Die ungetreue Jette

Eine sehr große, starke Figur, welche jetzt ziemlich verlebt und aus der Mode gekommen ist.

Auch sie begann — wie so unendlich viele Prostituierte — als Kind mit dem Hausierhandel mit Obst, Radieschen u. s. w. — weshalb sie auch in ihrer frühern Jugend „Radieserjette“ genannt wurde. Hierdurch kam sie mit Garçons in Berührung, ja suchte dieselben auf, weil sie das niedliche Mädchen gut bezahlten — und ward auf diese Weise frühzeitig defloriert und eine öffentliche Dirne. Jedoch trieb sie ihr Wesen weniger auf der Straße, als in den Tanzlokalen, wo sie in ihrer Blütenzeit viel Aufsehen erregte. Wegen der Unbeständigkeit in ihren Liebschaften erhielt sie den Namen „ungetreue Jette“, wird jedoch jetzt mehr „Kellerjette“ genannt, weil sie nach ihrem Abtreten vom Schauplatz der Prostitution eine Zeit lang einen Obstkeller gemietet hatte. Doch glaube ich, ist diese Derivation unrichtig, man nannte sie schon früher „Kellerjette“, ehe sie jenes Geschäft unternahm, und zwar deshalb, weil sie die Picknicks und Tanzvergnügungen in den Kellern der Viktualienhändler fleißig besuchte.


Vor etwa 12 Jahren — wo sie ihren Kulminationspunkt erreicht hatte — bestand in der Königsstraße, unweit der Königsmauer, ein bekannter Tanzboden, wo alle Wochen zwei Mal sogenannte Tanzstunde gehalten ward. Die Tanzstunde war aber Nebensache; denn die Teilnehmer kamen deshalb hin, — um sich zu prügeln. Namentlich fanden schon von alter Zeit her hier immer heftige Balgereien zwischen den Studenten und den sogenannten Philistern statt, welche häufig schon des Morgens auf der Universität usw. vorher angesagt wurden, und zuweilen sehr blutig endeten, ja, mitunter nicht bloß in dem Tanzlokal, sondern auch auf dem Hofe, auf der Straße und bis tief in die Königsmauer hinein spielten.

Bei jenen Tanzlustbarkeiten war Jette fast immer gegenwärtig und da sie wirklich eine Virago ist, hatte sie auch Nichts zu fürchten. Öfters erschien sie in Männerkleidern — vollkommen einem Manne ähnlich — und rauchte ihre Pfeife, — Zigarren waren damals noch nicht so allgemein üblich, als jetzt, — und trank ihren Spanischbittern, wie eine Mannsperson.

Ich finde, dass die Prostituierten einen eigenen Hang haben, sich in Männerkleidern zu zeigen, ja, ich habe diesen Hang auch bei andern Frauenzimmern bemerkt. So erinnere ich mich, wie vor zwei Jahren eines Abends auf der F......schen Halle zwei Dirnen, die L..v und die K.. e, als Herren gekleidet, mit Sporen und Reitgerten erschienen und eine ganze Weile für Masculina angesehen wurden. Aber kaum war das Genus entdeckt — dieser Spektakel! — so wollte man sich auch von der Richtigkeit der Entdeckung ad oculus überzeugen! Kurz, die Sache endete schlecht, die metamorphosierten Vestalinnen wurden — um das Ärgernis nur zu stillen — verhaftet und kamen in ihren Fracks und Inexpressibles in den Polizeiarrest, von wo sie — wenn ich nicht irre — zur Belohnung für ihren Heldenmut auf einige Monate dem Arbeitshause überwiesen wurden. Die Polizei ist jetzt strenger als vor 12 — 15 Jahren, wo Jette noch Mann spielte, denn daraus kann nie etwas Gutes werden, wenn die Weiber die Hosen haben! Hier bin ich Opponent gegen den alten Kaiser Napoleon, welcher 1815 gesagt haben soll: „Die Herzogin von A. ist die einzige Person ihres Hauses, welche verdient, Hosen zu tragen.“

Nachdem Jette nun in dieser Weise viele Jahre die Gefeierte auf den Tanzböden und in den Tanzkellern gewesen war, scheint sie jetzt Abschied vom Leben nehmen zu wollen. Sie erscheint nicht mehr öffentlich und soll eine Schneiderin geworden sein. Doch gibt es noch viele alte und junge Sünder, bei denen sie ein Stipendium genießt, und welche von ihrer herkulischen Gestalt und ihren muskulösen Formen sich begeistern lassen.

Fast scheint es, als ob ihr Schicksal besser sei, als das der übrigen ausgedienten Lustdirnen, da sie seit langen Jahren mit der Polizei Nichts zu tun gehabt hat.