Abschnitt.

Man kann inzwischen diese Ungesitte nur immerhin an herrschaftliche oder Postbefehle erinnern: sie grinsen den Sittenlehrer wie Hottentotten an, und scheinen sich darauf zu verlassen , daß der Wagenmeister ihrer Herren der Pferdehalter Mäcen ist. -

Inzwischen füge ich zu Ihrer Nachsicht unter Nr. 2. die Königl. Großbrittanische Postordnung hinzu, so wie sie in allen lüneburgischen Posthäusern angeheftet zu seyn pfleget.


Meine größte Freude war bey dieser Fahrt, daß wir jetzt in dm hohlen Wege ohnfern von Haarburg das Schicksal nicht hatten, das im vorigen Sommer mir und dem Hauptmann von R* so übel wollte, daß uns in Ermangelung eines zum Blasen vermögenden Postillons ein mit Fässern beladener Wagen entgegen fuhr, der uns Stunden lang in die größte Verlegenheit setzte.

Die Gegenden zwischen Haarburg und Zarendorf sind in Vergleich der Lüneburger Heide zwischen ebengedachtem Dorf und Witzendorf noch anmuthig genug.

Wir fuhren den folgenden Morgen, nachdem wir zu Zarendorf ein gutes Nachtlager verlassen hatten, über die unangenehme Heide 4. Meilen nach Witzendorf, und hatten nun noch die dritte Postabwechselung ebenfalls von 4 Meilen bis Zelle zurückzulegen.

Es muß, bester Freund! kein Mittel ausfündig zu machen seyn, diese Wüsteney, die einen Umkreis von sehr vielen Meilen hat, urbar zu machen; sonst würde die haushälterische lüneburgische Regierung schon längst dafür gesorget haben. -

Wo wir auch hinsahen, erblickten wir nichts als verbrannte Ebenen und Hügel, höchstens noch eine elende Schäferhürde zerstreut, hie und da im Sande annoch eine Tanne, Fichten oder Birken, Buschwerk und Wäldchen. -

Dem sey aber wie ihm wolle, so fand ich die Luft auf diesem Wege antihypochondrisch. Sie erheiterte mein Gemüth, und ich vergaß eine Zeit lang die verlassenen Paradiesgegenden und die holsteinschen Fleischtöpfe.

Es fiel mir auf der letzten Station ein auszusteigen, um mich etwas zu bewegen. - Gewiß, es war mein Schutzgeist, der mich dazu das erstemal nach meiner Abreise von Haarburg auffoderte: denn ich entdeckte sogleich, daß eine Lünse aus der Axe verloren war. -

Hilf Himmel, wie gefährlich hätte uns dieser Verlust in einer hülflosen Heide, durch die Nachläßigkeit eines nur auf sein Schmiergeld denkenden Wagenmeisters, werden können! -

Jezt verachtete ich jene thörigte Kunstrichter noch mehr, als ich außerdem zu thun gewohnt bin - die über meine ehemalige Erinnerung, daß man nie in einen Reisewagen steigen soll, ohne versichert zu seyn, daß ein Riemen durch die Lünsen gezogen worden, als über eine nichtsgeltende Kleinigkeit, vermuthlich hinter ihren warmen Ofen, gespottet haben. -

Ich schämte mich nur, daß ich jezt selbst meine Erinnerung vernachläßiget hatte.

Daß man zu Zelle in dem Stolzischen Wirthshause fürstlich logiret, ist eine bekannte Sache; - aber man wird hier zu sehr verwöhnt: denn man reiset vielleicht bis zum Hotel de Pologne oder Baviere in Dresden, bevor man eine so sehr geräumige Herberge dieser Art wieder antrifft. -
Die Vortrefflichkeit dieses Wirthshauses in Zelle wird aber noch dadurch vermehrt, daß darinnen eine unterhaltende Tischgesellschaft, auch oft ein Zirkel vertrauter Freunde angetroffen wird, die keinem Profanen den Zutritt gestatten. -

Zu Zelle war mein erstes, bey dem Herrn Hofmedicus T** meinen Besuch abzustatten, und ihm Gelegenheit zu geben, meinen Gesundheitszustand einzusehen, und mir guten Rath zu ertheilen.

Dieser aufrichtige uneigennützige Mann fand, daß der Pyrmonter Brunnen vor der Hand meiner Brust nicht zuträglich sey; und nun war mir vox amici vox Die, dadurch mein Vorsatz nach Carlsbad zu reisen bestärket ward.

Ich besuchte den folgenden Tag zu Zelle das Schloß. - Die Zimmer in diesem gothischen Gebäude sind ziemlich altfränkisch, jedoch zum Theil mit feinem engländischen Hausgeräth versehen. Die Schloßkapelle siehet so altväterisch aus, als ich je ein Gebäude dieser Art gesehen habe. Der Schauspielsaal hingegen ist so modern und fein als möglich eingerichtet. – Der Wall um dieses Schloß ist mit schattigen Bäumen besetzt, und dienet zu einem anmuthigen Spaziergang, besonders da er hie und da eine gute Aussicht hat.

Herr M**, der Schloßverwalter, war vor Zeiten Kammerdiener bey der hier vor einigen Jahren verstorbenen Königinn, und scheinet ein sehr rechtschaffender Mann zu seyn. -

Wäre mein Gedächtnis geschickt, Anekdoten zu bewahren, so könnte ich Ihnen eine ganze Sammlung davon übersenden. - Nur eine einzige habe ich aus der Nachsicht des eben gedachten Castellans behalten. -

Die Fürstinn erfuhr, daß ein Kaufmann aus Kopenhagenen in Zelle bey St.** abgetreten war; er mußte sogleich vor ihr erscheinen, und sie erkundigte sich mit vielem Feuer nach ihrer Kinder befinden. Sie fragte: ob er in Zelle nicht ein Kind kenne, das in Betracht der Größe und des Ansehns etwas Aehnliches mit ihren Kindertn habe? -

Der Kaufmann gab vor, daß der jüngste Sohn seines Wirthes dem Kronprinz an Größe in etwas ähnlich sey. Alsobald ließ die Königinn den Knaben zu sich bringen, und begegnete ihm mit einer Huld, die ihrer herablassenden Leutseligkeit, auch der mütterlichen Zärtlichkeit, und überhaupt ihrem Herzen Ehre machte.

Ich füge nur noch hinzu, daß ich mit der größten Hochachtung verharre etc.
Hamburg, den 18ten
Oktober 1779.