Der industrielle Großbesitz und die Arbeiterbewegung in Deutschlandmit besonderem Hinweis auf die Gewerk-Vereine
Vortrag, gehalten im Saale des großen Handwerker-Vereins zu Berlin am 25. März 1870
Autor: Schulze-Delitzsch, Hermann, eigentlich Franz Hermann Schulze (1808-1883) deutscher Sozialreformer, Jurist, Politiker und Publizist, einer der „Gründerväter, Erscheinungsjahr: 1870
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutschland, Kultur-, Sitten- und Sozialgeschichte, Großindustrie, Arbeitgeber, Gemeinwohl, Gewerkvereine, Arbeiterbewegung, Gewerkschaften, Streik, Arbeitskampf, Schiedsgerichte, Beteiligung, Arbeiterschaft, Recht und Freiheit, Landesgeschichte, Genossenschaften, Ständewesen, Erwerbsgenossen, Klassenkampf, Gewerkschaften, Volksgeschichte, Volksklassen, Gerechtigkeit, Gleichheit, Gleichberechtigung, Demokratie, Reformen, Bürgerstand, Staatsbürger, Stadtfriede, Zünfte, Stände, Handwerker, Gewerbe, Grundbesitz, Verfassung, Vermögen, Bildung, Landwirtschaft, Geldverkehr, Geldwirtschaft, Geldverkehr, Klassen, Privileg
Mitten unter Epoche machenden Ereignissen auf politischem und kirchlichem Gebiete und Umgestaltungen der tiefgreifendsten Art in deren Gefolge, geht die große Arbeiterbewegung unserer Tage unaufhaltsam ihren Weg und bereitet eine Wandlung unserer gesellschaftlichen Zustände vor, deren Tragweite noch gar nicht abzusehen ist. Schon dass sie sich gleichmäßig über alle Kulturländer verbreitet, ist Zeugnis ihrer tief humanen Bedeutung, vermöge deren sie über die politischen Tagesfragen hinausgreift, zugleich aber dieselben kreuzt und vielfach bedingt. Daher sehen sie von Männern der verschiedensten Richtung, von Vertretern der verschiedensten Interessen umworben, die politischen Parteien ihre Stellung dazu nehmen. Besonders rührig zeigt sich die politische und kirchliche Reaktion in dem Bestreben, sie in dem Kampfe gegen die bürgerliche und politische Freiheit für ihre Zwecke auszubeuten. In dem selben Grade, wie man noch vor Kurzem Seitens dieser Mächte gegen die ganze Bewegung mit allen Mitteln der Polizeigewalt ankämpft und gerade ihre gesundesten Keime in den wirtschaftlichen und Bildungs-Vereinen in brutaler Weise mit der Wurzel auszurotten bemüht war: liebäugelt man gegenwärtig mit ihr, aber wohlgemerkt! In ihrer extremsten Richtung, ihrem exzessivsten Treiben. Zu diesem Zwecke weiß man unter den sozialistischen Agitatoren Anhänger zu gewinnen, und scheut keine Kosten. Haben doch seit Etablierung des „roten Gespenstes“ in Frankreich, wo dasselbe freilich auf sehr realer Grundlage beruhte, derlei Experimente sich überall als das beste Mittel bewährt, dem Liberalismus Abbruch zu tun, und die besitzenden Klassen insbesondre der Staatsrettung um jeden Preis in die Arme zu treiben. Warum also den Versuch bei uns scheuen? Sollten die Beteiligten mit der Zeit unangenehm werden - ei nun: hat der Mohr erst seine Schuldigkeit getan, so meint man im Besitz der Mittel zu sein, ihn gehen zu heißen!
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Im Gegensatz hierzu nimmt der kommerzielle Großbesitz, die Großindustrie namentlich, die am Meisten abweisende Haltung gegen die Bewegung an, die sie unmittelbar berührt. Weniger in seinen Interessen bedroht, als in gewissen Prätensionen seiner Stellung erschüttert, besonders in der gewohnten Art der Disposition über zahlreiche Arbeitergruppen geniert, ignoriert man meist die Sache, so lange es geht, um dann um so plötzlicher in den Konflikt hineinzugeraten. Da man nun außer Stande ist, die Bewegung im Ganzen und Großen zu hemmen, so sieht man sich in ein kleinliches Ankämpfen gegen vereinzelte Zuckungen derselben verwickelt, welches um so mehr ermüdet, als diese, kaum unter Opfern und Gewaltanstrengungen aller Art niedergeworfen, immer wieder von Neuem auftauchen. Wie verkehrt, wie verderblich ein solches Verhalten ist, liegt auf der Hand, da es einen dauernden Ausgleich, der nur in gegenseitiger Anerkennung berechtigter Interessen gefunden wird, verhindert, und nicht selten in Differenzen rein wirtschaftlichen Charakters die ganze Schärfe und Gehässigkeit eines Klassenkampfes hineinträgt.
Möchte man sich doch Eins auf allen Seiten ein für allemal klar machen. Die Arbeiterbewegung ist kein Erzeugnis willkürlichen Beliebens, augenblicklicher Anlässe, nichts künstlich Gemachtes, was sich ebenso gut wieder abstellen lässt. Vielmehr ist sie das notwendige Ergebnis unserer gesamten Kulturentwicklung, und könnte nur mit dieser zugleich rückläufig gemacht werden. Denn das ist das geschichtliche Entwicklungs-Gesetz der Kultur überhaupt: dass ihre intensive Erstarkung, ihr inneres Wachstum, Hand in Hand geht mit ihrer extensiven, ihrer räumlichen Ausbreitung, dass sie von engbegrenzten Mittelpunkten aus immer weitere Volksschichten ergreift, aus den abgeschlossenen Kreisen der Geweihten sich immer mehr den Massen mitteilt. So weit gediehen ist aber die Sache bereits, die Massen fassen den Ausgleich ihrer äußeren Lage mit ihrer menschlichen Lebensbestimmung in das Auge, die Forderung der Möglichkeit eines menschenwürdigen Daseins gewinnt immer mehr Boden unter ihnen. Und hat die aufsteigende Kultur diese Forderung erzeugt, so rückt sie auch die Möglichkeit, ihr zu genügen, uns näher und näher. Unauflöslich mit ihrem Fortschritt verknüpft ist die immer mehr erleichterte Beschaffung der materiellen Daseinsmittel. Die großen geistigen Errungenschaften unserer Zeit, die Entdeckungen und Erfindungen, welche die Stoffe und Kräfte der Natur immer mehr zu unserer Verfügung stellen, machen die menschliche Arbeit leichter und produktiver, so dass die Herstellung des leiblichen Gesamtbedarfs der Gesellschaft immer reichlicher, mit immer geringerer Mühe und geringerem Aufwand von Zeit bewirkt wird. Die rohesten und aufreibendsten Verrichtungen werden dem Arbeiter mehr und mehr erspart und den Naturkräften zugewiesen, die bis dahin, Körper und Geist abstumpfend, ihn von der Beteiligung an den höheren Kulturbestrebungen wesentlich abhielten. Und ist schon im Beginn dieser neuen industriellen Ära so Großes geleistet, welche Aussichten eröffnen sich uns erst bei dem weiteren Fortgang auf der betretenen Bahn für die Zukunft!
Eine Strömung aus so ewigem unversieglichem Quell lässt sich aber nicht aufhalten, und jedes dahin zielende Streben würde nur zu einem gewaltsamen Durchbruch führen. Deshalb soll man ihr die Bahn frei halten, soll sie in ihrem natürlichen Laufe zu leiten, nicht zu hemmen suchen, damit sie, anstatt Zerstörung Segen verbreitend, mit ihrer befruchtenden Kraft dem ganzen Leben der Zeit einen neuen, mächtigen Aufschwung verleihen.
Wem daher günstige Lebensstellung, wem Mittel und Kraft verliehen sind, der trete ein, der beteilige sich an dieser hohen und edlen Aufgabe! Es ist keine fremde, es ist unser Aller, seine eigne Sache, die er fördert, es ist die Sache der Zivilisation, des Gemeinwohls, innerhalb dessen allein das Einzelwohl dauernd seine gedeihliche Grundlage findet. Bildung und Wohlstand sind nur gefährdet in ihrer Exklusivität, ihrer Ausnahmestellung innerhalb der Gesellschaft, in der Abgeschlossenheit bestimmter Klassen; dagegen triumphieren sie über alle ihre Gegner, sobald sie sich ihnen mitteilen.
Wie und wo hiernach bei den verschiedenen Richtungen, welche die Bewegung genommen hat, einzutreten ist, mag man leicht ermessen. Ist die Bewegung Ausfluss des allgemeinen Kulturfortschrittes, woraus allein wir ihre Berechtigung ableiten, so darf sie sich von diesem nicht absondern, sie darf nicht gegen seine Bedingungen streiten, oder sie verleugnet sich selbst und gefährdet ihre Ziele. Diese im Wesen des Menschen von der Natur selbst gegebenen Kultur-Bedingungen verweisen vor Allem auf die individuelle Entwicklung, als Grundprinzip alles organischen Lebens. Die Antriebe und Kräfte, die hier ins Spiel kommen, sind von der Natur in die Einzelnen gelegt. Einsicht und Tatkraft, Fleiß und sittlicher Halt, Ansammlung von Kenntnissen, sogar in gewissem Sinne die Fähigkeit zur Ansammlung von äußern Mitteln: das muss ein jeder in und mit sich selbst fertig bringen, dazu gehört eine innere Aktion, die Keiner dem Andern abnehmen kann. Und wie dies Alles das Emporkommen des Einzelnen im Leben fördert, so dient es auch zur Hebung ganzer Gesellschaftsklassen, die ja nur in diesen Einzelnen zur Erscheinung kommen. Die Zustände, die Bedeutung irgend einer Gesamtheit von Menschen beruhen stets auf den Zuständen, dem Verhalten der dazu gehörigen Einzelnen, und die individuelle Entwicklung ist die alleinige Basis jeder menschlichen Gesamtentwicklung. Die Aufgabe kann daher nur dahin gefasst werden: diese Bedingungen des Emporkommens möglichst vielen zugänglich zu machen, und hier ist die Stelle, wo alle wahren Arbeiterfreunde, d. h. alle wahren Freunde des Kulturfortschritts, eintreten müssen. Förderung aller auf Ausbildung der eigenen Tüchtigkeit, auf das Emporkommen durch eigene Kraft gerichteten Strebungen und Unternehmungen. Dies ist es, um was es uns zu tun sein muss, und, Dank dem Grundzuge deutschen Wesens, Dank den Leistungen unserer Volksschule, die große Mehrheit der Arbeiter neigt dahin, und wo die sozialistischen und kommunistischen Agitationen irgendwie einmal zu ernsten Störungen führen sollten, so würde das Verhalten der von uns bezeichneten einflussreichen Elemente der Gesellschaft keinen kleinen Teil der Schuld daran tragen.
Das zuletzt Angedeutete ergibt schon, dass ein Hauptmittel zu dem bezeichneten Zweck in der Pflege des Vereinswesens besteht. Erblicken wir doch in demselben die organisierte Initiative der freien Menschen-Gesellschaft, welche diejenigen Aufgaben der gemeinsamen Kulturarbeit, die sich dem Einschreiten der Staatsgewalt mit ihren bloß äußerlichen Machtmitteln mehr oder minder entziehen, vor allem Pflegen und in die Hand nehmen soll. Aber wie hoch wir auch dasselbe hiernach überhaupt anschlagen, so kommt es doch ganz besonders für die Hebung der unbemittelten Klassen in Betracht, wo der Einzelne in seiner Isolierung fast nie im Leben zur Geltung kommt. Vereinigung der Mittel, Zusammenschluss der Kräfte ist für diese Klassen mehr, wie für die andern, eine Lebensfrage, wollen sie irgend etwas erreichen, irgend etwas durchsetzen. Das Einlenken der Arbeiter in diese Richtung tritt denn auch aufs lebhafteste zu Tage, und man hat endlich Seitens des Staates in neuerer Zeit angefangen, eine Menge Hemmnisse der Gesetzgebung in dieser Hinsicht wegzuräumen. Vereine von der verschiedensten Tendenz verbreiten sich zu Tausenden in unserem Vaterlande. Da kommen zuerst hier die Bildungs-Vereine der Handwerker und Arbeiter vor, teils zur Förderung allgemein humaner Bildung, teils zur Ausbildung, zur Pflege besonderer fachmännischer Kenntnisse und Fertigkeiten. Sodann treten besonders bedeutsam die Wirtschafts- und Erwerbs-Genossenschaften der Arbeiter und kleinen Gewerbetreibenden uns vor Augen, in welchen gerade ein Teil der Aufgabe, an dessen Lösung bisher am Meisten gezweifelt wurde, so lange man vor den Tatsachen die Augen verschließen konnte: Demokratisierung des Kapitals und die Herstellung größerer Handels- und Produktiv-Unternehmungen, in überraschender Weise verwirklicht wird. An dritter Stelle und von neuestem Datum bei uns sind die Gewerkvereine, welche sich nach den Englischen trades unions geformt haben. Dieselben haben zunächst den Schutz der Interessen der Lohnarbeiter, die Verbesserung ihrer Stellung den Arbeitgebern gegenüber, nötigenfalls durch Ansammlung von Mitteln, um Arbeitseinstellungen in Masse ins Werk zu setzen, zum Zwecke, sodann aber auch die Gründung von Kassen zu gegenseitiger Unterstützung bei Arbeitslosigkeit, Invalidität und Krankheit.
Hinsichtlich der Aufnahme dieser verschiedenen Vereinsbestrebungen Seitens des Publikums haben wir einen sehr merkbaren Unterschied zu registrieren. Während die Vereine der erstgenannten beiden Gattungen, die Bildungsvereine und die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, sich im Ganzen einer entgegenkommenden Aufnahme auch bei den Nichtbeteiligten zu erfreuen haben, stoßen die Gewerkvereine ganz besonders bei den Großindustriellen und den ihnen nahestehenden Kreisen auf die entschiedenste Antipathie.
Sieht man sich nach den Gründen in dieser Antipathie um, so ist das Erste, was gegen diese Vereine aufgeführt wird, der Hinweis auf die Missbräuche und Exzesse, deren man sie in England beschuldigt, besonders auf die Verbrechen von Sheffield und Manchester, die vor einigen Jahren ein so großes Aufsehen erregten. Hiergegen müssen wir im Allgemeinen bemerken, dass die Entwicklung der Gewerk-Vereine bei uns eine durchaus verschiedenartige, geradezu entgegengesetzte ist, im Verhältnis zu derjenigen, welche in England Statt gefunden hat. Während die Vereine dort aus den rohesten Zeiten der Maschinenzerstörung, des Krieges der Arbeiter gegen die Anfänge der modernen Produktion herstammen, fällt die Zeit ihrer Entstehung bei uns nicht nur in eine Periode, wo solches verkehrte Beginnen in der Arbeiterwelt langst überwunden ist, sondern sie haben auch ganz andere Vorbedingungen, eine ganz andere Bevölkerung hinsichtlich ihres Bildungsstandes zu Trägern. Das ist eben das Eigentümliche der Arbeiterbewegung in Deutschland, dass dieselbe, im Gegensatz zu England, mit Gründung der Bildungs-Vereine begonnen hat, sodann sich von da auf die wirtschaftlichen und Erwerbs-Genossenschaften erstreckte, welche an die Einsicht und den sittlichen Halt ihrer Mitglieder bedeutende Anforderungen machen, und zum Schluss erst zu den Gewerkvereinen gelangt ist. In Folge dieses Ganges der Dinge haben sie sich bei den wenigen Proben, welche sie seit ihrem kurzen Bestehen ablegen konnten, auf das Glänzendste bewährt. Sämtliche Streiks, seit Einführung der Koalitionsfreiheit durch das Bundesgewerbegesetz, wo Gewerkvereine beteiligt waren, sind ohne Rohheiten in der größten Legalität vor sich gegangen, und der einzige Fall, wo Gewalttätigkeiten vorkamen, der in der Lauenstein'schen Fabrik bei Hamburg, hat eben ohne jede Beteiligung eines Gewerk-Vereins stattgefunden. Das Bedeutendste für die Gewerk-Vereine bietet in dieser Beziehung gewiss der Streik der 8.000 Waldenburger Bergleute, welcher mehrere Monate hindurch im Winter, mit Hunger und Entziehung der Wohnung verbunden, ein ruhiges Ausharren der Beteiligten ohne irgend eine Ungesetzlichkeit, trotz vielfacher Übergriffe der Behörden, bewahrt hat, wie es selten vorkommen dürfte. Eben weil die Gewerk-Vereine in Deutschland wissen, dass sie ihr Todesurteil unterschreiben, sobald sie zu exzessiven Maßregeln übergreifen, sind sie die besten Wächter der Legalität ihrer Mitglieder selbst, indem sie jeden mit Ausschluss bedrohen, der sich ihrer Disziplin nicht fügt. Ebenso ist nirgends von Rohheiten und Angriffen gegen solche Arbeiter, welche sich den Vereinen nicht anschließen, oder austreten, die Rede.
Diese Erwägungen werden noch durch einen Umstand bei der Gründung der deutschen Gewerk-Vereine unterstützt, den man von gewisser Seite viel zu wenig beachtet. Als kaum die ersten Vorbereitungen dazu Seitens der auf dem Prinzip der Selbsthilfe stehenden Arbeiter getroffen waren, bemächtigte sich der sozialistische Agitator von Schweitzer in Berlin der Sache und beraumte im September 1868 hier einen „Allgemeinen deutschen Arbeitertag“ zum Behufe der Gründung von Gewerk-Vereinen an. So mächtig war der Zug nach diesen Verbindungen, dass diese Versammlung auch aus vielen, der sozial-demokratischen Partei nicht angehörigen Kreisen besandt wurde, die sich erst im Laufe der Gegenorganisation, als von den hiesigen Arbeiter- und Handwerker-Verbänden die Sache in die Hand genommen wurde, davon wieder trennten. Vergleichen Sie die Statuten beider Parteien. In den Schweitzer’schen Statuten und Debatten, da ist vom Kampfe gegen das Kapital, vom Kriege gegen die Arbeitgeber bis zur Vernichtung usw. und von weiter nichts die Rede. Auf der andern Seite dagegen in den Musterstatuten der Herren Hirsch und Duncker, welche von der Partei der Selbsthilfe an die Spitze des Gründungs-Komites gestellt waren, wird ausdrücklich die Versöhnung zwischen Kapital und Arbeit dadurch, dass der Arbeit die berechtigte Stellung neben dem Kapital gesichert werde, angestrebt. Ordnung der Arbeitsverhältnisse mit gegenseitiger Verständigung, Gründung von Organisationen der wirtschaftlichen Selbsthilfe, Unterstützungskassen für Alter und Krankheit, nicht bloß für den Fall eines Streiks, für den letzteren aber ganz besonders, Ausgleichs-Verhandlungen mit den Arbeitgebern und Schiedsgerichte nach dem Muster der Englischen - das sind die Zwecke, die man hier in gründlichen Verhandlungen als Grundlage und Hauptziel der Verbindung aufstellt, und mit ruhiger Ausdauer verfolgt. Daher ist man den Arbeitern und Arbeiterfreunden, die dafür wirkten, die unaufhaltsame Bewegung vor verderblichen Abwegen zu schützen, in jeder Beziehung Dank schuldig und sollte sich wohl hüten, in die Verdächtigung derselben durch die Gegenpartei einzustimmen.
Indes tritt dieses alles gegen das Moment, welches wir weiter geltend zu machen haben, noch zurück. Gerade die Verbrechen von Sheffield und Manchester, von einzelnen Leitern und Mitgliedern der Vereine gegen Arbeiter verübt, die sich diesen nicht anschlossen, haben den Anstoß zu Erhebungen gegeben, welche die wohltätige Einwirkung der Gewerkvereine auch in England auf die Arbeiterverhältnisse unleugbar dargetan haben. Auf die Gesuche der Arbeitervereine selbst, um ein Gesetz zur Sicherung ihrer privatrechtlichen Stellung, besonders ungetreuen Verwaltern ihres Vermögens gegenüber, ernannte die königliche Regierung aus den angesehensten Männern des Landes, Parlamentsmitgliedern, Richtern, Großindustriellen und Vorstehern der Arbeiterverbände, eine Kommission zur Ermittlung der einschlagenden Verhältnisse, welcher das Parlament seinerseits zur speziellen Untersuchung der Urheberschaft und Verzweigung der Verbrechen von Sheffield und Manchester zwei andere Kommissionen hinzufügte. Diese Kommissionen haben vereint in Zeit von länger als einem Jahre eine wahre Riesenarbeit vollendet, indem sie nahezu 20.000 einzelne Punkte in Form von Fragen zum Gegenstande ihrer gründlichen Erörterungen machten. Wir verdanken es einer Schrift des in England lebenden Grafen von Paris, Louis Philippe von Orleans, dass diese Verhandlungen unserem Publikum leicht zugänglich gemacht worden sind, indem derselbe in der übersichtlichsten und sachgemäßesten Weise einen Auszug davon gegeben hat, der auch bereits in deutscher Übersetzung erschienen ist.*) Ebenso hat der hiesige Stadtgerichtsrat und Abgeordnete Eberty in einer kleinen Schrift diese Verhandlungen benutzt und diese ganze wichtige Materie unter Berücksichtigung der Gesetzgebung aller Kulturländer in einer sehr schätzenswerten Arbeit vorgeführt.**) Aus diesen Erhebungen ergibt sich im Allgemeinen Folgendes.
Seit Freigebung des Koalitionsrechtes (1825), wodurch zuerst die Möglichkeit des offenen Auftretens der Vereine gegeben war, die bis dahin als geheime Verschwörungen operierten, haben sich die Gewalttätigkeiten, besonders bei den Arbeitseinstellungen und Auslohnungen fortwährend vermindert, und mit dem Erstarken der einzelnen Vereine sind auch überall die Forderungen der Arbeiter mäßiger geworden und die Neigung zu gütlichem Ausgleiche größer. Man hat eben Etwas zu verlieren, die schweren Opfer des Streiks und die Schwächung der Kassen für die Unterstützung in Alter und Krankheit durch die Erfahrung würdigen gelernt. Sobald daher irgend ein Entgegenkommen der Unternehmer gegen die Vereine stattfindet und man namentlich von der Nichtanerkennung derselben und dem Bann gegen die ihnen angehörigen Arbeiter absteht, zeigt sich gerade Seitens dieser das meiste Urteil und durch die in den Vereinen herrschende Disziplin die größte Möglichkeit, zu dauernden friedlichen Zuständen zu gelangen. ***) Ganz besonders erfreulich tritt diese wachsende Einsicht und Versöhnlichkeit der Arbeiter der Gewerkvereine bei den gelungenen Ausgleichseinrichtungen einiger hervorragender Beamten und Industriellen hervor; Versuche, welche im Begriff sind, zu einer allgemeinen nationalen Institution in England zu werden.
*) Die Gewerkvereine in England, vom Grafen v, Paris. Aus dem Französischen von Dr. E. Lehmann. Berlin, Verlag von Julius Springer, 1870.
**) Die Gewerbegerichte und das gewerbliche Schiedsgerichtswesen etc. von Dr. G. Eberty. Berlin, 1369, Verlag von W, Peiser.
***) Man vergleiche den Brief des Gewerkvereins der Spinner von Nordengland bei Gelegenheit der Verhandlungen über den Streike von 1867 im Buche des Grafen von Paris, S. 130.
Hier sind zuerst die durch die neueren Englischen Gesetze ermöglichten Schiedsgerichte mit Exekutivkraft für ihre Entscheidungen zu erwähnen, in deren Organisation sich besonders der Grafschafts-Richter Kettle in Worcestershire ein hervorragendes Verdienst erworben hat. Dieselben werden, sobald sich beide Teile dafür entscheiden, in gleicher Zahl von Arbeitgebern und Arbeitern zusammengesetzt, welche ihren Obmann wählen, und haben sich in allen Fällen als äußerst zweckmäßig nicht bloß bei Entscheidung, sondern auch zur Verhütung von Streitigkeiten über Lohn- und Arbeitsverhältnisse in den Fabriken bewährt. Stets haben sich an erster Stelle die Gewerkvereine dabei beteiligt, und fast immer sind ihre Führer, auch von den außerhalb der Verbindung stehenden Arbeitern, zu Vertretern gewählt worden, und konnte Hr. Kettle mit Arbeitern solcher Branchen, für welche keine Gewerkvereine bestanden, niemals zum Ziele gelangen. Dagegen übernehmen es die Gewerkvereine, wenn es sich nicht um einen Schiedsspruch mit exekutiver Kraft, sondern um Einigungen für die Zukunft handelt, über deren Aufrechterhaltung zu wachen. Nur auf diese Weise ist man 1864 in Wolverhampton in den Baugewerken zu der für die Unternehmer so wichtigen Festsetzung der Lohntarife je auf ein Jahr gelangt, was, obschon gesetzlich Verabredungen über Lohnsätze nur 24 Stunden bindend sind, bisher unverbrüchlich gehalten wurde. In Folge dessen hat Hr. Kettle bereits in fünf andern Industriebezirken zur Einführung dieser Schiedsämter mitgewirkt und glaubt, dass die Gewerkvereine, je mehr sie in ihrer Entwicklung in die volle Öffentlichkeit treten, „ein Arm der Kraft für den Arbeiter, ein Schild der Sicherheit für den Arbeitgeber sein würden.“
Noch bedeutender ist das völlig freie Einigungsverfahren, welches der Großindustrielle Mundella zuerst im Bereich der Strumpfwirker-Industrie in Nottingham eingeführt hat und für das sich die erwähnten Kommissionen als die geeigneteste Einrichtung von allen entschieden haben. Dasselbe beruht sowohl seiner Zusammensetzung der entscheidenden Personen nach, wie in der Durchführung von deren Beschlüssen, vollständig auf dem freien Willen der beteiligten Arbeiter und Unternehmer, welche in gleicher Zahl von beiden Teilen zusammentreten zu freier Besprechung bei vorkommenden Differenzen, zu gegenseitiger Aufklärung und Ausgleichung der Interessen. Dieselben haben ein so unbedingtes Ansehen unter den Beteiligten gewonnen, dass ihren Einigungen (von eigentlichen Entscheidungen konnte kaum die Rede fein) von keiner Seite jemals ein Widerspruch entgegengesetzt worden ist. Hr. Mundella äußert sich darüber in seiner Deposition vor der Kommission ausführlich. Die Stadt Nottingham hatte durch die Arbeiter-Aufstände, denen sie zu Beginne der zwanziger Jahre zum Schauplatze diente, eine traurige Berühmtheit erlangt, und noch während der Jahre von 1825 bis 1860 zeigte sich dieser Geist in fortwährenden Arbeitseinstellungen in der dort hauptsächlich betriebenen Strumpfwirker-Industrie, indem die Unternehmer wie die Arbeiter jede Konjunktur gegen einander auszubeuten suchten und in ihren Forderungen auf Herabsetzung wie auf Erhöhung der Löhne nicht selten das Maß überschritten. So bestand zwischen beiden Teilen ein Kampf auf Tod und Leben, jeder suchte den andern auszuhungern und ihn dadurch zu einem Vergleiche zu zwingen. „Wir hatten alle“ — sagt Hr. Mundella — „diese Vorgänge satt, und einige von uns waren der Meinung, dass man es wohl einmal mit etwas Besserem versuchen könne.“ Da kam er auf den Gedanken eines Schiedsgerichts und schlug mit zwei andern Unternehmern den Arbeitern eine Zusammenkunft vor, welche ihrerseits zwölf Führer von Gewerkvereinen zu ihren Vertretern ernannten. Man betrachtete sich anfänglich mit misstrauischen Blicken; aber allmählich gelangte man zu einer Verständigung und kam nach Verlauf von drei Tagen so weit, dass die Grundlagen des neuen Systems festgestellt werden konnten. Die Unternehmer in Nottingham ernannten neun, später zehn Deputierte, die Arbeiter ebenfalls, und zwar die tätigsten Führer der Gewerkvereine, indem sich wiederum auch die denselben nicht Angehörigen diesen anschlossen. Die Besorgnisse der Unternehmer wegen dieser Wahl schwanden rasch, und sie mussten anerkennen, dass sie keine verständigeren und mäßigeren Vermittler zwischen sich und den Arbeitern hätten finden können, die es verstanden, die misstrauische Masse von übereilten Schritten zurückzuhalten und sie über ihre wahren Interessen aufzuklären. Seit neun Jahren ist Hr. Mundella Vorsitzender dieses Einigungs-Ausschusses geblieben und 42 von 45 der Nottinghamer Unternehmer haben denselben anerkannt, denen mehr als 20.000 Arbeiter gegenüber stehen. Der Ausschuss regelt die Löhne durch einen Tarif nach den Zuständen des Marktes. Die Partei, welche eine Änderung des Tarifs verlangt, muss dieses einen Monat vorher anzeigen, und die Veränderungen werden dann stets nach friedlicher Übereinkunft vorgenommen. Denn wenn Unternehmer und Arbeiter — dies betont Hr. Mundella besonders ohne jeden Rangunterschied an einem Tische neben einander sitzen, um ihre beiderseitigen Interessen an einer Industrie, von der beide leben, zu diskutieren, so werden sie bald genug inne, dass diese Interessen solidarisch sind. Mehr als einmal haben die Arbeiter auf Lohnerhöhung verzichtet, wenn ihnen die Unternehmer die Unmöglichkeit derselben nachwiesen, und einige Male sind Arbeitern die Mittel bewilligt worden, sich durch eigene Anschauungen von den Verhältnissen des Marktes in Frankreich und Deutschland zu überzeugen. Zwischen beiden Teilen hat sich ein so glückliches Einverständnis hergestellt, dass seit vier Jahren über keinen Beschluss des Schiedsgerichts auch nur abgestimmt zu werden brauchte. Daher genießen die Entscheidungen dieses Schiedsgerichts, obgleich der gesetzlichen Exekutivkraft entbehrend, die unbedingteste Autorität, und kein Arbeiter darf es wagen, sich dagegen zu setzen, wenn er nicht sofort dem Bann der Gewerkvereine anheim fallen will. Dass demnach auch hier wieder die ganze Einrichtung in den Gewerkvereinen ihren Halt gefunden, ja, dass sie mit einer ungebundenen Arbeiter-Menge ohne Organisation und Disziplin geradezu unmöglich gewesen wäre, ergibt sich zur Genüge und wird von Hrn. Mundella wie von Hrn. Kettle ausdrücklich ausgesprochen. Bei dem Mangel jeder staatlichen Autorität zur Durchführung der gefassten Beschlüsse war die Macht der Gewerkvereine in der Tat die einzige Exekutive, die zu diesem Zwecke zu Gebote stand.
Ein weiterer bedeutungsvoller Schritt in dieser Bahn, welcher ebenfalls vor den Kommissionen zu allgemeiner Anerkennung gelangte, ist endlich die Partnerschaft der Arbeiter am Geschäft, zunächst die Beteiligung am Reingewinne desselben, welche von den Gebrüdern Briggs in deren Kohlengrube in South-Yorkshire eingerichtet ist. Nach furchtbaren Kämpfen zwischen Gewerkverein und Unternehmern, wie sie gerade in dieser Industriebranche und Gegend besonders heftig wüteten, schritt der Hauptführer der Unternehmer, der Präsident ihres Vereins, da sich der Zweck, die Gewerkvereine zu vernichten, trotz aller aufgewendeten Mittel nicht durchführen ließ, zu dieser Maßregel, um aus dem ewigen Kriegszustande herauszukommen. Indem er auf die Geheimhaltung der Bilanz und des Reingewinns verzichtete, beschloss er, den letzteren mit den Arbeitern in der Art zu teilen, dass von dem Reinertrag den Aktionären eine Verzinsung von 10% zugesichert werde, der Überschuss dagegen zwischen den Aktionären und den Arbeitern, welche natürlich außerdem ihren Lohn erhielten, geteilt würde. Ferner übertrug man die Kohlengruben (600.000 Thaler an Wert) auf eine Aktiengesellschaft und kreierte 9.000 Aktien à 66 1/3 Thaler (10 Pfd. St.), von denen die bisherigen Eigentümer 2/3 behielten, und 1/3 den Arbeitern und Kunden offerierte, und dadurch diesen ermöglichte, in die Reihe der Unternehmer und Kapitalisten einzutreten. Dieses System trat im Jahre 1865 in Kraft, und auf diesem Wege ist es allerdings den Herren Briggs gelungen, den Gewerkverein zu vernichten, indem die Arbeiter bereitwillig darauf eingingen und ihren Verein, nachdem sie sich in die neue Einrichtung eingelebt hatten, als zwecklos selbst auflösten. Die erreichten Resultate sind außerordentlich und den Aktionären konnte man trotz der Beteiligung der Arbeiter am Reingewinn größere Dividenden gewähren als vor dieser Zeit, da der gute Wille und Eifer der Arbeiter, deren Interesse man auf solche Weise, an die Prosperität des Unternehmens zu knüpfen verstand, Außerordentliches geleistet haben und vor der so schädlichen Einstellung der Arbeit, meist zur ungelegensten Zeit, nicht mehr die Rede ist.
Das Ergebnis der ganzen Untersuchung wird man nach alledem im Folgenden zusammenfassen können. Die Gewerkvereine sind eine Macht, welche wie jede andere, sowohl zu guten als zu üblen Zwecken gebraucht werden kann. Sie gewähren den Arbeitern die Mittel zum Kampf gegen die Unternehmer, aber zugleich die Mittel zum Frieden, zum dauernden Ausgleich der streitigen Interessen. Nach allen Erfahrungen scheint es nun, dass auf diesem Felde, wie auf andern, der Friede nur nach vorausgegangenen Kämpfen erlangt werden kann; dass, wer irgend im Besitz einer dominierenden Stellung in Bezug auf Andere sich befindet, diese nicht eher auf gleichem Fuße behandelt, als bis sie ihm das Anerkenntnis ihrer Ebenbürtigkeit abgerungen haben. Verlangt demnach das Zustandekommen eines billigen Ausgleichs die Widerstandsfähigkeit auf beiden Seiten, dann sind die Gewerkvereine, als notwendiger Übergangspunkt zu ruhigen, dauernden Zuständen, wie sie zur Entwicklung der Industrie unentbehrlich sind, nur willkommen zu heißen. Die Unternehmer insbesondere werden sich um so eher mit ihnen zu befreunden haben, als es erfahrungsmäßig in ihrer Hand liegt, sie durch Anerkennung und verständiges Entgegenkommen zur besten Handhabe eines dauernden, guten Vernehmens mit ihren Arbeitern zu machen.
Möchten doch daher auch bei uns unsere Großindustriellen die Sache unbefangen nehmen, wie sie liegt. Freilich verändert sich die Stellung der Arbeiter durch ihre Vereinigung. Während sie in ihrer Isolierung nichts bedeuten, werden sie dadurch ein Faktor, mit dem man rechnen muss. Der Lohnkontrakt namentlich wird gerade dadurch erst zur Wahrheit, zu einem wirklich vertragsmäßigen Verhältnis mit beiderseitiger freier Willensbestimmung. Wenn der aus dem Broterwerb entlassene Arbeiter nicht beliebig jeder Zeit vom Unternehmer ersetzt werden kann, dann erst verwandelt sich das Verhältnis absoluter Abhängigkeit in ein Verhältnis; der Gegenseitigkeit. Das Gefühl, dass man einander bedarf, dass man auf einander angewiesen ist, greift Platz; man begreift, dass man auf beiden Seiten gegen sich selbst wütet, wenn man gegen den Andern zum Äußersten schreitet, und dies muss zu jeder vernünftigen Konzession, zu größerer Annäherung, zur Anknüpfung persönlicher Beziehungen führen. Wird doch die feindselige Stimmung zwischen Unternehmer und Arbeiter in vielen Fällen mehr, als durch bloß materielle Konflikte, durch die soziale Kluft genährt, vermöge deren die Unternehmer unnahbar, als streng geschiedene Kaste, von den Arbeitern abgesondert sind. Da ist jede andere als geschäftliche Beziehung unter ihnen abgeschnitten das Gefühl der Gemeinsamkeit rein menschlicher Interessen kommt nicht auf, das ganze Verhältnis ist von Hause aus jeder sympathischen . Regung entkleidet. Dabei herrscht im Allgemeinen mehr Mangel an Verständnis, als böser Wille vor. Wie viele Arbeitgeber opfern nicht große Summen zum Besten ihrer Arbeiter, aber es sollen eben Zuwendungen aus Liberalität sein, bei denen die Arbeiter ja keine Stimme haben dürfen! Und damit ist die Sache in vielen Fällen gleich von vornherein verdorben. Entschlösse man sich, anstatt der Milde mit dem Demütigenden, welches sie für den hat, dem sie erzeigt wird, die vertragsmäßige Leistung einzuführen, man würde meist sich besseren Dank verdienen. Und lenkt man so von dem Wege der Willkür auf den der Verständigung ein, verhandelt man besonders über die Differenzen auf gleichem Fuße mit den Arbeitern, so hebt man nicht bloß deren Selbstgefühl, man stärkt auch die eigene Autorität, indem man dieselbe, anstatt auf den Zwang, auf die freiwillige Anerkennung basiert. Die Einsicht in die Betriebs- und Absatzbedingungen ist, wie sich in England gezeigt hat, das beste Mittel gegen unberechtigte Forderungen der Arbeiter; und dass man so menschlich einander näher tritt, mit einander über wichtige Vorkommnisse berät, im persönlichen Vernehmen über die gegenseitigen Ansprüche entscheidet, sich der Teilnahme an guten und schlimmen Konjunkturen bewusst wird, das hat die Erweckung des Interesses am Geschäfte zur Folge, wodurch sich die widerwillige, rein mechanische Kooperation in ein freudiges, selbstbewusstes Schaffen Seitens der Arbeiter verwandelt. Und die Weiterentwicklung, der Fortschritt, vom Stücklohn zur Partnerschaft, wie sie Briggs’ Beispiel in England zeigt, liegt nicht so fern. Hat doch unser Mitbürger, Hr. Borchardt in Berlin, seit wenig Jahren mit demselben vorzüglichen Erfolge diesen Weg betreten, worüber das Nähere in der hiesigen Tagespresse nachzulesen ist. Welche Aussichten für den Nationalwohlstand zeigen sich vor unseren Augen! So erst wird die Industrie das wirksame Kulturelement, als welches wir sie bezeichneten, nicht nur durch das, was sie leistet - die reichlichere und bessere Herstellung des materiellen Gesamtbedarfs der Gesellschaft - sondern dadurch, wie sie dies leistet, indem das Arbeits-Verhältnis, auf sittliche Grundlage gestützt, anstatt des Niederhaltens, die Erweckung und Pflege der edelsten Keime der menschlichen Natur in den Arbeitern zur Folge haben muss.
Und so schließen wir mit derselben Mahnung an die Arbeitgeber, die wir so oft an die Arbeiter richteten: Man setze sich mit seinen Strebungen und Tendenzen nicht in Widerspruch- mit dem Kulturfortschritt! Keine größere Gefährdung alten Besitzstandes als seine starre Aufrechthaltung gegen unabweisbare Zeitforderungen. Die höchste Stelle in der Gesellschaft, die Aristokratie, wenn man von einer solchen reden will, hat ihre Basis nicht in der Prätension eines größeren Maßes von Rechten, sondern darin, dass man ein größeres Maß von Pflichten, im Vollbewusstsein der sozialen Verantwortlichkeit seiner Stellung, freiwillig auf sich nimmt. Eine Gesellschaftsklasse aber, die mit ihren ausschließlichen Sondergelüsten dem Gemeinwohl entgegentritt, wird von der Wucht der großen Kulturinteressen zerschmettert.
Im Verlage von Franz Duncker in Berlin sind ferner erschienen
Schulze-Delitzsch, Die Produktiv-Genossenschaften und die Vorschuss-Vereine 1865. Geh. 1 Sgr.'
Schulze-Delitzsch, Die nationale Bedeutung der Genossenschaften. Vortrag, gehalten vor den Genossenschaften Berlins am 19. Marz 1865. Geh. 1 Sgr.
Schulze-Delitzsch, Die Abschaffung des geschäftlichen Risiko durch Herrn Lassalle. Ein neues Kapitel zum deutschen Arbeiter-Katechismus. 1866. Geh. 4 Sgr.
Schulze-Delitzsch, Die soziale Frage, Zusammengestellt aus zwei Vorlesungen am 18. Marz und 2. April 1869 in Berlin und Köln. Geh. 3 Sgr.
Schulze-Delitzsch, An die preußischen Handwerker. Als Antwort auf viele Anfragen. 1861. Geh. 1 Sgr.
Schulze-Delitzsch, Rede zur Waldeck-Feier. Gehalten am Jahrestage der Freisprechung Waldecks, 3. Dezember 1869. Geh. 1 Sgr.
Zur Gründung von Orts- und Gewerkvereinen und zur Orientierung über dieselben ist folgendes Material von Hrn. Dr. Max Hirsch, Anwalt des Verbandes deutscher Gewerkvereine, Berlin, Eichhornstr. 9, jederzeit zu den beigefügten Preisen franco zu beziehen:
I. Die Muster-Statuten mit Aufruf an die deutschen Arbeiter, ä Stück 6 Pf., 12 Stück = 5 Sgr., 100 Stück = 1 Thlr. 6 Sgr.
II. Die Spezial-Statuten der bereits gegründeten Gewerk- und Orts - Vereine: 1. Maschinenbau- und Metallarbeiter. 2. Maurer und Steinhauer. 3. Zimmerleute. 4. Tischler und Berufsgenossen. 5. Fabrik- u. Handarbeiter. 6. Stuhlarbeiter und Berufsgenossen. 7. Schuhmacher und Lederarbeiter. 8. Porzellan-Arbeiter. 9. Schneider. 10. Sattler, Riemer, Täschner. 11. Buchbinder, Portefeuille- und Etuisarbeiter. 12. Zigarren-u. Tabaksarbeiter. 13. Klempner und Metallarbeiter. 14. Gerber, Lederarbeiter u. Sasfianer. 15. Maler, Koloristen, Lithographen, Steindrucker etc.16. Posamentier- und Seidenknopfmacher. 17. Vergolder. 18. Steinmetzen und Steinhauer. 19. Gold- und Silberarbeiter. 20. Bergarbeiter. 21. Schiffszimmerleute. 22. Töpfer, à Stück 1 Sgr., 12 Stück = 10 Sgr., 100 Stück = 2 Thlr. 20 Sgr.
III. Die „Praktische Anweisung zur Gründung von Orts-Vereinen“, à Stück 6 Pf., 12 Stück = 4 Sgr., 100 Stück = 25 Sgr.
IV. Die Muster-Kassenordnung für Orts- und Gewerkvereine, à Stück 1 Sgr., 12 Stück = 6 Sgr., 100 Stück = 1 Thlr. 15 Sgr.
V. Die Geschäftsordnung für die Versammlungen der Gewerkvereine, 12 Stück = 1 Sgr. 6 Pf., 100 Stück = 10 Sgr.
VI. Die Statuten des Verbandes deutscher Gewerkvereine und der deutschen Verbandskasse für die Invaliden der Arbeit, à Stück 1 Sgr., 12 Stück = 10 Sgr., 100 Stück = 2 Thlr. 20 Sgr.
Der „Gewerkverein“,
Organ des Verbandes der deutschen Gewerkvereine und des deutschen Arbeiterbundes. Herausgegeben unter Mitwirkung der Verbands- und Vereinsvorstande von Dr. Max Hirsch. Abonnementspreis vierteljährlich 7 1/2 Sgr. bei jeder Postanstalt und Zeitungs- Spedition. — Das Blatt gewährt in populärer Darstellung einen Einblick in die wirklichen Ziele, in das Wirken und Schaffen der täglich wachsenden Arbeiterverbindungen.
Möchte man sich doch Eins auf allen Seiten ein für allemal klar machen. Die Arbeiterbewegung ist kein Erzeugnis willkürlichen Beliebens, augenblicklicher Anlässe, nichts künstlich Gemachtes, was sich ebenso gut wieder abstellen lässt. Vielmehr ist sie das notwendige Ergebnis unserer gesamten Kulturentwicklung, und könnte nur mit dieser zugleich rückläufig gemacht werden. Denn das ist das geschichtliche Entwicklungs-Gesetz der Kultur überhaupt: dass ihre intensive Erstarkung, ihr inneres Wachstum, Hand in Hand geht mit ihrer extensiven, ihrer räumlichen Ausbreitung, dass sie von engbegrenzten Mittelpunkten aus immer weitere Volksschichten ergreift, aus den abgeschlossenen Kreisen der Geweihten sich immer mehr den Massen mitteilt. So weit gediehen ist aber die Sache bereits, die Massen fassen den Ausgleich ihrer äußeren Lage mit ihrer menschlichen Lebensbestimmung in das Auge, die Forderung der Möglichkeit eines menschenwürdigen Daseins gewinnt immer mehr Boden unter ihnen. Und hat die aufsteigende Kultur diese Forderung erzeugt, so rückt sie auch die Möglichkeit, ihr zu genügen, uns näher und näher. Unauflöslich mit ihrem Fortschritt verknüpft ist die immer mehr erleichterte Beschaffung der materiellen Daseinsmittel. Die großen geistigen Errungenschaften unserer Zeit, die Entdeckungen und Erfindungen, welche die Stoffe und Kräfte der Natur immer mehr zu unserer Verfügung stellen, machen die menschliche Arbeit leichter und produktiver, so dass die Herstellung des leiblichen Gesamtbedarfs der Gesellschaft immer reichlicher, mit immer geringerer Mühe und geringerem Aufwand von Zeit bewirkt wird. Die rohesten und aufreibendsten Verrichtungen werden dem Arbeiter mehr und mehr erspart und den Naturkräften zugewiesen, die bis dahin, Körper und Geist abstumpfend, ihn von der Beteiligung an den höheren Kulturbestrebungen wesentlich abhielten. Und ist schon im Beginn dieser neuen industriellen Ära so Großes geleistet, welche Aussichten eröffnen sich uns erst bei dem weiteren Fortgang auf der betretenen Bahn für die Zukunft!
Eine Strömung aus so ewigem unversieglichem Quell lässt sich aber nicht aufhalten, und jedes dahin zielende Streben würde nur zu einem gewaltsamen Durchbruch führen. Deshalb soll man ihr die Bahn frei halten, soll sie in ihrem natürlichen Laufe zu leiten, nicht zu hemmen suchen, damit sie, anstatt Zerstörung Segen verbreitend, mit ihrer befruchtenden Kraft dem ganzen Leben der Zeit einen neuen, mächtigen Aufschwung verleihen.
Wem daher günstige Lebensstellung, wem Mittel und Kraft verliehen sind, der trete ein, der beteilige sich an dieser hohen und edlen Aufgabe! Es ist keine fremde, es ist unser Aller, seine eigne Sache, die er fördert, es ist die Sache der Zivilisation, des Gemeinwohls, innerhalb dessen allein das Einzelwohl dauernd seine gedeihliche Grundlage findet. Bildung und Wohlstand sind nur gefährdet in ihrer Exklusivität, ihrer Ausnahmestellung innerhalb der Gesellschaft, in der Abgeschlossenheit bestimmter Klassen; dagegen triumphieren sie über alle ihre Gegner, sobald sie sich ihnen mitteilen.
Wie und wo hiernach bei den verschiedenen Richtungen, welche die Bewegung genommen hat, einzutreten ist, mag man leicht ermessen. Ist die Bewegung Ausfluss des allgemeinen Kulturfortschrittes, woraus allein wir ihre Berechtigung ableiten, so darf sie sich von diesem nicht absondern, sie darf nicht gegen seine Bedingungen streiten, oder sie verleugnet sich selbst und gefährdet ihre Ziele. Diese im Wesen des Menschen von der Natur selbst gegebenen Kultur-Bedingungen verweisen vor Allem auf die individuelle Entwicklung, als Grundprinzip alles organischen Lebens. Die Antriebe und Kräfte, die hier ins Spiel kommen, sind von der Natur in die Einzelnen gelegt. Einsicht und Tatkraft, Fleiß und sittlicher Halt, Ansammlung von Kenntnissen, sogar in gewissem Sinne die Fähigkeit zur Ansammlung von äußern Mitteln: das muss ein jeder in und mit sich selbst fertig bringen, dazu gehört eine innere Aktion, die Keiner dem Andern abnehmen kann. Und wie dies Alles das Emporkommen des Einzelnen im Leben fördert, so dient es auch zur Hebung ganzer Gesellschaftsklassen, die ja nur in diesen Einzelnen zur Erscheinung kommen. Die Zustände, die Bedeutung irgend einer Gesamtheit von Menschen beruhen stets auf den Zuständen, dem Verhalten der dazu gehörigen Einzelnen, und die individuelle Entwicklung ist die alleinige Basis jeder menschlichen Gesamtentwicklung. Die Aufgabe kann daher nur dahin gefasst werden: diese Bedingungen des Emporkommens möglichst vielen zugänglich zu machen, und hier ist die Stelle, wo alle wahren Arbeiterfreunde, d. h. alle wahren Freunde des Kulturfortschritts, eintreten müssen. Förderung aller auf Ausbildung der eigenen Tüchtigkeit, auf das Emporkommen durch eigene Kraft gerichteten Strebungen und Unternehmungen. Dies ist es, um was es uns zu tun sein muss, und, Dank dem Grundzuge deutschen Wesens, Dank den Leistungen unserer Volksschule, die große Mehrheit der Arbeiter neigt dahin, und wo die sozialistischen und kommunistischen Agitationen irgendwie einmal zu ernsten Störungen führen sollten, so würde das Verhalten der von uns bezeichneten einflussreichen Elemente der Gesellschaft keinen kleinen Teil der Schuld daran tragen.
Das zuletzt Angedeutete ergibt schon, dass ein Hauptmittel zu dem bezeichneten Zweck in der Pflege des Vereinswesens besteht. Erblicken wir doch in demselben die organisierte Initiative der freien Menschen-Gesellschaft, welche diejenigen Aufgaben der gemeinsamen Kulturarbeit, die sich dem Einschreiten der Staatsgewalt mit ihren bloß äußerlichen Machtmitteln mehr oder minder entziehen, vor allem Pflegen und in die Hand nehmen soll. Aber wie hoch wir auch dasselbe hiernach überhaupt anschlagen, so kommt es doch ganz besonders für die Hebung der unbemittelten Klassen in Betracht, wo der Einzelne in seiner Isolierung fast nie im Leben zur Geltung kommt. Vereinigung der Mittel, Zusammenschluss der Kräfte ist für diese Klassen mehr, wie für die andern, eine Lebensfrage, wollen sie irgend etwas erreichen, irgend etwas durchsetzen. Das Einlenken der Arbeiter in diese Richtung tritt denn auch aufs lebhafteste zu Tage, und man hat endlich Seitens des Staates in neuerer Zeit angefangen, eine Menge Hemmnisse der Gesetzgebung in dieser Hinsicht wegzuräumen. Vereine von der verschiedensten Tendenz verbreiten sich zu Tausenden in unserem Vaterlande. Da kommen zuerst hier die Bildungs-Vereine der Handwerker und Arbeiter vor, teils zur Förderung allgemein humaner Bildung, teils zur Ausbildung, zur Pflege besonderer fachmännischer Kenntnisse und Fertigkeiten. Sodann treten besonders bedeutsam die Wirtschafts- und Erwerbs-Genossenschaften der Arbeiter und kleinen Gewerbetreibenden uns vor Augen, in welchen gerade ein Teil der Aufgabe, an dessen Lösung bisher am Meisten gezweifelt wurde, so lange man vor den Tatsachen die Augen verschließen konnte: Demokratisierung des Kapitals und die Herstellung größerer Handels- und Produktiv-Unternehmungen, in überraschender Weise verwirklicht wird. An dritter Stelle und von neuestem Datum bei uns sind die Gewerkvereine, welche sich nach den Englischen trades unions geformt haben. Dieselben haben zunächst den Schutz der Interessen der Lohnarbeiter, die Verbesserung ihrer Stellung den Arbeitgebern gegenüber, nötigenfalls durch Ansammlung von Mitteln, um Arbeitseinstellungen in Masse ins Werk zu setzen, zum Zwecke, sodann aber auch die Gründung von Kassen zu gegenseitiger Unterstützung bei Arbeitslosigkeit, Invalidität und Krankheit.
Hinsichtlich der Aufnahme dieser verschiedenen Vereinsbestrebungen Seitens des Publikums haben wir einen sehr merkbaren Unterschied zu registrieren. Während die Vereine der erstgenannten beiden Gattungen, die Bildungsvereine und die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, sich im Ganzen einer entgegenkommenden Aufnahme auch bei den Nichtbeteiligten zu erfreuen haben, stoßen die Gewerkvereine ganz besonders bei den Großindustriellen und den ihnen nahestehenden Kreisen auf die entschiedenste Antipathie.
Sieht man sich nach den Gründen in dieser Antipathie um, so ist das Erste, was gegen diese Vereine aufgeführt wird, der Hinweis auf die Missbräuche und Exzesse, deren man sie in England beschuldigt, besonders auf die Verbrechen von Sheffield und Manchester, die vor einigen Jahren ein so großes Aufsehen erregten. Hiergegen müssen wir im Allgemeinen bemerken, dass die Entwicklung der Gewerk-Vereine bei uns eine durchaus verschiedenartige, geradezu entgegengesetzte ist, im Verhältnis zu derjenigen, welche in England Statt gefunden hat. Während die Vereine dort aus den rohesten Zeiten der Maschinenzerstörung, des Krieges der Arbeiter gegen die Anfänge der modernen Produktion herstammen, fällt die Zeit ihrer Entstehung bei uns nicht nur in eine Periode, wo solches verkehrte Beginnen in der Arbeiterwelt langst überwunden ist, sondern sie haben auch ganz andere Vorbedingungen, eine ganz andere Bevölkerung hinsichtlich ihres Bildungsstandes zu Trägern. Das ist eben das Eigentümliche der Arbeiterbewegung in Deutschland, dass dieselbe, im Gegensatz zu England, mit Gründung der Bildungs-Vereine begonnen hat, sodann sich von da auf die wirtschaftlichen und Erwerbs-Genossenschaften erstreckte, welche an die Einsicht und den sittlichen Halt ihrer Mitglieder bedeutende Anforderungen machen, und zum Schluss erst zu den Gewerkvereinen gelangt ist. In Folge dieses Ganges der Dinge haben sie sich bei den wenigen Proben, welche sie seit ihrem kurzen Bestehen ablegen konnten, auf das Glänzendste bewährt. Sämtliche Streiks, seit Einführung der Koalitionsfreiheit durch das Bundesgewerbegesetz, wo Gewerkvereine beteiligt waren, sind ohne Rohheiten in der größten Legalität vor sich gegangen, und der einzige Fall, wo Gewalttätigkeiten vorkamen, der in der Lauenstein'schen Fabrik bei Hamburg, hat eben ohne jede Beteiligung eines Gewerk-Vereins stattgefunden. Das Bedeutendste für die Gewerk-Vereine bietet in dieser Beziehung gewiss der Streik der 8.000 Waldenburger Bergleute, welcher mehrere Monate hindurch im Winter, mit Hunger und Entziehung der Wohnung verbunden, ein ruhiges Ausharren der Beteiligten ohne irgend eine Ungesetzlichkeit, trotz vielfacher Übergriffe der Behörden, bewahrt hat, wie es selten vorkommen dürfte. Eben weil die Gewerk-Vereine in Deutschland wissen, dass sie ihr Todesurteil unterschreiben, sobald sie zu exzessiven Maßregeln übergreifen, sind sie die besten Wächter der Legalität ihrer Mitglieder selbst, indem sie jeden mit Ausschluss bedrohen, der sich ihrer Disziplin nicht fügt. Ebenso ist nirgends von Rohheiten und Angriffen gegen solche Arbeiter, welche sich den Vereinen nicht anschließen, oder austreten, die Rede.
Diese Erwägungen werden noch durch einen Umstand bei der Gründung der deutschen Gewerk-Vereine unterstützt, den man von gewisser Seite viel zu wenig beachtet. Als kaum die ersten Vorbereitungen dazu Seitens der auf dem Prinzip der Selbsthilfe stehenden Arbeiter getroffen waren, bemächtigte sich der sozialistische Agitator von Schweitzer in Berlin der Sache und beraumte im September 1868 hier einen „Allgemeinen deutschen Arbeitertag“ zum Behufe der Gründung von Gewerk-Vereinen an. So mächtig war der Zug nach diesen Verbindungen, dass diese Versammlung auch aus vielen, der sozial-demokratischen Partei nicht angehörigen Kreisen besandt wurde, die sich erst im Laufe der Gegenorganisation, als von den hiesigen Arbeiter- und Handwerker-Verbänden die Sache in die Hand genommen wurde, davon wieder trennten. Vergleichen Sie die Statuten beider Parteien. In den Schweitzer’schen Statuten und Debatten, da ist vom Kampfe gegen das Kapital, vom Kriege gegen die Arbeitgeber bis zur Vernichtung usw. und von weiter nichts die Rede. Auf der andern Seite dagegen in den Musterstatuten der Herren Hirsch und Duncker, welche von der Partei der Selbsthilfe an die Spitze des Gründungs-Komites gestellt waren, wird ausdrücklich die Versöhnung zwischen Kapital und Arbeit dadurch, dass der Arbeit die berechtigte Stellung neben dem Kapital gesichert werde, angestrebt. Ordnung der Arbeitsverhältnisse mit gegenseitiger Verständigung, Gründung von Organisationen der wirtschaftlichen Selbsthilfe, Unterstützungskassen für Alter und Krankheit, nicht bloß für den Fall eines Streiks, für den letzteren aber ganz besonders, Ausgleichs-Verhandlungen mit den Arbeitgebern und Schiedsgerichte nach dem Muster der Englischen - das sind die Zwecke, die man hier in gründlichen Verhandlungen als Grundlage und Hauptziel der Verbindung aufstellt, und mit ruhiger Ausdauer verfolgt. Daher ist man den Arbeitern und Arbeiterfreunden, die dafür wirkten, die unaufhaltsame Bewegung vor verderblichen Abwegen zu schützen, in jeder Beziehung Dank schuldig und sollte sich wohl hüten, in die Verdächtigung derselben durch die Gegenpartei einzustimmen.
Indes tritt dieses alles gegen das Moment, welches wir weiter geltend zu machen haben, noch zurück. Gerade die Verbrechen von Sheffield und Manchester, von einzelnen Leitern und Mitgliedern der Vereine gegen Arbeiter verübt, die sich diesen nicht anschlossen, haben den Anstoß zu Erhebungen gegeben, welche die wohltätige Einwirkung der Gewerkvereine auch in England auf die Arbeiterverhältnisse unleugbar dargetan haben. Auf die Gesuche der Arbeitervereine selbst, um ein Gesetz zur Sicherung ihrer privatrechtlichen Stellung, besonders ungetreuen Verwaltern ihres Vermögens gegenüber, ernannte die königliche Regierung aus den angesehensten Männern des Landes, Parlamentsmitgliedern, Richtern, Großindustriellen und Vorstehern der Arbeiterverbände, eine Kommission zur Ermittlung der einschlagenden Verhältnisse, welcher das Parlament seinerseits zur speziellen Untersuchung der Urheberschaft und Verzweigung der Verbrechen von Sheffield und Manchester zwei andere Kommissionen hinzufügte. Diese Kommissionen haben vereint in Zeit von länger als einem Jahre eine wahre Riesenarbeit vollendet, indem sie nahezu 20.000 einzelne Punkte in Form von Fragen zum Gegenstande ihrer gründlichen Erörterungen machten. Wir verdanken es einer Schrift des in England lebenden Grafen von Paris, Louis Philippe von Orleans, dass diese Verhandlungen unserem Publikum leicht zugänglich gemacht worden sind, indem derselbe in der übersichtlichsten und sachgemäßesten Weise einen Auszug davon gegeben hat, der auch bereits in deutscher Übersetzung erschienen ist.*) Ebenso hat der hiesige Stadtgerichtsrat und Abgeordnete Eberty in einer kleinen Schrift diese Verhandlungen benutzt und diese ganze wichtige Materie unter Berücksichtigung der Gesetzgebung aller Kulturländer in einer sehr schätzenswerten Arbeit vorgeführt.**) Aus diesen Erhebungen ergibt sich im Allgemeinen Folgendes.
Seit Freigebung des Koalitionsrechtes (1825), wodurch zuerst die Möglichkeit des offenen Auftretens der Vereine gegeben war, die bis dahin als geheime Verschwörungen operierten, haben sich die Gewalttätigkeiten, besonders bei den Arbeitseinstellungen und Auslohnungen fortwährend vermindert, und mit dem Erstarken der einzelnen Vereine sind auch überall die Forderungen der Arbeiter mäßiger geworden und die Neigung zu gütlichem Ausgleiche größer. Man hat eben Etwas zu verlieren, die schweren Opfer des Streiks und die Schwächung der Kassen für die Unterstützung in Alter und Krankheit durch die Erfahrung würdigen gelernt. Sobald daher irgend ein Entgegenkommen der Unternehmer gegen die Vereine stattfindet und man namentlich von der Nichtanerkennung derselben und dem Bann gegen die ihnen angehörigen Arbeiter absteht, zeigt sich gerade Seitens dieser das meiste Urteil und durch die in den Vereinen herrschende Disziplin die größte Möglichkeit, zu dauernden friedlichen Zuständen zu gelangen. ***) Ganz besonders erfreulich tritt diese wachsende Einsicht und Versöhnlichkeit der Arbeiter der Gewerkvereine bei den gelungenen Ausgleichseinrichtungen einiger hervorragender Beamten und Industriellen hervor; Versuche, welche im Begriff sind, zu einer allgemeinen nationalen Institution in England zu werden.
*) Die Gewerkvereine in England, vom Grafen v, Paris. Aus dem Französischen von Dr. E. Lehmann. Berlin, Verlag von Julius Springer, 1870.
**) Die Gewerbegerichte und das gewerbliche Schiedsgerichtswesen etc. von Dr. G. Eberty. Berlin, 1369, Verlag von W, Peiser.
***) Man vergleiche den Brief des Gewerkvereins der Spinner von Nordengland bei Gelegenheit der Verhandlungen über den Streike von 1867 im Buche des Grafen von Paris, S. 130.
Hier sind zuerst die durch die neueren Englischen Gesetze ermöglichten Schiedsgerichte mit Exekutivkraft für ihre Entscheidungen zu erwähnen, in deren Organisation sich besonders der Grafschafts-Richter Kettle in Worcestershire ein hervorragendes Verdienst erworben hat. Dieselben werden, sobald sich beide Teile dafür entscheiden, in gleicher Zahl von Arbeitgebern und Arbeitern zusammengesetzt, welche ihren Obmann wählen, und haben sich in allen Fällen als äußerst zweckmäßig nicht bloß bei Entscheidung, sondern auch zur Verhütung von Streitigkeiten über Lohn- und Arbeitsverhältnisse in den Fabriken bewährt. Stets haben sich an erster Stelle die Gewerkvereine dabei beteiligt, und fast immer sind ihre Führer, auch von den außerhalb der Verbindung stehenden Arbeitern, zu Vertretern gewählt worden, und konnte Hr. Kettle mit Arbeitern solcher Branchen, für welche keine Gewerkvereine bestanden, niemals zum Ziele gelangen. Dagegen übernehmen es die Gewerkvereine, wenn es sich nicht um einen Schiedsspruch mit exekutiver Kraft, sondern um Einigungen für die Zukunft handelt, über deren Aufrechterhaltung zu wachen. Nur auf diese Weise ist man 1864 in Wolverhampton in den Baugewerken zu der für die Unternehmer so wichtigen Festsetzung der Lohntarife je auf ein Jahr gelangt, was, obschon gesetzlich Verabredungen über Lohnsätze nur 24 Stunden bindend sind, bisher unverbrüchlich gehalten wurde. In Folge dessen hat Hr. Kettle bereits in fünf andern Industriebezirken zur Einführung dieser Schiedsämter mitgewirkt und glaubt, dass die Gewerkvereine, je mehr sie in ihrer Entwicklung in die volle Öffentlichkeit treten, „ein Arm der Kraft für den Arbeiter, ein Schild der Sicherheit für den Arbeitgeber sein würden.“
Noch bedeutender ist das völlig freie Einigungsverfahren, welches der Großindustrielle Mundella zuerst im Bereich der Strumpfwirker-Industrie in Nottingham eingeführt hat und für das sich die erwähnten Kommissionen als die geeigneteste Einrichtung von allen entschieden haben. Dasselbe beruht sowohl seiner Zusammensetzung der entscheidenden Personen nach, wie in der Durchführung von deren Beschlüssen, vollständig auf dem freien Willen der beteiligten Arbeiter und Unternehmer, welche in gleicher Zahl von beiden Teilen zusammentreten zu freier Besprechung bei vorkommenden Differenzen, zu gegenseitiger Aufklärung und Ausgleichung der Interessen. Dieselben haben ein so unbedingtes Ansehen unter den Beteiligten gewonnen, dass ihren Einigungen (von eigentlichen Entscheidungen konnte kaum die Rede fein) von keiner Seite jemals ein Widerspruch entgegengesetzt worden ist. Hr. Mundella äußert sich darüber in seiner Deposition vor der Kommission ausführlich. Die Stadt Nottingham hatte durch die Arbeiter-Aufstände, denen sie zu Beginne der zwanziger Jahre zum Schauplatze diente, eine traurige Berühmtheit erlangt, und noch während der Jahre von 1825 bis 1860 zeigte sich dieser Geist in fortwährenden Arbeitseinstellungen in der dort hauptsächlich betriebenen Strumpfwirker-Industrie, indem die Unternehmer wie die Arbeiter jede Konjunktur gegen einander auszubeuten suchten und in ihren Forderungen auf Herabsetzung wie auf Erhöhung der Löhne nicht selten das Maß überschritten. So bestand zwischen beiden Teilen ein Kampf auf Tod und Leben, jeder suchte den andern auszuhungern und ihn dadurch zu einem Vergleiche zu zwingen. „Wir hatten alle“ — sagt Hr. Mundella — „diese Vorgänge satt, und einige von uns waren der Meinung, dass man es wohl einmal mit etwas Besserem versuchen könne.“ Da kam er auf den Gedanken eines Schiedsgerichts und schlug mit zwei andern Unternehmern den Arbeitern eine Zusammenkunft vor, welche ihrerseits zwölf Führer von Gewerkvereinen zu ihren Vertretern ernannten. Man betrachtete sich anfänglich mit misstrauischen Blicken; aber allmählich gelangte man zu einer Verständigung und kam nach Verlauf von drei Tagen so weit, dass die Grundlagen des neuen Systems festgestellt werden konnten. Die Unternehmer in Nottingham ernannten neun, später zehn Deputierte, die Arbeiter ebenfalls, und zwar die tätigsten Führer der Gewerkvereine, indem sich wiederum auch die denselben nicht Angehörigen diesen anschlossen. Die Besorgnisse der Unternehmer wegen dieser Wahl schwanden rasch, und sie mussten anerkennen, dass sie keine verständigeren und mäßigeren Vermittler zwischen sich und den Arbeitern hätten finden können, die es verstanden, die misstrauische Masse von übereilten Schritten zurückzuhalten und sie über ihre wahren Interessen aufzuklären. Seit neun Jahren ist Hr. Mundella Vorsitzender dieses Einigungs-Ausschusses geblieben und 42 von 45 der Nottinghamer Unternehmer haben denselben anerkannt, denen mehr als 20.000 Arbeiter gegenüber stehen. Der Ausschuss regelt die Löhne durch einen Tarif nach den Zuständen des Marktes. Die Partei, welche eine Änderung des Tarifs verlangt, muss dieses einen Monat vorher anzeigen, und die Veränderungen werden dann stets nach friedlicher Übereinkunft vorgenommen. Denn wenn Unternehmer und Arbeiter — dies betont Hr. Mundella besonders ohne jeden Rangunterschied an einem Tische neben einander sitzen, um ihre beiderseitigen Interessen an einer Industrie, von der beide leben, zu diskutieren, so werden sie bald genug inne, dass diese Interessen solidarisch sind. Mehr als einmal haben die Arbeiter auf Lohnerhöhung verzichtet, wenn ihnen die Unternehmer die Unmöglichkeit derselben nachwiesen, und einige Male sind Arbeitern die Mittel bewilligt worden, sich durch eigene Anschauungen von den Verhältnissen des Marktes in Frankreich und Deutschland zu überzeugen. Zwischen beiden Teilen hat sich ein so glückliches Einverständnis hergestellt, dass seit vier Jahren über keinen Beschluss des Schiedsgerichts auch nur abgestimmt zu werden brauchte. Daher genießen die Entscheidungen dieses Schiedsgerichts, obgleich der gesetzlichen Exekutivkraft entbehrend, die unbedingteste Autorität, und kein Arbeiter darf es wagen, sich dagegen zu setzen, wenn er nicht sofort dem Bann der Gewerkvereine anheim fallen will. Dass demnach auch hier wieder die ganze Einrichtung in den Gewerkvereinen ihren Halt gefunden, ja, dass sie mit einer ungebundenen Arbeiter-Menge ohne Organisation und Disziplin geradezu unmöglich gewesen wäre, ergibt sich zur Genüge und wird von Hrn. Mundella wie von Hrn. Kettle ausdrücklich ausgesprochen. Bei dem Mangel jeder staatlichen Autorität zur Durchführung der gefassten Beschlüsse war die Macht der Gewerkvereine in der Tat die einzige Exekutive, die zu diesem Zwecke zu Gebote stand.
Ein weiterer bedeutungsvoller Schritt in dieser Bahn, welcher ebenfalls vor den Kommissionen zu allgemeiner Anerkennung gelangte, ist endlich die Partnerschaft der Arbeiter am Geschäft, zunächst die Beteiligung am Reingewinne desselben, welche von den Gebrüdern Briggs in deren Kohlengrube in South-Yorkshire eingerichtet ist. Nach furchtbaren Kämpfen zwischen Gewerkverein und Unternehmern, wie sie gerade in dieser Industriebranche und Gegend besonders heftig wüteten, schritt der Hauptführer der Unternehmer, der Präsident ihres Vereins, da sich der Zweck, die Gewerkvereine zu vernichten, trotz aller aufgewendeten Mittel nicht durchführen ließ, zu dieser Maßregel, um aus dem ewigen Kriegszustande herauszukommen. Indem er auf die Geheimhaltung der Bilanz und des Reingewinns verzichtete, beschloss er, den letzteren mit den Arbeitern in der Art zu teilen, dass von dem Reinertrag den Aktionären eine Verzinsung von 10% zugesichert werde, der Überschuss dagegen zwischen den Aktionären und den Arbeitern, welche natürlich außerdem ihren Lohn erhielten, geteilt würde. Ferner übertrug man die Kohlengruben (600.000 Thaler an Wert) auf eine Aktiengesellschaft und kreierte 9.000 Aktien à 66 1/3 Thaler (10 Pfd. St.), von denen die bisherigen Eigentümer 2/3 behielten, und 1/3 den Arbeitern und Kunden offerierte, und dadurch diesen ermöglichte, in die Reihe der Unternehmer und Kapitalisten einzutreten. Dieses System trat im Jahre 1865 in Kraft, und auf diesem Wege ist es allerdings den Herren Briggs gelungen, den Gewerkverein zu vernichten, indem die Arbeiter bereitwillig darauf eingingen und ihren Verein, nachdem sie sich in die neue Einrichtung eingelebt hatten, als zwecklos selbst auflösten. Die erreichten Resultate sind außerordentlich und den Aktionären konnte man trotz der Beteiligung der Arbeiter am Reingewinn größere Dividenden gewähren als vor dieser Zeit, da der gute Wille und Eifer der Arbeiter, deren Interesse man auf solche Weise, an die Prosperität des Unternehmens zu knüpfen verstand, Außerordentliches geleistet haben und vor der so schädlichen Einstellung der Arbeit, meist zur ungelegensten Zeit, nicht mehr die Rede ist.
Das Ergebnis der ganzen Untersuchung wird man nach alledem im Folgenden zusammenfassen können. Die Gewerkvereine sind eine Macht, welche wie jede andere, sowohl zu guten als zu üblen Zwecken gebraucht werden kann. Sie gewähren den Arbeitern die Mittel zum Kampf gegen die Unternehmer, aber zugleich die Mittel zum Frieden, zum dauernden Ausgleich der streitigen Interessen. Nach allen Erfahrungen scheint es nun, dass auf diesem Felde, wie auf andern, der Friede nur nach vorausgegangenen Kämpfen erlangt werden kann; dass, wer irgend im Besitz einer dominierenden Stellung in Bezug auf Andere sich befindet, diese nicht eher auf gleichem Fuße behandelt, als bis sie ihm das Anerkenntnis ihrer Ebenbürtigkeit abgerungen haben. Verlangt demnach das Zustandekommen eines billigen Ausgleichs die Widerstandsfähigkeit auf beiden Seiten, dann sind die Gewerkvereine, als notwendiger Übergangspunkt zu ruhigen, dauernden Zuständen, wie sie zur Entwicklung der Industrie unentbehrlich sind, nur willkommen zu heißen. Die Unternehmer insbesondere werden sich um so eher mit ihnen zu befreunden haben, als es erfahrungsmäßig in ihrer Hand liegt, sie durch Anerkennung und verständiges Entgegenkommen zur besten Handhabe eines dauernden, guten Vernehmens mit ihren Arbeitern zu machen.
Möchten doch daher auch bei uns unsere Großindustriellen die Sache unbefangen nehmen, wie sie liegt. Freilich verändert sich die Stellung der Arbeiter durch ihre Vereinigung. Während sie in ihrer Isolierung nichts bedeuten, werden sie dadurch ein Faktor, mit dem man rechnen muss. Der Lohnkontrakt namentlich wird gerade dadurch erst zur Wahrheit, zu einem wirklich vertragsmäßigen Verhältnis mit beiderseitiger freier Willensbestimmung. Wenn der aus dem Broterwerb entlassene Arbeiter nicht beliebig jeder Zeit vom Unternehmer ersetzt werden kann, dann erst verwandelt sich das Verhältnis absoluter Abhängigkeit in ein Verhältnis; der Gegenseitigkeit. Das Gefühl, dass man einander bedarf, dass man auf einander angewiesen ist, greift Platz; man begreift, dass man auf beiden Seiten gegen sich selbst wütet, wenn man gegen den Andern zum Äußersten schreitet, und dies muss zu jeder vernünftigen Konzession, zu größerer Annäherung, zur Anknüpfung persönlicher Beziehungen führen. Wird doch die feindselige Stimmung zwischen Unternehmer und Arbeiter in vielen Fällen mehr, als durch bloß materielle Konflikte, durch die soziale Kluft genährt, vermöge deren die Unternehmer unnahbar, als streng geschiedene Kaste, von den Arbeitern abgesondert sind. Da ist jede andere als geschäftliche Beziehung unter ihnen abgeschnitten das Gefühl der Gemeinsamkeit rein menschlicher Interessen kommt nicht auf, das ganze Verhältnis ist von Hause aus jeder sympathischen . Regung entkleidet. Dabei herrscht im Allgemeinen mehr Mangel an Verständnis, als böser Wille vor. Wie viele Arbeitgeber opfern nicht große Summen zum Besten ihrer Arbeiter, aber es sollen eben Zuwendungen aus Liberalität sein, bei denen die Arbeiter ja keine Stimme haben dürfen! Und damit ist die Sache in vielen Fällen gleich von vornherein verdorben. Entschlösse man sich, anstatt der Milde mit dem Demütigenden, welches sie für den hat, dem sie erzeigt wird, die vertragsmäßige Leistung einzuführen, man würde meist sich besseren Dank verdienen. Und lenkt man so von dem Wege der Willkür auf den der Verständigung ein, verhandelt man besonders über die Differenzen auf gleichem Fuße mit den Arbeitern, so hebt man nicht bloß deren Selbstgefühl, man stärkt auch die eigene Autorität, indem man dieselbe, anstatt auf den Zwang, auf die freiwillige Anerkennung basiert. Die Einsicht in die Betriebs- und Absatzbedingungen ist, wie sich in England gezeigt hat, das beste Mittel gegen unberechtigte Forderungen der Arbeiter; und dass man so menschlich einander näher tritt, mit einander über wichtige Vorkommnisse berät, im persönlichen Vernehmen über die gegenseitigen Ansprüche entscheidet, sich der Teilnahme an guten und schlimmen Konjunkturen bewusst wird, das hat die Erweckung des Interesses am Geschäfte zur Folge, wodurch sich die widerwillige, rein mechanische Kooperation in ein freudiges, selbstbewusstes Schaffen Seitens der Arbeiter verwandelt. Und die Weiterentwicklung, der Fortschritt, vom Stücklohn zur Partnerschaft, wie sie Briggs’ Beispiel in England zeigt, liegt nicht so fern. Hat doch unser Mitbürger, Hr. Borchardt in Berlin, seit wenig Jahren mit demselben vorzüglichen Erfolge diesen Weg betreten, worüber das Nähere in der hiesigen Tagespresse nachzulesen ist. Welche Aussichten für den Nationalwohlstand zeigen sich vor unseren Augen! So erst wird die Industrie das wirksame Kulturelement, als welches wir sie bezeichneten, nicht nur durch das, was sie leistet - die reichlichere und bessere Herstellung des materiellen Gesamtbedarfs der Gesellschaft - sondern dadurch, wie sie dies leistet, indem das Arbeits-Verhältnis, auf sittliche Grundlage gestützt, anstatt des Niederhaltens, die Erweckung und Pflege der edelsten Keime der menschlichen Natur in den Arbeitern zur Folge haben muss.
Und so schließen wir mit derselben Mahnung an die Arbeitgeber, die wir so oft an die Arbeiter richteten: Man setze sich mit seinen Strebungen und Tendenzen nicht in Widerspruch- mit dem Kulturfortschritt! Keine größere Gefährdung alten Besitzstandes als seine starre Aufrechthaltung gegen unabweisbare Zeitforderungen. Die höchste Stelle in der Gesellschaft, die Aristokratie, wenn man von einer solchen reden will, hat ihre Basis nicht in der Prätension eines größeren Maßes von Rechten, sondern darin, dass man ein größeres Maß von Pflichten, im Vollbewusstsein der sozialen Verantwortlichkeit seiner Stellung, freiwillig auf sich nimmt. Eine Gesellschaftsklasse aber, die mit ihren ausschließlichen Sondergelüsten dem Gemeinwohl entgegentritt, wird von der Wucht der großen Kulturinteressen zerschmettert.
Im Verlage von Franz Duncker in Berlin sind ferner erschienen
Schulze-Delitzsch, Die Produktiv-Genossenschaften und die Vorschuss-Vereine 1865. Geh. 1 Sgr.'
Schulze-Delitzsch, Die nationale Bedeutung der Genossenschaften. Vortrag, gehalten vor den Genossenschaften Berlins am 19. Marz 1865. Geh. 1 Sgr.
Schulze-Delitzsch, Die Abschaffung des geschäftlichen Risiko durch Herrn Lassalle. Ein neues Kapitel zum deutschen Arbeiter-Katechismus. 1866. Geh. 4 Sgr.
Schulze-Delitzsch, Die soziale Frage, Zusammengestellt aus zwei Vorlesungen am 18. Marz und 2. April 1869 in Berlin und Köln. Geh. 3 Sgr.
Schulze-Delitzsch, An die preußischen Handwerker. Als Antwort auf viele Anfragen. 1861. Geh. 1 Sgr.
Schulze-Delitzsch, Rede zur Waldeck-Feier. Gehalten am Jahrestage der Freisprechung Waldecks, 3. Dezember 1869. Geh. 1 Sgr.
Zur Gründung von Orts- und Gewerkvereinen und zur Orientierung über dieselben ist folgendes Material von Hrn. Dr. Max Hirsch, Anwalt des Verbandes deutscher Gewerkvereine, Berlin, Eichhornstr. 9, jederzeit zu den beigefügten Preisen franco zu beziehen:
I. Die Muster-Statuten mit Aufruf an die deutschen Arbeiter, ä Stück 6 Pf., 12 Stück = 5 Sgr., 100 Stück = 1 Thlr. 6 Sgr.
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III. Die „Praktische Anweisung zur Gründung von Orts-Vereinen“, à Stück 6 Pf., 12 Stück = 4 Sgr., 100 Stück = 25 Sgr.
IV. Die Muster-Kassenordnung für Orts- und Gewerkvereine, à Stück 1 Sgr., 12 Stück = 6 Sgr., 100 Stück = 1 Thlr. 15 Sgr.
V. Die Geschäftsordnung für die Versammlungen der Gewerkvereine, 12 Stück = 1 Sgr. 6 Pf., 100 Stück = 10 Sgr.
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Der „Gewerkverein“,
Organ des Verbandes der deutschen Gewerkvereine und des deutschen Arbeiterbundes. Herausgegeben unter Mitwirkung der Verbands- und Vereinsvorstande von Dr. Max Hirsch. Abonnementspreis vierteljährlich 7 1/2 Sgr. bei jeder Postanstalt und Zeitungs- Spedition. — Das Blatt gewährt in populärer Darstellung einen Einblick in die wirklichen Ziele, in das Wirken und Schaffen der täglich wachsenden Arbeiterverbindungen.
Bergleute und Steinarbeiter.
Fischer und Floßknechte
Heimkehrende Chiem-See-Fischer.
Holztransport im Winter.
Der Bauer.
Der Holzknecht.
Hausbau, Bauhandwerker
Hausierer, Käse- und Backwarenverkäufer, Scherenschleifer
Marktleben
Schmiede
Schneider
Schuster
Tischler
Brennholzspalterei
Verpackung des Brennholzes
Brennholzzuschnitt
Werkzeugstielfabrikation
Transportwagen-Gespann
Holzwollemaschine
Schulze-Delitzsch, Hermann, eigentlich Franz Hermann Schulze (1808-1883) deutscher Sozialreformer, Jurist, Politiker und Publizist, einer der „Gründerväter des deutschen Genossenschaftswesen