Die geschiedene Frau des Sängers H........r
Das größte Unglück für ein Frauenzimmer ist: Körperschönheit ohne sittliche Bildung, besonders wenn sie mit einem leicht erregbaren Temperament verbunden ist. Dies lehrt das Beispiel der H... r, welche leider bestimmt ist, den Namen eines der ersten deutschen Sänger, eines wahrhaften Troubadours, der namentlich in Berlin noch im schönsten Andenken steht, hier fortzuführen. Es war die Blütenzeit H’s auf der Königstädtischen Bühne, als er vor etwa 14 Jahren jenes Weib heiratete, von der man vorher weiter nichts gewusst hatte, als dass sie schön und, was eine natürliche Folge ist, etwas kokett war. Sinnliche Liebe, ohne innere Grundsätze, bestimmte ihn: pekuniäre Vorteile und der Ruf ihres künftigen Gatten bewirkten, dass sie nicht „Nein“ sagte. So ward eine Ehe geschlossen, deren Prognostiken man im Anfange leicht stellen konnte. Nachdem der erste Physische Rausch vorüber war, fand H. seine junge Frau ganz anders, als er sie sich früher gedacht hatte. Ohne Geist, ohne Bildung, ja, ohne jene feinere Koketterie, welche Männer seines Standes vielleicht noch zu fesseln versteht, wenn die Liebe längst verraucht ist, — erschien sie ihm nur als ein totes Bild und wurde ihm zuletzt sogar unerträglich. Er vernachlässigte sie auffallend und ging seinen früheren Neigungen nach, denen er eben nicht gewohnt war einen Zügel anzulegen. Kaum hatte die junge Frau bemerkt, wie gleichgültig, ja wie zuwider sie ihrem Gatten geworden war, als sie auch beschloss, sich dafür schadlos zu halten. Es konnte ihr nicht fehlen, dass sie ihre Wünsche erreichte. Hierdurch wurden häusliche Szenen herbeigeführt, welche mit einer Scheidung endigten.
H. besaß kein Vermögen und war überdies kein Sparer. Er vermochte daher für die Folge Nichts für seine geschiedene Frau zu tun, obschon nach seinem uneigennützigen Charakter er hierzu gewiss bereit gewesen wäre. Was blieb ihr also übrig? Sie musste suchen, ihre körperlichen Reize gegen klingende Münze umzusetzen. Dies gelang ihr auch über alle Maßen gut und dauerte mehrere Jahre so fort, da sich ihre Schönheit außerordentlich konservierte. Ich erinnere mich noch, wie sie vor etwa 12 Jahren mit der altern R......V — einer jener drei, durch ihre Militärbekanntschaften berüchtigten Schwestern — die Hauptrolle im damaligen Kolosseum spielte, und von den nobelsten Herren wie von Schmetterlingen fortwährend umschwärmt war. Damals war kein Champagner fein genug, kein Stoff teuer genug für sie. Wie ändern sich die Zeiten!
Eine syphilitische Krankheit raubte ihr die Jugendschöne, welche ihr so lange eigen geblieben war. Sie kam aus der Mode und musste ihren Erwerb auf der Straße suchen. Jetzt trat der ärgste Verfall ein. Nachdem sie ein Quartier heimlich verlassen, um auf kurze Zeit in ein anderes zu ziehen, ward sie polizeilich denunziert und von der Behörde verfolgt. Ein alter Freund erbarmte sich ihrer und bewirkte, dass sie auf längere Zeit nach Außerhalb gehen konnte, wo sie weniger bekannt und daher eher durch Preisgebung ihren Unterhalt zu erwerben im Stande war. So hat sie mehrere Jahre in Hamburg u. s. w. zugebracht, bis es endlich auch dort nicht mehr ging und sie wieder nach Berlin zurückzukehren genötigt war. Jetzt ist sie alt und verlebt und wohnt bei der berüchtigten Winkelkupplerin H....r, wo sie als historische Reliquie noch manchmal Neugierige anlocken, im Grunde aber das Gnadenbrot essen soll. Vor einiger Zeit sah ich sie bei der H....r im Fenster liegen, ich habe mich entsetzt vor diesem totenähnlichen Gesicht, jenen erloschenen Augen und der durch lasterhafte Krankheiten verbleichten Hautfarbe. Wer hätte dies vermutet, als die damals Beneidete vor etwa 14 Jahren mit dem auf der Höhe seiner Kunst stehenden H., im bräutlichen Schmuck, umgeben von der eleganten Künstlerwelt der Hauptstadt, vor dem Altar der Georgenkirche stand!
H. besaß kein Vermögen und war überdies kein Sparer. Er vermochte daher für die Folge Nichts für seine geschiedene Frau zu tun, obschon nach seinem uneigennützigen Charakter er hierzu gewiss bereit gewesen wäre. Was blieb ihr also übrig? Sie musste suchen, ihre körperlichen Reize gegen klingende Münze umzusetzen. Dies gelang ihr auch über alle Maßen gut und dauerte mehrere Jahre so fort, da sich ihre Schönheit außerordentlich konservierte. Ich erinnere mich noch, wie sie vor etwa 12 Jahren mit der altern R......V — einer jener drei, durch ihre Militärbekanntschaften berüchtigten Schwestern — die Hauptrolle im damaligen Kolosseum spielte, und von den nobelsten Herren wie von Schmetterlingen fortwährend umschwärmt war. Damals war kein Champagner fein genug, kein Stoff teuer genug für sie. Wie ändern sich die Zeiten!
Eine syphilitische Krankheit raubte ihr die Jugendschöne, welche ihr so lange eigen geblieben war. Sie kam aus der Mode und musste ihren Erwerb auf der Straße suchen. Jetzt trat der ärgste Verfall ein. Nachdem sie ein Quartier heimlich verlassen, um auf kurze Zeit in ein anderes zu ziehen, ward sie polizeilich denunziert und von der Behörde verfolgt. Ein alter Freund erbarmte sich ihrer und bewirkte, dass sie auf längere Zeit nach Außerhalb gehen konnte, wo sie weniger bekannt und daher eher durch Preisgebung ihren Unterhalt zu erwerben im Stande war. So hat sie mehrere Jahre in Hamburg u. s. w. zugebracht, bis es endlich auch dort nicht mehr ging und sie wieder nach Berlin zurückzukehren genötigt war. Jetzt ist sie alt und verlebt und wohnt bei der berüchtigten Winkelkupplerin H....r, wo sie als historische Reliquie noch manchmal Neugierige anlocken, im Grunde aber das Gnadenbrot essen soll. Vor einiger Zeit sah ich sie bei der H....r im Fenster liegen, ich habe mich entsetzt vor diesem totenähnlichen Gesicht, jenen erloschenen Augen und der durch lasterhafte Krankheiten verbleichten Hautfarbe. Wer hätte dies vermutet, als die damals Beneidete vor etwa 14 Jahren mit dem auf der Höhe seiner Kunst stehenden H., im bräutlichen Schmuck, umgeben von der eleganten Künstlerwelt der Hauptstadt, vor dem Altar der Georgenkirche stand!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der sittliche Zustand von Berlin nach Aufhebung der geduldeten Prostitution des weiblichen Geschlechts