Die dicke Jeannette

Vor etwa 25 Jahren ging ein junges Mädchen mit Äpfeln und dergleichen hier hausieren und besuchte namentlich einzelne junge Herren, welche gern von der Kleinen kauften und ihr Geschenke machten, weil sie mehr als zuvorkommend war und sich durch ein hübsches Gesicht und eine schlanke Figur auszeichnete. Jenes Äpfelmädchen hat sich in der Folge als eine Priesterin der Prostitution sehr bekannt gemacht und huldigt noch heut — nach einem Vierteljahrhundert — diesem Gewerbe, obschon ihr heutiges Embonpoint, welches sie zu einem Riesenexemplar der weiblichen Schöpfung stempelt, zu der frühern jugendlichen Gestalt in keinem andern Verhältnis steht, als ein Riesenteleskop zu einem Operngucker.

Nachdem sie — die wir Jeannette nennen wollen — also den Hausierhandel, wie so viele Andere, als Deckmantel der Prostitution lange genug getrieben hatte, ging sie nach Hamburg, wo sie von einem Kaufmann unterhalten ward, jedoch den polizeilichen Ausweisungsbefehl erhielt, sobald die Frau des Kaufmanns das Verhältnis gemerkt und davon bei dem Senat Anzeige gemacht hatte. In Berlin trieb sie sich nun verschiedentlich in Kneipen herum oder ward von Zeit zu Zeit ausgehalten, bis sie zuletzt einen Pinsel von Fuhrmann so betörte, dass derselbe sie zu heiraten beschloss. Die Heirat ging vor sich und Jeannette ward Madame und eine ansehnliche Fuhrmannsfrau. Jetzt trieb sie es noch ärger als vorher, da die Polizei der Frau eines Bürgers weit weniger gefährlich ist, als einer ledigen Lohndirne. Sie machte mit ihrem Gelichter — und schlechte Bekanntschaften hat sie immer im vollen Maße gehabt — Ausflüge und Landpartien, die ihr Ehemann bezahlen und dabei den Kutscher spielen musste, ohne dass Madame sich im Entferntesten genierte oder ihn je anders, als ihren Hausknecht behandelte. Er war, wie gesagt, ein Tropf, deshalb vergeudete er sein Geld mit ihr und ging zuletzt Schulden halber in alle Welt — man sagt, nach Nordamerika, — worauf sich seine Frau wegen böslicher Verlassung von ihm trennen ließ.


Der Geschmack an großen Landpartien, Geburtsfesten u. s. w. ist der Jeannette geblieben. So war es, wie schon erwähnt, eine solche Gelegenheit, bei welcher sie sich jedes Mal sehr ausschweifend beträgt, in Moabit, wo sie die Blumencaroline verlobte. Auch hat sie neuerdings in einem berüchtigten Lokale vor einem Tore ihren Geburtstag gefeiert, wozu an 150 Prostituierte und deren Anhang eingeladen gewesen sind und wobei man bis des andern Morgens 7 Uhr sich allen Ausschweifungen ergeben hat. Dieses Fest — wenn auch nur durch Kümmel und Weißbier gewürzt — soll ihr dennoch mit Musik, Dekoration u. s. w. über 150 Thlr. gekostet haben, worüber man sich nicht wundern darf, da sie von jeher verschuldet gewesen ist, denn sie ist leichtsinnig und schätzt das Geld nicht, daher ist es selten, dass eine Prostituierte oder ein Gestrafter aus ihrer Bekanntschaft zum Arrest kommt, ohne dass sie sich nicht bestrebt, ihm Esswaren, Tabak u. s. w. zukommen zu lassen.

Sie soll in Dessau einen alten Liebhaber haben, zu dem sie jährlich einige Male hinreist und welcher sie sehr ansehnlich honoriert. Zur Zeit lebt sie mit einem Gewerbsmann zusammen, den sie ihren Bräutigam nennt, dabei aber die Prostitution — jedoch nur in ihrer Behausung — fortsetzt.

Als Kupplerin ist sie nicht bekannt, dagegen hat sie mit der strafenden Justiz einmal eine unangenehme Bekanntschaft gemacht, als sie nämlich einen ihr versiegelten Sekretär — welchen der Exekutor abholen wollte — vor seinen Augen mit einem Beil in Stücke zerschlug und den vor der Heroine erschrockenen Mann des Gerichts selbst tätlich insultierte.

Bemerken will ich noch, dass man sie nicht zu verwechseln hat mit einer weit jüngeren und kleinen Jeannette, die von früh an, durch zwei Studenten verführt, dieselbe Bahn eingeschlagen hat, wie die oben beschriebene. Jene kleine Jeannette wird auch „der Stallmeister“ genannt, da sie bei einer Reiterbande eine Zeit lang zu Vorstellungen verwendet ward, und ist häufig in Buden auf dem Markt, in Ausstellungen und den Ateliers der Künstler zu finden, von denen sie, wie zwei ältere Schwestern, als Modellsteherin benutzt wird, — übrigens eine Art der Nutznießung von ihrem Körper, zu welcher sich nur gemeine Dirnen hergeben, oder welche unwissende Geschöpfe zuletzt sicher zur Prostitution führt.