Kapitel 8 - Wie ich auf Patrouille zum erstenmal die Kugeln pfeifen hörte (21./22. August 1914)

Ich hatte den Auftrag, festzustellen, wie stark die Besetzung eines großen Waldes bei Virton wohl sein mochte. Ich ritt mit fünfzehn Ulanen los und war mir klar: Heute gibt es den ersten Zusammenstoß mit dem Feinde. Mein Auftrag war nicht leicht, denn in so einem Walde kann furchtbar viel stecken, ohne daß man es sieht.

Ich kam über eine Höhe. Wenige hundert Schritte vor mir lag ein riesiger Waldkomplex von vielen tausend Morgen. Es war ein schöner Augustmorgen. Der Wald lag so friedlich und ruhig, daß man eigentlich gar keine kriegerischen Gedanken mehr spürte.


Jetzt näherte sich die Spitze dem Eingang des Waldes. Durch das Glas konnte man nichts Verdächtiges feststellen, man mußte also heranreiten und abwarten, ob man Feuer bekäme. Die Spitze verschwand im Waldweg. Ich war der nächste, neben mir ritt einer meiner tüchtigsten Ulanen. Am Eingang des Waldes war ein einsames Waldwärterhäuschen. Wir ritten daran vorbei. Mit einemmal fiel ein Schuß aus einem Fenster des Hauses. Gleich darauf noch einer. Am Knall erkannte ich sofort, daß es kein Büchsenschuß war, sondern daß er von einer Flinte herrührte. Zur gleichen Zeit sah ich auch Unordnung in meiner Patrouille und vermutete gleich einen Überfall durch Franktireurs. Von den Pferden ’runter und das Haus umstellen war eins. In einem etwas dunkeln Raum erkannte ich vier bis fünf Burschen mit feindseligen Augen. Eine Flinte war natürlich nicht zu sehen. Meine Wut war groß in diesem Augenblick; aber ich hatte noch nie in meinem Leben einen Menschen getötet, und so muß ich sagen, war mir der Moment äußerst unbehaglich. Eigentlich hätte ich den Franktireur wie ein Stück Vieh ’runterknallen müssen. Er hatte mit dem Schuß eine Ladung Schrot in den Bauch eines meiner Pferde gejagt und einen meiner Ulanen an der Hand verletzt.

Mit meinem kümmerlichen Französisch schrie ich die Bande an und drohte, wenn sich der Schuldige nicht umgehend melden würde, sie allesamt über den Haufen zu schießen. Sie merkten, daß es mir Ernst war, und daß ich nicht zaudern würde, meinen Worten die Tat folgen zu lassen. Wie es nun eigentlich kam, weiß ich heute selbst nicht mehr. Jedenfalls waren die Freischützen mit einemmal aus der Hintertür heraus und vom Erdboden verschwunden. Ich schoß noch hinterher, ohne zu treffen. Zum Glück hatte ich das Haus umstellt, so daß sie mir eigentlich nicht entrutschen konnten. Sofort ließ ich das Haus nach ihnen durchstöbern, fand aber keinen mehr. Mochten nun die Posten hinter dem Haus nicht ordentlich aufgepaßt haben, jedenfalls war die ganze Bude leer. Wir fanden noch die Schrotspritze am Fenster stehend und mußten uns auf andere Weise rächen. In fünf Minuten stand das ganze Haus in Flammen.

Nach diesem Intermezzo ging es weiter.

An frischen Pferdespuren erkannte ich, daß unmittelbar vor uns starke feindliche Kavallerie marschiert sein mußte. Ich hielt mit meiner Patrouille, feuerte sie durch ein paar Worte an und hatte das Gefühl, daß ich mich auf jeden meiner Kerls unbedingt verlassen konnte. Jeder, so wußte ich, würde seinen Mann in den nächsten Minuten stehen. Natürlich dachte keiner an etwas anderes als an eine Attacke. Es liegt wohl im Blute eines Germanen, den Gegner, wo man ihn auch trifft, über den Haufen zu rennen, besonders natürlich feindliche Kavallerie. Schon sah ich mich an der Spitze meines Häufleins eine feindliche Schwadron zusammenhauen und war ganz trunken vor freudiger Erwartung. Meinen Ulanen blitzten die Augen. So ging es dann in flottem Trab auf der frischen Spur weiter. Nach einstündigem scharfem Ritt durch die schönste Bergschlucht wurde der Wald etwas lichter, und wir näherten uns dem Ausgang. Daß ich damit auf den Feind stoßen würde, war mir klar. Also Vorsicht! bei allem Attackenmut, der mich beseelte. Rechts von dem schmalen Pfad war eine viele Meter hohe, steile Felsenwand. Zu meiner Linken war ein schmaler Gebirgsbach, dann eine Wiese von fünfzig Metern Breite, eingefaßt von Stacheldrähten. Mit einem Male hörte die Pferdespur auf und verschwand über eine Brücke in den Büschen. Meine Spitze hielt, denn vor uns war der Waldausgang durch eine Barrikade versperrt.

Sofort war es mir klar, daß ich in einen Hinterhalt geraten war. Ich erkannte plötzlich Bewegung im Buschwerk hinter der Wiese zu meiner Linken und konnte abgesessene feindliche Kavallerie erkennen. Ich schätzte sie auf eine Stärke von hundert Gewehren. Hier war nichts zu wollen. Geradeaus war der Weg durch die Barrikade versperrt, rechts waren die Felswände, links hinderte mich die mit Draht eingefaßte Wiese an meinem Vorhaben, der Attacke. Zum Absitzen, um den Gegner mit Karabinern anzugreifen, war keine Zeit mehr. Also blieb nichts anderes übrig, als zurück. Alles hätte ich meinen guten Ulanen zutrauen können, bloß kein Ausreißen vor dem Feinde. – Das sollte so manchem den Spaß verderben, denn eine Sekunde später knallte der erste Schuß, dem ein rasendes Schnellfeuer aus dem Walde drüben folgte. Die Entfernung betrug etwa fünfzig bis hundert Meter. Die Leute waren instruiert, daß sie, im Falle ich die Hand hob, schnell zu mir stoßen sollten. Nun wußte ich, wir mußten zurück, hob den Arm und winkte meinen Leuten zu. Das mögen sie wohl falsch verstanden haben. Meine Patrouille, die ich zurückgelassen hatte, glaubte mich in Gefahr und kam in wildem Caracho herangebraust, um mich herauszuhauen. Alles das spielte sich auf einem schmalen Waldweg ab, so daß man sich wohl die Schweinerei vorstellen kann, die sich nun ereignete. Meinen beiden Spitzenreitern gingen die Pferde infolge des rasenden Feuers in der engen Schlucht, wo der Laut jedes Schusses sich verzehnfachte, durch, und ich sah sie bloß die Barrikade mit einem Sprung nehmen. Von ihnen habe ich nie wieder etwas gehört. Gewiß sind sie in Gefangenschaft. Ich selbst machte kehrt und gab meinem guten »Antithesis«, wohl zum erstenmal in seinem Leben, die Sporen. Meinen Ulanen, die mir entgegengebraust kamen, konnte ich nur mit Mühe und Not zu erkennen geben, nicht weiter vorzukommen. Kehrt und davon! Neben mir ritt mein Bursche. Plötzlich stürzte sein Pferd getroffen, ich sprang darüber hinweg, um mich herum wälzten sich andere Pferde. Kurz und gut, es war ein wüstes Durcheinander. Von meinem Burschen sah ich nur noch, wie er unter dem Pferd lag, scheinbar nicht verwundet, aber durch das auf ihm liegende Pferd gefesselt. Der Gegner hatte uns glänzend überrumpelt. Er hatte uns wohl von Anfang an beobachtet und, wie es den Franzosen nun mal liegt, aus dem Hinterhalt seinen Feind zu überfallen, so hatte er es auch in diesem Fall wieder versucht.

Freude machte es mir, als nach zwei Tagen mit einemmal mein Bursche vor mir stand; allerdings zur Hälfte barfüßig, denn den einen Stiefel hatte er unter seinem Pferd gelassen. Er erzählte mir nun, wie er entkommen war: Mindestens zwei Schwadronen französischer Kürassiere waren später aus dem Walde gekommen, um die vielen gefallenen Pferde und tapferen Ulanen zu plündern. Er war gleich aufgesprungen, unverwundet die Felsenwand hinaufgeklettert und in fünfzig Metern Höhe vollständig erschöpft in einem Gebüsch zusammengebrochen. Nach etwa zwei Stunden, nachdem der Feind sich wieder in seinen Hinterhalt begeben hatte, hatte er seine Flucht fortsetzen können. Nach einigen Tagen gelangte er so wieder zu mir. Von dem Verbleib der anderen Kameraden konnte er wenig aussagen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der rote Kampfflieger