Kapitel 7 - Nach Frankreich

In meinem Garnisonort wurden wir nun verladen. Wohin? – Keine Ahnung, ob West, Ost, Süd, Nord.

Gemunkelt wurde viel, meistens aber vorbei. Aber in diesem Fall hatten wir wohl den richtigen Riecher: Westen.


Uns stand zu viert ein Abteil zweiter Klasse zur Verfügung. Man mußte sich auf eine lange Bahnfahrt verproviantieren. Getränke fehlten natürlich nicht. Aber schon am ersten Tage merkten wir, daß so ein Abteil zweiter Klasse doch verflucht eng ist für vier kriegsstarke Jünglinge, und so zogen wir denn vor, uns etwas mehr zu verteilen. Ich richtete mir die eine Hälfte eines Packwagens zur Wohn- und Schlafstätte ein und hatte damit ganz entschieden etwas Gutes getan. Ich hatte Luft, Licht usw. Stroh hatte ich mir in einer Station verschafft, die Zeltbahn wurde darauf gedeckt. Ich schlief in meinem Schlafwagen so fest, als läge ich in Ostrowo in meinem Familienbett. Die Fahrt ging Tag und Nacht, erst durch ganz Schlesien, Sachsen, immer mehr gen Westen. Wir hatten scheinbar Richtung Metz; selbst der Transportführer wußte nicht, wo es hinging. Auf jeder Station, auch da, wo wir nicht hielten, stand ein Meer von Menschen, die uns mit Hurra und Blumen überschütteten. Eine wilde Kriegsbegeisterung lag im deutschen Volk; das merkte man. Die Ulanen wurden besonders angestaunt. Der Zug, der vorher durch die Station geeilt war, mochte wohl verbreitet haben, daß wir bereits am Feinde gewesen waren – und wir hatten erst acht Tage Krieg. Auch hatte im ersten Heeresbericht bereits mein Regiment Erwähnung gefunden. Ulanenregiment 1 und das Infanterieregiment 155 eroberten Kalisch. Wir waren also die gefeierten Helden und kamen uns auch ganz als solche vor. Wedel hatte ein Kosakenschwert gefunden und zeigte dies den erstaunten Mädchen. Das machte großen Eindruck. Wir behaupteten natürlich, es klebte Blut daran, und dichteten dem friedlichen Schwert eines Gendarmeriehäuptlings ein ganz ungeheures Märchen an. Man war doch schrecklich ausgelassen. Bis wir schließlich in Busendorf bei Diedenhofen ausgeladen wurden.

Kurz bevor der Zug ankam, hielten wir in einem langen Tunnel. Ich muß sagen, es ist schon ungemütlich, in einem Tunnel in Friedenszeiten plötzlich zu halten, besonders aber im Kriege. Nun erlaubte sich ein Übermütiger einen Scherz und gab einen Schuß ab. Es dauerte nicht lange, so fing in diesem Tunnel ein wüstes Geschieße an. Daß keiner verletzt wurde, ist ein Wunder. Was die Ursache dazu war, ist nie herausgekommen.

In Busendorf wurde ausgeladen. Es war eine derartige Hitze, daß uns die Pferde umzufallen drohten. Die nächsten Tage marschierten wir immer nach Norden, Richtung Luxemburg. Mittlerweile hatte ich herausgekriegt, daß mein Bruder vor etwa acht Tagen dieselbe Strecke mit einer Kavalleriedivision geritten war. Ich konnte ihn sogar noch einmal fährten, gesehen habe ich ihn erst ein Jahr später.

In Luxemburg wußte kein Mensch, wie sich dieses Ländchen gegen uns verhielt. Ich weiß noch wie heute, wie ich einen Luxemburger Gendarm von weitem sah, ihn mit meiner Patrouille umzingelte und gefangennehmen wollte. Er versicherte mir, daß, wenn ich ihn nicht umgehend losließe, er sich beim Deutschen Kaiser beschweren würde. Das sah ich denn auch ein und ließ den Helden wieder laufen. So kamen wir durch die Stadt Luxemburg und Esch durch, und man näherte sich jetzt bedenklich den ersten befestigten Städten Belgiens.

Auf dem Hinmarsch machte unsere Infanterie, wie überhaupt unsere ganze Division, die reinen Friedensmanöver. Man war schrecklich aufgeregt. Aber so ein Manöver-Vorpostenbild war einem ab und zu ganz bekömmlich. Sonst hätte man ganz bestimmt über die Stränge geschlagen. Rechts und links, auf jeder Straße, vor und hinter uns marschierten Truppen von verschiedenen Armeekorps. Man hatte das Gefühl eines wüsten Durcheinanders. Plötzlich wurde aus dem Kuddelmuddel ein großartig funktionierender Aufmarsch.

Was unsere Flieger damals leisteten, ahnte ich nicht. Mich versetzte jedenfalls jeder Flieger in einen ganz ungeheuren Schwindel. Ob es ein deutscher war oder ein feindlicher, konnte ich nicht sagen. Ich hatte ja nicht einmal eine Ahnung, daß die deutschen Apparate Kreuze trugen und die feindlichen Kreise. Folglich wurde jeder Flieger unter Feuer genommen. Die alten Piloten erzählen heute noch immer, wie peinlich es ihnen gewesen sei, von Freund und Feind gleichmäßig beschossen zu werden.

Wir marschierten und marschierten, die Patrouillen weit voraus, bis wir eines schönen Tages bei Arlon waren. Es überlief mich ganz spaßig den Buckel ’runter, wie ich zum zweitenmal die Grenze überschritt. Dunkle Gerüchte von Franktireurs und dergleichen waren mir bereits zu Ohren gekommen.




Ich hatte einmal den Auftrag, die Verbindung mit meiner Kavalleriedivision aufzunehmen. Ich habe an diesem Tage nicht weniger als hundertundzehn Kilometer mit meiner gesamten Patrouille geritten. Nicht ein Pferd war kaputt, eine glänzende Leistung meiner Tiere. In Arlon bestieg ich nach den Grundsätzen der Taktik des Friedens den Kirchturm, sah natürlich nichts, denn der böse Feind war noch weitab.

Man war damals noch ziemlich harmlos. So hatte ich z. B. meine Patrouille vor der Stadt stehenlassen und war ganz allein mit einem Rad mitten durch die Stadt zum Kirchturm gefahren. Wie ich wieder ’runterkam, stand ich inmitten einer murrenden und murmelnden Menge feindselig blickender Jünglinge. Mein Rad war natürlich geklaut, und ich konnte nun eine halbe Stunde lang zu Fuß laufen. Aber das machte mir Spaß. Ich hätte so eine kleine Rauferei ganz gern gemocht. Ich fühlte mich mit meiner Pistole in der Hand ganz kolossal sicher.

Die Einwohner hatten sich, wie ich später erfahren habe, sowohl einige Tage vorher gegen unsere Kavallerie als auch später gegen unsere Lazarette sehr aufrührerisch benommen, und man hatte eine ganze Menge dieser Herren an die Wand stellen müssen.




Am Nachmittag erreichte ich mein Ziel und erfuhr dort, daß drei Tage vorher, ganz in der Gegend von Arlon, mein einziger Vetter Richthofen gefallen war. Ich blieb den Rest des Tages bei der Kavalleriedivision, machte dort noch einen blinden Alarm mit und kam nachts spät bei meinem Regiment an.

Man erlebte und sah eben mehr als die anderen, man war eben doch schon mal am Feind gewesen, hatte mit dem Feinde zu tun gehabt, hatte die Spuren des Krieges gesehen und wurde von jedem einer anderen Waffe beneidet. Es war doch zu schön, wohl doch meine schönste Zeit im ganzen Kriege. Den Kriegsanfang möchte ich wieder mal mitmachen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der rote Kampfflieger