Minna W — tz — — k, die geschiedene Kaufmannsfrau

Wer im Jahre 1835 in Leipzig war, hat gewiss von dem reichen Baron von M. gehört, welcher damals auf der dortigen Universität studierte und einer der splendidesten Besucher des Hotel de Pologne und des Hotel de Baviere war. Die Elite der Studierenden, d. h. die, welche das meiste Geld hatten, scharten sich um ihn, wie um ihren Primipilus, und man muss in der Tat gestehen, dass die Gesellschaft zu leben, d. h. die akademische Freiheit und Ungebundenheit durch die eleganten Formen gefälliger Sitten und durch jenes angeborne noble je ne sais quoi zu temperieren verstand.

In dem K....gässchen befand sich das Haus der berühmten Tante S., zwar nicht nach dem ordinären Muster der Berliner Prostitutionshäuser zugeschnitten, aber, wenn auch im Style der petites maisons zu Ludwigs XIV. und Ludwigs XV. Zeiten, doch nur zu dem Zwecke eingerichtet,— um namentlich während der Messe der Frivolität der Männer die aus ganz Deutschland verschriebenen verkäuflichen Reize wirklich schöner Mädchen feilzubieten. Es fehlte nicht, dass unser Baron von M. auch jenes Haus besuchte, da dies damals in Leipzig mit zum guten Ton der la bonne société gehörte. Eine junge hübsche Hannoveranerin, mit veilchenblauen Augen und blondem Haar, das wie Seide glänzte, zog ihn vor Allen an. Sie war die Tochter eines Kaufmanns, der bankerottiert hatte; ihre Erziehung war die beste gewesen, allein ein gewisser Leichtsinn war ihr vom väterlichen Hause aus eingeimpft worden, — daher fiel sie, als sie nach dem Tode ihrer Eltern als ein 17jähriges Mädchen in der Welt allein stand, und es wurde dem Werber der Tante S., dem Kunstgärtner W., nicht schwer, sie zur Ostermesse 1835 für das Haus seiner Prinzipalin zu engagieren. So war sie eine öffentliche Dirne geworden, ehe sie sich einmal dies Verhältnis klar gedacht hatte.


Baron von M. erfuhr alle Umstände ihres Lebens: hierdurch wurde er, da seine Neigung wirklich nicht bloß eine vorübergehende physische Laune war, um so mehr bestimmt, unsere Minna aus dem Hause der Tante, welche er überdies entschädigte, nach kurzem Aufenthalt darin herauszunehmen und als seine Mätresse auf die eleganteste Weise in der H...straße zu Leipzig einzumieten. Allein, wie es in solchen Fällen immer ist, sein gegen 4.000 Thaler betragender Wechsel wollte nicht mehr ausreichen, besonders da er mit seiner schönen Geliebten gern im Theater, in den Konzerten des Gewandhauses, in den Kaffeegärten, im Rosenthal u. s. w. brillierte, um sie der Bewunderung der Menge darzustellen. Er stürzte sich in Schulden, sein unweit wohnender Vater erfuhr dies, holte ihn nach Hause, und — seine schöne Geliebte war wieder verlassen, welcher jedoch der Vater ihres Verehrers aus Generosität ein Geschenk von einigen Hundert Thalern gemacht hatte.

Zu jener Zeit existierte in Berlin eine sehr besuchte Konditorei, worin sich die hübschesten Mädchen befanden und daher den Besuch junger Männer von Stande an sich zogen. Marie P......N hatte darin ihre Carriere gemacht; der industrielle Unternehmer stand mit dem Geschäftsführer der Tante rücksichtlich des schönen Geschlechts in Verbindung, und erhielt von ihm unsere Minna als Zugvogel für sein Lokal zugewiesen. Sie kam nach Berlin, sie wurde gesehen und siegte, wie jener verliebte mecklenburgische Krautjunker neulichst in der Vossischen Zeitung in seinem Aufruf an eine Dame sagte, von welcher er weiter nichts wusste, als dass sie im Jahre 1839 im Sommer mit einem roten Tuch und grünen Hut durch die alte Post gegangen sei. Minna machte viele Eroberungen, bei Zivil und Militär, und wenn auch nicht in dem Hause ihres Prinzipals, so fand sie doch bei der damals sehr bekannten Frau Oberförsterin ein passendes Absteigequartier, welches sie zu jeder Tageszeit benutzen konnte. Endlich interessierte sich ein Königlicher Musiker für sie und beredete sie, sich für das Theater auszubilden, da sie in der Tat Gesangs- und Darstellungstalent besaß. Er gab ihr unendgeldlichen Unterricht, und sie verließ nunmehr zu ihrer Vorbereitung für die Bühne jene Konditorei und zog zur Frau Oberförsterin, wo sie außerdem die Besuche ihrer Liebhaber empfing und davon ganz brillant lebte.

Den Verwendungen einflussreicher Anhänger und noch mehr ihrer Persönlichkeit gelang es bald, dass sie als Choristin im Sängerchor der Königsstadt engagiert ward. Ihre Stimme bildete sich zusehends aus, so dass ihr bereits bald nach ihrem Eintritt kleinere Gesangspartien zum selbstständigen Vortrage überlassen wurden. Fortuna schien sich zu ihr zu neigen, obschon sie, nach der Gewohnheit vieler Choristinnen, nicht aufhörte, — jedoch mit größerer Auswahl, als früher — die Galante zu spielen. Wäre sie in Berlin geblieben, vielleicht war es besser für sie, vielleicht ging sie aber auch schon früher zu Grunde! Ein auf Engagements reisender Theaterdirektor hatte sie in der Königsstadt gesehen und gehört, und fand, dass sie für seine Bühne eine passende erste Liebhaberin abgeben würde. Er kontrahierte mit ihr auf annehmbare Bedingungen, und sie folgte ihm auf seinem umherziehenden Thespiswagen in mehrere Provinzialstädte, wo sie die Gefeierte des Tages war. Ein junger Kaufmann aus St.... n sah sie bei Gelegenheit einer Reise und verliebte sich so heftig in sie, dass er sie zu heiraten beschloss. Als einziger Sohn fiel es ihm nicht schwer, die Einwilligung seiner Eltern zu erlangen. Die Hochzeit fand statt und Minna, das ehemals gesunkene Mädchen, ward eine wohlhabende und geachtete Kaufmannsfrau, besonders da in St. Niemand ihre früheren Verhältnisse kannte.

Jetzt, geehrter Leser, wirst Du glauben, dass Minna, nach so vielen Erfahrungen, gewiss fest und unverbrüchlich an ihrem, in jeder Beziehung achtbaren und liebenswerten Gatten gehangen und durch einen unbefleckten Wandel ihre frühern Verirrungen gut gemacht habe. Leider muss ich sagen: Nein! Obschon Mutter von zwei Kindern, ward sie dennoch von ihrem Gatten, dem die Veränderung ihres Wesens längst aufgefallen war, bei einer Untreue mit einem seiner Commis überrascht. Ehescheidung war die Folge. Er sorgte für die Kinder und überließ seine gewesene Frau ihrem Schicksal.

Jetzt wohnt sie in St. in einer kleinen Gasse und hat ihr altes Gewerbe wieder hervorgesucht. Dass sie dabei Mangel leidet und von der bittersten Reue gequält wird, habe ich erfahren. Und doch ist sie, trotz ihrer Schuld, zu bedauern, da sie in ihrem Leben wirklich sehr viele Beweise von Herzensgüte, von Mitleid mit Armen und Notleidenden, ja von Aufopferung gegeben hat. Nur der Leichtsinn war zu tief eingewurzelt!

Sie ist ein schlagender Beweis zu der Behauptung, welche ich hiermit aufstelle: dass es eine höchst seltene Erscheinung ist, ja dass — mit den Worten der Bibel zu reden — eher ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen, als dass eine Prostituierte dauernd wieder auf der Bahn der Sittlichkeit verbleiben könne.