Kurze Andeutungen der nächsten Mittel, um der gesunkenen Sittlichkeit aufzuhelfen

Nach den Forderungen der Philosophie, wie nach den Prinzipien der Moral darf der Staat, als eine auf sittlichen Basen ruhende Gemeinschaft, kein Laster autorisieren oder demselben Vorschub gewähren. So wie es sich daher aus diesen Gesichtspunkten nicht rechtfertigen lässt, wenn das Hazardspiel besteuert, wenn Lotterien zum Zweck der Befriedigung der Gewinnsucht geduldet, oder wenn der Trunk befördert wird, dadurch, dass der Staat oder die in demselben monopolisierten Korporationen den Spiritus an Geldes Statt unter ihre Arbeiter verteilen: eben so wenig kann man es auch in abstracto gut heißen, wenn der Staat die Preisgebung gegen Endgeld toleriert. Allein das menschliche Leben und alle seine Einrichtungen sind unvollkommen und so wird es bleiben. Diese Unvollkommenheit aller menschlichen Verhältnisse fordert ihre Berücksichtigung ebensowohl in der moralischen, wie in der physischen Welt. Daher gibt es gewisse Dinge, — ich möchte sie faits accomplis, oder moralische Notwendigkeiten, noch besser: notwendige Übel nennen, — welche, wie das Gift in der Natur, zu Ableitern anderer, eventuell schlimmerer Erscheinungen dienen müssen. Diese unleugbaren Tatsachen haben alle Staatslehrer und alle Politiker — wenn auch in sehr zu beschränkendem Grade — anerkennen müssen, wobei ich freilich eine gewisse Richtung ausnehme, ich meine nämlich Die, welche den Staat auf die Kirche pfropfen und die Menschen nolentes volentes zu Heiligen machen wollen.

Als ein notwendiges Übel hat die Staatspolitik bisher die Prostitution angesehen, und indem sie sich überzeugte, dass sie dieselbe nie ausrotten könne, sie unter gewissen Umständen geduldet! — um dadurch der noch viel schädlichern Winkelhurerei einen Damm entgegenzusehen und die Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten möglichst zu verhindern.


Diese Politik hat Preußen aufgegeben, während dieselbe noch in vielen, ja, den meisten zivilisierten Ländern, in Frankreich, England, Belgien, den Hansestädten usw. maßgebend ist und, wie man annehmen kann, bleiben wird.

Die Ideen, von denen die preußische Verwaltung ausgegangen ist, als sie das Institut der geduldeten Prostitution aufhob, sind ihrer Natur nach löblich, und dem Prinzip der Sittlichkeit entsprechend. Ob dieselben aber den gehofften praktischen Erfolg haben werden und haben können, bezweifele ich und ich glaube, nicht ohne Grund. Wenn es erfahrungsmäßig ist, dass seit dem 1. Jan. d. J. — wo jene Ideen realisiert worden sind — die sog. Winkelhurerei bei Weitem mehr überhand genommen hat und überhand nehmen musste, — weil begreiflicher Weise nicht der Grund der öffentlichen Preisgebung, sondern nur eine bestimmte Art derselben weggefallen ist, und weil jetzt die Winkelhurenwirtschaft und die selbstständige Prostitution einen größeren Erwerb darbieten, als zur Zeit der denselben zum größten Teil für sich in Anspruch nehmenden tolerierten Häuser, —
wenn ferner die Ärzte nicht lügen, welche sagen,
dass die Syphilis jetzt mehr um sich greife, als seit zwanzig Jahren, — weil keine gesundheitspolizeilichen Visitationen der feilen Weiber mehr statt finden, —
so sind jene beiden Erscheinungen, deren sichtliche in- und extensive Vergrößerung seit dem l. Jan. 1846 nicht bestritten werden kann, nur als die Folgen jener Maßregel zu betrachten, welche der tolerierten Prostitution ihr Ende machte. Man wende mir nicht ein, dass ich als ein Champion jener verderblichen öffentlichen Preisgebung auftrete. In gewissen Fällen schadet die geduldete Prostitution mehr, als sie nutzt. Sie trägt schamlos ihr eigenes Aushängeschild der Verlockung und Verführung zur Unzucht zur Schau, und dagegen schützt keine noch so strenge Bordellordnung, selbst wenn in jedem derartigen Hause ein Polizeibedienter zur Aufrechthaltung der Bordellgesetze angestellt würde. Die öffentlichen Freudenhäuser verderben manchen Jüngling, manchen Knaben, — der vielleicht der Winkeldirne nicht unterlegen wäre, — und ruinieren Geist, Gesundheit und Vermögen. Das öffentliche Lusthaus ist die Retirade für die liederliche Dirne, — welche ungescheut ihr Wesen so lange treibt, bis die Polizei gegen sie einschreitet und ihrem verwerflichen Wandel durch längere oder kürzere Einsperrung ein Ende zu machen sucht, welcher sie aber vorsichtig entgeht, indem sie sich von der privilegierten Kupplerin dingen lässt. Alle diese und andere Nachteile der Bordelle kenne ich wohl, dessen ungeachtet bin ich aber doch keiner andern Meinung, als dass die Aufhebung derselben Nichts, als ein Kompliment gegen den Zeitgeist, als eine Deferenz gegen die nicht von der Prostitution befleckten Gemüter gewesen ist, ohne die essentiellen Ursachen und Erscheinungen jenes Lasters selbst wirksam angreifen zu können. Fünfzehn Tausend liederliche Dirnen, nach Aufhebung der tolerierten Häuser, sind keine kleine Zahl. Zahlen frappieren, aber sie beweisen auch, wenn das wirkliche Leben, wenn die Straße, der Tanzboden, die öffentlichen Orte, ja, die Erscheinungen in den einzelnen Wohnhäusern Berlins selbst so überzeugend reden.

Das Gift, das Unkraut, welches geheim wuchert, ist weit verderblicher, als wo die Warnungstafel davor steht. Die polizeilich nicht kontrollierte Prostitution wirkt physisch durch Verbreitung der venerischen Giftstoffe weit schlimmer, als da, wo Ableitungskanäle der Infektion gezogen sind, wo ärztliche Überwachung jenes im regelwidrigen Geschlechtsgenusse unvermeidlichen Ansteckungsstoffes statt findet.

Vergleichen wir das öffentliche Haus mit der Privatprostitution. Als Berlin noch seine Suburra hatte, war gesetzlich die Preisgebung in jenen Lokalen nur zulässig, welche unter Aufsicht der Polizei standen. Als die feinern, anständigern Bordelle in der Krausen-, Friedrichs-, Petristraße, der Friedrichsgracht u. s. w. und eine größere Zahl auf eigene Hand sitzender Prostituierten noch bestanden, war die Anzahl der Winkeldirnen in Berlin gegen jetzt verhältnismäßig auf ein Fünfteil reduziert, weil begreiflicherweise Jeder eine der ärztlichen Kontrolle unterliegende Frauensperson einer solchen vorzog, für deren Gesundheitszustand jene Präsumtionen nicht vorhanden waren.

Daher war von solchen Tanzlokalen, wie sie seit einigen Jahren Mode geworden sind, von einem so empörenden Gassen- und Straßenverkehr der prostituierten Dirnen, von der Preisgebung in Wein- und Bierkneipen damals wenig die Rede, denn — die Mätressen wohnen zurückgezogen, befleißigen sich einer gewissen äußern Anständigkeit und wirken daher weniger störend auf das große Publikum, als die herumtreibenden Lohndirnen.

Erst als — im Jahre 1840 am 1. April — die geduldete Prostitution bloß auf die Königsmauer beschränkt wurde, auf eine Lokalität, welche äußerlich einigermaßen anständige Männer zu besuchen Bedenken trugen, — erhob die Winkel- und Straßenhurerei ihr Haupt, täglich entstanden neue Winkeldirnen, jene berüchtigten Lokale tauchten auf, und man machte von da ab schon die Erfahrungen, — wenn man sie nämlich beherzigen wollte, — dass die im Geheimen betriebene Preisgebung die Gesundheit, die Sitten, das Vermögen ihrer Anhänger mehr und schrecklicher zerrütte, als die tolerierte Prostitution, die in jedem Augenblick der strengen polizeilichen Einschreitung unterlag. Namentlich aber waren Diebstähle gegen die in Bordellen einkehrenden, häufig angetrunkenen Männer viel seltener, als bei Privatlohndirnen, weil der Bordellwirt im Zweifel als Teilnehmer am Diebstahl angesehen ward. Wenn also mit der Beschränkung der gewerbsmäßigen Unzucht auf die Königsmauer schon die viel verwerflichere Winkelprostitution erst recht ins Leben gerufen ward, so muss dies in notwendiger Folgerichtigkeit um so mehr noch der Fall sein, wenn die öffentliche Prostitution überhaupt gänzlich verboten ist.

Die Aufhebung derselben ist daher von
gesundheitspolizeilichen Nachteilen,
von dem Überhandnehmen der Winkelhurerei und Kuppelei in allen Formen und Gestalten,
von der allgemeinen Demoralisation, namentlich des weiblichen Geschlechts,
von der öffentlichen Zuchtlosigkeit und
dem dadurch gegebenen bösen Exempel

begleitet, während es umgekehrt in die Augen springt, dass die Prostitution, auf gewisse Orte und Bezirke gebannt und streng kontrolliert, als ein Ableiter größerer Übel für die öffentliche Sittlichkeit von unberechenbar wohltätigen Folgen ist.

Freilich dürfen jene Prostituierte nicht — wie in Paris und London — öffentlich und ohne gène ihrem Gewerbe nachlaufen und an öffentlichen Orten sich umhertreiben können, die Prostituierte muss — wie in Rom und wie das Landrecht anordnet — zurückgebannt in abwegsam gelegene Straßen oder Plätze, und dort noch hinter das vergitterte Fenster verborgen bleiben, während sich von selbst versteht, dass die Einrichtung je nach Stand und Vermögen der Besucher, also hiernach auch der Preis bestimmt sein muss.

Gern bescheidet sich der Verfasser dieser Zeilen, wenn — vor der Hand — ein anderes Mittel gefunden werden kann, um der immer tiefer gehenden und Grund fassenden Prostitution und allen ihren schrecklichen Folgen entgegenzuarbeiten. Allein er hat bis jetzt keines gefunden, und ist — im Einverständnisse mit vielen tüchtigen Ärzten — der Ansicht, dass das vorgeschlagene zur Zeit das einzig anwendbare ist.

Gerade aber bei dieser Frage hat der Arzt die erste Stimme, nicht der Prediger oder Moralphilosoph, weil das höchste Gut des Lebens, die Gesundheit, und nicht bloß der jetzigen, sondern auch der folgenden Generationen hier am meisten beteiligt ist.

Mancher wird vielleicht sagen, die Verwaltung könne nicht mehr zurück, sie würde sich durch Duldung der mit so großer Strenge aufgehobenen öffentlichen Prostitution ein Dementi geben. Solche Äußerungen sind perfide. Wenn die Verwaltung einsieht, dass eine Maßregel schädlich wirkt, so nimmt sie dieselbe zurück; so geschieht es mit Gesetzen und Polizeiverordnungen, und eine so aufgeklärte, freisinnige Regierung, wie die preußische ist, hat am wenigsten die ungerechten Beschuldigungen von sogenannten „Dementi's“ zu fürchten. Durch die Tolerierung der Prostitution — in den gehörigen Schranken, welche das freisinnige Allg. Landrecht gezogen hat — erhält aber die Polizei in Rücksicht auf die verbotene Preisgebung oder Winkelhurerei und Winkelkuppelei eine ganz andere Kraft, als sie jetzt hat. Die Polizei kann den Naturtrieben der Coelibes nicht gebieten, dies muss sie einsehen und daher gegen die Winkeldirnen jetzt ein Auge zudrücken, sonst wäre ja das schamlose öffentliche Auftreten derselben unerklärlich. Duldet sie die Prostitution, dann vermag sie aber auch — wenn sie will — diesem Winkeltreiben in allen Gestalten Einhalt zu tun, und die strengen Strafgesetze des Landrechts aufrecht und in Ansehen zu erhalten. Etwas Unmögliches zu gebieten, oder eine Verordnung zu erlassen, deren Übertretung man zu connivieren genöthigt ist, bleibt immer ein großer Übelstand, und raubt den Behörden ihre Autorität. Sind unsere sozialen Reformen freilich dereinst dahin gediehen, dass die Nahrungsquellen des Staats jedem seiner Bürger gestatten, zur Zeit der männlichen Reife eine eheliche Verbindung einzugehen, — was jedoch wohl ein pium desiderium bleiben wird! — dann ist es an der Zeit, die Prostitution zu verbieten und mit der schärfsten Strafe zu bedrohen. — Hiergegen wird eingewendet, in Wien und Dresden — zwei deutsche Residenzen — ist die Prostitutionverboten und die Sittlichkeit besser, als hier. Die Prostitution, wenn sie geduldet wird, gebiert erst die Unsitte und das Laster.

Was Wien anbetrifft, so möchte ich zwar behaupten, — wegen der besondern inneren Hilfs- und Nahrungsquellen, wegen des Nationalvermögens, welches Österreich vor andern Ländern voraus hat, — dass die Sittlichkeit dort noch nicht so verderbt ist, als in Berlin, allein, wenn selbstredend auch der Grund der Prostitution dort in weit geringerem Grade vorhanden ist, als hier oder in London und Paris, so weiß doch Jeder, welcher Wien kennen zu lernen Gelegenheit hatte, dass eine fast unglaubliche Menge von Winkelkuppeleien und Absteigequartieren dort zu finden ist, und dass namentlich die sogenannte feinere Preisgebung daselbst alle Verhältnisse durchdrungen hat, wenn auch jene ordinären Erscheinungen derselben sich in Wien, bei der großen Strenge der österreichischen Polizei, weniger manifestieren, als hier in Berlin der Fall ist. Überhaupt liegt Vieles hiervon in dem Charakterunterschied der Wiener und Berliner begründet. Dasselbe könnte man von Dresden sagen, welches Privatkuppeleien zum Überfluss hat. Allein Dresden ist immer nur eine Stadt zweiten oder dritten Ranges, und rücksichtlich jener großartigen Bevölkerung, des Fremdenverkehrs, der steigenden Einwohnerzahl, des Proletariats und seiner Folgen: der Verbrechen und der Prostitution, nicht mit Berlin oder anderen Großstädten in Parallele zu bringen.

Ich schließe die Andeutungen mit dem Bemerken, dass ich mein Urteil gern suspendieren will, sofern es ein besseres Mittel gibt, der gesunkenen Moralität zu helfen, wobei ich freilich meine in der wirklichen Welt gesammelten Erfahrungen mit den müßigen Tiraden und Kopfhängereien des Pietismus nicht in Einklang bringen kann. Das nun Folgende wird lehren, ob ich mich faktischer Übertreibungen schuldig gemacht habe.
Bordellbesuch am Ende des 16. Jahrhunderts

Bordellbesuch am Ende des 16. Jahrhunderts

Ein Frauenschicksal im Mittelalter

Ein Frauenschicksal im Mittelalter

Sind die Getränke inklusive?

Sind die Getränke inklusive?

alle Kapitel sehen