Abschnitt 2

dritter Teil


Mein Zustand war so jämmerlich, daß man mich für halbtot in meine Koje trug. Nicht genug, daß ich das Schiff nicht mehr führen konnte, kam auch noch in der nächsten Nacht ein mächtiger Sturm auf. Die übrige Mannschaft fühlte sich zu schwach, die Segel einzunehmen. Demzufolge brach auch bald der große Mast und ging mit seiner ganzen Takelage über Bord. Nun trieb das Wrack auf der See und hätte wahrscheinlich auch seinen Untergang gefunden, wenn nicht tags darauf eine holländische Fischer-Schute in unsere Nähe gekommen und bereit gewesen wäre, unser Schiff nach dem Texel und von dort nach Medemblyk zu schleppen. Hier fand sich Gelegenheit, es wieder zu vermasten und in segelfertigen Stand zu setzen.


Als es zugerüstet war, fühlte ich mich noch zu krank und elend, um wieder mit an Bord zu gehen. Ich mußte also in Medemblyk zurückbleiben und begab mich dort zu einem Kompaßmacher, dem ich seine Kunst gründlich ablernte. Dies ist mir später von großem Nutzen gewesen. Zugleich schrieb ich in meine Heimat, und bald forderte mich mein Vater auch auf, ungesäumt nach Kolberg zurückzukommen. Die Gefahr, zum Soldaten ausgehoben zu werden, sei jetzt nicht zu fürchten. Er wisse sich als Bürger-Adjutant dem Festungskommandanten von Heyden besonders geneigt, und es gebe mehr als eine Weise, dem Vaterlande rechtschaffen zu dienen. Überdem stehe der Festung wahrscheinlich binnen kurzem die Belagerung durch die Russen bevor. Es sei also das beste, ich käme nach Hause, um mit meinen Eltern zu leben und zu sterben. Folge ich aber nicht, so möchte ich fernerhin nimmer wagen, mich seinen Sohn zu nennen.

Es blieb mir also nichts anderes übrig, als mich unverzüglich zu Schiff nach Hamburg zu begeben.

Drei oder vier Wochen danach begann die erste von dem russischen General Palmbach geleitete Belagerung meiner Vaterstadt. Obgleich diese Belagerung ernstlich genug gemeint und mit überlegener Kraft begonnen, blieb sie dennoch durch die Entschlossenheit unseres Anführers und seine geschickten Gegenmaßnahmen fruchtlos. Die Russen mußten, nachdem sie eine Menge Pulver unnütz verschossen hatten, nach einigen Wochen wieder abziehen. Sobald aber Kolberg wieder frei geworden, war dort meines Bleibens nicht länger. Ich machte eine Fahrt nach Amsterdam und traf hier meinen alten wertgehaltenen Kapitän Joachim Blank, den ich vor drei Jahren ungern verlassen hatte. Kapitän Blank hatte gerade eine neue Reise nach Surinam vor. Es bedurfte keines langen Zuredens, um auf seinem Schiffe meine alte Stelle als Steuermann anzunehmen. Bei anhaltend günstigem Wetter erreichten wir binnen kurzem die östlichen Passat-Winde und legten die gesamte Fahrt vom Texel bis in den Fluß von Surinam - eine Strecke von zweitausendzweihundert Meilen - in der ungewöhnlich kurzen Zeit von achtundzwanzig Tagen zurück.

Meine Tätigkeit an unserem Bestimmungsort war die gleiche wie die, von der ich schon früher erzählt habe. Ich befuhr beide Ströme in der Kolonie, versah die Plantagen mit den Waren unserer Ladung und brachte von dort Zucker und Kaffee zurück. Ich machte dadurch die Bekanntschaft einer Menge von Plantagen-Direktoren, die großenteils meine näheren oder entfernteren Landsleute waren und mir sämtlich viel Liebe und Güte erwiesen. Ihrer unbegrenzten Gastfreundlichkeit danke ich die vergnügtesten Tage meines Lebens.

Am 1. Dezember 1759 erreichten wir wieder Amsterdam. Unsere Fahrt hatte diesmal ein rundes Jahr gewährt. Von unserer Bemannung, die vierundvierzig Köpfe betrug, hatten wir neun Menschen durch den Tod verloren.

Bald darauf erstand ich ein zwar nicht großes, aber tüchtiges Schiff von fünfundvierzig bis fünfzig Lasten. Es hieß „Der Postreiter“. Sogleich fand ich auch eine erwünschte Ladung von Malz. Es war nach Wolgast bestimmt. Ich säumte also nicht, unter russischen Pässen, meine erste Reise dahin anzutreten.

In Wolgast vertraute mir Herr Cantzler, der Empfänger der Ladung an, daß das Malz für die Preußen in Stettin bestimmt sei. Er bat mich, solange zu verweilen, bis er ein Fahrzeug bekommen hätte, das die Ladung bei Nacht und Nebel dorthin schaffen sollte.

Ich war einverstanden. Als sich aber die Ankunft des Schmugglers von einem Tag zum anderen hinzog, erwachte in mir der Patriotismus. Weshalb sollte ich meinen pommerschen Landsleuten nicht etwas zuliebe tun? So meinte ich denn zu Herrn Cantzler: Mein Fahrzeug ginge nicht tief und wäre wohl geeignet, das Haff und dessen Untiefen zu passieren. Wär es ihm recht, so unternähme ich es selbst, die Ladung nach Stettin zu bringen, da ich diese Gegend hinreichend kenne.

„Mir schon recht!“ erwiderte der Handelsherr freudig. „Will er sein Schiff dran wagen, Herr; die Ladung muß gewagt werden! - Wie hoch die Fracht?“ - Wir wurden um fünfhundert Taler einig. - „Aber sehe sich der Herr wohl vor!“ setzte er warnend hinzu. „Auf dem Haff liegt eine ganze Flotte von schwedischen armierten Schiffen. Das wird Künste kosten!“ Der Handel aber war nun einmal abgeschlossen. Und wäre er mir jetzt auch leid, so erlaubte mein Ehrgefühl doch nicht, zurückzutreten.

Zuerst ging ich mit meinem Schiffe die Peene hinauf, bis ungefähr an den sogenannten Bock am Eingange des Haffs. Hier sah ich die schwedische Armierung in einem weiten Halbkreis vor mir liegen, in ihrer Mitte eine Fregatte. Das Ding sah nicht wenig bedenklich aus, und ich mußte meinem Mute wacker zusprechen. Indes peilte ich noch bei Tage mit meinem Kompaß die größte Lücke zwischen den Fahrzeugen aus. Die Nacht fiel rabendunkel ein. Der Wind war frisch; es regnete, und ein Gewitter war heraufgezogen. Alles schien mein Unternehmen begünstigen zu wollen.

Um elf Uhr hob ich den Anker und segelte glücklich und ohne Hindernis durch die Flotte. Aber kaum war ich eine Viertelmeile hinter den Schiffen und glaubte mich geborgen, als unerwartet ein Schuß fiel. Er kam von einem auf Vorposten ausgestellten Segler, den ich erst jetzt bemerkte. Himmel, wie sputete ich mich, jedes Segel aufzusetzen, das mein Schiffchen nur tragen konnte. Zu meinem Troste und seinen Namen rechtfertigend war es ein trefflicher Segler. Nicht lange aber, so blitzte ein zweiter Schuß auf der Seite auf. Dieser kam von einem anderen Vorposten-Schiffe.

Nunmehr machten beide Fahrzeuge die ganze Nacht hindurch Jagd auf mich. Sie kamen mir so nahe, daß von den unzähligen Kugeln, womit sie mich begrüßten, vier durch meine Segel gingen. Mit Tagesanbruch befand ich mich Neu-Warp gegenüber. Hier aber kamen mir bereits drei von unseren preußischen armierten Fahrzeugen entgegen. Sie lagen gewöhnlich bei Ziegelort und waren durch das nächtliche Schießen alarmiert worden. Unter ihrem Schutze erreichte ich denn auch meinen Bestimmungsort und konnte meine Fracht abliefern.

Während ich hier lag, kam der Friede mit Rußland zustande. Die Konjunktur benutzend, machte ich schnell hintereinander eine Reihe glücklicher Fahrten. So von Stettin nach Kolberg mit Salz, das dort nach der dritten Belagerung sehr fehlte; von Kolberg mit einer Ladung Wein nach Königsberg und wiederum dahin zurück mit Roggen. Meine Rückfracht nach Königsberg bestand außer der erforderlichen Portion Ballast in etwa sechzig Passagieren. Es waren die Frauen und Kinder eines preußischen Bataillons, das nach der Einnahme von Kolberg nach Preußen abgeführt worden war. Diese Menschen begaben sich nun auch dorthin, um mit ihren Männern und Vätern vereint zu sein. Eine bunte, aber nicht eben angenehme Ladung.

Als ich segelfertig war, gab es einen Sturm aus Westsüdwesten, der mir auf hoher See sehr nützlich sein konnte. Es war nur die Kunst, bei solchem Wind zum Hafen hinaus zu kommen. Der Lotse erklärte es für unmöglich. Mein Schiff würde stark beschädigt oder gar rechts am Hafendamme sitzen bleiben und in Trümmer gehen. Der Mann hatte recht. Ich aber verließ mich auf mein gutes und festes Schiff. Da ich das Abenteuer allenfalls auch ohne den Lotsen auf eigne Gefahr wagen wollte, war er endlich bereit, sich meinem Verlangen zu fügen.

Ich hatte ihn vom westlichen Hafendamme an Bord genommen. Er ergriff das Steuer, während ich die Segel aufzog. In der nächsten Minute aber schon warf uns trotz unserer vereinten Bemühungen die erste hohe Woge mit wildem Ungestüm auf die entgegengesetzte Seite, an das östliche Bollwerk. Die nächste Welle hob das Schiff von neuem. Als wir wieder sanken, faßten die hervorragenden Pfahlköpfe des Bollwerks unter die am Steuerbord stehenden Barkhölzer. Die Trümmer davon flogen hoch in die Luft. Zugleich jagte uns der Sturm. Mein Fahrzeug schoß längs dem Damme hin und schnitt an der äußersten Spitze des Dammes die Brandung. Dabei schoß es in fliegender Fahrt durch zwei oder drei hochgetürmte Sturzwellen. Die Verdecke schwammen, und mir selbst standen die Haare zu Berge.

Nun war ich freilich auf See, indes die Verwüstung war jämmerlich genug. Länger als fünfzehn Fuß fand ich die Barkhölzer am Steuerborde glatt abgestoßen; die Rippen des Schiffes lagen frei. Kopfschüttelnd sagte ich zu mir: Ei, ei, Nettelbeck! Das war wohl eben so ein dummer Streich als letzthin, wo du dich durch die schwedische Flottille schlichst! - Ich will nicht leugnen, ich habe dergleichen unüberlegte Stückchen vor und nach dieser Zeit wohl mehrere auf dem Kerbholz gehabt. Gelingen sie, so heißt man ein gescheiter Kerl, obgleich man einen ganz anderen Titel verdient hätte.

Dem Schaden mußte nun sogleich auf irgendeine Weise abgeholfen werden. Nach kurzem Besinnen riß ich eine Persenning in lange, schmale Streifen und nagelte diese doppelt gelegten Lappen über die beschädigten Stellen.