Anhang. *)

Zwar war es meine Absicht, mit dem vorstehenden Kapitel „über die Diebesdirnen“ meine Darstellung abzuschließen, und dem Kenner der Welt und der Lebensverhältnisse das Urteil über die Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigst der Aufhebung der tolerierten Prostitution und des Einflusses der hier ergriffenen Maßregel auf den sittlichen Zustand der Residenz zu überlassen, treu meinem Thema, nur andeutend zu verfahren und materielle Prämissen zu liefern; allein, bestimmt durch einen noch nicht beendeten Artikel im Juni- und Juliheft des „Publizisten“, über die Prostitution in Potsdam, einer Stadt von nur 40.000 Einwohnern, wo der Verfasser, ein geistreicher praktischer Arzt, sich für die Duldung der Preisgebung gegen Lohn in gewissen Schranken ausspricht, fühle ich mich bewogen, das Schreiben eines weitgereisten und viel erfahrenen Provinzialen, über die Sittlichkeit in Berlin, welches mir zufällig von freundlicher Hand zugekommen ist, hier noch teilweise mitzuteilen, weil so manche Idee darin mit den von mir angedeuteten übereinstimmend ist.

*) Bei dieser Gelegenheit bemerke ich, dass, nachdem vorstehende Blätter schon beendet und dem Druck übergeben waren, mir gelegentlich und von einer andern, als einer polizeilichen Amtsstelle, eröffnet worden ist, dass das Buch: „die Prostitution und ihre Opfer“ nicht im amtlichen Auftrage verfasst worden sei, dass man dem Autor keine amtlichen Quellen (?) suppeditiert, vielmehr die Polizeibehörde zu Berlin entschieden eine solche Zumutung zurückgewiesen habe. Der Ehre der Wahrheit und der Rücksicht auf eine Staatsbehörde bin ich diese Erklärung schuldig, ohne dieselbe nach einer oder der andern Seite hin zu kommentieren.


Derselbe spricht sich darin über Berlin in folgender Art aus, zwar nicht im Wege der wissenschaftlichen Abhandlung, sondern nur im hingeworfenen Epistolarstyl:

„Mein teurer Freund!
Obwohl ich jetzt erst vier Wochen in der preußischen Residenz, welche man so gern das Palmyra des Nordens nennt, lebe, habe ich doch mehr gesehen, mehr erfahren, als Mancher, der darin vielleicht 80 Jahre alt geworden und nie aus dem regelmäßigen Gleise der Spießbürgerlichkeit herausgekommen ist. Ja, äußerlich ist Berlin eine Weltstadt, die nach Süd und West ihre riesigen Polypenarme ausstreckt. Nur erst herunter mit der alten Stadtmauer, die für unsere Zeit zu enge und zu einengend geworden ist, mit ihren Akzise-Hebestellen und Visitatoren, welche mit langen eisernen Stangen die Wagen der Reisenden durchsuchen, nach Brot, Mehl, Fleisch und ähnlichen Konsumtibilien, und ich weiß nicht, was jene Stadt alles für Landstrecken noch verschlingen wird. Denke Dir, bester Freund, nach drei Himmelsgegenden vier Eisenbahnen, die hier münden, nach Pommern und der Ostsee, nach Anhalt und Sachsen, nach Schlesien, nach Potsdam und noch eine fünfte nach den Hansestädten, und Du wirst einen Begriff bekommen von der Konkurrenz der Fremden. Dann die großen, schönen, langen Straßen, welche, wie man mir sagte, „eine in dem märkischen Sand versteinerte Kabinettsorder darstellen, das rege Leben, Treiben und Fahren, und man müsste wähnen, es herrsche hier nur Wohlstand und Wohlleben. Der Berliner liebt das Vergnügen, darum ist kein Mangel an Vergnügungen, — etwa die langweiligen Tiergarten-Sand-Corsos oder die sogenannten feinen Gesellschaften abgerechnet, — und doch ist der ewig wirbelnde Staub ähnlich dem der ägyptischen Wüste, und die schmutzigen Kloaken der Altstadt von den Nebeln, an welchen Berlin welkt, nur das kleinste.

Zwei Dinge sind es, die hier fürchterliche Fortschritte machen, und den Beobachter mit Trauer erfüllen, es sind dies — das Proletariat und die Prostitution.*) Wenn man hinausgeht aus dem Torkreise oder in die innere Umgebung desselben, vom Hamburger bis zum Schleichen oder Dresdener Tore, welches Physische und sittliche Elend findet man da in den Hütten der Armut, namentlich in den Familienhäusern, über welche Bettina von Arnim bekanntlich ein Buch geschrieben und es dem Könige gewidmet hat. Bleiche Weiber, zerlumpte Kinder, Männer, deren Gesichter von Trunk oder Verbrechen zeugen, Keller und Spelunken, wo mehrere Familien und ihre Einlieger auf Stroh schlafen, in faulen Dünsten, nur gestärkt durch die Schnapsflasche, ohne Verdienst und zu erschlafft, um noch verdienen zu können, rohe junge Bursche und verwilderte Mädchen, Alle zusammengedrängt in jene elenden Winkel, — was kann die Menschheit von Euch erwarten! Ich will Dich nicht vom Elende unterhalten, Du hast es ja besser und näher in den größten Städten Europas gesehen, aber über einen Punkt, der hierin seine Wurzel hat, muss ich mich deutlicher aussprechen, wenn ich auch nicht sage, dass Armut allein hierzu die Veranlassung ist, sondern vielmehr behaupten muss, dass sittliche Verwahrlosung hierzu den Hauptimpuls gegeben hat. **) Dies ist die in Berlin in einem ungeheuere Grade verbreitete Unsittlichkeit in Rücksicht der geschlechtlichen Verhältnisse. Ich will darüber nicht im Allgemeinen philosophieren, ich will Dir bloß erzählen, was Freunde T. und S., deren ärztlicher Beruf sie mit den Entarteten des weiblichen Geschlechts in nähere Verbindung geführt hat, mich sehen gelassen haben. Zuerst von den Koketten der guten Gesellschaft, den Damen der Offiziere und Kavaliere.

*) Mein Herr, dieser Begriffsbestimmung trete ich nicht bei! Anm. des Verf.
**) Dies habe ich auch nie bestritten, nur beide Motiven parallelisiert. Anm. des Verf.


Berlin hat ein prächtig gebautes Opernhaus, in den äußern Umrissen dasselbe, wie es der zweite Friedrich dem „Apollo und den Musen“ gewidmet hat, innerlich brillant, aber überladen, ängstlich und erstickend, und bei weitem nicht so frei und zugig, wie das alte Opernhaus war. Das Opernhaus ist die Reunion der vornehmen Welt; also sollte man auf den ersten Plätzen desselben, z. B. Balkon, erstem Rang, Parquet, Parquetlogen u. s. w. auch nur anständige und gebildete Leute erwarten. Darin täuscht man sich gewaltig. An einem schönen Abende war Norma angesetzt und Jenny Lind, die schwedische Nachtigall, — wie keine seit der Sonntag Zeit geschlagen, und von deren hoher Sittlichkeit, frommer Kindlichkeit, Gesangstiefe und innerster Innerlichkeit die Berliner wie besessen waren, — also jener zauberische Engel sang die Titelrolle. Natürlich war ich mit meinen Freunden, deren Güte mir ein Bittet, obschon mit großen Aufopferungen verschafft hatte, im Theater. Ich muss Dir sagen, dass mit dem Billetverkauf ein großer Missbrauch getrieben wird: Spekulanten, welche die Billets später um das 5 — 10fache des Preises verkaufen, Dienstboten u. s. w. prügeln sich bei Eröffnung der Tageskasse herum, bei welcher häufig für die gewünschte Vorstellung, wenigstens zu den bessern Plätzen, kein Billet mehr zu haben ist, weil alle schon schriftlich vergeben sind. Daher ward auch der ewige Jude getäuscht, als er vom Lindenthusiasmus gehört hatte und nach Berlin kam, um sich bei der Eröffnung der Theaterkasse totdrücken oder totschlagen zu lassen, — denn das Gedränge zerstob, als der Theaterbeamte den Ungeduldigen eröffnete, dass für heute alle Plätze verkauft seien! — *)

Die Logen des ersten Ranges und des Parquets starrten von Reihen glänzend geputzter Damen, deren Schimmer durch die blendende Erleuchtung noch mehr gehoben ward. Als ich die Reihen jener für Männerherzen so gefährlichen Phalanx, aus deren drittem Treffen die Uniformen der Garde hervorblitzten, mit meinem Taschen-Frauenhofer musterte, rissen mich meine Freunde aus meinen Illusionen, indem sie mich auf einige junge Damen aufmerksam machen wollten.

Die erste war eine lange junonische Gestalt, mit mehr entblößtem Nacken, als die Dezenz mir zu erlauben schien, großen rollenden Augen und schwarzem Haar, à la Chinoise gescheitelt. Sie saß in der Ecke einer Parquetloge und war sichtlich bemüht, die Aufmerksamkeit des männlichen Publikums auf sich zu ziehen, indem sie mit Blicken und Kopfwendungen hin und herkokettierte und namentlich den im ersten Rang sitzenden Offizieren und feinen Zivilisten vertrauliche Winke gab.

Neben ihr saß eine mehr gealterte, wie es schien, sehr passierte Dame, einfach und schlicht, Jener Gouvernante, — wie es schien. „Wer ist die erste Dame?“ war meine Frage. „Eine Prostituierte,“ entgegnete T., „eine Dirne, die Berlin kennt, und der das Theater, wenigstens in den Plätzen, wo das anständige Publikum sich versammelt, verboten ist.“ „Mein Gott,“ sagte ich, „und die Polizei duldet

*) Diesem allerdings stattgehabten Übelstande hat der verdienstvolle Generalintendant Herr v. Kästner durch das Reglement der Theaterbeamten über den Billetverkauf ein Ende gemacht. Überdies verdient Herr von Kästner großes Lob, dass er den Anmaßungen und Übergriffen des darstellenden Theaterpersonals durch ein sehr zweckmäßiges, scharfes Theaterreglement ein wünschenswertes Ziel gesetzt hat. Anm. des Verf.

dies?“ „Vielleicht mag sie der wachehabende Herr Polizeikommissarius nicht kennen, denn woher sollten diese Beamte, die so vielerlei zu tun haben, noch Muße haben, ihr Gedächtnis; mit den Bildern aller schlechten Dirnen vollzupfropfen?“ antwortete S. Dies sah ich ein und bemerkte bloß, dass, als Abhilfe dagegen, eine aus Männern, die in jener Branche vertraut wären, gebildete besondere Theaterpolizei erscheine.*)

Was mir hiernach S. u. T. von jener Person erzählten, wird hoffentlich der Stoff für eine lange und lehrreiche Winterabendunterhaltung sein.

Während ich noch über die Verirrungen des menschlichen Herzens nachdachte, sagte mein Freund T.: „Sehen Sie rechts, in der vierten Parquetloge, die dicke Person, welche dort sitzt und unverwandt nach einer bestimmten Richtung hinblickt. Auch sie gehört zu den gefallenen Engeln.“

Die Gesichtsbildung, der Blick der Bezeichneten ließen keinen Zweifel übrig. Noch wurden mir hier und da verschiedene dieser — Lohndirnen gezeigt, als die Ouvertüre angestimmt ward: Bellinis Meisterstück ging über die Szene, Jenny Linds Gesang ergriff alle Herzen und — verschwunden waren die Gedanken an unreine Sphären.

Erst beim Hinausgehen bemerkte ich die erstgedachte Dame wieder. Sie rauschte im seidenen Kleide vorüber und hing sich an den Arm eines hinzugekommenen Fashionable, der reich sein soll. Ein bleicher junger Mensch stand hinter der Säule und warf ihr einen schwermütigen Blick nach. „Den hat sie körperlich, geistig und pekuniär ruiniert,“ sagte T., „Dem wird Nichts übrig bleiben, als der Selbstmord oder das Verbrechen.“ Furchtbare Nemesis!

*) Vor einigen Tagen ward es in der Vossischen Zeitung sehr ernstlich durch „Eingesandt“ gerügt, dass die liederlichen Dirnen in den ersten Plätzen der Theater ihre Körper zur Schau trügen. Anw. des Verf.

In Berlin fehlt es an dem, was den Aufenthalt für den Fremden im Rheinlande, z. B. in Frankfurt a. M., Kassel usw. so überaus angenehm macht, jenes gemeinsame gesellige Leben in den Hotels, jener heitere, ungezwungene Ton, welcher durch die Mannigfaltigkeit der Mitglieder jener ephemeren Vereine denselben einen so unaussprechlichen Reiz gibt. Anders ist es in Berlin: man besucht sein Hotel nur, um zu essen oder zu schlafen, und stürzt sich dann von Neuem in den Strudel des Tages. Daher hat der Fremde, ohne Konnexion, hier in geselliger Hinsicht Nichts, als die Theater, die Weinhandlungen oder diejenigen Orte, wo die Sittenverderbnis sich unter dem Mantel der Anständigkeit stationär gemacht hat, oder auch sich offen zur Schau stellt. Was blieb uns als Garçons nach der Oper daher übrig? Meine Freunde beschlossen, mich noch mehr in die hiesige — nämlich die böse — Welt einzuweihen. Wir fuhren auf einer — beiläufig bemerkt — sehr baufälligen Droschke, nach einem sog. Polkalokal, wo bayerisches Bier geschenkt wird. Schon in der Entfernung und zumal beim Eintreten in die Haustür hörten wir rohes Geschrei, gepaart Mit Geigen- und Gitarrenspiel und dem Krähen heiserer Gesangstimmen. Als wir eintraten, drang ein erstickender Zigarrendampf, welcher das Licht in ein Halbdunkel verwandelte, uns entgegen. An allen Tischen saßen junge Männer mit großen Bierkrügen vor sich und eine sogenannte Polkamütze auf dem Kopfe, welche der Wirt unendgeldlich verabreicht. Dies ist eine große, bunte, hohe Narrenmütze von Papier, ähnlich denen, welche die Hanswürste auf dem Karneval tragen, nur das gebogene Horn fehlt darauf, jedoch die Schelle ist daran befestigt. Die Stube ist mit Thymian- oder Eichengirlanden kreuzweise durchzogen, woran kleine bunte Lämpchen brennen. Hinten befindet sich ein mit rotem, blauem u. a. Kattun behangenes Orchester, wo eine unrein gespielte Geige, zwei Harfen oder Gitarren und die rauen Töne abgelebter, zurückgesetzter Töchter der Freude einen wahren Polkaskandal erheben. Die Bedienung wird durch Dirnen besorgt, welche entweder als Amazonen, oder Indianerinnen, oder Jockeis in Sporenstiefeln, gekleidet sind, zu den Prostituierten gehören und in der Regel außer Wohnung und Essen kein Lohn erhalten, indem sie auf den Erwerb ihres Körpers angewiesen sind.

Du siehst, lieber Freund, diese Kneipen, wie so manche andere, sind die notwendigen Surrogate für die am 1. Jan. d. J. aufgehobenen Bordelle und schädlicher als diese, da die polizeiliche und medizinische Kontrolle hier wegfällt.

Kaum waren wir in diesen Freudenhimmel eingetreten und hatten das untrinkbare, mit schädlichen, betäubenden Ingredienzien, wie Ledum palustre etc. vermengte Bier gekostet, so entstand ein fürchterliches Geschrei, da einer der Gäste, ein früherer Liebhaber der einen, unförmlich dicken, in enge Trikots gekleideten Polkadirne, ihr ein Paar Ohrfeigen versetzt hatte. Es kam zu einer Schlägerei unter den angetrunkenen Gästen, deren Resultat abzuwarten wir nicht für gut fanden, sondern uns empfahlen.

Dergleichen moderne Bordelle sollen bereits über 15 bis 20 hier bestehen. — Wir beschlossen einen dritten Ausflug, nach einer jener bekannten Tanzwirtschaften, welche ausschließlich von den Töchtern der gemeinen Venus besucht werden. Du hast jene Orte selbst gesehen, daher wunderst Du Dich nicht darüber, wie es dort zugeht.

Es war jetzt die Zeit, wo die Dirnen die Straße verlassen und in jenen Tanzböden auf Eroberungen ausgehen. Ich sah viele Mädchen, auch hübsche Mädchen, deren Zudringlichkeit durch den Grad ihres Aussehens oder ihrer Garderobe bedingt war. Unter den Männern: Jünglinge aller Stände, — vom Barbier hinauf bis zum Assessor. Die Unverschämtheit der Frauenzimmer gegen ihre sogenannten Bräutigams übersteigt alle Grenzen. Champagner, Knallbonbons, Kaviar, Apfelsinen, kurz, was nur da ist, und gerade auf das Teuerste haben sie Appetit, ja, sie laden ohne Rücksicht auf die Börse ihres Anbeters noch zwei oder drei ihrer Freundinnen zu Gaste, welche natürlich der Herr Bräutigam par honneur traktieren muss. Wie mancher Student verschwelgt hier seinen Wechsel, wie mancher junge Beamte stürzt sich in unbezahlbare Schulden, wie mancher Kommis verprasst hier die Ladenkasse seines Prinzipals! Aber das Ende, das Ende! Ein trunkener Student machte sich den Spaß, für wenigstens zwölf Thaler Knallbonbons zu kaufen und auf den Tanzplatz zu werfen, wobei er sich darüber amüsierte, wie jene feilen Dirnen die eine über die andere herstürzten, um ein Bonbon zu erhaschen, und manchmal sich langweg im Saale wälzten! Auch diese Häuser der sittenlosen Zucht sollen erst so recht in Aufnahme gekommen sein, als man die feinern Bordelle im Jahre 1840 aufgehoben hatte.

Sittenverbesserung ist ein schöner Gedanke, eine hohe Idee, für welche sich die edelsten Menschen aller Zeiten begeistert haben. So war der Gedanke der preußischen Regierung:

durch Aufhebung der Häuser der feilen Unzucht die öffentliche Sittlichkeit zu kräftigen und zu heben,

in seinem Ursprung gewiss höchst ehrenwert. Doch scheint es mir, waren, wenigstens für Berlin, die faktischen Verhältnisse jener großen Idee noch nicht vollkommen entgegengereift. Ob daher die Aufhebung der öffentlichen Prostitution nicht noch manche Bedenken hat und zu schlimmem Ersatzmitteln führt, mag ich — der ich jene Verhältnisse nur oberflächlich überblickt habe — nicht entscheiden.

Bei einer Debatte, die sich später über diesen Gegenstand zwischen mir und meinen Freunden entspann, äußerten diese, dass durch die Tolerierung der Bordelle oder einzelner Lustdirnen eine große Anzahl fremder, sowohl in- als ausländischer liederlicher Dirnen hierher gezogen würde, welche aus den sittlichen Zustand natürlich nur höchst nachteilig einwirken müssten. Diesem Andrange von Außen her sei durch das Verbot der Prostitution gewehrt.

Dieser Ansicht konnte ich nicht widersprechen, jedoch bin ich der Meinung, dass dem Zufluss jener fremden Giftstoffe für die Moralität ebenso gut gewehrt werden kann, wenn man nur den hier ungehörigen Frauenspersonen — welche aller Besserungsmaßregeln ungeachtet dennoch der Prostitution verfallen, — den Eintritt in das von vielen Seiten als ein einmal unvermeidliches Übel bezeichnete Bordell verstattete.*)

Am folgenden Tage machte ich mit meinen Freunden einen Abendspaziergang durch die belebtesten Straßen der Stadt. Nein, das habe ich nicht geglaubt, welche ungeheure Menge feiler Dirnen umherlaufen, die Passanten durch Worte und Blicke anlocken und mit schamloser Frechheit ihre Schande zur Schau tragen. Gerade die frequentesten Straßen sind von jenen Geschöpfen wie versperrt, und wie ich höre, sollen dieselben sich förmlich in die verschiedenen Quartiere der Stadt geteilt haben. Dies ward mir wenigstens in der Leipzigerstraße erzählt, wo zwei Dirnen sich auf die gemeinste Art ausschimpften, weil die eine in das Gehege der andern gekommen sein sollte. Also die Prostitution wird nach den Grundsätzen der Geometrie betrieben!

Es ist nicht zu leugnen, dass von Seiten der Polizei unendlich viele liederliche Dirnen aufgegriffen und auf Zeit eingesperrt werden, ich habe selbst gesehen, dass eines Abends gegen zehn solcher Geschöpfe unter ungeheurem Volksjubel — denn jede Arretierung ist für den Berliner ein Freudenfest — von der Straße im Putz nach der Stadtvoigtei transportiert wurden, allein was hilft’s? Kaum sind sie entlassen, so fangen sie doch wieder das alte Gewerbe an.

Ich habe Dir in einem frühern Schreiben, wo ich Dir die beabsichtigte Gefängnisreform mitteilte, auch die Details über das, dem neuen Pennsylvanischen Strafhause bei Moabit gegenüber belegene sogenannte Magdalenenstift und namentlich die Statuten desselben zukommen lassen. Obwohl in seinen Prinzipien löblich, reicht der Arm des auf die Besserung gesunkener Weiber berechneten Magdalenenstifts doch nicht weit genug, um fühlbar zu wirken. Denn

1) sind seine Fonds und Anlagen zu klein,

2) lehrt die Erfahrung, dass die Besserung feiler Weiber durch klösterliches Abschließen, strenge Arbeit und asketische Religionsübungen immer ein sehr problematisches Geschäft ist, weil ein großer Teil der als gebessert Entlassenen sogleich rückfällig geworden ist. Ob die Vorsätze der übrigen lange anhalten, ist sehr zu bezweifeln; u. s. w.“

Hiermit schließt der Verfasser die Mitteilungen aus jenem Briefe und wünscht nur, dass viele Menschenfreunde sich dieses trüben Themas bemächtigen mögen, um eine schönere und bessere Zeit herbeiführen zu helfen, als die unsere war.

*) Mein Herr, Sie irren. Auf diese Weise würde kein Wirtschafter ein öffentliches Haus übernehmen oder dasselbe nur mit abgelebten Invaliden füllen. Die Berliner Dirnen haben, wie die Erfahrung gelehrt hat, das Bordell nur als eine Retirade vor Arrest und Arbeitshaus benutzt, und bei der Evaluation dieser Häuser waren auch nur sehr Wenige, welche als Berlinerinnen sensu proprio anzusehen waren, darin befindlich. Die Berliner Dirne liebt die Freiheit und treibt ihr Schandgewerbe lieber auf eigene Hand oder steigt bei einer Kupplerin ab. Anm. des Verf.