Camilla, die Markgräfin

Diese berühmte und auch außerhalb Berlins sehr bekannte Phryne ist eine geborene Hamburgerin und zur Zeit 36 bis 38 Jahre alt.

Über ihre frühere Jugend, vor ihrem Auftreten in Berlin, verlautet nicht viel und sie hat sich wohlweislich auch nie darüber mehr ausgesprochen, als es unumgänglich nötig war. Doch scheint ihr Jugendleben nicht viel Tröstliches zu enthalten, denn wir finden, dass sie vor etwa zwölf Jahren in einem Hamburger Bordell inskribiert war. Dort machte sie die Bekanntschaft eines hiesigen Spediteurs, eines Menschenverkäufers, welcher sie hierher beförderte und in das Bordell Königsmauer Trent-six brachte. Es gab nämlich zur Zeit des Bestehens der öffentlichen Häuser eine Menge Leute, namentlich Frauen, welche ein Gewerbe daraus machten, nicht bloß hier, sondern auch von und nach auswärtigen Bordellen den Umzug der Prostituierten zu bewirken und hindurch den Besuchern jener Anstalten die nötige Abwechselung zu verschaffen. Dies sehr lukrative Geschäft ist jetzt allerdings zum größten Teil eingegangen; indessen gibt es immer noch einige Frauenzimmer, welche, namentlich für Hamburg, in Berlin anwerben und zuweilen ganze Wagen voll feiler Geschöpfe dahin absenden. Ich brauche nur an die schottische Marie und die zur Zeit eine Strafe im hiesigen Kriminalgefängnis verbüßende unverehelichte R. zu erinnern.


In Trent-six machte Camilla, durch stattliche Körperformen und ein interessantes Gesicht sich hervorhebend, gute Geschäfte, und war mehrere Jahre hindurch der Magnet jenes mit oftmals mehr als 25 Lustdirnen bevölkerten Lokals, bis sie sich endlich entschloss, sich auf eigene Hand, als Privatdozentin, zu besetzen. Sie zog nach der Markgrafenstraße, in das von langer Zeit her hierzu eingerichtete Haus, wo sie, wie alle ihre Vorgängerinnen, den Namen „die Markgräfin“ führte und schweres Geld verdiente. Man muss gestehen, dass ihre Einrichtung glänzend zu nennen war, ja sie hatte, wie ich bereits bemerkt habe, statt der gewöhnlichen Astrallampe sich eine besondere Gasbeleuchtung angelegt. Hier wohnte sie mehrere Jahre, bis endlich ihre lange konservierten Reize verblühten und sie daran denken musste, der bisherigen Carriere zu entsagen und für die Zukunft sich einen sichern Herd zu gründen.

In dieser Zeit — Herbst 1843 — passierte ihr ein in Berlin sehr gewöhnlicher Betrug. Ein bestrafter Dieb, der Handlungsdiener P., hatte mit einem gleichgesinnten Subjekt sich bei mehreren öffentlichen Frauenzimmern, als bei der Camilla, der Jenny N., der E., für Abgeordnete des Kriminalgerichts ausgegeben, in dieser vorgespiegelten Qualität Haussuchung gehalten und dabei die Pretiosen jener Dirnen in Beschlag genommen und sich entfernt. Die Betrüger wurden entdeckt und rekognosziert, doch gelang es erst ein halbes Jahr nachher, die versetzten Pretiosen zu ermitteln und den betrübten Eigentümerinnen zurückzugeben. Es kommt in Berlin gar zu oft vor, dass entweder in betrügerischer Absicht, oder bloß um zu renommieren, Personen sich amtliche (namentlich polizeiliche) Charaktere anmaßen, weshalb ich außer den vorgedachten nur an den sogenannten Zimmerkarl, an K.... r, Eduard Br. und an den Schlossergesellen B. erinnern will, welche vorzugsweise auf solches Vorgeben hin Gelder erschwindeln, ja hatte sich doch einmal ein betrunkener Schuster für den Polizeidirektor Duncker ausgegeben und als solcher dem Nachtwächter anbefohlen, ihn nach Hause zu bringen und die Haustüre aufzuschließen.

Um nun zur Hauptsache zurückzukommen: Camilla entschloss sich zu heiraten, und verehelichte sich auch wirklich mit einem Maler, welcher sich bei ihr einzuschmeicheln gewusst hatte und glaubte, sich von seiner Frau ernähren lassen zu können, wie so viele Männer, selbst Leute, die Geschäfte mit drei, vier Gesellen treiben, hauptsächlich von der Prostitution ihrer Eheweiber leben. Dieser Schandfleck trifft Berlins Bewohner mehr, als die Bevölkerung jeder andern deutschen Stadt.

So lange die Ersparnisse der Camilla ausreichten, etwa ein und ein halbes Jahr, ging der Ehestand gut. Nachher aber machte ihr Mann Schulden, prügelte seine Frau, und kam zuletzt auf längere Zeit zum Schuldarrest. Durch die Exekutionen gegen denselben wurden die Möbeln und eleganten Kleider der Camilla öfters mit versiegelt, und sie beschloss daher, um ihr Eigentum in Sicherheit zu bringen, sich von ihrem Ehemann zu trennen. Um nun aber auch leben zu können, bezog sie das alte Quartier in der Markgrafenstraße wieder, und treibt nach wie vor das Gewerbe der Prostitution, allerdings jetzt heimlich und wenig besucht, denn sie hat sehr gealtert und kaum sind noch die schwachen Spuren der ehemaligen Schönheit zu erkennen.

Neulichst fuhr sie mit einer andern Prostituierten Corso im Tiergarten, doch vermochte die verschwenderisch angebrachte Schminke nicht die Blicke der Männerwelt, wie ehemals, auf sie zu lenken. Hiernach scheint ihr Geschick für die Folge ein trübes zu werden.