Abschnitt 1

dritter Teil


Auf dem Schiffe war alles still. Niemand hatte mich wahrgenommen. Ich öffnete die vordere Kabelgattluke und rutschte hinunter. Dann machte ich die Luke hinter mir zu und versuchte durch die tausend Gegenstände, die sich mir hindernd in den Weg stellten, tiefer in den Raum hinabzukommen. Es glückte mir auch, aber zu gleicher Zeit hörte ich hinter dem Ballast etwas rascheln und flüstern, das mir unheimlich vorkam. Gleichwohl kroch ich weiter heran und unterschied bald menschliche Stimmen. Je länger ich darauf horchte, um so bekannter kamen sie mir vor. Kurz, es gab hier eine ganz unvermutete Erkennungsszene zwischen mir und elf anderen Seekameraden, welche gleiche Not und gleiche Hoffnung hier zusammengebracht hatte.


Für den Augenblick hielten wir uns zwar geborgen, aber wir hatten nun zu erwarten, daß das Schiff nach uns Flüchtlingen durchsucht wurde. Inzwischen brach der Tag an und an Bord wurde es lebendig. Wir hörten, wie man Anstalten machte, in See zu gehen. Ein wenig später spürten wir mit steigender Freude das Schiff in Bewegung. Dann merkten wir das Anschlagen der Brandung an die Seitenborde und hörten endlich auch den Abgang des Lotsen, der uns zum Hafen hinaus begleitet hatte. Da auch der Wind gut sein mußte, glaubten wir uns nach Verlauf von noch einer Stunde weit genug von Kolberg, um uns wieder ans Tageslicht wagen zu dürfen. Wir setzten also die Leiter an, schoben die große Luke auf und betraten wohlgemut das Verdeck.

Das Erstaunen des Schiffers über unsern unerwarteten Anblick kannte keine Grenzen. Er tobte wie besessen. „Könnt ich nur gegen den Wind ankommen“, rief er, „ich brächt euch alle auf der Stelle nach Kolberg zurück und machte rein Schiff. Aber ich weiß wohl, wo ich euch abzuliefern habe.“ Zugleich verbot er seinen Leuten aufs strengste, sich um uns zu kümmern und uns Essen oder Trinken zu reichen.

Zwar wurde es mit diesem Befehl nicht so genau genommen, unsere Freunde steckten uns immerfort etwas von ihren Portionen zu; allein, da wir volle acht Tage auf See blieben, so litten wir gleichwohl grausam Hunger und Durst. Wir waren daher von Herzen froh, als endlich die Anker im Danziger Fahrwasser fielen. Hier sagte der Schiffer in unserer Gegenwart (also wohl nicht ohne geheime Absicht) zu seiner Mannschaft: Er gehe jetzt an Land und nach Danzig zum Preußischen Residenten, um uns Deserteure zu melden und an ihn auszuliefern. Bis dahin sollten sie uns an Bord festhalten und mit Leib und Leben für uns einstehen. Vergeblich wandten sie ein: Die Partie stehe zu ungleich, da sie nur fünf Mann, wir aber zwölf wären. „Was kümmerts mich?“ war seine Antwort. „Und wenn es auch Mord und Totschlag gibt, so laßt sie nicht laufen!“

Das hieß nun wohl deutlich genug: Immerhin, laßt sie laufen! Kaum hatte er auch nur den Rücken gewandt, so machten wir uns zum Abzug fertig. Zum Schein gab es zwischen uns und dem Schiffsvolk ein unbedeutendes und unblutiges Handgemenge. Darauf gingen wir unsres Wegs. Wir ließen uns sofort über die Weichsel setzen und schlugen längs dem Strand die Richtung nach Königsberg ein.

Es traf sich sehr gelegen, daß an diesem lebendigen Handelsplatze bei eben wieder eröffneter Schiffahrt Mangel an unterrichteten Seemännern war, die als Steuerleute gebraucht werden konnten. Es währte daher kaum zwei, drei Tage, und wir waren auch schon samt und sonders untergebracht. Ich selbst fand einen Platz als Steuermann auf einer kleinen Jacht von fünfzig Lasten und fünf Mann Besatzung. Mein Schiffer hieß Berend Jantzen. Sein Schiff war mit einer Ladung Hanf nach Irwin in West-Schottland bestimmt, sollte aber, um die französische Kaper zu vermeiden, oben herum durch die Nordsee und die Orkneys steuern.

Wir gingen unter Segel. Doch schon im Sunde hatten wir Unglück. Das eiserne Band eines Wasserfasses schlug beim Zerspringen dem Schiffer von hinten gegen die Wade und schleuderte dadurch das Bein so heftig gegen eine scharfe Holzecke, daß wir ihn in die Kajüte tragen mußten. Er hatte durch diesen Schaden mehrere Monate lang das Bett zu hüten. Da auch einer unserer Matrosen, an welchem sich bald ein venerisches Übel offenbarte, nicht auf Deck zu brauchen war und unser Schiffsjunge bei dem geringsten Sturmwetter mit Seekrankheit zu tun hatte, mußten ich und der zweite Matrose das Schiff allein führen. Ich gestehe, daß mir bei der Sache nicht ganz wohl war.

Die Schiffahrt zwischen Schottland, der Insel Lewis und den übrigen zahlreichen Hebriden gehört in der Tat zu den gefährlichsten. Nicht nur das enge Fahrwasser zwischen den Inseln und den vielen Klippen macht sie so schwierig, sondern auch hauptsächlich die starken Strömungen, die das Wasser überall brandend aufschäumen lassen. Es sieht aus, als ob alles rings umher dicht mit Klippen besät wäre. Noch schlimmer aber ist es, daß die holländischen Seekarten, deren wir uns damals allein bedienen konnten, hier durchaus unzuverlässig sind und jeden Augenblick irre führen. Auch ich verlor den Kurs. So darf man sich denn nicht wundern, daß ich hier bald nicht mehr aus und ein wußte.

In dieser Bedrängnis kam uns ein englisches Schiff zu Gesicht, von welchem ich richtigen Bescheid zu erlangen hoffte. Ich richtete also die Segel nach jener Seite hin und steckte zugleich die preußische Flagge auf. Sie ist bekanntlich weiß und führt in der Mitte den schwarzen Adler. Aber auch die französische Flagge ist von weißer Farbe. Da sich nun bei dem mäßigen Winde unsere Flagge zu wenig entfaltete, um den Adler statt der Lilien erkennen zu lassen, so ward ich von dem Engländer für einen französischen Kaper angesehen. Er setzte soviel Segel auf, als sein Schiff nur tragen konnte, um mir zu entgehen. Ich tat dasselbe, um Jagd auf ihn zu machen. So verursachten wir uns beiderseits Not und Mühe, bis am Nachmittag der Wind völlig erstarb, als ich nur noch eine kleine Viertelmeile von dem Flüchtling entfernt war.

Ich setzte nunmehr die Jolle aus und ließ mich von dem Matrosen und dem Schiffsjungen zu dem anderen Schiff rudern. Als Vorwand meines Besuches sollte die kleine Notlüge dienen, daß unser Trinkwasser ausgegangen sei. Wir kamen dem Schiffe auch glücklich zur Seite. Zu unserer Verwunderung fanden wir alles zum Gefechte bereit.

Meine Bitte um frisches Wasser schien unverdächtig. In der Zeit, da das Wasser gezapft und in mein Faß gefüllt wurde, fragte ich ganz unbefangen nach dem Namen dieses und jenes Landes, das uns eben vor Gesicht lag. Ich erfuhr dann auch, daß dort hinaus Kap Cantrie, hierwärts aber die Insel Lamlach läge. Zu meiner großen Beruhigung war ich nun wieder orientiert, ohne mir die Blöße gegeben zu haben, meine Unwissenheit einzugestehen.

Irwin, unser Bestimmungsort, liegt im Grunde einer tiefen, runden Bucht. Als wir ihre Höhe erreichten, blies ein Sturm aus Nordwest gerade darauf zu. Da sie mir durchaus unbekannt war und, soviel ich wußte, schlechten Ankergrund hatte, wäre es verwegen gewesen, sich bei diesem Winde und Wetter hinein zu wagen. Ich steuerte also gegen die Insel Arron, um dort vielleicht einen Lotsen zu finden. Doch zwei Tage kreuzte ich vergebens umher. Infolge meiner weißen Flagge floh alles auf der See vor mir und vom Lande wagte sich niemand zu mir heran. Ich wurde eben für einen Franzosen gehalten. Zuletzt gelang es mir denn, einen Lotsen zu finden, der mich nach Irwin brachte.

Nachdem auch unser Schiffer wieder auf die Beine gekommen war, gingen wir von hier mit Ballast und unter neutraler Flagge nach der Insel Noirmoutier an der westlichen Küste Frankreichs. Dort nahmen wir eine Ladung Seesalz ein und machten uns dann nach Königsberg auf den Heimweg. Leider gerieten wir im Kanal in der Nähe von Dover nach und nach mit sieben englischen Kapern zusammen. Alle diese Schnapphähne - Kerle mit wahren Galgengesichtern - stiegen zu uns an Bord und nahmen alles, was sie brauchen konnten. Kessel und Pfannen, Tauwerk und Segel, Seekarten und Kompaß mußten mit ihnen wandern. Was der eine uns ließ, das nahm der andere. Ja, endlich zogen sie uns sogar die Kleider vom Leibe.

Wir hatten, gegenüber von Dover, beilegen müssen, als mir bei dem letzten unerwünschten Besuche dieser Art ein besonders zudringlicher Taugenichts die langen Schifferhosen von den Beinen streifte. Das hätte ich verschmerzen können, aber bei der Gelegenheit fiel ihm auch ein Notpfennig von etwa dreizehn Rubeln in die Augen. Ich hatte sie ins Hemd genäht, da ich sie dort für sicher hielt. Kaum aber hörte er das Klappern des Silbers, als er gierig zugriff und mir den Hemdzipfel mit seinem Schiffsmesser vom Leibe hieb. Darauf zählte er seine Beute und trieb die britische Großmut so weit, mir davon einen Rubel zurückzugeben.

Ich aber war über diese Behandlung dermaßen erbittert, daß ich augenblicklich das Ruder aufholte, die Segel abbraßte und, da der Wind südlich stand, nach dem Lande zuhielt. „Was soll das bedeuten? Wo hinaus?“ fragten die Kerle, die dicht bei mir standen. - „Wo hinaus?“ antwortete ich, von Wut überwältigt. „Geraden Wegs nach Dover, wo ihr Schelmengezüchte noch heut am lichten Galgen baumeln sollt!“ - Flugs kam auf diese Drohung das ganze Pack aus den unteren Schiffsräumen, wohin sie sich zum Raube begeben hatten. Im dichten Kreise stellten sie sich um mich. Soviel Hände, soviel Pistolen wurden mir auch an den Kopf gehalten. Ihre Messer saßen an meiner Brust. Doch schoß oder stach niemand. Sie rissen mich an den Haaren aufs Deck nieder. Einige hielten mich an Kopf und Füßen fest, andere schlugen mit den flachen Klingen auf mich drein, daß mir Hören und Sehen verging. Endlich hatten sie sich ausgetobt, es gab nur noch ein paar Fußtritte. Und einer, der mir nun auch die Stiefel von den Füßen zog, schlug mir zum Abschluß damit noch um die Ohren. Dann zog er sie sich an und ging mit seinen feinen Gesellen an Bord ihres Kaperschiffes zurück.