Kapitel 23 - Ein Gewitterflug

Unsere Tätigkeit vor Verdun im Sommer 1916 wurde durch häufige Gewitterstürme gestört. Nichts Unangenehmeres gibt es für einen Flieger, als durch ein Gewitter hindurch zu müssen. Während der Somme-Schlacht zum Beispiel landete ein ganzes englisches Geschwader hinter unseren Linien, weil es durch ein Gewitter überrascht wurde. Es geriet so in Gefangenschaft.

Ich hatte noch nie den Versuch gemacht, durch ein Gewitter hindurchzufliegen, und konnte es mir nicht verkneifen, das doch mal auszuprobieren. In der Luft war den ganzen Tag eine richtige Gewitterstimmung. Von meinem Flughafen Mont war ich nach dem nahen Metz hinübergeflogen, um dort einiges zu erledigen. Da ereignete sich bei meinem Nachhauseflug folgendes:


Ich war auf dem Flugplatz in Metz und wollte nach meinem Flughafen zurück. Wie ich meine Maschine aus der Halle zog, machten sich die ersten Anzeichen eines nahen Gewittersturmes bemerkbar. Der Wind kräuselte den Sand, und eine pechschwarze Wand zog von Norden her heran. Alte, erfahrene Piloten rieten mir dringend ab, zu fliegen. Ich hatte aber fest versprochen zu kommen, und es wäre mir furchtsam erschienen, wenn ich wegen eines dummen Gewitters ausgeblieben wäre. Also, Gas gegeben und mal probiert! Schon beim Start fing’s an zu regnen. Die Brille mußte ich wegwerfen, um überhaupt etwas sehen zu können. Das Üble war, daß ich über die Moselberge wegmußte, durch deren Täler gerade der Gewittersturm brauste. Ich dachte mir: »Nur zu, es wird schon glücken,« und näherte mich mehr und mehr der schwarzen Wolke, die bis auf die Erde herunterreichte. Ich flog so niedrig wie möglich. Über Häuser und Baumreihen mußte ich teilweise hinwegspringen. Wo ich war, wußte ich schon lange nicht mehr. Der Sturm erfaßte meinen Apparat wie ein Stück Papier und trieb ihn vor sich her. Mir saß das Herz doch etwas tiefer. Landen konnte ich nicht mehr in den Bergen, also mußte durchgehalten werden.

Um mich herum war es schwarz, unter mir bogen sich die Bäume im Sturm. Plötzlich lag vor mir eine bewaldete Höhe. Ich mußte auf sie zu, mein guter Albatros schaffte es und riß mich darüber hinweg. Ich konnte nur noch geradeaus fliegen; jedes Hindernis, das kam, mußte genommen werden. Es war die reine Springkonkurrenz über Bäume, Dörfer, besonders Kirchtürme und Schornsteine, da ich höchstens noch fünf Meter hoch fliegen konnte, um in der schwarzen Gewitterwolke überhaupt noch etwas zu sehen. Um mich herum zuckten die Blitze. Ich wußte damals noch nicht, daß der Blitz nicht in das Flugzeug schlagen kann. Ich glaubte den sicheren Tod vor Augen zu haben, denn der Sturm mußte mich bei der nächsten Gelegenheit in ein Dorf oder in einen Wald werfen. Hätte der Motor ausgesetzt, so wäre ich erledigt gewesen.

Da sah ich mit einem Male vor mir eine helle Stelle am Horizont. Dort hörte das Gewitter auf; erreichte ich diesen Punkt, so war ich gerettet. Die ganze Energie zusammennehmend, die ein junger, leichtsinniger Mensch haben kann, steuerte ich darauf zu.

Plötzlich, wie abgerissen, war ich aus der Gewitterwolke heraus, flog zwar noch im strömenden Regen, aber fühlte mich im übrigen geborgen.

Noch immer bei strömendem Regen landete ich in meinem Heimatshafen, wo schon alles auf mich wartete, da von Metz bereits die Nachricht eingetroffen war, ich sei in einer Gewitterwolke, Richtung dorthin, verschwunden.

Nie wieder werde ich, wenn es nicht mein Vaterland von mir fordert, durch einen Gewittersturm hindurchfliegen.

In der Erinnerung ist alles schön, so gab es auch dabei schöne Momente, die ich nicht in meinem Fliegerdasein missen möchte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der rote Kampfflieger