Kapitel 43 - Der - alte Herr - kommt uns besuchen

Für den 29. April hatte sich der »alte Herr« angesagt, der seine beiden Söhne besuchen wollte. Mein Vater ist Ortskommandant eines Städtchens in der Nähe von Lille, also nicht sehr weit weg von uns. Von oben kann ich ihn öfters sehen. Er wollte mit dem Zuge um neun Uhr kommen. Um halb Zehn ist er auf unserem Platz. Wir kommen gerade von einem Jagdflug nach Hause, und mein Bruder steigt zuerst aus seiner Kiste, begrüßt den alten Herrn: »Guten Tag, Papa, ich habe eben einen Engländer abgeschossen.« Darauf steige ich aus meiner Maschine: »Guten Tag, Papa, ich habe eben einen Engländer abgeschossen.« Der alte Herr war glücklich, es machte ihm viel Spaß, das sah man ihm an. Er ist nicht einer von den Vätern, die sich um ihre Söhne bangen, sondern am liebsten möchte er selbst sich in eine Maschine setzen und auch abschießen – glaube ich wenigstens. Wir frühstückten erst mit ihm, dann flogen wir wieder.

In der Zwischenzeit spielte sich ein Luftkampf über unserem eigenen Flughafen ab, den mein Vater sehr interessiert beobachtete. Wir waren aber nicht beteiligt, denn wir standen unten und sahen selbst zu. Es war ein englisches Geschwader, das durchgebrochen war und über unserem Flughafen von einigen unserer Aufklärungsflieger angegriffen wurde. Plötzlich überschlägt sich das eine Flugzeug, fängt sich wieder und kommt herunter im normalen Gleitflug, und wir erkennen mit Bedauern, daß es diesmal ein Deutscher ist. Die Engländer fliegen weiter. Das deutsche Flugzeug ist scheinbar angeschossen, kommt aber ganz richtig gesteuert herunter und versucht, auf unserem Flugplatz zu landen. Der Platz ist etwas klein für das große Ding. Auch war es dem Piloten unbekanntes Gelände. So war die Landung nicht ganz glatt. Wir stürzen hin und müssen mit Bedauern feststellen, daß der eine der Insassen, der Maschinengewehrschütze, gefallen ist. Dieser Anblick war meinem Vater etwas Neues und stimmte ihn offenbar sehr ernst.


Der Tag versprach noch gut zu werden für uns. Wunderbar klares Wetter. Dauernd hörte man die Abwehrgeschütze; also unentwegter Flugbetrieb. Gegen Mittag flogen wir wieder. Diesmal hatte ich wieder Glück und hatte meinen zweiten Engländer an dem Tage abgeschossen. Die Stimmung des alten Herrn war wieder da. Nach Tisch ein kurzes Schläfchen und man war wieder ganz auf der Höhe. Wolff war mit seiner Gruppe während der Zeit am Feinde gewesen und hatte selbst einen erledigt. Auch Schäfer hatte sich einen zu Gemüte geführt. Nachmittags starteten mein Bruder und ich mit Schäfer, Festner und Allmenröder noch zweimal. Der erste Flug war verunglückt, der zweite Flug um so besser. Wir waren nicht lange an der Front, da kam uns ein feindliches Geschwader entgegen. Leider sind sie höher als wir. Also können wir nichts machen. Wir versuchen, ihre Höhe zu erreichen: es glückt uns nicht. Wir müssen sie auslassen, fliegen an der Front entlang, mein Bruder dicht neben mir, den anderen voraus. Da sehe ich zwei feindliche Artillerieflieger in ganz unverschämt frecher Weise nahe an unsere Front herankommen. Ein kurzer Wink meines Bruders, und wir hatten uns verständigt. Wir fliegen nebeneinander her, unsere Geschwindigkeit vergrößernd. Jeder fühlt sich so sicher, einmal sich selbst dem Feinde überlegen. Besonders aber konnte man sich aufeinander verlassen. Denn das ist eben die Hauptsache. Man muß wissen, mit wem man fliegt. Also mein Bruder war zuerst an die Gegner heran, greift sich den ersten, der ihm am nächsten fliegt, heraus, ich mir den zweiten.

Nun gucke ich mich noch schnell um, daß nicht noch ein dritter in der Nähe ist; aber wir sind allein. Aug’ in Auge. Ich habe meinem Gegner bald die günstigste Seite abgerungen, ein kurzes Reihenfeuer, und das feindliche Flugzeug platzt auseinander. So schnell war mir ein Kampf noch nie vorgekommen.

Während ich noch beobachte, wo die Trümmer meines Gegners herunterstürzen, gucke ich mich nach meinem Bruder um. Er war kaum fünfhundert Meter von mir entfernt, noch im Kampf mit seinem Gegner.

Ich hatte Zeit, mir dieses Bild genau anzusehen, und muß sagen, daß ich selbst es nicht hätte besser machen können. Auch er hatte bereits den Gegner überrumpelt, und beide drehten sich umeinander. Da plötzlich bäumt sich das feindliche Flugzeug auf – ein sicheres Zeichen des Getroffenseins, gewiß hatte der Führer Kopfschuß oder so etwas – das Flugzeug stürzt, und die Flächen des feindlichen Apparates klappen auseinander. Die Trümmer fallen ganz in die Nähe meines Opfers. Ich fliege an meinen Bruder heran und gratuliere ihm, d. h. wir winkten uns gegenseitig zu. Wir waren befriedigt und flogen weiter. Es ist schön, wenn man mit seinem Bruder so zusammen fliegen kann.

Die anderen waren in der Zwischenzeit auch herangekommen und hatten sich das Schauspiel, das ihnen die beiden Brüder boten, angeguckt, denn helfen kann man ja nicht, einer kann nur abschießen, und ist einer mit dem Gegner beschäftigt, so können die anderen nur zusehen, ihm den Rücken decken, damit er nicht von hinten von einem Dritten belapst wird.

Wir fliegen weiter, gehen auf größere Höhe, denn oben haben sich einige aus dem Klub der Anti-Richthofen zusammengefunden. Wir waren mal wieder gut zu erkennen, die Sonne vom Westen her beleuchtete die Apparate und ließ sie in ihrer schönen roten Farbe weithin schillern. Wir schlossen uns eng zusammen, denn jeder wußte, daß man es mit Brüdern zu tun hat, die dasselbe Metier verfolgen wie wir selbst. Leider sind sie wieder höher, so daß wir auf ihren Angriff warten müssen. Die berühmten Dreidecker und Spads, ganz neue Maschinen, aber es kommt eben nicht auf die Kiste an, sondern auf den, der drinnen sitzt; die Brüder waren laurig und hatten keinen Mumm. Wir boten ihnen den Kampf an, sowohl bei uns wie auch drüben. Aber sie wollten ihn nicht annehmen. Wozu prahlen sie erst mit ihrem Geschwader, das angesetzt ist, um mich abzuschießen, wenn ihnen nachher doch das Herz in die Hosen fällt?

Endlich hat einer Mut gefaßt und stößt auf unseren letzten herunter. Natürlich wird der Kampf angenommen, obwohl es ja für uns ungünstig ist, denn der, der drüber ist, ist im Vorteil. Aber wenn einem die Kundschaft nicht mehr gibt, muß man sie halt nehmen, wie sie kommt. Also macht alles kehrt. Der Engländer merkt es und läßt sofort ab. Nun ist aber der Anfang gemacht. Ein anderer Engländer versucht das gleiche. Er hat sich mich als Gegner ausgesucht, und ich begrüße ihn gleich mit einer Salve aus beiden Maschinengewehren. Dies schien er nicht zu schätzen. Er versuchte, sich durch einen Sturzflug mir zu entziehen. Das war sein Verderben. Denn dadurch kam er unter mich. Nun blieb ich über ihm. Was unter mir ist, womöglich noch allein und auf unserem Gebiet, kann wohl als verloren gelten, besonders, wenn es ein Einsitzer ist, also ein Jagdflieger, der nicht nach hinten ’rausschießen kann. Der Gegner hatte eine sehr gute Maschine und war sehr schnell. Aber es sollte ihm nicht glücken, seine Linien zu erreichen. Über Lens fing ich an, auf ihn zu schießen. Ich war noch viel zu weit. Es war aber ein Trick von mir, ich beunruhigte ihn dadurch. Er kroch auf den Leim und machte Kurven. Dies nützte ich aus und kam etwas näher heran. Schnell versuchte ich dasselbe Manöver nochmals und zum drittenmal. Jedesmal fiel mein Freund darauf ’rein. So hatte ich mich sachte an ihn herangeschossen. Nun bin ich ganz nahebei. Jetzt wird sauber gezielt, noch einen Augenblick gewartet, höchstens noch fünfzig Meter von ihm entfernt, drücke ich auf beide Maschinengewehrknöpfe. Erst ein leises Rauschen, das sichere Zeichen des getroffenen Benzintanks, dann eine helle Flamme, und mein Lord verschwindet in der Tiefe.

Dieser war der Vierte an diesem Tage. Mein Bruder hatte zwei. Dazu hatten wir den alten Herrn scheinbar eingeladen. Die Freude war ganz ungeheuer.

Abends hatte ich mir noch einige Herren eingeladen, unter anderen meinen guten Wedel, der zufällig auch in der Gegend war. Das Ganze war eine geglückte, verabredete Sache. Sechs Engländer hatten die beiden Brüder also an einem Tage abgeschossen. Das ist zusammen eine ganze Fliegerabteilung. Ich glaube, wir waren den Engländern unsympathisch.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der rote Kampfflieger