Abschnitt 3

dritter Teil


Nachdem ich ein wenig zur Besinnung gekommen war, hörte ich Heulen und Schreien aus dem Schiffsraume. Ich ließ die Luken aufreißen, um zu sehen, was es da gäbe. Nun, die Weiber und Kinder, die da unten zusammengedrängt lagen, hatten genugsamen Grund zum Lamentieren. Bevor ich meinen Schaden hatte ausbessern können, war nämlich eine Menge Wasser in den Raum gelaufen. Da das Schiff bei der hohen See unaufhörlich auf und nieder stieg, spülte der mit dem Wasser vermischte Ballastsand den Raum längs und von einer Seite zur anderen. Die Menschen versanken knietief, ja bis über den halben Leib darin. Ein Mitleid erregendes Bild. Wir mußten ihnen schnell helfen. Ausgepumpt konnte das Wasser nicht werden, da die Wassergänge nach den Pumpen durch den Ballast verstopft worden waren. Wir mußten es mit Fässern ausschöpfen.


Unsre Fahrt ging indes so pfeilschnell vorwärts, daß ich schon am andern Tage, nachmittags um zwei Uhr, Pillau erreichte und am nämlichen Abend, um neun oder zehn Uhr, in Königsberg anlegen konnte.

Sobald ich mein Schiff repariert hatte, sah ich mich nach neuer Fracht um. Zu der Zeit trafen die Russen, welche das Land seit mehreren Jahren besetzt gehalten, gerade ernstliche Anstalten, Preußen wieder zu räumen. Eine ungeheure Menge von Kriegseffekten sollte nach Rußland heimgeschafft werden. Es herrschte aber ein großer Mangel an Schiffen, da die Fahrzeuge fremder Nationen dazu nicht gezwungen werden konnten und die preußischen Schiffer dem wiederhergestellten Frieden noch nicht trauten.

Weniger bedenklich als andre war ich der erste der sich entschloß, eine Fracht nach Riga anzunehmen. Mir wurden nämlich, was noch nicht dagewesen, zweiundvierzig Silberrubel für die Last geboten, dazu völlige Befreiung von Abgaben und allen Unkosten in Königsberg, Pillau und auch in Riga. Selbst freier Ballast sollte mir im Bestimmungshafen geliefert werden.

Mein gutes Glück, das ich in diesem Jahre mit meinem kleinen Schiffe gehabt hatte, machte mich zuversichtlich. Ich war ein junger Mensch und wollte mich noch besser in der Welt versuchen, um es zu etwas zu bringen. Meinen Plänen nach mußte ich ein neues und größeres Schiff haben, womit ich mich in die Nordsee und über den Kanal hinauswagen konnte, anstatt bloß auf der Ostsee wie auf einer Entenpfütze herumzugondeln. Nebenbei verließ ich mich auch wohl auf mein Geschick, womit ich mir das Glück zu erzwingen gedachte, auch wenn es mir den Rücken kehren wollte. Leider hatte ich damals noch nicht die Erfahrung, daß zum Laufen kein Schnellsein hilft. Erst durch Schaden wird man klug.

Ich verkaufte also meinen kleinen „Postreiter“ und setzte mir’s in den Kopf, ein funkelnagelneues Schiff von etwa achtzig Lasten in Königsberg auf den Stapel zu setzen. Den größten Teil des Jahres 1763 war ich mit dem Bau beschäftigt.

Ostern 1764 war ich endlich nach vieler Mühe und Sorge mit meinem Schiffbau im reinen. Das Fahrzeug war nun wohl ganz nach meinem Sinn geraten, aber Lust und Freude konnte ich dennoch nur wenig daran haben. Mit den guten Zeiten für die Reederei hatte es ein plötzliches und betrübtes Ende genommen. Noch im Jahr zuvor standen die Frachten auf Amsterdam fünfundvierzig holländische Gulden. Jetzt aber, da durch den Frieden in allem Verkehr eine Totenstille eingetreten war, kostete es Mühe, eine Fracht dorthin um elf Gulden zu finden. Erst im Oktober gelang es mir, auf den genannten Platz für sechzehn Gulden abzuschließen.

Während das Schiff noch beladen wurde, hatte ich einen Unglücksfall. Ich stolperte über ein Ankertau und fiel mir den rechten Fuß aus dem Gelenk. Das Bein schwoll an; ich konnte bald kein Glied mehr rühren. Während daran gezogen, gesalbt und gepflastert wurde, hatte ich die grausamsten Schmerzen auszustehen. An ein Mitfahren war nun gar nicht zu denken. Aber wen sollte ich an meine Stelle setzen?

Zum Steuermann hatte ich einen gewissen Martin Steinkraus angenommen. Er hatte zwar bereits selbst ein Schiff geführt, dabei aber keine Ehre eingelegt. Ein Kolberger gleich mir, war er mir von meinen Landsleuten halb wider meinen Willen aufgedrängt worden. Jetzt, da ich im Bette lag, wurde ich abermals von allen Seiten dermaßen bestürmt, daß ich mich endlich betören ließ, diesem Menschen für die Reise nach Amsterdam mein Fahrzeug anzuvertrauen. An guten Ermahnungen und Instruktionen ließ ich es nicht fehlen. Auch gab ich ihm zweihundert Gulden, um sich damit in Pillau frei in See bringen zu lassen.

Desto verwunderlicher kam es mir vor, als das Kontor von Seif & Co. in Pillau mir eine Anweisung von zweihundert Gulden präsentieren ließ, welche mein Schiffer bar auf meine Rechnung bezogen hatte. Er war kaum von Königsberg abgegangen und hatte drei Tage vor Pillau gelegen. Später kamen noch verschiedene ähnliche Anweisungen, insgesamt etwa über dreihundert Gulden, die er zum Teil bar aufgenommen, zum Teil für allerlei Schiffsbedürfnisse verwandt hatte.

Ich hatte kaum noch Zweifel, daß dieser Mensch es auf Betrug abgesehen hatte. Im Januar 1765 bekam ich aus Gotenburg die Hiobspost: Schiffer Steinkraus sei dort eingelaufen, habe Havarie angemeldet und daraufhin gleich zweitausend Gulden aufgenommen. Im Februar schrieb man mir: Schiffer Steinkraus habe die zur Ausbesserung nötigen Gelder auf sechstausend Gulden erhöhen und sich ausbezahlen lassen.

Jetzt ward mir der unsaubere Handel denn doch zu arg und zu bunt! Wollte ich mein Eigentum nicht verlieren, so mußte ich persönlich dem unverschämten Räuber einen Zügel anlegen. In dieser Absicht fuhr ich nach Amsterdam, wo ich ihn schon zu treffen gedachte. Doch mehrere Wochen mußte ich auf ihn warten. Erst in den letzten Tagen des Aprils ließ mir Schiffer Johann Henke aus Königsberg, der auch im Hafen lag, sagen: Steinkraus sei soeben angekommen. Jetzt begab ich mich sofort nach dem Hafen. Meine Maßnahmen hatte ich bereits im Voraus sorgfältig überlegt.

In der Ferne sah ich mein Schiff liegen. Ich ließ mich zu ihm fahren, fand aber auf dem Verdeck keine lebendige Seele. Ich ging einige Minuten umher und sah mir Masten, Taue, Segel und Anker an. Es waren die alten wohlbekannten Gerätschaften. Immer weniger konnte ich begreifen, was denn mit den aufgenommenen ungeheuren Summen daran geändert oder verbessert worden wäre.

Endlich ließ sich der Schiffsjunge blicken. Er machte große Augen, als er seinen Herrn und Meister so unverhofft vor sich sah. Halb aus Treuherzigkeit, halb aus Furcht, erzählte er mir mehr, als mir lieb war und ich zu wissen verlangte. Sein Schiffer hätte sich mit den übrigen Leuten sogleich nach der Ankunft an Land begeben. Um meinen guten Freund Steinkraus zu überraschen, postierte ich mich am Bollwerk dem Schiffe gegenüber. Nach etwa zwei Stunden, die mir lang und sauer genug wurden, erschien auch ein Trupp betrunkener Matrosen. Es war meine Mannschaft. Hinter ihnen her taumelte der Schiffer Steinkraus. Mich beachtete niemand. Dies lustige Leben schien die gewöhnliche Tagesarbeit aller zu sein. Wie mußten sie mit meinem Gute gewirtschaftet haben!

Ich wartete, bis sie sämtlich in die Schaluppe steigen wollten, um nach dem Schiffe überzusetzen. Dann klopfte ich dem Schiffer unversehens auf die Schulter und rief. „Willkommen in Amsterdam!“ - Er blickte sich um und ward starr und blaß wie ein Bildsäule, als er mich endlich erkannte. Ich blieb höflich und gelassen, wie bitter mir’s auch ankam, meinen gerechten Zorn zu verbeißen. Ehe ich gegen ihn losfuhr, mußte ich mir erst seine Gotenburger Havarierechnung vorlegen lassen, um zu wissen, ob und wie diese bei meinen Assecuradeurs zu rechtfertigen war. Sie hatten auf mein Schiff achttausend holländische Gulden gezeichnet. Jene Havarie aber betrug, soviel ich bis jetzt wußte, sogar noch etwas mehr als diese Summe.

Ich begleitete ihn nun an Bord, ließ die Ladung löschen und das Schiff bis auf den untersten Grund leer machen. Hier vermißte ich denn zunächst achtzig eichene Planken, die ich in Königsberg zum Auslegen des Schiffsbodens mitgegeben hatte. Der Schiffer gab die Auskunft, daß sie in Gotenburg mit der übrigen gelöschten Ladung an Land gekommen seien. Dort habe sie die Mannschaft ohne sein Wissen von Zeit zu Zeit heimlich beiseite gebracht und heimlich verkauft. Die Mannschaft hinwiederum behauptete, der Schiffer selbst habe die Planken verkauft.

Nicht besser stand es um einen Schiffsanker von achthundert Pfund, der mir auf meiner früheren Reise am Bollwerk zu Pillau im Sturme zerbrochen war. In Königsberg hatten die beiden Stücke nicht wieder zusammengeschmiedet werden können. Ich hatte sie denn Steinkraus mitgegeben, um dies in Amsterdam bewerkstelligen zu lassen. Auch dieser Anker war abhanden gekommen. Bei näherer Untersuchung ergab sichs, daß mein getreuer Stellvertreter das größere Stück davon und die Matrosen das kleinere an den Mann zu bringen gewußt und das Geld unter sich geteilt hatten.