Invalidenlotte

Sie ist eine Dirne von der allerletzten Sorte, die sich von jeher auf dem Felde, den Wegen vor den Toren und in den Vorstädten mit dem schlechtesten Gesindel umhergetrieben hat. Erziehung hat sie gar nicht genossen, denn ihr Vater, welcher im Invalidenhause aufgenommen war und dort starb, hat sich nie um sie gekümmert. Von ihm hat sie nur den Namen „Invalidenlotte“ geerbt. Jetzt ist sie hoch in den dreißiger Jahren, und für die Prostitution verschollen, wogegen die Sicherheitspolizei sich gelegentlich um sie kümmert, und auch wohl daran tut, sie nie ganz aus der Beobachtung zu lassen. Denn sie soll jetzt nur vom Diebstahl oder der Diebeshehlerei bestehen können, weil sie arbeiten nie gelernt hat.

Eine merkwürdige Episode aus ihrem Leben muss ich erzählen. Vor mehreren Jahren machte ein ältlicher wohlhabender Herr jeden Abend seine Spaziergänge am Invalidenhaus und die Panke entlang. Hierauf baute Lotte und ihr Liebhaber einen teuflischen Plan. Lotte musste sich mit dem alten Herrn bekannt machen und ihn zum Beischlafe zu verleiten suchen. Nach einiger Zeit gelang ihr dies wirklich und jener alte Herr begab sich zu diesem Zweck mit ihr in ein unweit vom Wege gelegenes Versteck. Hier war er eben in zärtlicher Umarmung begriffen, als er von dem Liebhaber der Lotte und einem andern Kerl, welche an jedem Abende auf eine solche Gelegenheit gelauert hatten, plötzlich überfallen und seiner goldenen Uhr, mit einer wertvollen Kette und Berloques, seiner Ringe und der Börse gewaltsam beraubt, dabei auch auf eine jedes Gefühl beleidigende Weise gemisshandelt ward. Das Verbrechen ward entdeckt, die Beweise herbeigeschafft, und die beiden Räuber zu einer langwierigen Festungsstrafe verurteilt. Auch Lotte entging ihrer Strafe nicht. Nachdem sie 1 1/2 Jahr in Kriminalhaft und Untersuchung zugebracht hatte, ward sie wegen Mitwissenschaft und Teilnahme an einem Raube erst zu 10jähriger, dann zu vierjähriger Zuchthausstrafe verurteilt, welche sie verbüßen musste. In Rücksicht determinierter Gefährlichkeit und im Entwerfen der Pläne zu großen Verbrechen, glaube ich, ist sie nur mit der bekannten Minna N...g zu vergleichen, welche Einen wie Alle ihrer Liebhaber, zuletzt einen gewissen L., zu Verbrechen verleitet hat und nachher wohl selbst die Verräterin geworden ist. Die Familie N. ist eine jener berüchtigten, deren Glieder eines immer gefährlicher ist als das andere. Minnas Brüder, Fritz und Carl, waren schlimme Menschen. Ersterer, in der berüchtigten Untersuchung wider D....z verwickelt und schwer bestraft, starb im Zuchthause; der andere, Carl, befindet sich, wenn ich nicht irre, ebenfalls in der Strafanstalt, und es ist nichts Anderes zu vermuten, als dass er die doch nur kurze Zeit wieder währende Freiheit zu neuen Freveln benutzen wird, wozu der Hang der ganzen Familie, wie Andern dieses Schlages, durch ein Verdammungsurteil der Natur einmal angeboren und, wie alle Naturgesetze, unvertilglich ist.