Die Wittwe G.... l und ihre Tochter Auguste

Wenn ich die Wittwe G. in den Reiben der Prostituierten mit einem kurzen Hinblick auf ihr Treiben auftreten lasse, so geschieht es, obschon sie kürzlich an einem organischen Herzleiden in der Charite verstorben ist, doch nur deshalb, weil

1) ihre Tochter Auguste noch lebt und sich Männern der schlechtesten Klasse — den Dieben — preisgibt,


2) um einen Beleg mehr für die tiefgesunkene Sittlichkeit zu geben, welche in den niedrigen Klassen nicht einmal jener Hülle zu bedürfen vermeint, welche die gebildeteren Stände als Deckmantel um ihre Ausschweifungen zu hängen pflegen.

Die Wittwe G. — wenn schon äußerst vernachlässigt von Mutter Natur — trieb sich von Jugend auf mit liederlichem Gesindel umher und ward, kaum 15 Jahre alt und noch nicht konfirmiert, beschwängert. Möglich, dass diese frühe Geburt die körperliche Entwickelung bei ihr gehemmt und gehindert, und Veranlassung zu jenem siechen Wesen gegeben hat, welches bewirkte, dass man sie im dreißigsten Jahre für eine angehende Fünfzigerin hielt.

Die Erziehung ihres Kindes vernachlässigte sie sehr, da sie von jeher diebischen Verkehr unterhielt und oft 3 — 4 Subjekte heimlich in ihrer Wohnung beherbergte, welche den Lebensunterhalt schaffen mussten und deren Zuhälterin sie dafür war. Endlich lebte sie kurze Zeit mit einem solchen Kerl im Konkubinat, — ob die spätere Trauung erfolgte, weiß ich nicht, jedoch nannte sie sich, als er im Delirium schleunigst gestorben war, Witwe. Auch ihre Tochter erbte den Namen des angeblichen Ehemannes. Ich bemerke, dass es bei dieser niedern Klasse sehr gewöhnlich ist, dass die außer der Ehe erzeugten Kinder drei Namen führen, den der Mutter, ihres angeblichen Schwängerers und des späteren Ehemannes derselben, wenn es ihr nämlich gelingt, einen solchen zu finden, der sich dann in der Regel sehr wenig daraus macht, ob der vorher gezeugte wilde Sprössling seinen oder einen andern Namen anzunehmen für gut hält. Erbrechte werden hierdurch doch nicht verletzt, da alle Teile Nichts hinterlassen, und das Arbeitshaus, die Charite oder die Strafanstalt die Retirade für die spätern Jahre sind.

Auguste hatte also von Jugend auf das schlechteste Beispiel vor Augen, und da ihre Mutter sich nicht schämte, in der kleinen, engen Stube, oder in dem feuchten Keller, wo sie zu wohnen genöthigt war, in Gegenwart der Tochter sich ihren Zuhältern preiszugeben, so ward die Letztere auch früh gegen sittliche Gefühle abgestumpft und trieb bald mit der Mutter gemeinschaftlich, in derselben armseligen Wohnstube oder Kammer, ihr unzüchtiges Wesen.

Der Verkehr der G. mit Dieben aller Art, die entstehenden Feindseligkeiten zwischen ihr und diesen, oder der Neid, wenn dieselben ihren Erwerb mit andern Dirnen durchbrachen, führte die G. zu Verbindungen mit der Polizei, sie vigilierte und denunzierte, und ward von Denen, die sie angeschwärzt hatte, natürlich ebenfalls wieder verraten, und so kam sie zu Arrest, Untersuchungen und Strafen.

In den letzten Jahren ihres Lebens hielt sie und ihre Tochter es mit dem eigentlich schmutzigsten Teil der Verbrecherwelt. Namentlich war es der als ein gemeiner Dieb bekannte Zimmergeselle S., mit welchem sie zu Zeiten im Konkubinat lebte, welches die Revierpolizei oft, aber vergebens, zu hindern suchte, da er sich zum Schein als Aftermieter der G. oder in einer fremden Wohnung anmeldete und doch bei ihr als Kostgänger verblieb. Nachdem sie es mit diesem verdorben hatte, weil sie nebenbei noch mehrere schlechte Bekanntschaften fortsetzte, wurden endlich drei fast noch unreife Burschen, die bereits Diebstahlsstrafen erlitten hatten, ihre heimlichen Schlafburschen. Dies waren der aus der Lehre entlaufene H. aus Charlottenburg, ein Tagedieb Namens Go. und der Goldplätter B., mit welchem sie gemeinschaftlich auf Vigilanz ausging und einige Groschen durch Anzeige von wahren oder unwahren Verbrechen und deren Tätern zu verdienen suchte. Die Polizei sah ein, dass jene drei männlichen Subjekte mehr Schaden als Nutzen stifteten, und steckte sie ein. Beiläufig gesagt, war der Goldplätter B. schon früher als Denunziant gegen die G. aufgetreten und hatte im Polizeiverhör sich wechselseitig mit ihr in das Gesicht gespieen.

Es ist derselbe, der später, als angeblicher Anzünder des Opernhauses, die Rolle des modernen Herostratus spielen wollte, und nach einer langen Untersuchung mit vorläufiger Freisprechung und 20 Hieben für seine Lügen entlassen ward. Das Motiv jener von ihm mehrfach widerrufenen und wiederholten Selbstanklage ist sehr einfach. Als Vigilant hatte er im Polizeiarrest von seinen Mitgefangenen barbarische Schläge bekommen. Diese abermals erwartend und vor dem Arbeitshause deshalb noch mehr besorgt, sah er sich genötigt — da ihm bei gänzlichem Mangel an Kleidung, Nahrung und Obdach keine Wahl, als die freiwillige Meldung zum Arrest übrig blieb, — auf eine Finte zu sinnen, um nach dem Kriminalarrest zu kommen, wo ungleich weniger Angeklagte in einer Gefängnisnummer sitzen und wo er bessere Kost, einen Strohsack und eine warme Decke erhielt, welcher Vergünstigung die Polizeiarrestaten, die auf der Diele nächtigen müssen, entbehren. Obschon nach seiner Entlassung ein hochgestellter und hochachtbarer Mann sich für ein gutes Unterkommen für B. verwendete, so hielt derselbe bei seinem eingewurzelten Hange zur Liederlichkeit dennoch darin nicht aus und ist zur Zeit wieder wegen eines Diebstahls in Haft. Was die beiden andern Liebhaber der Witwe G. und ihrer Tochter betrifft, so ist W. im Strafarrest und Go. hat sich im Gefängnis neulich erhängt.

Die G. hatte bald neue Liebhaber, einen Schneidergesellen H. und einen Arbeiter S. Mit ihnen trieb sie ihr Wesen so lange, bis der Seidenwirkergeselle B., den sie fälschlich denunziert hatte, gegen ihre und ihrer Tochter Zuhälter einen gewaltsamen Diebstahl zur Anzeige brachte, in Folge dessen die Täter, so wie die G. und ihre Tochter, als Mitwisser eingezogen wurden. Nachdem sie längere Zeit im Kriminalarrest gesessen, ward sie mit ihrer Tochter zwar wieder freigelassen, weil ein Straferkenntnis gegen Beide nicht begründet erschien, indessen hatte die lange Haft ihre Krankheit zur Reife gebracht, welcher sie unterlegen ist. Die Tochter treibt sich, wie vorher, auf den Straßen umher.