Kapitel 44 - Flug in die Heimat

Fünfzig sind abgeschossen. Zweiundfünfzig fand ich besser. Deshalb schoß ich gleich am selben Tage zwei mehr ab. Es ging eigentlich gegen die Verabredung.

Eigentlich hatte man mir bloß einundvierzig zugebilligt; weshalb die Zahl einundvierzig herauskam, kann sich wohl jeder denken, aber gerade deshalb wollte ich es durchaus vermeiden. Ich bin kein Rekordarbeiter, überhaupt liegen uns in der Fliegertruppe alle Rekorde fern. Man erfüllt nur seine Pflicht. Boelcke hätte hundert abgeschossen, wäre ihm nicht das Unglück passiert. Und manch anderer der guten gefallenen Kameraden hätte eine ganz andere Zahl erreichen können, wenn ihn nicht sein plötzlicher Tod daran verhindert hätte. Aber so ein halbes Hundert macht einem eben doch auch Spaß. Nun hatte ich es schließlich auch erreicht, daß man mir fünfzig zubilligte, bevor ich meinen Urlaub antrat.


Hoffentlich kann ich noch das zweite Fünfzig feiern.

Am Abend desselben Tages klingelte es, und nichts Geringeres als das »Große Hauptquartier« wünschte mich zu sprechen. Ich kam mir ganz spaßig vor, so mit der »Großen Bude« verbunden zu sein. Ich erhielt unter anderem die erfreuliche Nachricht, daß Seine Majestät den Wunsch geäußert hätte, mich persönlich zu sprechen, und zwar war gleich der Tag angesagt: am 2. Mai. Dies ereignete sich aber schon am 30. April abends neun Uhr. Mit dem Zuge wäre es nicht mehr möglich gewesen, dem Wunsch des Allerhöchsten Kriegsherrn nachzukommen. So zog ich es vor, was ja auch viel schöner ist, die Reise auf dem Luftwege zu erledigen. Am nächsten Morgen wurde gestartet, und zwar nicht in meinem Einsitzer »Le petit rouge«, sondern in einem dicken, großen Zweisitzer.

Ich setzte mich hinten ’rein, d. h. also nicht an den »Knüppel«. Arbeiten mußte in diesem Falle der Leutnant Krefft, auch einer der Herren meiner Jagdstaffel. Er wollte gerade auf Erholungsurlaub, es paßte also ausgezeichnet. So kam er auch schneller in die Heimat. Es war ihm nicht unsympathisch.

Meine Abreise ging etwas Hals über Kopf. Ich konnte in dem Flugzeug nichts weiter mitnehmen als die Zahnbürste, mußte mich also gleich so anziehen, wie ich mich im Großen Hauptquartier vorzustellen hatte. Und so im Felde hat eben der Militärsoldat nicht viel mit von schönen Kleidungsstücken, jedenfalls nicht so ein armes Frontschwein wie ich.

Die Führung der Staffel übernahm mein Bruder. Ich verabschiedete mich kurz, denn ich hoffte, bald im Kreise dieser lieben Menschen meine Tätigkeit wieder aufnehmen zu können.

Der Flug ging nun über Lüttich, Namur auf Aachen und Köln. Es war doch schön, so mal ohne kriegerische Gedanken durch das Luftmeer zu segeln. Herrliches Wetter, wie wir es schon seit langem nicht gehabt hatten. Gewiß gab es am heutigen Tage mächtig viel zu tun an der Front. Bald sind die eigenen Fesselballons nicht mehr zu sehen. Immer weiter weg von dem Donner der Schlachten von Arras. Unter uns Bilder des Friedens. Fahrende Dampfer. Dort saust ein D-Zug durchs Gelände, wir überholen ihn spielend. Der Wind ist uns günstig. Die Erde scheint uns wie eine Tenne so platt. Die schönen Maasberge sind nicht zu erkennen als Berge. Man erkennt sie nicht einmal am Schatten, denn die Sonne steht fast senkrecht. Man weiß nur, daß sie vorhanden sind, und mit etwas Phantasie kann man sich sogar in ihre kühlen Schluchten verkriechen.

Es war doch etwas spät geworden, und so kamen wir in die Mittagsstunde. Eine Wolkenschicht zieht sich unter uns zusammen und verdeckt die Erde völlig. Nach Sonne und Kompaß orientierend fliegen wir weiter. Die Nähe von Holland ist uns allmählich aber doch unsympathisch, und so ziehen wir es vor, wieder mit dem Erdboden Fühlung zu nehmen. Wir gehen unter die Wolke und befinden uns gerade über Namur. Nun geht es weiter nach Aachen. Aachen lassen wir links liegen und erreichen zur Mittagszeit Köln. Die Stimmung in unserem Flugzeug war gehoben. Vor uns ein längerer Urlaub, außerdem das schöne Wetter, die gelungene Sache, wenigstens Köln erreicht zu haben, und die Gewißheit, daß, wenn einem auch jetzt etwas passiert, man doch noch das Große Hauptquartier erreichen konnte.

Man hatte uns in Köln telegraphisch angesagt, so wurden wir dort erwartet. Am Tage vorher hatte mein zweiundfünfzigster Luftsieg in der Zeitung gestanden. So war der Empfang auch danach.

Durch den dreistündigen Flug hatte ich doch etwas Schädelbrummen, und so zog ich es vor, erst einen kleinen Mittagsschlummer einzulegen, bevor ich im Großen Hauptquartier eintraf. Wir flogen nun von Köln ein ganzes Stückchen den Rhein entlang. Ich kannte die Strecke. Ich bin sie oft gefahren, auf dem Dampfer, mit dem Auto und der Eisenbahn, und nun im Flugzeug. Was war das Schönste? Es ist schwer zu sagen. Gewisse Einzelheiten sieht man ja natürlich vom Dampfer aus besser. Aber der Gesamtblick aus dem Flugzeug ist auch nicht zu verachten. Der Rhein hat eben einen besonderen Reiz, so auch von oben. Wir flogen nicht zu hoch, um nicht das Gefühl der Berge völlig zu verlieren, denn das ist doch wohl das Schönste am Rhein, die riesigen, bewaldeten Höhen, die Burgen usw. Die einzelnen Häuser konnten wir natürlich nicht sehen. Schade, daß man nicht langsam und schnell fliegen kann. Ich hätte gewiß den langsamsten Gang eingestellt.

Nur zu schnell verschwand ein schönes Bild nach dem anderen. Man hat, wenn man höher fliegt, ja nicht das Gefühl, daß es sehr schnell vorwärts geht. In einem Auto oder einem D-Zug zum Beispiel kommt einem die Geschwindigkeit ganz ungeheuer vor, dagegen im Flugzeug eigentlich immer langsam, wenn man eine gewisse Höhe erreicht hat. Man merkt es eigentlich erst daran, wenn man mal fünf Minuten nicht ’rausgeguckt hat und dann mit einem Male wieder die Orientierung aufnimmt. Da ist das Bild, das man noch kurz vorher im Kopfe hatte, mit einem Male völlig verändert. Was man unter sich sah, sieht man auf einmal in einem Winkel, gar nicht zum Wiedererkennen. Deshalb kann man sich so schnell verorientieren, wenn man mal für einen Augenblick nicht aufpaßt. So kamen wir am Nachmittag im Großen Hauptquartier an, herzlich empfangen von einigen mir bekannten Kameraden, die dort in der »Großen Bude« zu arbeiten haben. Sie tun mir ordentlich leid, die Tintenspione. Sie haben ja nur den halben Spaß vom Kriege. Zunächst meldete ich mich bei dem Kommandierenden General der Luftstreitkräfte. Am nächsten Vormittag ereignete sich nun der große Moment, wo ich Hindenburg und Ludendorff vorgestellt werden sollte. Ich mußte eine ganze Weile warten. Wie die Begrüßung im einzelnen war, kann ich eigentlich schlecht schreiben. Erst meldete ich mich bei Hindenburg, dann bei Ludendorff.

Es ist ein unheimliches Gefühl in dem Raum, wo das Geschick der Erde entschieden wird. So war ich ganz froh, wie ich die »Große Bude« wieder hinter mir hatte und mittags bei Seiner Majestät zum Frühstück befohlen war. Es war ja heute mein Geburtstag, und irgendeiner hatte es wohl Seiner Majestät verraten, und so gratulierte er mir. Einmal zu meinem Erfolg, dann zum fünfundzwanzigsten Lebensjahr. Auch ein kleines Geburtstagsgeschenk überraschte mich.

Früher hätte ich es mir wohl nie träumen lassen, daß ich am fünfundzwanzigsten Geburtstag rechts von Hindenburg sitzen und in einer Rede vom Generalfeldmarschall erwähnt werden würde.




Tags darauf war ich zu Mittag bei Ihrer Majestät eingeladen und fuhr zu diesem Zweck nach Homburg. Dort war ich zum Frühstück bei Ihrer Majestät, wurde gleichfalls mit einem Geburtstagsgeschenk bedacht, und ich hatte noch die große Freude, Ihrer Majestät einen Start vorzuführen. Abends war ich nochmals bei dem Generalfeldmarschall v. Hindenburg eingeladen.

Den Tag darauf flog ich nach Freiburg, um dort einen Auerhahn zu schießen. Von Freiburg aus benutzte ich ein Flugzeug, das nach Berlin flog. In Nürnberg wurde Benzin aufgefüllt. Da zog ein Gewitter auf. Ich hatte es aber dringend eilig, in Berlin anzukommen. Allerhand mehr oder weniger interessante Dinge warteten dort meiner. So flog ich trotz des Gewitters weiter. Mir machten die Wolken und das Schweinewetter Spaß. Es goß mit Kannen. Ab und zu etwas Hagel. Der Propeller sah nachher ganz toll aus, durch die Hagelkörner zerschlagen, wie eine Säge. Leider machte mir das Wetter so viel Spaß, daß ich darüber gänzlich vergaß aufzupassen, wo ich mich befand. Wie ich wieder die Orientierung aufnehmen will, habe ich keinen Dunst mehr, wo ich bin. Eine schöne Bescherung! In der Heimat »verfranzt«! Das mußte natürlich gerade mir passieren. Wie würden die zu Hause sich amüsieren, wenn sie das wüßten! Aber es war an der Tatsache nichts zu ändern. Ich wußte nicht mehr, wo ich war. Ich war durch den starken Wind und das niedrige Fliegen sehr abgetrieben worden und von meiner Karte heruntergekommen und mußte nun nach Sonne und Kompaß notdürftig die Richtung nach Berlin einhalten. Städte, Dörfer, Flüsse, Wälder jagen unter mir dahin. Ich erkenne nichts wieder. Ich vergleiche die Natur mit meiner Karte, aber vergeblich. Es ist alles anders. Ich bin eben tatsächlich nicht mehr im Bilde. Es ist mir nicht möglich, die Gegend wiederzuerkennen. Wie sich später herausstellte, war es allerdings auch ausgeschlossen, denn ich flog etwa hundert Kilometer neben meinem Kartenrand.


Der kommandierende General der Luftstreitkräfte, Exzellenz v. Hoeppner (1), und der Chef des Stabes der Luftstreitkräfte, Oberstleutnant Thomson (2), mit Rittmeister Manfred Freih. v. Richthofen (3)

Ein Glückwunsch des Kaisers Ein Glückwunsch des Kaisers

Nach etwa zweistündigem Fluge entschlossen sich mein Führer und ich zu einer Notlandung. Dies ist immer was Unangenehmes, so ohne Flughafen. Man weiß nicht, wie die Erdoberfläche ist. Kommt ein Rad in ein Loch, ist die Kiste futsch. Erst versuchten wir noch, auf einem Bahnhof die Aufschrift der Station zu erkennen, aber Kuchen, natürlich war sie so klein aufgepinselt, daß man auch nicht einen Buchstaben erkennen konnte. Also müssen wir landen. Nur schweren Herzens, aber es bleibt uns nichts anderes übrig. Wir suchen uns eine Wiese, die von oben ganz schön aussieht, und versuchen unser Heil. Leider sah die Wiese bei näherer Betrachtung nicht so schön aus. Dies konnte ich auch an einem etwas verbogenen Fahrgestell feststellen. So hatten wir uns denn völlig mit Ruhm bekleckert. Erst »verfranzt« und dann die Kiste zerschmissen! Wir mußten nun also mit einem ganz ordinären Fortbewegungsmittel, dem D-Zug, unsere weitere Reise nach der Heimat antreten. Langsam, aber sicher erreichten wir Berlin. Wir waren in der Nähe von Leipzig notgelandet. Hätten wir nicht die Dummheit gemacht, so wären wir gewiß noch nach Berlin gekommen, aber wie man’s macht, macht man’s falsch.

Einige Tage später traf ich in meiner Heimatstadt Schweidnitz ein. Obwohl es sieben Uhr morgens war, hatte sich doch eine ganze Menge Menschen auf dem Bahnhof angefunden. Die Begrüßung war herzlich. Am Nachmittag wurden mir verschiedene Ehrungen zuteil, darunter auch durch Jugendwehr.

Im großen und ganzen wurde mir klar, daß die Heimat sich für ihre Kämpfer im Felde doch lebhaft interessiert.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der rote Kampfflieger