Schwefelholz.

Am passendsten schließt sich an die Enderly diese ihre frühere Freundin an. Schwefelholz oder Schwefel-Marie — jetzt über die Hälfte der 20er Jahre hinaus — gehört nicht zu den uninteressantesten Frauenzimmern, obschon ihre kleine Figur, ihr dunkelgelber Teint, ihre pechschwarzen Haare eher ein Judenkind in ihr vermuten lassen, als einen Abkömmling deutschen Stammes. Dieser Annahme widerspricht aber ihr gewöhnlich ruhiges, fast kaltes Betragen und das Abhandensein jener Koketterie, welche die jüdischen Dirnen sonst gern zur Schau tragen.

Ihr Vater ist ein sogenannter halber Handwerker, d. h. welcher nur ein halbes Jahr lang seine Profession betreiben kann, nämlich ein Maurer, der für die Winterszeit auf Nebenbeschäftigungen, wie Musikmachen, angewiesen ist. So verfertigte er früherhin in jener Stillstandsperiode seines Metiers Schwefelhölzer, welche er durch seine Tochter, die daher ihren Beinamen bekommen hat, verkaufen ließ. Der Detailhandel mit Schwefelhölzern bringt bekanntlich wenig ein, daher suchte unsere Marie ihren Absatz in größeren Partien, zu Tausenden, zu bewirken und kam deshalb mit der kaufmännischen Jugend in Konnexion. Sie gefiel: dies war genug, die Jünger Merkurs auf sie aufmerksam zu machen, welche lieber von ihr, als von einer grießgrämigen Alten Einkäufe machten. So hob sich ihres Vaters Nebengeschäft, umso mehr, als sie für die verliebten Passionen der Handelsjugend nicht unempfänglich war. Wer weiß, welche Remise ihr künftiges Schicksal entschieden hat. Dem ersten Schritt folgen die andern im Sturm und immer dutzendweise nach. Sie wurde — mit einem Wort — die Hetäre der Handlungsdiener, ihr Vater merkte endlich die Geschichte, und da sie auch im Abliefern der Gelder säumig ward, so folgten Strafen. Zu spät sie fing an, sich herumzutreiben, und die Bekanntschaft mit der Polizei konnte nicht ausbleiben.


Eilen wir über diese schwarzen Stunden hinweg. Sie war klug genug, einzusehen, dass es auf diese Weise mit ihr nicht lange dauern würde, daher änderte sie ihren Lebensplan, und suchte nach dem Vorgange ihrer Freundinnen einen Geliebten, der sie zur Mätresse machte. Dies gelang ihr, da sie wirklich, wie ich wiederholen muss, durchaus nicht uninteressant ist. Ein Lieutenant — ich weiß nicht gleich, wie er hieß — machte sie zu seiner Dulcinea, wofür sie ihn gehörig bluten ließ, und sich auf einen nobeln Fuß etablierte. Nachdem sein Geld ausgegeben war, hatte er in Berlin Nichts mehr zu verlieren und ging ab. Ihm folgte ein zweiter Militär, ein Kavallerist, — denn sie hatte einmal eine Pique auf die Söhne des Mars, — welcher ihr viel gibt und seit mehreren Jahren getreu ist. Daher hat sie sich auch zurückgezogen, überhaupt hat sie die öffentlichen Tanzlokale u. s. w. nie geliebt und Sinn für eine gewisse Anständigkeit bewiesen, nachdem sie bis zur Mätresse gestiegen war.

Dass sie mit der Enderly ausnahmsweise in Geschäftsverbindung gestanden hat, habe ich erwähnt. Noch muss ich einen charakteristischen Vorfall erzählen, der sich einem on dit zufolge in ihrer Wohnung zugetragen hat.

Ihr Amoroso ist — ob mit oder ohne Grund, kann ich nicht verraten — sehr eifersüchtig. Sein Bruder soll sich aber auch in die Quasi-Schwägerin verliebt haben und von ihr günstig aufgenommen worden sein. Da will es das Schicksal, dass, als Letzterer eines Abends bei ihr weilt und die Tür verriegelt hat, der Hauptverehrer ebenfalls kommt und Arges vermutet, weil die Tür nicht in gewohnter Weise offen steht. Er fängt an zu wüten, und der geängstete Eingeschlossene — blutige Rache fürchtend — entschließt sich, seine Retirade durch das Fenster zu nehmen, wobei er auf den Arm einer Gasröhre zu sitzen gekommen und erst durch die Leiter eines Lampenanzünders, unter dem Zujauchzen des Publikums, gerettet worden sein soll. Ob dies Wahrheit oder Dichtung aus dem Leben der Schwefelmarie ist, kann ich nicht bestimmen; — doch wird wohl Etwas daran sein.

Jetzt fährt sie, wie die übrigen Mätressen und andere dergleichen Dirnen, fleißig Corso, um von Denen, die sie gar nicht oder ganz genau kennen, ein Bouquet zu erhaschen, auch um sich nicht in Vergessenheit zu bringen. Da fällt mir ein: Schwefelholz hat sich öffentlich immer so artig betragen, dass ihr nicht, wie andern Prostituierten, die ersten Plätze im Theater verboten worden sind. Das ist löblich, denn sie hat nie so auffällig und gemein kokettiert, wie jene. Übrigens wundere ich mich, dass die Polizei die Prostituierten mit den hohen Herrschaften Corso fahren lässt, denn was vom Theater gilt, gilt gewiss auch von dem noch viel feinern Corso. Man verzeihe mir diese Bemerkung: denn sie wird Manchen frappieren, da ich Keiner von denen bin, welche ganz gehorsamst um ein polizeiliches Beschränkungsgesetz bitten, — deren wir schon zu viele haben, — damit die Leute durch den Gebrauch der natürlichen Freiheit doch ja keinen Schaden nehmen mögen. Doch, ernsthaft gesprochen, Marie, liest Du vielleicht diese Zeilen, so beherzige sie, und folge meinem wohlgemeinten Rat. Ich weiß, Du bist bei Weitem nicht so moralisch verderbt und versunken, wie jene X. X., Y. Y. und Z. Z., welche in dem mehrgedachten Buche: „Die Prostitution und ihre Opfer“ mit den abschreckendsten Farben geschildert sind, weshalb ich gern nicht mehr von ihnen spreche. Mache es wie Ida G., spare zur rechten Zeit und lege, wie sie, ein Geschäft mit Herrengarderobeartikeln an. Die Männerwelt wird Dich besuchen und gut bezahlen, denn die Männer sind neugierig. Mit Damenputz kannst Du so nicht handeln, denn die Prostituierten würden Dich aus Neid, und die anständigen Damen aus Vorurteil nicht frequentieren. Hast Du Dich dann rehabilitiert, dann wird sich zu Dir wohl auch ein rechtlicher Mann finden, der Dein an sich nicht schlechtes Selbst zu würdigen versteht und Dich der gesitteten Welt wiedergibt, welche gern einen Schleier auf die Vergangenheit werfen wird. Überflügele dann jene X. X., Y. Y., Z. Z., welche sich höher stellen als Du, obschon sie tief unter Dir stehen, und sich nie mehr erheben können. Wenn Du dieses tust, dann wird man nach Jahren sagen: „Die Schwefelmarie ist zwar ein Zeisig gewesen, aber sie hat sich wieder emporgehoben und ist eine brave Frau geworden. Das macht ihr mehr Ehre, als wenn sie nie gefallen wäre.“