Sporenminna

Es gibt in Berlin eine Familie, deren Mitglieder sämtlich mehr oder weniger mit der peinlichen Justiz in Berührung gekommen sind oder noch kommen, so dass sich dieselbe auf eine betrübende Weise in den Annalen des Verbrechens berühmt gemacht hat. Ich will sie die Familie B. nennen. Ein älterer Bruder, ein Krüppel, starb, wegen Meineids bestraft, im Arbeitshause, eine verwachsene Schwester stand wegen gleichen Verbrechens am Pranger, ein jüngerer Bruder, ein ebenfalls körperlich verunstalteter Mensch, — merkwürdige Zeichen der Natur! — ist ein berüchtigter Taschendieb, der eine früher aus Berlin verwiesene Lohndirne geehelicht hat, und jetzt sich im Zuchthause befindet, endlich das Haupt jener Familie, ein längst von seiner Profession zur Diebeshehlerei übergegangener Weber, ist — nachdem er, wie er sich selbst berühmt, 22 Kriminaluntersuchungen durchgemacht und sich zwanzig Mal losgelogen hat — nach Verbüßung einer kleinen Straft wieder vor Kurzem hierher zurückgekehrt. Er, seine Frau und sein Sohn sind gleichmäßig mit den gefährlichsten Verbrechern in fortwährender Verbindung, die Frau ist oft gestraft, der Sohn neuerdings bei der Verübung eines Einbruchs verhaftet worden. Sämtliche B.'s haben sich von jeher zu Vigilantendiensten an die Polizei verkauft, und entsetzliches Unheil gestiftet, da sie sowohl falsch denunzieren, als auch nur die Diebe verraten, welche ihnen keinen genügenden Anteil von dem gestohlenen Gute zuwenden. Ich brauche jene Familie nicht noch näher zu beschreiben: Wenige sind, die sie nicht kennen.

Eine Schwester der Geschilderten macht eine Ausnahme, sie hat nie gestohlen oder Hehlerei getrieben, dagegen sich von früh an, — durch eine günstigere Persönlichkeit verleitet — der Prostitution ergeben. Man nennt sie Sporenminna, wegen einer Maskerade, wo sie in Palikarenstiefeln mit auffallend langen Sporen erschien. Ihr Leben bietet wenig Besonderes dar, vor dem anderer Prostituierten: ich habe sie bloß ihres berüchtigten Namens und Familienanhanges wegen hier aufgenommen. Sie wohnte lange Zeit in der Schützenstraße und ward einigermaßen mit Indulgenz behandelt, — weil ihre Geschwister Vigilantendienste leisteten. Die Halle, Villa bella, u. s. w. waren die Orte, welche auch sie, namentlich in Begleitung einer kleinen Dirne, Pony genannt, oder der sogenannten Splintermarie, fleißig besuchte, ohne jedoch, wie Pony, sich einen Rausch zu trinken und dann zu Skandal Veranlassung zu geben. Ihr Bruder, der jetzt in der Strafanstalt detinierte Taschendieb, machte bei ihr den Aufwärter und besorgte für ihre zahlreichen Besucher Körbe voll Wein und dergleichen, wobei er sich natürlich nicht vergaß. Es glückte ihr jedoch, sich von diesem Leben gemeiner Preisgebung loszumachen, dessen trauriges Ende sie eingesehen zu haben scheint. Sie lernte nämlich einen Musikus oder vielmehr Komponisten kennen, welcher sich ernsthaft in sie verliebte, sie geheiratet hat und mit ihr im vorigen Jahre nach Amerika gegangen ist, wo sie sich, nach den hier eingegangenen Briefen zu schließen, wohlbefindet.


Mit ihr ist eine andere Prostituierte nicht zu verwechseln, welche ebenfalls den Beinamen Sporenminna führt, auch wohl Stiefelrike genannt wird. Diese wohnt in der D.. straße und von ihr gilt das alte französische: Quel grand bonheur d’avoir un beau pied. Sie war nämlich früher eine zur niedrigsten Klasse gehörige Dirne, ihr wirklich schöner, kleiner Fuß — woher ihre Epitheta — bewirkte jedoch, dass sich ein reicher Mann für sie interessierte, und sie sofort zu seiner Mätresse machte, als welche sie heut noch in glänzenden Umständen lebt.