Die Schwestern Alwine und Marie

Wenn Du, geneigter Leser, zwei große, schlanke, blonde Damen, von unverkennbarer Ähnlichkeit, mit reichem Putz, goldenen Ketten, phantastischen Schleiern u. s. w. überhangen, zuweilen die R...straße oder G.........straße promenieren siehst, dann halte sie nicht für das, was sie scheinen, ein Paar sittenstolze, kalte Schönen, — nein! es sind Töchter der Freude — die kalte Ruhe, der strenge Blick ist studiert, ist nur Maske, und wenn ich auch nicht behaupten will, dass jene Schwestern zu der bisher besprochenen schlechten Sorte der öffentlichen Frauenzimmer gehören, so sind sie doch nichts mehr und nichts weniger, als Priesterinnen der Prostitution, da sie ausschließlich von dem Verkauf ihrer Gunstbezeigungen subsistieren. Sie sind von anständigem Herkommen, aber durch frühzeitige Selbstständigkeit, verwahrloste Erziehung und durch die Macht der in ihrer Umgebung befindlich gewesenen bösen Beispiele von Jugend an auf den Erwerb ihres Körpers angewiesen worden. Der Menschenfreund bedauert namentlich die jüngere der Schwestern, welche, einem bessern natürlichen Gefühl folgend, die Rücksicht für den öffentlichen Anstand und die öffentliche Sitte auch da nicht vergessen, wo sie sonst in der Regel aufhört, — ich meine in jenen Tanzlokalen der feinern Phrynen, welche an die Stelle der im Jahre 1840 aufgehobenen Bordelle der ersten Klasse getreten sind. Wegen dieser Anständigkeit sind daher jene Schwestern, welche nebenbei fleißig arbeiten, auch vor der Polizei geschützt, und haben einen gewählteren Umgang, ja die ältere soll sogar einem Liebhaber, aus reiner Anhänglichkeit, nach Stettin gefolgt sein. Das will ich übrigens ununtersucht lassen, denn der Grundsatz aller Prostituierten ohne Unterschied ist: Geld; wie Horaz in der ersten Epistel ausruft:

— „quaerenda pecunia primus est,
Virtus post nummos.”


Die Liebe nach dem Gelde. Jetzt hat Alwine einen alten, reichen Rentier — (in Berlin gibt es nämlich Viele, die sich Rentier schimpfen lassen, ohne auch nur einen Thaler Rente zu besitzen) — im Netz, bei welchem sie täglich Visite abstatten muss. Ich dächte, der alte Herr täte wohl daran, sich etwas zu genieren, da er sich vor den im gegenüber belegenen Laden dispensierenden jungen Mädchen sehr lächerlich gemacht hat und ausgelacht wird. Dagegen hat Marie einen jungen Anbeter, welcher sie förmlich entretenieren soll und sogar zu heiraten versprochen hat. Auch Alwine hat sich einen Militär angeschafft, den sie ebenfalls für ihren Bräutigam ausgibt. Ich habe schon Gelegenheit gehabt, zu bemerken, was dieses Wort jetzt in Berlin bedeutet. Diese Gebrauchsweise war unsern Vorfahren fremd, und „Braut und Bräutigam“ für sie ehrwürdige, ja heilige Begriffe. Was soll man von den sittlichen Ansichten einer Zeit, von der Achtung des Ehebündnisses noch halten, wenn der Ehrentitel eines Verlobten dem augenblicklichen Liebhaber einer prostituierten Dirne erteilt wird, ohne dass man sich darüber nur wundert!