Der letzte Ritter

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1926
Autor: Prof. Dr. Richard Graf du Moulin Eckart, Erscheinungsjahr: 1926
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„Vom alten Germanien zum neuen Reich, zwei Jahrtausende deutscher Geschichte“, so lautet der Titel eines neuen Werks, das in der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart erschienen ist und aus dem wir nachstehend eine Probe veröffentlichen. Sein Verfasser, Professor Richard Graf du Moulin Eckart, ist bekannt und gerühmt als hervorragender Historiker. Darum ist „Vom alten Germanien zum neuen Reich“ keine bloße Chronik der Zeiten geworden, bringt nicht nur die Stufen deutscher Zeitgeschichte, sondern zeigt belebt den schicksalsvollen Weg zur Höhe mit weiten Ausblicken auf die dichterische, künstlerische und wirtschaftliche Entfaltung des deutschen Volkes. Und weil nichts geeigneter ist als das Bild, die Freude am geschriebenen Wort zu erhöhen und geschichtliche Vorgänge auch dem Auge lebendig werden zu lassen, wurde den Abbildungen ebenfalls ein großer Raum zugeteilt. So wurde es erreicht, dass das Werk „Vom alten Germanien zum neuen Reich“ als für Alt und Jung wertvoll, für jedermann anziehend und verständlich überall willkommen sein wird.

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Die Wahl der Bilder zeigt ein freudiges Bekenntnis deutscher Größe, und man kann von dem Buch kaum Besseres sagen als die Worte, mit denen Graf du Moulin Eckart seine Einleitung schließt: „Möge es den Lesern das geben, was mir in langen Jahren des Lehrens der Stoff selbst gegeben hat: das Gefühl für die deutsche Eigenart und das unerschütterliche Vertrauen auf die deutsche Kraft, die auch dann nicht wanken darf, wenn wir einen langen und peinvollen Weg durch sumpfige Niederungen zurückzulegen haben. Der Aufstieg wird dann umso erhebender sein. Und ich gebe der frohen Hoffnung Ausdruck, dass bei diesem mein Buch vielen das Geleit geben möge!“

Wenn man in der Franziskanerkirche zu Innsbruck an dem Grabmal steht, das sich Maximilian I. inmitten all der Unruhen seines Lebens geschaffen, so gewinnt man von diesem seltsamen Habsburger eigentlich erst das richtige Bild. Unter den Statuen, die bestimmt waren, die Ruhe des Königs im Grabe zu bewachen, findet ich, von Peter Vischers Künstlerhand, das Erzbild des Dietrich von Bern, und zwar in der Auffassung, die dem Geiste der Zeit und Maximilians selbst, des „letzten Ritters“, in sinnvoller Weise entsprach. Denn in ihm pussierte in der Tat etwas von dem Wesen des Ostgotenkönigs. Deshalb dürfen wir, wenn wir ihn als deutschen König richtig fassen wollen, nicht so sehr auf seine innere und äußere Politik blicken wie auf seine Beziehungen zum Geiste und zu den Geistern seiner Zeit. War doch der Augenblick gekommen, wo das Elend der deutschen Politik und des inneren Zwistes, wenn es irgendeiner Richtung, vor allem der stärksten, der städtischen, den Sieg gebracht hätte, ohne Zweifel die volle Zertrümmerung Deutschlands hätte herbeiführen müssen. Nicht als ob die Städte an sich ein Schaden für das Reich gewesen wären. Aber ihr Wert lag in ihrem Gemeinwesen selbst und in der Erziehung der Bürger zum Gemeinsinn. Lebte doch eine eigene Kraft und ein eigener Zauber in dem städtischen Wesen. Hier findet sich zuerst ein richtig ausgebildetes Beamtentum für alle Sparten der Verwaltung. Hier die Übernahme aller jener Aufgaben, die einst vom Episkopat und den Klöstern durchgeführt wurden in Schule, Armen- und Gesundheitspflege. Der „schwarze Tod“, der wie ein aus der Hölle losgelassener böser Geist immer und immer wieder durch die deutschen Lande ging und die Städte verödete, die Dörfer aussterben ließ und Siechtum und Elend in alle Familien brachte, verlangte, dass die Städte nun selbst der furchtbaren Plage Einhalt zu tun begannen. . .

Da kam Maximilian I. Wenn man ihn neben den Vater stellt, dann erscheint er uns in der Tat wie der gottgesandte König. In ihm pulsierte wohl das junge, allzu früh ins Stocken geratene Blut seiner portugiesischen Mutter. Aber von Kind an haben Mut und Übermut ihn gelenkt und geleitet. Von den Büchern hinweg, über denen er fleißig saß, trieb es ihn zum Waffenspiel und zur Jagd. Und als den kühnen Alpenjäger feiert ihn die Sage. Wir sehen ihn, wie er auf der Martinswand im steilen Gestein sich versteigt und den Ausweg nicht zu finden vermag. Unten im Tal blickt sein Volk sorgend auf den Verstiegenen, und der Priester streckt die Monstranz empor, den Verlorenen zu trösten in seiner letzten Not. Aber da kommt der Retter und führt ihn auf gangbaren Pfad zurück.

Doch die Sage arbeitet nicht allein. Sein frischer, freudiger Geist erkannte die Zeit und das Ringen, das jetzt mit italienischem Einfluss und Einschlag über ganz Europa dahinging. Freilich, unten in Italien waren die Kräfte der Kultur lebendig geworden, und man konnte mit Recht von einer Renaissance sprechen, die im Grund genommen doch nichts war als der Atem des erwachenden Nationalgefühls.

Und das Werden in Italien pflanzte sich fort über die Alpen, in unser deutsches Land. Wir dürfen nicht vergessen, dass der deutsche Kaufmann, der mit seinen Saumtieren und den schweren Lastwagen über den Brenner und den Splügen zog, neben den Waren des Südens auch Ahnen und Fühlen für jene gewaltige Kunst und für die Schönheit von Tat und Werk mit in die Heimat getragen hat.

Schon war in Prag und Wien, in Heidelberg und allenthalben an den Höfen auch die Liebe für die Wissenschaft, und zwar für die deutsche Wissenschaft erwacht. Auswärts lernen, was zu lernen war, von den Alten gewinnen, was des Gewinnes wert, das haben schon längst deutsche Geister geübt. Und wenn in Frankreich die Scholastik von Stufe zu Stufe emporklomm, um schließlich sich selbst all absurdum zu führen, so hat in Deutschland die Mystik eines Meister Eckart und seiner Gesellen etwas so Tiefes, etwas so Altes und doch so Neues geschaffen, dass von ihnen und ihrem fast für zauberhaft gehaltenen Wesen ein neuer Geist in die Seelen eindrang von Mann und Weib.

Vor allem auch in das Weib. Und dieses, dass in den Zeiten von „Minnesangs Frühling“ so hoch gehalten und in Lied und beim Fest so hoch gestellt war, während es daheim doch die ganze Last des armseligen Haushalts zu tragen hatte und hier, wo der Mann mit dem Festkleid und der Brünne die übertünchte Kultur abgelegt, das schweigend duldende Opfer übriggebliebenen Barbarentums war, fand nun durch die Mystik selbst den Geist zu einer höheren Auffassung des Lebens. Ihr aber boten zumal Haus und Heim des deutschen Bürgers Raum. So ging durch die Welt der deutschen Gelehrten ein starker nationaler Zug. Wenn man auch Lateinisch und Griechisch las und dem Hebräischen sich zuwandte, um die Quellen der Heiligen Schrift in der Ursprache zu erforschen, war doch die deutsche Sprache die herrschende geworden. Im Lauschen auf den heimischen Laut erwachte auch der eigene Gedanke. Und wenn nun ein Fürst kam, ein König, der, wie einst Barbarossa und seine Söhne, für dieses Werden und Schaffen Gefühl und Freude hatte, dann war über alle leidigen Sorgen der Politik hinweg eine Brücke geschlagen zwischen Fürst und Volk.

Dieser König war Maximilian. Wir brauchen ihn uns nicht vorzustellen, wie er auf den Reichstagen dem berechtigten Drängen der Kurfürsten nachgab und die Sanktion erteilen musste zu einer Reihe von neuen Schöpfungen, die Deutschland wiederum auf eine höhere und sicherere Basis zu stellen geeignet waren. Wir müssen sehen, wie er dem jungen Ulrich von Hutten vor allem Volk feierlich den Lorbeerkranz auf die Stirne setzte und ihn als „poeta laureatus“ begrüßte, wie er in Augsburg und Nürnberg aus der Ratsstube des Reichstags müde und abgespannt, missmutig und misslaunig und doch lachend über die Geschäfte, die er wiederum mit den Fürsten gemacht, zu seinen Freunden kam und beim Gastmahl, beim fröhlichen Becher der Poesie und dem ganzen Zauber, den die Humanisten als das Geheimnis ihrer Schule betrachteten, sich hingab, wie er mit ihnen, seinen Getreuen, in kranzumwundenem Schiff über den Bodensee fuhr und ihnen seine Gedanken eingab, die im „Theuerdank“ oder dem „Weiskunig“ und in all den Werken dieser Zeit ihren Niederschlag gefunden haben. Er war ihnen allen ein guter König, und er war's, weil er über all die Sorgen seines Lebens hinweg daran dachte, dass in der Zukunft dein Bild fortleben sollte, glanzerfüllt und getragen von dem Ruhm und dem Lob der Größten einer Zeit.

Das war die Poesie seines Lebens, die einst sein Grab mit grünem Lorbeer umranken sollte, aber nicht die einzige. Er hatte Freude auch am Kampf. Wenn ihn dieser auch gegen seine Feinde, die von heute auf morgen wechselten, nach allen Seiten führte, so hat er Freude vor allem an Waffen und Wehr und auch an denen, die sie trugen, gehabt. Die Landsknechte der späteren Zeit haben ihn als ihren Vater stets gepriesen. Bis zu einem gewissen Grade mit Recht. Zwar hat er sie nicht ins Leben gerufen und nicht ihre volle Ausbildung erreicht. Aber er hat sie gefördert und die Grundlage für ihre Entwicklung gelegt. Wenn nach ihm die Türken Ungarn überschwemmt und Wien belagert haben, so hat diese Stadt dem Ansturm des gewaltigen Feindes vor allem doch zu widerstehen vermocht, weil er ihre Wälle bestückt hat mit den glänzenden Geschützen, an denen er seine ganz besondere Freude hatte. Aber bei ihm galt nicht das Spiel, sondern er ahnte, dass seine Werke dauern und dass der Donner dieser Geschütze den Feind schrecken würde, den er am liebsten selbst mit dem Aufgebot nicht bloß des Reichs, sondern des gesamten Europas bekämpft hätte. Denn der Traum des Türkenkrieges ging durch sein ganzes Leben. Er blieb unerfüllt, wie der „letzte Ritter“ in seinem Kämpfen und Ringen mit Frankreich und den italienischen Mächten doch nie den Erfolg gewonnen hat, den er erwartete. Es fällt von der Politik her sogar ein Schatten auf sein Walten. Den vollen Ernst, Deutschland zu heben und vollkommen zu reformieren, hat er nie gehabt. Wenn er inmitten der Kurfürsten saß, schweifte sein Blick wohl in die ferne Zukunft, und er dachte an die Größe seines Hauses, das sich nicht auf die deutsche Kraft stützte, sondern auf Burgund, das er seinem Sohne Philipp mit allen Kräften erhalten, und auf das ferne Spanien, dessen Infantin Johanna dieser Sohn gefreit hatte.

Diesen Gedanken hat er seine Kräfte geopfert. Er konnte sie nur durchführen auf dem Boden der europäischen Politik. Und dazu half nur der eigene Hausbesitz, der während der langen Regierung seines Vaters so schwer gelitten und doch durch die Gunst des Schicksals gerettet worden war und von der Adria bis an die Küsten der Nordsee reichte.

Doch um diese gewaltigen Stücke zusammenzuhalten, bedurfte er des Reichs, und wenn er dieses aufrief, ihm zu helfen, so hatte es allen Grund, dem Rufe zu folgen. Denn schließlich war sein König und Herr auch sein bester Verbündeter. Und im Dienste dieses Königs war Ehre genug zugewinnen. Gewiss, die Zeit seiner Regierung ist angefüllt mit gewaltigen Fehden, in die er selbst hineingezogen wurde. Aber um dieses Reich für seine Pläne nutzbar zu machen und eine Entwicklung auf gesunder Basis zu ermöglichen, bedurfte es der Reform und des inneren Friedens. Durch die ganze Zeit der Regierung Maximilians gehen diese Bemühungen. Die Initiative ist dabei freilich nicht von ihm ausgegangen, und das Ende war schließlich doch nur ein Torso und ein Kompromiss. Aber es war immerhin etwas Greifbares. Der Landfriede war ein allgemeiner, alle Glieder des Reichs bindender geworden, und zum ersten Male hörte man nicht bloß von der Autorität des Königs, sondern des Reichs, auf die der Reichsfriede gegründet war. Auf diesem Boden baute man weiter. Das Reichsgericht wurde ins Leben gerufen, das Kammergericht mit seinen ständigen Besitzern, und auch jene Reichsexekutionsordnung, die Gutes hätte wirken können. Es ist nicht Schult der Schöpfer, wenn sie vielfach versagt hat. Aber all das forderte Geld. So wurde in dem „gemeinen Pfennig“ die erste direkte Reichssteuer ins Leben gerufen. Man musste freilich wegen des vollen Versagens bald auf die alten Matrikularumlagen zurückgreifen. Aber es war ein Anfang zu weiteren segensvollen Einrichtungen, wie die Einteilung des Reichs in Kreise, die in ihrer Ausbildung und durch die Kräfte, die sie hervorbrachten, immerhin selbständiges Leben zu gewinnen fähig waren.

Maximilian fügte sich bei diesen Einrichtungen dem Zwang und der Einsicht, dass er nur auf diesem Wege die Hilfe für seine eigenen Zwecke erreichen konnte, ohne die er dem König Karl VIII. gegenüber, der mit scharfer Klugheit auf Italien übergriff, die Rechte von Haus und Reich nicht vertreten konnte. Freilich, volles Verständnis hat er dabei nicht gefunden. Die deutschen Kurfürsten, vor allem jener bedeutende Erzbischof Berthold von Mainz, der Henneberger, und auch die anderen, dachten nicht unbillig zuerst an das Reich und seine Befriedung und an ihr eigenes Recht. Deshalb sollte der König bei allem an ihre Mitwirkung gebunden sein. So schnell war Max für solche Zumutungen freilich nicht zu haben. Er hat nur gegen Zugeständnisse eingewilligt, oft genug in äußerster Not. So hat es nicht an Gegensätzen gefehlt, und die Kurfürsten dachten in ihrem Groll vielfach an eine neue Wahl. Aber dazu war er doch zu stark, zu bedeutend und zu volkstümlich. Auch mussten sie immer im Auge behalten, dass sein Hausgut für das Reich segensreich war, wenn es mit diesem zusammenhing, ihm aber gefährlich werden musste, sobald es gegen das Reich und seine Fürsten eingesetzt wurde.

Am 12. Januar 1519 ist er zu Wels in Oberösterreich gestorben. Ein Sechzigjähriger. Er starb mitten im Werk und musste so manches unausgeführt lassen. Aber er hatte dafür gesorgt, dass Böhmen und Ungarn einmal an sein Haus fallen würden. Wie sein Vater hat er Vertrag um Vertrag geschlossen, und was er nicht selbst erreichen konnte, mit bindenden Patten für die Zukunft gesichert.

Kaiser Maximilian, der letzte Ritter. Nach einem Gemälde von Peter Paul Rubens in der Gemäldegalerie zu Wien

Kaiser Maximilian, der letzte Ritter

Kaiser Maximilian, der letzte Ritter