Studenten-Cläre

Clara B. — jetzt über 40 Jahre alt — hat ihren Spitznamen davon, dass sie in ihrer Jugend es lediglich mit den Studierenden hielt, und nur die öffentlichen Orte frequentierte, welche ausschließlich oder hauptsächlich von Studenten besucht wurden. Es gab früher auch in Berlin ein Studententum, ein exklusives Kommentleben unter den — namentlich von fremden Universitäten — in ihren letzten Semestern der Brotstudien halber hierher zurückgezogenen Musensöhnen, welche die Reminiszenzen an das Verbindungswesen in Jena, Leipzig, Halle, Heidelberg u. s. w. nicht sogleich ablegen konnten. Jetzt — da seit länger denn 10 Jahren jene Universitäten auch weiter nichts mehr sind, als Gymnasien in größerem Maßstabe — ist in Berlin auch der Schatten jenes alten akademischen Lebens zur Seifenblase geworden und in Philister- und blasierter Patenttuerei untergegangen.

Jene alten Studenten, welche bereits mehr Männer als Jünglinge waren, hatten — so wie ihre exklusiven Lokale und Gesellschaften — auch ihre exklusiven Frauenzimmer, welche, ohne die Eifersucht des Einen oder Andern zu erwecken, sich von einem Bruder Studio auf den andern vererbten. So unsere Clara, deren früheres Leben wenig Interesse darbietet, bevor sie — was in früher Jugend geschah, — ähnlich der bekannten Hallenser Studenten-Julie, sich lediglich den Musen in die Arme warf.


In der Zeit ihrer Blüte gab es drei Lokale, deren Besuch in Folge einiger heftigen Raufereien der Studenten mit den sogenannten Philistern und Knoten, der akademische Senat für angemessen fand, seinen Bürgern bei Vermeidung von Strafen, unter Umständen sogar des Konzils und Relegats, sehr ernstlich zu untersagen. Jene drei Lokale waren:

1) der Onkel, in der Dorotheenstraße, berühmt durch seine Bälle am Mittwoch jedes neuen Monats, welches Lokal in der Folge wegen Sittenlosigkeit polizeilich geschlossen worden ist,

2) die Anlagen vor dem Oranienburger Tore, auf deren Trümmern sich jetzt stolz und stattlich die Villa bella erhebt, und

3) der Römersaal in der Münzstraße, welcher ebenfalls im Laufe der Zeiten untergegangen ist.

Kein Verbot seiner Bücher ist wohl einem Schriftsteller je von größerem Nutzen gewesen, als das akademische Interdikt den Besitzern jener drei Lokale. Denn jetzt war es für einen jeden der Herren Kommilitonen zu einem Ehrenpunkt geworden, die verbotenen Orte fleißig zu besuchen, da nur Finken und Kamele sich vor dem Gesetz des Senats in Demut beugten.

In jenen drei Tanztabagieen, wozu ich noch das vormalige W.....sche Lokal in der Französischen Straße rechnen will, war Clara einheimisch, mit allen jenen Studentendirnen, welche zu ihrer Zeit exzelliert haben, z. B. der sogenannten kalten Pauline und ihrer Schwester Albertine, zwei Zwillingsschwestern aus Schöneberg von anständigem Herkommen, der Judenline, der Droschken-Emilie u. m. a.

Clara hatte fortwährend einen sogenannten Bräutigam, der für ihre Bedürfnisse Sorge trug, und man muss gestehen, dass sie sich außerordentlich in die Sitten und Gebräuche des burschikosen Lebens hineinstudiert hatte, denn sonst hätte sie nicht so vielen Success gehabt, da sie in ihrem ganzen Leben nichts weniger als schön gewesen ist und, wie ihre ältesten Freunde von ihr sagten, „schon ein altes Gesicht mit auf die Welt gebracht hatte.“ Namentlich hatte sie, bei ihrem fortwährenden Aufenthalt unter demjenigen Teil der Studiosen, welche „studieren“ für gleichbedeutend halten mit „viel bairisches Bier trinken“, sich in dem letztern eine solche Fertigkeit erworben, dass sie 20 — 30 Seidel in einer Stunde hinabzustürzen vermochte, und daher — wie die heutigen emanzipierten Schönen — die Männer tapfer unter den Tisch trank. Ich gestehe, es ist dies ein merkwürdiger Reiz, um Männer zu fesseln, der Beweis des Erfolges ist aber bei der Clara da, so gut wie bei den Emanzipierten von 1846, welche sogar Dichterlinge und vermeintliche Philosophen zu ihren Verehrern und Bewunderern haben sollen. Alles wiederholt sich im Leben!

Da Clara über ihre akademischen Bekanntschaften in der ersteren Zeit nicht hinausging, so hatte sie so ziemlich Ruhe vor der Polizei. Als jedoch syphilitische Krankheiten sie öfters nach der Charite führten, auch ihr Betragen im Zustande der Trunkenheit öffentliche ärgerliche Auftritte und sogar blutige Schlägereien veranlasste, so ward die Polizei aufmerksam und brachte sie einige Male nach dem Arbeitshause. Diesen Umstand benutzten ihre Feindinnen, um sie vor der studierenden Jugend lächerlich zu machen, — besonders da damals den im Arbeitshause eingesperrten Dirnen noch die Kopfhaare abgeschnitten wurden, — und so kam es, dass Clara nachher verachtet ward. Noch einmal hatte sie einen reichen Studenten, den Sohn eines pommerschen Gutsbesitzers, geködert, der sich ihr rücksichtslos überließ und, den Warnungen aller seiner Freunde zum Trotz, welche die Clara sogar mit Gewalt aus seiner Wohnung warfen, sich nicht bloß in die unsinnigsten Schulden stürzte, sondern sogar seine Gesundheit total ruinierte. Er verfiel in ein bösartiges Nervenfieber, welchem er erlag. An dem Abende seines Begräbnisses war Die, welcher er seinen Untergang zu verdanken hatte, die ausgelassenste und ausschweifendste Dirne auf dem Tanzboden des „Onkel“, trieb die gemeinsten Possen und suchte — fast möchte ich sagen, mit Gewalt — eine neue Bekanntschaft zu machen. Dieses Betragen empörte selbst die Genossinnen ihrer Schande und von Stunde ab war sie wie gebrandmarkt. Jedermann floh ihre Nabe und es blieb ihr Nichts übrig, als eine gemeine Straßendirne zu werden, wozu sie ohnehin die besten Anlagen verriet. Öfters von der Polizei aufgegriffen und eingesperrt, in der Folge wegen mehrfacher gelegentlicher Diebstähle peinlich bestraft, ist sie zuletzt bis auf die niedrigste Stufe der Entehrung gesunken, und hat sich von Zeit zu Zeit, wenn sie von der Polizei zu sehr gedrängt ward, in ein öffentliches Bordell einschreiben lassen. Dies Leben hat sie bis vor Kurzem geführt, und die ehemals bei den Studenten so sehr angesehene Clara wird heut von dem Pöbel nicht mehr beachtet.

Nachdem sie vor etwa einem Jahre das Bordell verlassen hatte, suchte sie sich durch Aufwartestellen zu ernähren, welche sie hier und da bei prostituierten Frauenzimmern gefunden hat. Namentlich war sie auch eine Zeitlang Kammerjungfer der sogenannten Schleusen-Louise, welche sie aber weggejagt hat, weil sie ihr eine Stickerei versetzt hatte, zu deren Wiederbeschaffung sie nur mit Mühe anzuhalten war.

Clara ist der Prototyp der eigentlichen Berliner Prostitution, in ihr mögen sich die weiden, die heut noch in Samt und Seide gehen, woran es ihr früher auch nicht gefehlt hat, denn es gibt — wie ich behaupte — nur sehr wenige prostituierte Frauenzimmer, welche nicht am Ende ihrer Laufbahn von der allgemeinen Verachtung und dem drückendsten Mangel ebenso verfolgt werden, wie die eben beschriebene Clara.