigte hinreichend unsern Argwohn, daß sie den wehrlosen Middelburger überrumpelt, die Besatzung niedergehauen und das Schiff hatten stranden lassen, um seine Ladung bequem zu plündern.

Eine solche blutige Gewalttat mag den Leser mit Recht empören. Dagegen ist aber notwendig in Anrechnung zu bringen, daß dergleichen eigentlich nur als Notwehr oder Wiedervergeltung gegen nicht minder abscheuliche Überfälle angesehen werden muß, welche sich die Europäer gegen diese Schwarzen gestatten. Besonders die Engländer sind dafür bekannt, daß sich in ihren Häfen von Zeit zu Zeit mehrere Rotten von fünfzehn bis zwanzig Bösewichtern vereinigen, die aus entlaufenen Steuerleuten und Matrosen bestehen und den Sklavenhandel kennen. Sie rüsten ein kleines Fahrzeug aus, versehen sich mit Schießbedarf und Proviant sowie zum Scheine auch mit einigen Waren, wie sie bei diesem Handel gebräuchlich sind, und steuern so nach der Küste von Guinea. Kommen hier nun die Neger an Bord eines solchen Korsaren, um einen friedlichen Handel abzuschließen, so fallen diese Räuber über sie her und legen sie samt und sonders in Ketten. Haben sie auf diese Weise dreißig bis vierzig Unglückliche zusammengerafft, so fahren sie damit nach Südamerika hinüber, um sie an die Spanier und Portugiesen loszuschlagen. Dort verkaufen sie auch ihr Fahrzeug und gehen nun einzeln als Reisende mit ihrem ungerechten Gewinn nach England zurück, um vielleicht unmittelbar darauf ein neues Unternehmen dieser Art zu wagen.

Solche Raubzüge bringen dem regelmäßigen Handel an der afrikanischen Küste sowie dem gegenseitigem Vertrauen den empfindlichsten Nachteil. Besonders verderblich aber waren sie zu jener Zeit für den Handel, welchen die Holländer mit ihren Booten betrieben, da die Neger diese von englischen Raubfahrzeugen nicht hinreichend zu unterscheiden vermochten.

Wenige Tage später befand ich mich vor der Mündung des kleinen Flusses Rio de St. Paul. Zwei Neger kamen in einem Kanu zu mir heran, um mir den Kauf von zwei Sklaven und einer Kackebobe (das ist der dort übliche Name einer jungen Sklavin, die noch nicht Mutter geworden) anzubieten, die sie daheim bewahrten und wohlfeilen Preises loszuschlagen gedächten. Die Bedingung war jedoch, daß ich mit dem Boote zu ihnen in den Strom kommen müßte. Sie lebten mit ihren Nachbarn vom anderen Ufer in offener Fehde, die sie mit ihrer Ware nicht ungehindert passieren lassen würden. Da wir bereits seit mehreren Tagen zu gar keinem Handel hatten kommen können, wollte ich es wagen. Nachdem ich also meine kleinen Böller geladen und die Gewehre zur Hand genommen hatte, ruderte ich getrost auf den Ausfluß zu, während die beiden Schwarzen bei mir im Fahrzeug blieben.

Ein paar hundert Klafter stromaufwärts fand ich beide Ufer dicht mit Gebüsch bewachsen, und der Fluß selbst machte eine Krümmung. Ich hielt es für ratsam, hier vor Anker zu gehen, wie sehr auch meine neuen Begleiter auf die Weiterfahrt drängten. Schließlich fuhren sie in ihrem Kanu ab und kamen mir aus dem Gesichte. Es verging wohl eine Stunde, die ich in immer gespannterer Erwartung verbrachte, als plötzlich ein Schuß fiel und sich gleich darauf ein gewaltiger Lärm erhob. Hierdurch beunruhigt, ließ ich das Fahrzeug seewärts wenden und begann, das Weite zu suchen. Gleichzeitig stürzte sich einer von jenen beiden Negern vom Ufer her in den Strom, schwamm zu uns ans Boot und verlangte, aufgenommen zu werden. „Sie sind da! Sie sind da!“ schrie er. „Meinen Bruder haben sie schon in ihrer Gewalt!“

Kaum hatte ich die Strommündung und die Brandung hinter mir, so füllte sich das Seeufer mit einer großen Zahl von schwarzen Verfolgern, die mir eine Menge Kugeln und Pfeile nachschickten. Sie trafen jedoch niemand, wenn auch unsre Segel verschiedene Schüsse empfingen. So kam ich also noch leidlich gut aus einem Abenteuer davon, das mir und allen im Boot den elendesten Tod hätte bringen können.

Was aber nun mit unserm neuen Bootskameraden beginnen? War es auch nach den holländischen Gesetzen nicht gerade bei Lebensstrafe verboten, öffentlichen oder heimlichen Menschenraub zu begehen, so konnte ich mich doch nimmermehr entschließen, sein Zutrauen so schändlich zu mißbrauchen und mich für den verfehlten Handel an seine Haut zu halten. Nachdem ich noch etwa eine halbe Meile längs dem Strande gesegelt war, ließ ich ihn wieder nach dem Lande schwimmen, wo der arme Teufel hoffentlich in Sicherheit gelangt ist.

Während ich nun meinen Handel, bald mit mehr, bald mit weniger Glück, an der Küste fortsetzte, begann mir allmählich das frische Wasser zu fehlen. Da ich auch an Land nichts bekommen konnte, schien es mir Zeit, mich wieder dem Schiffe zuzuwenden. Gleichwohl durfte ich samt meinen Gefährten und den paar erhandelten Negern in der Zwischenzeit von dreizehn Tagen die steigenden Schrecknisse eines unauslöschlichen Durstes unter diesem glühenden Himmel erproben. Wer es nicht selbst erfahren hat, ist nicht fähig, sich dieses Elend in seiner ganzen Größe vorzustellen. Mit dem fehlenden Frischwasser wurden auch unsre trockenen Lebensvorräte an Erbsen, Graupen und anderem für uns unbrauchbar. Denn mit Seewasser gekocht, blieben sie so hart und waren zugleich von so bitterm Geschmack, daß sie wie das heftigste Brechmittel wirkten. Ebensowenig konnten wir unser Pökelfleisch ungewässert kochen und verzehren, ohne unsern grausamen Durst noch zu steigern. Selbst den trocknen Zwieback vermochten wir unaufgeweicht nicht durch den ausgedörrten Hals zu würgen.

Ich erinnerte mich, daß der sparsame Genuß von Branntwein in solchen Fällen ein erprobtes Mittel zur Linderung des Durstes sei. Allein die kleine Probe, die wir damit anstellten, bekam uns gar übel. Die Hitze des Getränks trieb uns soviel Galle in den Magen, daß wir selbst den Mund beständig voll davon hatten und darüber zum Sterben erkrankten. Trotz meiner von jeher gleichsam eisernen Natur befand ich mich am elendsten von allen. Nur unsere Sklaven schienen von dieser Not am wenigsten angefochten zu werden.