Sidonie von der Heyde

Sie ist die eheliche Tochter eines dänischen Kauffahrer-Kapitäns und noch nicht viel über dreißig Jahre alt. Ihre Mutter starb früh, und da ihr Vater, ein roher Seemann, welcher nicht viel vom Wasser herunterkam, sich so gut wie gar nicht um sie bekümmerte, wuchs sie ohne alle Bildung und Erziehung auf. Der Umgang mit dem Schiffsvolke wirkte auch nicht wohltuend auf ihre Sittlichkeit ein, und so kam es, dass sie nach mehreren Fehltritten ihrer Familie entlief und nach Hamburg ging, wohin man ihr später sehr gern die nötigen Legitimationspapiere nachschickte, nur um sie los zu werden. In Hamburg trat sie, durch eine stattliche Persönlichkeit empfohlen, in ein Bordell auf dem sogenannten Altonaer Berge, von wo sie bald in die, als die eleganteste in Hamburg bekannte Wirtschaft von Peter A. überging. Hier ward sie mit einem namhaften Berliner Kuppler bekannt, welcher ihr in Berlin goldene Berge versprach und sie für seine Wirtschaft hinter der Königsmauer anwarb. Er bezahlte ihre Schulden, — diese haben bekanntlich alle Bordelldirnen, welche hierdurch dem Bordellhalter gewissermaßen körperlich verpfändet (corpore oppignoratae) werden, so lange bis sie, von einem andern Kuppler losgekauft, in dessen fructuarische Possession übergehen, — und Sidonie kam nach Berlin, wo sie, in Folge ihres steten Hanges zu Veränderungen, aus einer Wirtschaft in die andere geschrieben ward. Endlich ward ihr das Leben in den Bordellen zum Ekel und sie beschloss, zumal da sie sich Liebhaber angeschafft hatte, mit denen sie ungeniert öffentliche Lustbarkeiten besuchen wollte, sich auf eigene Hand — als sogenannte Privatdozentin — zu habilitieren. Mehrere alte und junge Weiber hatten nämlich — noch bis zum 1. Januar d. J. — die polizeiliche Konzession, eine Lohndirne zu halten, oder, wie man im gemeinen Leben sagt, „eine Lampe zu setzen“, weil durch eine besonders auffallende, in der Nähe des Fensters stehende Astrallampe, neben welcher die geputzte Dirne saß, das Männerpublikum avertiert ward, was man in jenem verschwenderisch erleuchteten Raume für Geld Alles haben könne. Eine dieser auf eigene Hand sitzenden Phrynen, die sogenannte Markgräfin, hatte sich sogar eine besondere Gasbeleuchtung zu diesem Behuf anbringen lassen.

Sidonie war also Privatdozentin und wohnte längere Zeit in der Charlottenstraße, wo sie, trotz einer monatlichen Miete von 30 Thlr. und ebensoviel für Essen und Kaffee, dennoch gute Geschäfte machte, und das von ihrer Wirtin im Bordell gezahlte Lösegeld bald abtragen konnte. Es bestand nämlich in Berlin bis zum 1. Januar d. J. die Verordnung, dass nur prostituierte Frauenzimmer aus Bordellen sich auf eigene Hand etablieren durften, eine Verordnung, welche das Schicksal aller Polizeigesetze gehabt hat, das nämlich: umgangen zu werden. Hatte eine Kupplerin eine gute Akquisition an einer noch nicht mit dem bedeutungsvollen P. P. — Puella Publica, wie die Lohndirnen in den Pavillons der Charite bezeichnet werden — behafteten Frauensperson gemacht, so ließ sie dieselbe in einem Bordell einschreiben und nach einigen Tagen mit Bewilligung des Bordellhalters wieder exmatrikulieren, wodurch nun die Qualifikation zum Prostitutionsgewerbe auf eigene Hand erworben war.


Also Sidonie machte lukrative Geschäfte, — aber auch schlechte Bekanntschaften. Schon früherhin hatte sie einen gefährlichen Dieb, den Kattundrucker Sp., kennen gelernt. Dieser ward von ihr jetzt förmlich unterhalten und spielte bei ihr die Rolle eines „Herausschmeißers“, d. h. er verzog sich in eine Nebenkammer, wenn Gäste kamen, um von diesen, wenn sie ohne Bezahlung abgehen wollten, gewaltsam das gewöhnliche Pretium der Unzucht zu erpressen. Indessen hierbei begnügte sich Sp. nicht. An Verbrechen gewöhnt, suchte er auch von solchen sich neue Mittel zu seinen Ausschweifungen zu schaffen, und ward in Folge eines Einbruchs am hellen Tage an der Stralauerbrücke, wobei es ihm zwar zu entspringen gelungen war, zu der gegen die ergriffenen Täter eingeleiteten Untersuchung herangezogen. Er würde sich vielleicht noch durchgelogen haben, wenn nicht ein Polizeibeamter bei Gelegenheit einer, in der ihm verdächtig gewordenen Wohnung der Sidonie abgehaltenen Recherche ihr ein Schreiben ihres Liebhabers aus der Tasche gezogen hätte, welches dieser ihr durch entlassene Mitgefangene hatte zustecken lassen und worin er — dumm genug für einen alten Dieb! — ihr die nähern Umstände jenes Einbruchs, seines Entweichens und seiner vor Gericht gemachten Ausreden mitteilte. Dies entschied seine Überführung und Bestrafung, und es fehlte nicht viel, so wäre seine saubere Geliebte auch verhaftet und wegen Mitwissenschaft von seinem Verbrechen zur Untersuchung gezogen worden.

Es ward ihr nicht schwer, Sp.'s Verlust zu ersetzen, da sie ihre „Bräutigams“ gut lohnte. Wie tief sie moralisch gesunken war, ergibt insbesondere ein Umstand. Es ist erwiesen, ja, es liegt in der menschlichen, auch der verderbtesten Natur zu fest begründet, dass jene gefallenen Dirnen sich in der Regel nicht vor den Augen eines oder einer Dritten prostituieren lassen. Nur Sidonie machte hiervon eine Ausnahme: doch ich will über diese Nachtstücke in der moralischen Welt lieber noch einen dunkeln Schleier werfen, als sie an das Licht des Tages ziehen.

Der 1. Januar 1846 machte Sidomens hiesigem Auftreten ein Ende. Vielfacher Bemühungen ungeachtet gelang es ihr doch nicht, einen Mann zu finden und sich hier domizilieren zu lassen: — deshalb, weil sie zu fest auf ihren letzten gelohnten Liebhaber gebaut hatte und von ihm getäuscht ward. Es traf sie daher, wie alle hier nicht angehörige Prostituierte, das Schicksal der Ausweisung, und da sie sich nicht fügte und hier zu latitieren begann, erfolgte ihre Verhaftung.

Vorher hatte sie mit ihrem Geliebten zur Februars-Messe eine Spekulationsreise nach Frankfurt a. d. O. gemacht, wo er zum Schein Parfüms verkaufen, in der Tat aber ihre Person feilbieten sollte. Bei der großen Konkurrenz solcher Dirnen bei Messzeiten machte sie daher nur schlechte Geschäfte. So kam es, dass ihr Liebhaber, dies einsehend, heimlich ihre Sachen versetzte, und sich mit dem Erlös aus dem Staube machte. Sie war nun gezwungen, aus ihrem Quartier heimlich zu entfliehen und sich nach Berlin zu betteln.

Mit Mühe entging sie dem Arbeitshause, und erhielt endlich ihren Pass nach Hamburg visiert, um wieder in ein dortiges Freudenhaus zu treten. Seit ihrer Abreise hat man Nichts mehr von ihr gehört.

Doch sollen ihre Gläubigerinnen, deren sie viele hier hinterlassen hat, ausgesprengt haben, dass sie nicht nach Hamburg, sondern nach Stettin gegangen sei, dort als Privatdozentin auf eigene Hand sitze und so viel Geld verdiene, dass sie von dort Abschlagszahlungen hierher sende. Dies ist jedoch nicht glaublich, da alle ausländische Prostituierte über die Landesgrenze gewiesen sind.