Die Minna von Spandau, eine ganz gewöhnliche Geschichte, wie sie alle Tage vorkommt

Eine Tochter armer Eltern zog vor einigen Jahren von Spandau nach Berlin in einen Dienst. Da sie wohlgestaltet war und zu den Männern viele Zuneigung besaß, so fand sich bald ein Liebhaber zu ihr, welchen sie gelegentlich mit einem andern vertauschte und so fort, wie es in Berlin üblich ist. Alle vierzehn Tage haben die Dienstmädchen Sonntag, d. h. sie können Nachmittags ausgehen, wohin sie wollen und mit wem sie wollen, und können dabei tun, was sie wollen, wenn sie nur am Montage früh pünktlich wieder in der Küche und am Feuerherde sind.

Diese sog. Sonntage bringen sie im Sommer in dem Etablissement Moabit, dem gelobten Lande und Köchinnenvergnügen der Berliner zu, wohin sie mit ihren Grenadieren, Füsilieren, Kürassieren u. s. w., oder mit ihrem Breslauer, Danziger, Stettiner Schneider, Schlosser etc. auf Gondeln (à 1 1/2 Sgr. pro Person) unter Leierkastenbegleitung hin- und zurückfahren, tanzen, schaukeln, Karussell reiten, oder Gott Amor und Gänsedieb spielen, und am späten Abende, trunken von Liebe und Weißbier, durch die dunkeln Gänge des Tiergartens nach der Stadt zurückkehren. Im Winter sind sie dagegen lediglich auf die Tanzkneipen in und dicht vor der Stadt angewiesen.


Wie ich bereits gesagt habe, kümmern sich die Herrschaften — wenn nicht vielleicht mancher Hausherr spezielle Gründe zur Eifersucht hat — in der Regel nicht um die menus plaisirs ihrer Dienstmädchen außer dem Hause, wenn dieselben nur am Montage früh wieder pünktlich bei der Arbeit sind. Gewöhnlich dauern aber die sog. Sonntagsvergnügungen länger, als der Nachtwächter das Haus offen lässt, und da Dienstboten keinen Schlüssel dazu führen, so sind die am Spätabende heimkehrenden dienenden Frauenzimmer natürlich oft genötigt, bis zur nächsten Morgenfrühe entweder bei einer Bekannten, oder gar bei einem Bekannten zu bleiben, wo man sich dann noch in der Regel restauriert und so gut amüsiert, als man kann.

Dieses vorausgeschickt, wird es Niemand auffallend finden, dass unsere obengedachte Spandauerin auch manches Mal die auf ihren Sonntag folgende Nacht bei ihren Bekannten zu verleben genötigt war. Hieraus entstand aber eine schlimme Folge: sie wurde guter Hoffnung, und musste ihren Dienst endlich aufgeben, — wo Herr und Frau gleichmäßig mit ihr zufrieden gewesen waren, — um sich in der Charite entbinden zu lassen. Glücklicher Weise starb das Kind bald nach der Geburt. Nun trat sie zwar wieder in Dienst, indessen, sie hatte einmal von dem Baume der Erkenntnis genossen, daher war alle vierzehn Tage ein Sonntag für sie zu wenig. Sie ging in Schlafstelle, und machte es, wie andere ihrer Mitgeschöpfe, — durch ein vorteilhaftes Äußere begünstigt, — sie wurde eine Dienerin der Prostitution. Das dauerte aber nicht lange, die Polizei griff sie auf und schickte sie mit Zwangspass nach Spandau. Da sie nicht Folge leistete, ward sie arretiert und auf sechs Wochen in das Arbeitshaus gebracht. Jetzt war guter Rat teuer. Nach Hause durfte sie nicht kommen und in Berlin nicht bleiben. Sie machte es daher endlich, wie es Alle in solchen Fällen tun, — sie sah sich nach einem hier angehörigen Manne um, mit welchem der Ehestand ihr keine lästigen Verpflichtungen auflegte. Wer sucht, der findet. Ein hoher Sechziger reichte der vielleicht einige 20 Jahre alten Braut die Hand am Altare und gab ihr den Titel „Madame“ und das hiesige Domicil. Bald nach der Trauung musste er wegen Lähmung der Füße nach der Charite gebracht werden, wo er schon lange seine Auflösung erwartet. »

Die „Madame“ etablierte sich jetzt als Fabrikantin von Herrengarderobegegenständen und hatte daher Gelegenheit, viel besucht zu werden. In der ersten Zeit waren es zwei Studiosen, die ihr Geld mit ihr durchbrachten, ein Mediziner und ein Theologe, Beide riefen aber die Verhältnisse nach einigen Jahren zu ihrem Glück wieder in ihre Heimat und sie begann jetzt, wie sie noch heut tut, ihre Geschäfte auf die Straße zu verlegen. So erblicken wir sie, wie hundert Andere, jeden Abend in der Königsstraße, wo sie Männer anlockt und nach ihrer nahe gelegenen Wohnung geleitet.

Man sollte nicht glauben, was ein solcher Sonntag eines Dienstmädchens für merkwürdige Folgen haben kann! Ob wohl die Herrschaften hierbei nicht Etwas tun könnten?! —

Eine gewisse Sparsamkeit, Ordnungsliebe, und — wenn ich so sagen darf — ein gewisses Ehrgefühl ist unserer Minna noch geblieben, welches sie vor andern Prostituierten rühmlich auszeichnet. Daher ist sie ohne Schulden — welche Seltenheit bei einer Prostituierten! denn laufende Rechnungen zähle ich nicht zu den Schulden, — und hat eine gut eingerichtete Wirtschaft. Auch arbeitet sie fleißig — wenn nicht Männerbesuch kommt, denn dieser, als Hauptgeschäft, geht der Arbeit vor.

Neulichst hat sie sich ein Mal vergessen und dafür auch ihre Strafe bekommen. Einen Stock über ihr wohnt eine Kollegin, die verehelichte H.... Diese lockt einen Herrn an, welcher sich auch anschickt, zu der Invitantin herauf zu gehen. Kaum bemerkt dies unsere Minna, — denn brotneidisch sind alle Prostituierte gegen einander, — als sie auch dem Ankömmling entgegen geht und für sich in Beschlag nimmt, ehe die H.... die Treppe hinunter kommen kann. Für diesen Eingriff in fremde Rechte musste sie aber schwer büßen. Der fremde Herr war ein Dieb, welcher, nach Beendigung des zärtlichen Rendezvous, der Minna eine goldene Uhr mit dergleichen Kette — an Wert von 25 Thlr. Gold — heimlich mit fortnahm, welche sie für ihren speziellen Liebhaber, oder „Bräutigam“, wie sie es nennt, auf Abzahlung gekauft und worauf sie noch 17 Thlr. zu entrichten hat. Der Herr hat sich so wenig als die Uhr wieder sehen lassen. Dass die H .... darüber frohlockt hat, ist gewiss. Die Minna aber wird sich wohl die Sache ad notam nehmen! —