Übersichtliche Darstellung der gefährlichsten Diebesdirnen und ihres Anhanges

Ohne dass ich bei diesem Kapitel irgendwie Anspruch auf Vollständigkeit machen will, halte ich es zum Schluss dieser Biographien aus den Schattenseiten des Berliner Lebens für zweckmäßig, in einem allgemeinen Umriss dem Leser die gefährlichsten jener Dirnen vorzuführen, welche fortwährend mit dem Bodensatz und Ausschuss der hiesigen Einwohnerschaft verkehren, an den Früchten ihres unreinen Gewerbes Teil nehmen oder selbst dem Verbrechen — gegen das Eigentum — obliegen, und bald von der Polizei verfolgt, bald zu Vigilantendiensten gegen ihren Umgang benutzt und gedungen werden.

Nur eine große Stadt, wo das Verbrechen sich systematisch, nach bestimmten praktischen Regeln und Kunstgriffen ausgebildet hat, kann eine, fast möchte ich sagen organisierte Diebeswelt besitzen. So ist es in Berlin. Die gestraften Individuen, von der Gesellschaft verstoßen, aller bürgerlichen Vorzüge beraubt, und der polizeilichen Disziplinarstrafgewalt in jedem Augenblick verfallen, sind hierdurch selbstredend nur auf den Verkehr unter sich oder unter Gleichgesinnten angewiesen. Daher haben sie ihre bestimmten Orte, wo sie zusammenkommen, ihre bestimmten Dirnen, mit denen sie leben, ihre bestimmten Gaunerausdrücke, in welchen ihre Rede sich bewegt. Daher kennen sie aber auch einander Alle persönlich und diese persönliche Bekanntschaft wird durch das öftere Zusammensitzen im Kriminal- und Polizeigefängnisse, im Arbeits- und Zuchthause immer neu und frisch erhalten. Gerade diese durch unsere Gesetze und Einrichtungen herbeigeführte Isolierung der Verbrecherwelt, diese gewaltsame Absperrung derselben von dem moralisch gesunden Teile des Volks ist aber die Hauptursache der steigenden Zunahme der Verbrechen, weil hierdurch die Quellen des rechtlichen Broterwerbes verstopft und nicht bloß hierdurch, sondern durch die schädliche Gesellschaft der Bestraften unter sich selbst immer neue Anreize zu Angriffen auf fremdes Gut gegeben werden. Aus diesem Verhältnis der Bestraften erklärt sich aber auch das Vigilantenwesen, indem es sonach einem Verräter nicht schwer werden kann, unter der Maske des Zutrauens von seinen Genossen ihre bereits begangenen oder erst projektierten Verbrechen auszuforschen und der Polizei zu verraten, obschon, abgesehen von der von mir anderwärts oft besprochenen Abscheulichkeit und Schädlichkeit der Einrichtung, dieselbe durchaus nicht die geringsten Garantien für die Wahrheit der solchergestalt erlangten Notizen darbietet. Jedoch liegt es auf der Hand, dass die Dirnen jener Verbrecher, sofern man sich ihrer durch Geld weniger als durch Vorschub ihres liederlichen Treibens versichern kann, mancherlei Aufschlüsse geben können, da es bekanntlich nicht schwer hält, im Rausche der Getränke oder der Wollust Jemanden durch eine verschmitzte Phryne aushorchen zu lassen.


Sonach hat sich hier ein ganz eigentümlicher Verkehr unter den Bestraften und Observaten und ihren Dirnen gebildet, der sich in der Öffentlichkeit besonders in einer Reihe von Tanzkneipen, Schnapsläden und Puppenspiellokalen kund gibt, welche deshalb die Polizei früherhin toleriert hat, um das von ihr gefürchtete und bewachte Personal immer hübsch beisammen zu haben und den Vigilanten den Dienst zu erleichtern. Ich halte es auch nach meiner praktischen Erfahrung, wie ich schon bemerkt habe, für einen faux-pas, ein Lokal schließen zu wollen, weil Diebe dort verkehren; denn Diebe sind gute Verzehrer und daher gute Gäste für den Wirth, und finden deshalb auch bald wo anders günstige Aufnahme, wenn sie aus einem Orte verwiesen sind. Überdies ist es auch viel besser, wenn ihr Tun und Treiben öffentlich beobachtet werden kann, als wenn sie im Verborgenen debauchieren und sich dem „Auge der Polizei“ entziehen müssen, welche, ihrer Allmacht ungeachtet, denn doch nicht „in das Verborgene zu sehen“ vermag.

Unter jenen Diebeskneipen (namentlich der sogenannten Flinte und mehreren Lokalen in der Grenadier-, Linien-, Behrenstraße, vor dem Prenzlauer Tor u. s. w.) sind diejenigen am meisten besucht, worin Puppenspiel statt findet, dessen betriebsame Unternehmer jede Novität des Königlichen oder Königsstädtischen Theaters mit bewundernswerter Schnelligkeit auch für ihr Publikum in Szene setzen, so dass z. B. das beliebte Köck und Guste, der ewige Jude u. a. sofort nach ihren ersten Aufführungen schon auf den Puppentheatern abgespielt wurden. Betrachten wir einmal die Gesellschaft näher, die vor jenen schmutzigen Lampen sitzt.

Die alte, dicke Person mit dem aufgetriebenen Gesicht ist die Witwe des Zimmergesellen B., welcher im Arbeitshause starb, eine der bekanntesten Diebeshehlerinnen von Berlin, die, wie alle jetzt zu beschreibende Weibspersonen, auch ein Gewerbe vom Ladendiebstahl macht. Unweit ihre Tochter Malwine, die öfter beschwängert war, aber immer glücklich davon gekommen ist. Sie hat einen Taugenichts von Schornsteinfeger zum Geliebten gehabt, woher sie auch selbst „der Schornsteinfeger“ genannt wird. Ihre Schwester Louise ist tot, ihr Geliebter F. war in die berühmte Untersuchung wegen eines hier erbrochenen und bestohlenen wertvollen Schaufensters verwickelt und wollte sich im Gefängnis ermorden. Sie musste ihm dazu das Messer zu liefern, womit er sich schwer verletzt hat.

Eine Freundin und Kollegin der Witwe B. ist die Schlosserfrau H. geb. P. Ihr erster Mann war der Kattundrucker F., von welchem sie eine Tochter Pauline hat, welche ebenso, wie die Töchter der bekannten Hökerin K., die rotköpfige genannt, mit zu den ärgsten Gassendirnen gehört. Das ganze Personal — ich wiederhole es — sind Hehlerinnen, Diebinnen und Huren.

Die Witwe F. hat sich mit dem zur Zeit wegen Teilnahme an einem gewaltsamen Silberdiebstahle verhafteten Schlosser H., einem gefährlichen Menschen, der seine Komplizen verrät, wenn er merkt, dass sie bereits polizeilich verfolgt werden, um für den Fall einer geständlichen Bezüchtigung gegen sie den Einwand der Rache erheben zu können, verheiratet, und es ward zwischen Beiden vor zwei Jahren eine großartige Hochzeit gefeiert, zu welcher ein großes Diebespublikum eingeladen gewesen ist. Der Bruder der verehelichten H., der Färbergeselle Wilhelm P., ist ein gefährlicher Taschendieb und zur Zeit, wie seine Geliebte, die J., im Zuchthause. Es sind zwei Jahre her, als bei Gelegenheit einer sogenannten Vagabundenvisitation auch die Wohnung der damaligen Witwe F. besucht ward. In einem kleinen Stübchen lag rechts in einem Bett die F. mit dem Schlosser H., links ihre Tochter mit ihrem Geliebten und zwischen Beiden, in einem improvisierten Lager auf den Dielen, ihr Bruder, der Färber P. mit seiner Zuhälterin, der J. Ein Beweis von Sittlichkeit unter jenen Klassen der Gesellschaft, wie ihn der Polizeibeamte nur zu oft findet! Wie oft sieht man Frauenspersonen ganz nackt oder nur mit Lumpen bedeckt, betrunken, mit gleichgesinnten Männern und sogar Kindern untermengt, auf einer Strohschütte, wie z. B. eine separierte Hauptmannsfrau B. mir hierbei einfällt, die wenigstens schon fünfzig Mal wegen Trunkenheit auf der Straße verhaftet gewesen ist, und welche ich in solchem Zustande, nackt und bloß, zwischen Männern und Weibern vorgefunden habe!

Wir erblicken auch die Nichten der H., geb. P., und des Färbers P. Dies sind die drei Schwestern P., von denen die älteste die Geliebte des berüchtigten Schlossergesellen F. ist, welcher sein Diebestalent lediglich auf Bestehlen der Weinkeller gerichtet und vielleicht schon über hundert solcher Weindiebstähle verübt hat. Bei seiner vorletzten Verhaftung befanden sich die Weinproben sogar bei seiner Dirne, wo er selbst heimlich übernachtete, und doch gelang es ihm, sich durch die Untersuchung durchzuschwindeln! Es ist derselbe, der im vorigen Jahre mit dem Schuster I. die Eisenstäbe seines Gefängnisses auseinander bog und zwischen durch, zwei Stock hoch, in die Spree sprang und glücklich entkam. Der Bruder der Schwestern P., ein gewaltsamer Dieb, ist im vorigen Jahre nach zweijähriger Untersuchungshaft im Gefängnis gestorben.

Dort sitzt eine verlebte Dirne von mehr als dreißig Jahren, mit einem jungen liederlichen Kerl von etwa achtzehn Jahren, einem Kattundrucker, der sie heiraten will. Sie heißt Bettelguste. Von Jugend auf eine Straßendirne, hat sie diesen Namen daher verdient, dass sie gewohnt war ihre männlichen oder weiblichen Bekanntschaften um einen Silbergroschen anzusprechen, mit den Worten: „Pumpe mir einen Groschen.“ Hierfür kaufte sie Wurst und warf diese auf das Pflaster. Sobald die Wurst in die Höhe sprang, — also Blut und Fleisch enthielt — ward sie verspeist, blieb sie liegen, dann sagte sie: „Hier ist Grütze drin, das ist für den Hund.“ Jene Guste war öfter in der Königsmauer inskribiert und wohnt noch heut da, wo sie ihr altes Gewerbe sicher forttreibt.

Jene zwei anderen, großen Frauenzimmer, Auguste I. — die blonde oder der Pferdekopf genannt, wegen ihrer zurückgebogenen Haltung des Kopfs — und Auguste S. — die „Schnebbe“ genannt, wegen der eigentümlichen Beschaffenheit des Mundes — sind berüchtigt als Ladendiebinnen, oft gestraft und haben einen großen Verkehr mit allerhand schlechten Subjekten, weshalb sie auch als Vigilantinnen besonders gesucht sind. Die Brüder der S. sind ebenfalls schwer bestrafte Menschen.

Die starke, noch jugendliche Person, welche sich in der ungeniertesten Frechheit mit den Männern herumbalgt und diese in Zoten möglichst zu übertreffen sucht, ist die Frau des Privatschreibers P., geborne M. Eie war von hier verwiesen und heiratete daher diesen Mann, der in Folge des Trunks fast vertrocknet ist und nicht mehr aus dem Arbeitshause herauskommt. Sie beherbergt in jeder Nacht einen Dieb, den sie sich zum Galan erwählt, und unterhält einen gefährlichen Verkehr.

Unfern von ihr, mit der steifen Haltung der Donna Petronella, sitzt die schottische Marie —von einem sehr auffallenden Mantel so genannt. Sie war Phryne, ist aber jetzt an einen Maurer verheiratet, und treibt Winkelwirtschaft. Auf ihrer Hochzeit, vor drei Jahren, befanden sich eine Menge von Dieben und liederlichen Dirnen, eben als die Polizei zur Abhaltung einer Spezialrecherche einschritt, was natürlich auf die Freude der Gäste etwas störend einwirkte.

Da sitzt auch Line S., die noch nicht zu alt und bereits neunzehn Mal zur Korrektion in dem Arbeitshause eingesperrt gewesen ist. Sie war die Geliebte des Sattlergesellen Theodor M., eines falschen Vigilanten, der viele Strafen abgebüßt, und mit welchem sie sich wechselseitig vielfach denunziert hat, nachdem derselbe sie wegen einer neuen Liaison mit der äußerlich hübschern sogenannten Leierkastenguste im Stiche gelassen und ihr mehrere Sachen verkauft und versetzt hatte. Die neben ihr sitzende, vom neuerdings erlittenen Gefängnis sehr angegriffene und gebleichte Frau ist die verehelichte Privatschreiber P., Minna, geborne Z., von gutem Herkommen, jetzt eine der ersten Winkelkupplerinnen und oft bestraft. Sie ist schweigsam, denn sie erwartet wieder ein Straferkenntnis und kontrastiert auffallend zu der gemeinen Lustigkeit der Line S.

Wer sich einen Begriff von den Sitten jener Frauenzimmer machen will, dem genüge die Bemerkung, dass, als eines Tages im vorigen Sommer ein sehr zahlreiches Leichengefolge durch die alte Jacobsstraße ging, die ältere der Schwestern P. aus dem Fenster die Leidtragenden durch Zuwinken und kokette Geberden anlockte, — denn es war bei dem Zuge, der sich im wahren Sinne des Worts durch die Zuschauer und Umstehenden nur mit der größten Mühe durchdrängen konnte, kein Polizeiofficiant oder Gendarm anwesend. Wir haben Polizei genug, aber keine Straßenpolizei!

Mit den Töchtern der Diebeshehlerin, der rotköpfigen K., — welche nur kürzlich in Freiheit gesetzt worden ist, — und von denen die eine, Minna, wegen ihres starken Kopfes den Beinamen „Bouillonkopf“ führt — sind gewöhnlich die Schwestern Louise und Veronica W. zusammen, teils auf dem Markte, um zu stehlen, teils Abends in der Landsbergerstraße, oder in den Kneipen, um sich zu prostituieren. Sie verschmähen es so wenig, als andere, den Georgenkirchhof zu letzterem Zweck zu benutzen!

Jene drei verlebten Frauenzimmer, denen die Furchen großer Ausschweifungen und erlittener Gefängnisstrafen durch das Gesicht gezogen sind, als ernste Mahnungen für ihre jüngern Mitgeschöpfe, sind die Marie K., wegen ihres langen Gesichts „Backenmarie“ genannt, — Bertha H., eine Jüdin, gewöhnlich „Judenbertha“ genannt, jetzt Hökerin, — und Emilie H. Sie werfen sich, ohne Unterschied, jedem Manne an den Hals, der sie eines Tanzes würdigt, denn die Zeiten der Wahl sind für sie vorüber. Zu ihrer nähern Konnexion gehört auch noch Adelheid D., aus einer Diebesfamilie, — und Auguste D....k, welche jetzt Strafe verbüßt. Erstere hat sich mit einem bestraften Diebe, L., genannt G., zusammengetan und lebt mit ihm im Konkubinat. Epileptische Zufälle haben von früh an ihre Liebhaber verscheucht. Sämtliche Frauenspersonen beschäftigen sich mit der Vigilanz.

Die beiden jungen Mädchen, die noch einen Schein von äußerer Anständigkeit aufrecht erhalten, obschon sie innerlich ebenso verdorben sind, wie die übrige Gesellschaft, und ihres bessern Exterieurs wegen noch einige Ansprüche machen können, sind die unverehelichte H., Schwester des bestraften Zimmerlehrlings H., der den beschriebenen Zirkel fleißig besucht, und Marie L., ein wirklich hübsches Mädchen, die Tochter des bekannten blinden Geigenspielers L., der schon vor Jahren einen solchen Zuhörerkreis um seine gewiss gut gespielte Violine versammelte, dass man zur Aufrechthaltung der Ordnung sich veranlasst fand, ihm das Musizieren auf den Straßen polizeilich zu verbieten. Der Bruder der Marie ist ein bekannter, jetzt im Zuchthause sitzender Taschendieb, sie selbst ist durch ihre Nachbarin mit den frechen Zügen, die verehelichte Privatschreiber S., verkuppelt worden und lange Zeit die Geliebte des Taschendiebes, Kellner K., gewesen, der ebenfalls jetzt eingesperrt ist. Sie eilt jetzt mit Riesenschritten ihrem gänzlichen sittlichen Verfall entgegen.

Dies sind im Allgemeinen die bekanntesten der weiblichen Besucherinnen, welche wir bei M., bei O., Sp., und wie alle jene Tabagiewirte heißen, erblicken. An schlechtern, als die Genannten sind, fehlt es nicht, aber es gibt auch eben so mehrere, die noch nicht so total untergegangen sind, für die sich aber aus ihrer Gesellschaft kein Heil erwarten lässt.

Wollte ich die hiermit beschlossenen biographischen Notizen vollständig fortsetzen, so könnte ich damit Bände füllen. Ich glaube aber, hiermit für meine in der ersten Abteilung dieser Schrift aufgestellten Behauptungen den Beweis geführt zu haben, und erwarte mit Ruhe, ob ich hierdurch zur Lösung dieser wichtigen Zeitfrage etwas Nützliches beigetragen habe oder nicht, indem ich für mich jene Maxime in Anspruch nehme:

— si quid novisti rectius istis,
Candidus imperti: si non, his utere mecum.