Fritzchen aus Potsdam

Ich habe schon oben angedeutet, dass in Folge der in Potsdam nie toleriert gewesenen Prostitution, sowie der großen Anhäufung von Militär und diversen Beamten, die heimliche Unzucht daselbst einen noch bei Weitem höhern Grad verhältnismäßig erreicht hat, als es selbst in Berlin bisher der Fall war. Dies nimmt nicht Wunder, wenn man bedenkt, aus wie verschiedenen Bestandteilen die Bevölkerung von 40.000 Menschen zusammengesetzt ist. Daher waren aber auch die Potsdamer Frauenzimmer, wenigstens von den erfahreneren Roué's immer mehr gefürchtet, als die Berlinerinnen, und daher die ärztlich konstatierte Tatsache, dass, wenn das Potsdamer Militär hier auf einige Tage einmarschiert war, die Syphilis in den Bordellen und sonst in enormer Steigerung hervortrat, während die Berliner Garnison vice versa immer ein zahlreiches Heer solcher Übel von Potsdam mit hierher nahm.

Diese Einleitung wird nun zwar als kein schmeichelhaftes Kompliment zu dem Lebensabriss des sog. Fritzchens angesehen werden, welche nächst der Potsdamer Pauline eine der bekanntesten, aber auch, besonders in den sog. höhern Kreisen, eine der beliebtesten dortigen Phrynen ist; ich hielt sie aber für notwendig, damit man überhaupt den Boden kennen lerne, auf welchem unsere Dame gewachsen ist und noch heut mit großen Erfolgen agiert.


Sie war in ihrer Jugend schön, — jetzt ist sie eine Dreißigerin und schon sehr über den Äquator hinaus, — und deshalb machte ihre Jugend bei den Kavalieren Glück, welchen sie von ihren Angehörigen, wie in Potsdam noch üblicher ist, als hier, für einen hohen Preis ad flores capessendos zugeschlagen ward. Von Jugend an hat sie es bis heut fast ausschließlich mit dem roten Kragen gehalten, obschon der Frack — vorausgesetzt, dass eine gehörig mit Louisd'ors gespickte Börse darin steckte — sie auch nicht unbefriedigt verließ; doch nur in subzidium, d. h. wenn keiner von des Mars und der Minerva Alumnen vorhanden war, denn als Potsdamerin und mithin gute Patriotin hält sie den Militärstand für den ersten Stand im Staate. Obschon die Potsdamer Polizei genöthigt war, aus begreiflichen Gründen, namentlich wegen der vielen dort im freiwilligen oder durch die Verhältnisse erzwungenen Zölibat lebenden Männer in der Blüte des Mannesalters, gegen die Trabantinnen des Cupido ein Auge zuzudrücken, so konnten doch Fälle nicht ausbleiben, wo der ledige Stand Fritzchen in unbequeme Lagen versetzte. Sie freite daher einen Galanteriearbeiter, welcher aber bald sich an der Führung seiner jungen Gattin degoutierte, sie im Stich ließ und nach Stettin ging. Fritzchen muss besonderes Glück haben: denn da das Weib rechtlich dem Manne folgt, so hätte die Polizei sie ohne Weiteres nach Stettin ihrem Manne nachschicken können, weil sie von demselben — wenigstens vor einiger Zeit — noch nicht geschieden war, ja nicht einmal im Ehescheidungsprozess lebte.

Ich würde in diesen Blättern ihrer nicht gedenken, wenn sie nicht zugleich in Berlin häufige Gastrollen gegeben hätte und dadurch hier sehr bekannt geworden wäre. Die Potsdamer Phrynen haben einen eigenen Hang, zu Zeiten in Berlin so pomphaft wie möglich aufzutreten, um hier Männer zu fangen und dabei das kitzelnde Gefühl zu genießen, ihre hiesigen Rivalinnen aus dem Felde zu schlagen. Dies gelingt ihnen zum großen Ärger der letztern meistens, — denn variatio delectat, — weshalb die hiesigen Dirnen dann auch nicht unterlassen, auf alle nur erdenkliche Weise die fremd herübergekommenen bei der Polizei zu denunzieren und schlecht zu machen. So war es mit Fritzchen, weil sie im Kolosseum, später auf Krolls Maskenbällen und Zaubernächten, durch eine elegante Garderobe begünstigt, Furore gemacht hatte. Obwohl sie hier Freundinnen hat, welche sie aufnehmen und möglichst vor den Organen der Sittenpolizei zu verbergen suchen, besonders die G., die J. und die sog. Judenline, so ward dies doch verraten, und Fritzchen nach einem schönen Ballabende aus der Wohnung der Letztern abgeholt, wo sie sich bei dem ihr wohlbekannten:

„Aufgemacht, die Polizei ist da,“ vergebens in einem Spinde, oder war es unter dem Bette, versteckt hatte. Ihr war Berlin verboten, Arbeitshausstrafe auf die Rückkehr gedroht, daher war Holland in Nöten. Indessen ward sie am Abende des folgenden Tages nochmals entlassen und durch einen Polizeiofficianten bis zur Potsdamer Eisenbahn begleitet, — weil man wusste, dass sie nur schwer von hier wegzubringen war. Der Officiant glaubte sich seiner Funktion entledigt, als sie ein Fahrbillet gekauft hatte und in den Waggon gestiegen war; deshalb verließ er sie, um kein unnötiges Aufsehen zu erregen. Aber kaum war er ihr aus dem Gesicht, so sprang sie, kurz vor der Abfahrt, von ihrem Sitz herab und warf sich in eine Droschke, um nach der Stadt zurückzueilen.

Am nämlichen Abende war sie ganz ungeniert auf einem hiesigen Balle, um neue Eroberungen zu machen, und soll sehr reüssiert haben.

Da jetzt die Polizei ihr ernstlich nachstellte, hielt sie sich eine Weile etwas cachée. Jedoch ist sie neuerdings wieder oft hier zu sehen und an den Fenstern ihrer Freundinnen sehr auffallend bemerklich gewesen. Mich wundert's, dass gerade ihr so nachgestellt wird, während doch die viel schlimmere Pauline aus Potsdam jetzt gänzlich hier wohnen soll. Es muss doch einen besondern Haken haben! —