Der russische Mushik.

Russische Kulturbilder - Erlebnisse und Erinnerungen
Autor: Zabel, Eugen (1851-1924) deutscher Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1907
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Turgenjew, Russland, Sittenbild, russische Bauern, Volksleben, Leibeigenschaft, Menschenwürde
Iwan Turgenjew erzählte wenige Jahre vor seinem Tode, als die nihilistische Bewegung immer weiter um sich griff und von den Städten auf das flache Land hinüber zu springen schien, seinen Pariser Freunden einen Traum, der ihm kurz zuvor beim Erwachen den Angstschweiß auf die Stirn getrieben hatte. Er glaubte an einem schönen Sommermorgen wieder an den Stätten seiner Kindheit und Jugend, auf seinem bei Tula gelegenen Landgut zu weilen, wohin er so gern zurückkehrte, wenn ihm die Luft in den französischen Salons zu schwül wurde und er nach einfachen, natürlichen Menschen ein unwiderstehliches Verlangen fühlte. Er erfreute sich aufs neue an den alten Eichen und Silbertannen seines Gartens, sah die Dorfjugend zu dem im russischen Stil aufgeführten Schulhause eilen und hörte von dem weißgetünchten Glockenturm der Kirche leise Töne herüberklingen. Auf seiner mit Hopfen umrankten Veranda fand er sein Frühstück, einfach wie er es zu nehmen liebte, wobei ihm nur der dampfende Samovar mit seinem Summen Gesellschaft leistete. Er dachte der Vergangenheit, die ihre Spuren Haus und Hof überall aufgedrückt hatte und fühlte sich ganz in jene Stimmung versetzt, aus der viele seiner Novellen herausgewachsen waren. Plötzlich bemerkte er, wie sich ein Häuflein Bauern langsamen Schrittes seinem Garten näherte, auf dem Wege wie beratschlagend innehielt, dann aber wieder vorwärts ging und dabei schon von weitem beim Anblick des Hausherrn den Hut abzog. Turgenjew rief ihnen wohlgefällig lächelnd einen ,,Guten Morgen!“ zu, aber die Bauern zögerten verlegen, drängten sich zusammen und schienen für das, was sie wollten, nicht die richtigen Worte finden zu können.

„Nun, was denn?“ fragte sie der Dichter, wobei er den schwachen Tenor seiner Stimme - er stand im Widerspruch zu seiner hohen, breitschulterigen Figur - anstrengen musste, um sich verständlich zu machen. Da trat einer von den Bauern aus der Gruppe heraus, verneigte sich bis zur Erde, als ob er demütig um etwas bitten wollte und sagte verlegen: „Verzeih’ uns Väterchen, daß wir dich stören. Aber wir sind gekommen, um dich zu hängen! Man hat es uns befohlen. Verzeihe aber wir müssen dich hängen!“

Was dem Dichter, als er diesen Traum erlebte, aus den Tiefen der Seele dumpf hervorquoll, war nicht nur der Gedanke an das Ende aller Dinge. Er stand in den Jahren, in denen man sich allmählich darauf vorbereitet, vom Leben Abschied zu nehmen. Er wurde von der Krankheit aller alten Jäger, der Gicht, schmerzhaft gequält und bald darauf durch ein furchtbares Leiden, Knochenfraß an der Wirbelsäule, dem er erliegen sollte, jeder freien Körperbewegung beraubt und ans Bett gefesselt. Aber es war nicht nur sein persönlicher Zustand, der ihn niederdrückte, sondern ebenso sehr das Bewußtsein, daß die breite Masse seines Volkes allmählich von einer Gärung erfasst werde, deren Folgen sich nicht übersehen ließen, aber in der Entwicklung Russlands jedenfalls eine verhängnisvolle Rolle spielen mußten. Turgenjew kannte wie kein Zweiter den russischen Bauern mit all den guten und schlechten Eigenschaften, die bei ihm eng miteinander verwachsen sind. Tag und Nacht war er mit der Flinte auf der Schulter und seinem Hunde zur Seite durch Wald und Felder und Steppe gewandert, um alle Erscheinungen des Natur- und Volkslebens auf sich wirken zu lassen. In den Skizzen „Aus dem Tagebuch eines Jägers“ hatte er das Nichtige und Verlorene der Landbevölkerung, dieser Menschen, die wie Grashalme kommen und vergehen, in den feinsten Unterschieden der Charakteristik mit wunderbarer Anschaulichkeit geschildert. Er hatte den Fluch der Leibeigenschaft, der auf der Nation lastete, erkannt und in ihr einen Feind gesehen, mit dem er nicht dieselbe Luft atmen, den er nicht mit Gleichmut ertragen konnte. In diesem Begriff vereinigte sich alles, wogegen er nach seiner eigenen Versicherung bis zum Ende seiner Tage zu kämpfen beschloss, womit er sich niemals auszusöhnen gelobte. Das war sein Hannibalschwur! Alexander II. hat es ausdrücklich betont, daß er in seiner Absicht, die Leibeigenschaft aufzuheben, durch Turgenjews Schilderungen bestärkt worden sei.

Zwanzig Jahre waren seit dem Reformwerk des „Zar-Befreiers“ dahingegangen und schon glaubte der Dichter zu bemerken, daß sich im Wesen und Benehmen des Bauern, in dem das Gefühl der Menschenwürde erweckt war, etwas ganz anderes als Dank für die empfangene Wohltat widerzuspiegeln beginne. Der Bauer stand noch immer in gebückter Stellung vor seinem Herrn, küsste ihm die Zipfel seines Rockes, oder berührte gar mit der Stirn die Erde. In seiner armseligen ,,Isba“ kauerte er mit Weib und Kind geduldig, nährte sich von schlechtem Kohl und klitschigem Brot und freute sich auf den Sonntag, an dem er dem berauschenden „Wodka“ bis zur Bewusstlosigkeit zusprechen und alle Leiden seines Daseins vergessen konnte. Da ihm Lesen und Schreiben fremd waren, erfuhr er nichts von den Kämpfen, die in den größeren Städten mit Wort und Schrift um freieres, politisches Leben ausgefochten wurden. Seufzend hielt er seinen Rückten ruhig all den Ränken und Heim-suchungen hin, die Polizei und Bureaukratie über ihn verhängten. Die Sorgen, die ihn drückten, kamen aus dem Magen, wenn er das armselige Stückt Feld betrachtete, das er zu bearbeiten hatte, wenn die Ernte verhagelte oder das Vieh ihm wegstarb. In dieser Not versuchte er darüber nachzudenken, ob es nach Aufhebung der Leibeigenschaft mit der Verteilung von Land mit rechten Dingen zugegangen sei. Er fand, daß die schlechtesten Gebiete ihm zugefallen seien, daß man ihn übervorteilt habe, daß in Wahrheit das ganze Land ihm gehöre. Der Zar habe befohlen, so meinten sie, alles, was früher den Gutsherren gehörte, unter die Bauern zu verteilen, aber der ,,Barin“ habe ihnen ihr Eigentum vorenthalten. So begannen sie ihre Herrschaft, auch wenn sie scheinbar vor ihr zitterten, mit scheelem Auge zu betrachten, ihr Tun misstrauisch zu verfolgen und sich im stillen immer wieder zu sagen. „Das alles gehört ja uns! Man hat uns betrogen! Wir müssen uns selbst Recht verschaffen!“

Solche Ideen umschwirrten das Gehirn des Mushik, wie Mücken das Licht an heißen Sommerabenden, und begannen seine Phantasie in Wallung zu dringen. Dieser Prozeß vollzog sich unregelmäßig und ruckweise, meistens so still und geheimnisvoll, daß man im Herrschaftshause kaum eine Ahnung hatte von dem, was die Ofenbank der Bauernhütten zwischen Schlafen und Wachen oder im Lallen des Rausches zu hören bekam. Der Bauer ließ seinen Verdruss und Zorn an der Frau aus, indem er sie prügelte, aber er wurde still und nachdenklich, wenn Sie ihm etwas von der ungerechten Landverteilung ins Ohr raunte. Dann träumte er von einer seligen Zukunft in kommenden Tagen, in denen er sich ganz frei fühlen und so viel Acker bekommen werde, wie er braucht. Das bestärkte ihn in seiner natürlichen Trägheit, und er kam sich verteufelt Schlau vor, wenn er seine Gedanken nicht vorzeitig verriet, sondern auf den geeigneten Zeitpunkt wartete, sie zu verwirklichen. In den fruchtbaren Boden dieser naiven Habsucht streuten die Nihilisten und Revolutionäre den Samen ihrer Überredungskunst ein. Sie wussten den Bauern den Glauben beizubringen, dass die Befreiungsakte, die ihnen verlesen wurde, gar nicht vom Zaren herrühre, sondern eine Fälschung sei, die ihnen die Herrschaft aufgeschwindelt habe. Die wahre Emanzipation laute ganz anders, sie werde ihnen aber betrügerisch vorenthalten und der gute Zar hätte nicht die Kraft, sie durchzusetzen. Hie und da kam es alsbald zu kleineren Aufständen, die mit Gewalt niedergeschlagen werden mussten, ohne daß es gelang, das Übel an der Wurzel zu packen. Immer wieder fabelten die Bauern von einer neuen Landverteilung, die ihnen das Paradies auf Erden verschaffen würde, und die Regierung mußte all ihre Hebel ansetzen, um die unsinnigen Erwartungen zu zerstören. Als die Bauern dem Kaiser Alexander III. im Jahre 1883 bei der Krönung in Moskau ihre Huldigung darbrachten, warnte sie der Zar ausdrücklich vor den „falschen Verführern und Aufwieglern“, die ihnen dergleichen „törichte Versprechunggen“ machen. Der Maler Rjepin hat den Vorgang auf einem großen Bilde dargestellt, das man beim Betreten des großen Kremlpalastes im Vorsaal erblickt. Aber nur in fruchtbaren Jahren, wenn Sonne und Regen das Ihrige taten, um die Scheuern mit Getreide anzufüllen, ließ sich die vorwärtsdrängende Bewegung innerhalb der Landbevölkerung aufhalten. Fehlte es an diesem Segen von oben, so fraß die Unzufriedenheit immer weiter, was auch die Bureaukratie und Polizeigewalt tun mochten, um sie äußerlich zu übertünchen.

In den Reihen der Gebildeten hatten sich mittlerweile die Vorstellungen über das Wesen, die Bedürfnisse und Charakter des Bauern von Grund auf verändert. Wer nichts anderes als die Steppe kannte, in deren Bezirk er geboren war, mochte ihn allerdings immer noch für ein bessere Tier halten das jeder höheren Entwicklung unfähig sei. Ader wer westeuropäische Bildung eingeatmet hatte, begann anderer Meinung zu werden und dem russischen Bauern eine ähnliche Zukunft zu versprechen, wie sie der Landbevölkerung in den übrigen Reichen beschieden war. Die Literatur, die sich mit diesem Thema beschäftigte, war eine Macht geworden, mit der man rechnen musste und die ihre Fäden nach allen Richtungen ausspann. So dumpf und sturr sah es auf dem flachen Lande schon lange nicht mehr aus, wie es Gogol in seinem Roman „Tote Seelen“ geschildert hatte. Schon vor Turgenjew hatte Grigorowitsch mit ähnlichem weichem Gefühl, wenn auch mit geringerer dichterischer Kraft das wehmütig zuckende, nach Erlösung verlangende Menschentum im Mushik zum Gegenstand seiner Romanschilderung gemacht. In seiner umfangreichsten Dichtung „Wer herrlich in Russland lebt“ schildert Nekrassow sieben Bauern, die sich über die Frage immer heftiger streiten und sich schließlich zu prügeln anfangen. Als sie sich ausgetobt haben, beschließen Sie auf die Wanderschaft zu gehen, um sich diese Frage beantworten zu lassen. Zuerst treffen sie einen Popen, der aber von sich sagt, dass er nur ein armes, beklagenswertes und ungern geduldetes Geschöpf sei. Auch auf dem Jahrmarkt, wohin sie kommen, sind wahrhaft glückliche Menschen nicht zu finden. Ebenso erhalten die Bauern von einem Gutsherrn, dessen Wagen sie anhalten, keine befriedigende Antwort, denn der Gutsherr ist durch die Aufhebung der Leibeigenschaft zum Schaffen und Sorgen genötigt worden, hat aber in seinem Leben niemals etwas getan und gelernt und fühlt sich infolgedessen ebenfalls unglücklich. Seufzend bekennen die Bauern: ,,Die große Kette riss entzwei und schlug im Schwunge weit umher, traf mit dem einen End’ den Herrn und mit dem andern - uns.“

Das tönte bereits ganz anders als alles, was der russische Burns, der Lyriker Kolzow, in seinen reizenden Volksgedichten von der Ernte und dem Wald, von denSchnittern und Pflügern, von Liebe und Leid unter den Burschen und Mädchen auf dem Lande zu erzählen wußte. Das klang so einschmeichelnd und süß, als ob es von den Natursängern auf den Zweigen draußen im Freien angestimmt wäre, und gewann überall die Herzen, die vom Gift des Zweifels und der Sorge um den kommenden Tag noch nicht angefressen waren. Die russische Dorfgeschichte hatte die Bauern ursprünglich in zwei Gruppen eingeteilt, die beide geeignet waren, die müden Sinne überbildeter Leser und Leserinnen wohlgefällig zu kitzeln. Auf der einen Seite standen schmutzige, grobe, fast teuflische Gestalten, an deren Übeltaten man sich billig aufregen konnte wie an Verbrecherromanen. Man betrachtete Sie nur von weitem, als ob Sie in einem Käfig ausgestellt wären, wo sie niemandem mehr Schaden zufügen konnten. Auf der anderen Seite waren dagegen die braven, gutmütigen Naturmenschen der Reihe nach aufgepflanzt, deren Empfindungsleben auf alle Weise parfümiert und gezuckert war und denen man sich daher ohne Gefahr nähern konnte, um sie selbstgefällig zu streicheln. Der Realismus Turgenjews, der das Volk wirklich kannte und dem wirren Spiel der Leidenschaft einen kristallklaren Spiegel vorhielt, brach dann die Bahn für wahrheitsgetreue Schilderung von Land und Leuten. Pissemski erzählte bereits von grauenvollen Gewalttaten, die von den Gutsherren an den Mädchen und Frauen auf dem Dorfe verübt werden und von den traurigen Schicksalen, die den reichgewordenen Bauern bevorstehen, wenn sie sich nach St. Petersburg verirren. Potjechin, die beiden Uspenski, Reshetnikow und andere verschärften die Tonart, die dabei angeschlagen war und zeigten den Zusammenstoß zwischen dem Landleben und dem Treiben der modernen Industrie. Wie schwer beweglich der Bauer in seinen Instinkten und der Befriedigung seiner Instinkte ist, betonte Graf L. N. Tolstoi bereits in seinen Jugenderzählungen, wenn er uns einen jungen Gutsherrn schilderte der von früh bis abends sich bemühte das Los seiner Bauern zu verbessern, aber von ihnen nicht verstanden wird und für seine Wohltaten nur Misstrauen und Abneigung erntet. In der ,,Macht der Finsternis“ stiert uns das verglaste Wesen des russischen Bauern, den die Trunksucht zum Tier gemacht hat, in schrecklicher Verwilderung an.

Die Zeiten sind vorbei, in denen der Gutsherr über seine Bauern wie über eine tote Sache verfügen, sie willkürlich und schmachvoll behandeln, in roher Welle körperlich Strafen, noch Sibirien oder unters Militär schickten oder wohin es ihm beliebte, verkaufen konnte. Ader vier und ein halb Jahrzehnte sind seit der Aufhebung der Leibeigenschaft dahingegangen, und wenn sie in ihren Folgen schon damals Enttäuschungen hervorrief, ist die Stimmung auf dem Lande seitdem noch viel mehr beunruhigend umgeschlagen. Über hundert Millionen zählt die Landbevölkerung in Russland, die durch Ausnutzung des Bodens, Missernten und wirtschaftliche Übelstände immer weiter geschädigt worden ist. Auf dieser gewaltigen und unabsehbaren Flut, die früher einem endlosen Sumpfe glich, haben sich seitdem fortwährend Kräuselungen, Strömungen und Wirbel bemerkbar gemacht, die auf eine starkem von unten nach oben treibende Bewegung schließen lassen. Noch hat die alte Sklaverei in den Lebensformen und Gesinnungen deutlich erkennbare Spuren hinterlassen, aber zugleich bemerkt man, wie die alte Schlangenhaut immer mehr abgestreift wird. Es geht von Dorf zu Dorf wie ein langsames, aber unaufhaltsames Aufatmen, das durch keinerlei Betäubungsmittel mehr zu unterdrücken ist. ,,Freiheit“ und „Land“ sind die Stichworte geworden, die man früher nur vereinzelt vernahm, jetzt aber als Massenaufruf zu hören bekommt. ,,Das Dorf ist erwacht“ flüstern sich die Besitzer zu und fürchten, daß die revolutionäre Bewegung, die das Land erfasst hat, über die Landbevölkerung hinwegrasen könnte wie ein plötzlich losbrechender Sturm über die Fluten des Ozeans. Die Gutsherren klagen schon lange, daß die Bauern im Laufe des letzten Jahrzehnts ganz andere Menschen geworden seien, daß sich in ihrem Benehmen künstlich verhaltene Abneigung auspräge, die für die Zukunft das Schlimmste befürchten lasse. So lange dte Duma in St. Petersburg tagte, waren den Paul und Iwan die Reden im taurischen Palais wie süße, beruhigende Musik erschienen, die ihnen eine Wendung zum Bessern versprach. Seitdem die Volksvertretung aufgelöst ist, sehen die Bauern ihre Abgeordneten, die wieder in die Heimat zurückkehren, mit bitterer Enttäuschung an. Sie fühlen, daß Sie wieder ganz auf sich angewiesen sind, dass ihnen niemand helfen werde, so viel auch von neuen Landverkäufen die Rede ist. Sie träumen aufs neue von einer Freiheit, die man ihnen versprochen, aber in Wirklichkeit nicht gehalten hat, und von einem unbeschränkten Landbesitz, den Sie noch immer mit ihrer Herrschaft teilen müssen.

Und in den herrschaftlichen Gutshäusern spuken unheimliche Ahnungen über das umher, was möglicherweise eine nahe Zukunft bringen könnte, wenn die Bauern damit fertig sind, den dürftigen Ertrag dieses Sommers unter Dach und Fach zu schaffen. An den länger werdenden Abenden, wenn die Mushiks wieder in der raucherfüllten Hütte sitzen, sich an dem Ofenfeuer wärmen und die Weiber beim Licht des brennenden Kienspans spinnen, tritt aus neue der alte Versucher zu ihnen, diesmal aber eindringlicher und beredter als früher, um sie an die Wünsche zu erinnern, die bei ihnen im Herzen schlummern. Fehlt es dem Bauern etwa an Kraft, sich gegen seine Feinde und Bedrücker zu erheben? Auch Ilja von Murom, der von der Sage und dem Volkslied verherrlichte Held, hielt sich als Knabe für zu schwach, um gehen zu können. Träumerisch verloren lag er auf dem Ofen, bis man ihm befahl, aufzustehen und er sofort imstande war, große Taten zu verüben. Das Bild Iljas leuchtet in mancher Bauernhütte unsichtbar mm den Wänden herab, wo die Heiligenbilder nur zu äußeren Bezeugungen der Gottesfurcht anregen.

Ängstliche Seelen sehen schon das Schlimmste kommen und denken an die Zeit, wo der unwissende, rohe, betrunkene Kosak Pugatschew mit seinen Banden das Reich der großen Katharina in Angst und Schrecken versetzen und von der Wolga in der Richtung nach Moskau marschieren konnte. Sein Anhang wuchs deshalb so erschreckend an, weil er den Bauern überall Land und Freiheit versprach. Derselbe Lockruf geht jetzt ebenfalls durch das Volk und erschreckt die besitzenden und wohlhabenden Klassen. Sie sehen, wie sich das Gespenst der entfesselten und wild aufgestachelten Volksseele an sie heranschleicht und glauben dieselben Worte zu hören, die Turgenjew in seinem bösen Traume vernahm, dieses Mal aber nicht mit dem äußeren Schein der Unterwürfigkeit, sondern mit gebieterischer Stimme und der Gewalt des entschlossenen Machtbewusstseins, das unter den Verheerungen des nationalen Niedergangs die Bauern zu erfassen und in wilden Taumel zu versetzen droht.

Turgenew, Iwan Sergejewitsch 1818-1883

Turgenew, Iwan Sergejewitsch 1818-1883

Russisches Bauernmädchen

Russisches Bauernmädchen

Russicher Bauer in Wintertracht

Russicher Bauer in Wintertracht

Russischer Dorfmusikant

Russischer Dorfmusikant

Bauernhochzeit

Bauernhochzeit

Eine Troika

Eine Troika