Kapitel 11 - Herr de Landa und Peter Hannibal Meier.

Es war Essenszeit geworden, und bei Tisch unterhielten sich die Freunde hauptsächlich über die Hochwassergefahr. „Schade, wenn wir gezwungenermaßen hier bleiben müßten, da wir es freiwillig doch so gerne tun,“ meinte Cajetan; „doch bin ich mit meiner Bauernstube ganz zufrieden, und kommt jetzt die Sonne wieder, so wird uns zur Belohnung der schönste Herbstbrand aus den Wäldern leuchten.“

Erst nach Beendigung der Mahlzeit wurden die Eindrücke über die Geschichte von Nimführ und Willenius ausgetauscht. „Richtig ist“, sagte Borsati, „daß in den Romanen und Novellen solche Konflikte immer durch die Liebe verwässert werden. Es sind echte Malercharaktere, die beiden.“


„Ich finde hier einen Unterschied bestätigt, den ich schon oft konstatiert habe,“ bemerkte Hadwiger, „den Unterschied zwischen Ding-Naturen und Idee-Naturen. Dieser Willenius ist eine Ding-Natur, trotz seines wunderbaren Talents. Ja, ich möchte ihn fast einen Fetischisten nennen. Ich habe mit Arbeitern zu tun gehabt, die ganz ähnlich veranlagt waren. Ich kannte einen, der vor Eifersucht Wutanfälle bekam, wenn ein Kamerad Zirkel und Winkelmaß von ihm borgen wollte. Das Verhältnis zum Ding geht oft ins Sonderbare. Ich kannte einen Lokomotivführer, der sich fest einbildete, seine Maschine scheue an einer bestimmten Stelle vor einem Tunnel; er versah sich mit einer Peitsche und schlug sie wie man einen Esel schlägt, da parierte sie und lief ohne Stockung weiter.“

„Oft bin ich als Kind vor der Schmiede gestanden,“ erzählte Franziska, „und war völlig hingenommen von der Vorstellung, das glühende Eisen, das sich unterm Hammer krümmte, sei ein lebendiges Wesen, und die Funken, die umherspritzten, schienen mir wie sichtbare Schmerzensseufzer.“

„Im Volk spielt das Feuer nicht selten die Rolle eines willensbegabten Geistes“, sagte Borsati. „Zu Grenchen in der Schweiz lebte ein Bauer, von dem behauptet wurde, er sei mit dem Feuer im Bund; dafür habe er sich verpflichtet, kein Weib zu berühren. Er konnte glühende Kohlen auf der Handfläche tragen, und eines Tags rettete er ein Mädchen aus einem lichterloh brennenden Haus, ohne daß ein Haar auf seinem Haupt versengt wurde. Da geschah es, daß er in der Johannisnacht eine hübsche Dirne küßte. Die Scheiterhaufen waren im Tal angezündet, er schritt über einen Felsgrat, um Reisig zu sammeln, plötzlich erfaßte ihn der Schwindel, er wankte, er stürzte herab, unterhalb der Steinwand brannte ein großes Feuer, er stürzte mitten in die Flammen und ging elend zugrunde.“

„Bisweilen ist mir, als ob die toten Dinge an unserer Existenz irgendwie teil hätten“, äußerte Cajetan. „Ist euch nie aufgefallen, wie rasch ein Zaun zerfällt oder eine Gartenmauer abbröckelt, wenn die Besitzer gestorben sind? und es war vordem durchaus keine Sorgfalt auf die Erhaltung verwendet worden. Es gibt Leute, die eine närrische Pietät für die Stiefel hegen, die sie getragen, und andere, die sich von einem verschossenen Filzhut nicht trennen können. Gewohnheit ist dafür nur ein Wort, das wenig besagt.“

Franziska versetzte: „In meiner Heimat lautet ein Sprichwort: verfallener Zaun und magerer Hund geben Kummer und Sorgen kund.“

„Na, mit den Hunden stimmt das nicht so ganz“, meinte Borsati lächelnd. „Einer meiner Bekannten hatte einen äußerst mageren Spitz. Eines Tages wurde der Mensch krank und bekam die Auszehrung. Von dieser Stunde ab wurde der Hund auf eine erstaunliche Weise fett und immer fetter, und als der Herr starb, glich das rätselhafte Tier eher einem Mastschwein als einem Hund.“

„Der Bauer in Grenchen erinnert mich an einen andern schweizerischen Bauern, für den ebenfalls das Feuer zum Verhängnis wurde“, ergriff Lamberg das Wort.

„Es war ein junger Knecht, der die Tochter eines reichen Gütlers liebte. Jahrelang warb er hoffnungslos, bis endlich bei der Heimkehr von einem Schützenfest, wo er den Preis errungen hatte, das stolze Mädchen sich ihm zuneigte. In der Nacht, während er in ihrer Kammer weilte, brach auf dem Hof, wo er bedienstet war, Feuer aus. Alle waren beim Löschen beteiligt, und er kam erst, als Scheune und Haus niedergebrannt waren. Sein verwirrtes, ja beinahe berauschtes Betragen bestärkte den Verdacht, den seine Abwesenheit erregt hatte, und er wurde beschuldigt, das Feuer gelegt zu haben. Hätte er sich entschließen können, anzugeben, wo er die Nacht über geweilt, so hätte niemand an seiner Unschuld gezweifelt. Aber er wollte den Ruf seiner Geliebten schonen, er wußte, wie sehr sie die üble Nachrede fürchtete und daß sie ihm den Verrat nicht verziehen hätte. Seine Beteuerungen waren umsonst, und da er die Auskunft darüber verweigerte, wo er sich aufgehalten während der Zeit, wo das Feuer entstanden war, so wurde er zu fünf Jahren Kerker verurteilt. Er konnte es kaum glauben, daß ihm dies geschehen, denn er war ein Mensch von angeborener Redlichkeit, und daß er einen männlichen und edlen Charakter besaß, leuchtet ja durch seine Handlungsweise ein. Er saß nun im Zuchthaus und wartete. Seine stärkste Hoffnung war, daß die Feuersbrunst auf eine natürliche Ursache werde zurückgeführt werden können. Dies geschah nicht. Sodann meinte er, der wahre Schuldige werde sich, vom bösen Gewissen angetrieben, melden. Dies geschah auch nicht. Und schließlich wagte er zu denken, daß die stolze Bauerntochter Mitleid verspüren würde, daß sie so viel Unheil nicht auf ihre Seele werde laden wollen, daß sie mutig sich zu ihm bekennen würde, aber dies geschah am allerwenigsten. Als nun die fünf Jahre um waren, kam er als gebrochener Mensch in das heimatliche Dorf und die erste Neuigkeit, die man ihm mitteilte, war, daß seine Geliebte unterdessen längst geheiratet und auch schon zwei Kinder habe. Da verwandelte sich sein stummer Gram in Haß und Zorn, eines Morgens machte er sich auf, betrat das Haus der Bäuerin und als er ihr gegenüberstand und sie ihn fragte, was er begehre, denn sie erkannte ihn nicht, da überwältigte es ihn und mit gehobenen Fäusten schritt er auf sie los. In dem Augenblick trat das älteste Kind, ein Knabe, zur Tür herein. Die Bäuerin war bleich gegen die Schwelle gewichen, jetzt wußte sie, wer er war; sie ergriff den Knaben, hob ihn ein wenig empor und sagte: schau ihn dir an. Und er sah, daß der Knabe ihm ähnlich war an Gesicht und Haar und Augen und daß er auf der Wange ein großes blutiges Feuermal hatte. Schweigend kehrte er um und verließ das Haus. Von der Stunde ab war es aber um die Ruhe der Bäuerin geschehen, sie konnte den Blick ihres ehemaligen Liebhabers nicht vergessen. Haus und Hof gerieten ihr in Unordnung, alles ging einen schiefen Weg, der ganze Besitz kam in Wuchererhände, der Bauer mußte sich entschließen auszuwandern und, nachdem ein Jahr vergangen war, lief von Brasilien aus ein Brief an die Gerichtsbehörde, worin die seltsame Frau nicht etwa ihr wirkliches Vergehen bekannte, sondern sich bezichtigte, daß sie die Brandstifterin gewesen sei und daß der Knecht keine Schuld trage. Sie gab die einzelnen Umstände ihrer Tat, die sie aus einem unsinnigen Trieb nach Licht und Erregung erklärte, mit solcher Genauigkeit an, daß man ihr Glauben schenken mußte, aber der Knecht, den man gern für die erlittene Unbill entschädigt hätte, war verschwunden, und sein Aufenthalt konnte durch keine Bemühung entdeckt werden.“

„Was für ein Weib!“ rief Franziska verwundert. „Sie ist mir unverständlich. Nicht eine Regung von ihr begreife ich. Hat sie den Knecht geliebt? Konnte sie nur eine Nacht lang lieben? Schämte sie sich seiner? Und ist selbst dann eine solche Grausamkeit möglich? Unter Bauern ist man doch sonst nicht so furchtsam auf das Prestige der Tugend bedacht.“

„Im allgemeinen nicht,“ antwortete Lamberg, „doch beobachtet man zuweilen, besonders in protestantischen Ländern, eine außerordentliche Strenge der Lebensführung auch unter Bauern. Da ist dann ein ehernes Festhalten an uralten Überlieferungen, ein Puritanismus geheiligter Formen, der keinem Gebot der Leidenschaft unterzuordnen ist, und es läßt sich wohl denken, daß ein derart erzogenes Mädchen, starr und konservativ bis zum Äußersten, wie eben nur Frauen zu sein vermögen, wenn sie einmal eine Überzeugung in sich tragen, daß ein solches Mädchen ihr Glück und ihr Herz eher preisgibt als jene Form. Ich zweifle nicht daran, daß sie den Knecht geliebt hat, so tief geliebt, daß sie ihm ihre Jungfräulichkeit zum Opfer brachte. Und darnach fand sie sich vielleicht so gedemütigt, so heruntergezerrt, daß ihr keine Sühne groß genug erschien für den Mann wie für sie selbst. Das Brandmal auf der Wange des Kindes verrät mir unerhörte Kämpfe in der Seele der Mutter.“

„Wenn du es so darstellst, Georg, fange ich an, die Frau anders zu betrachten,“ versetzte Franziska sinnend. „Freilich kann man alles das aus den Geschehnissen heraushören, wir sind nur der Sparsamkeit entwöhnt und möchten das Deutliche gleich überdeutlich, – wir Frauen nämlich“, fügte sie entschuldigend hinzu.

„Es ist klar, daß der Ehemann von alldem nichts gewußt hat“, fuhr Lamberg fort, „und das Zusammenleben muß etwas Beängstigendes für ihn gehabt haben. In dieser Sphäre sprechen sich die Menschen schwer gegeneinander aus, und ihre Geheimnisse wie ihre Sorgen versteinern mit ihnen.“

„Andererseits ist eine zu große Freiheit des Aussprechens, wie sie unter Gebildeten zu herrschen pflegt, auch nicht geeignet, das Leben zu erleichtern“, wandte Cajetan ein. „Stillschweigen führt wenigstens zu Entscheidungen, das viele Reden stumpft die Impulse ab und begünstigt eine gewisse Frivolität, einen überflüssigen Trotz des Handelns. Dies ist eine der Hauptursachen, weshalb es so wenig glückliche Ehen gibt. Die Frauen spüren es nicht so, sie plätschern mit Vergnügen im Element des Wortes, im Mann ist Sehnsucht nach Stummheit.“

„Man sollte eben eine stumme und eine redende Frau haben,“ sagte Franziska. „So hats der Graf von Gleichen gehalten, aber ich will darauf schwören, daß die stumme öfter gesprochen und die redende öfter geschwiegen hat als ihm lieb war.“

„Und doch muß es nicht so sein,“ sagte Borsati; „zumindest ist mir ein Fall bekannt, wo eine solche Doppelehe stattgefunden hat und im lautersten Frieden durch viele Jahre geführt wurde. Es ist eine Idylle eigener Art, und es mag selten vorkommen, daß das wirkliche Leben den Verlauf von Schicksalen gleichsam einer alten Legende nachzeichnet.

Herr de Landa, ein Mann von großem Reichtum, bewohnte in einem Villenort nahe der Stadt ein vornehmes Haus. Er war seit zehn Jahren verheiratet, die Ehe, aus der zwei Söhne entsprossen waren, konnte eine glückliche genannt werden, die Frau war ihm ergeben und hatte einen ruhigen, gleichmäßigen und heiteren Sinn. Eines Morgens ging Herr de Landa im Garten spazieren, und als er an das Gitter kam, das das Nachbargrundstück von dem seinen trennte, sah er drüben eine junge schöne Person, die seinem ehrerbietigen Gruß lächelnd dankte. Auf seine Erkundigung wurde ihm berichtet, daß in jenes Haus vor kurzem ein Witwer, ein pensionierter Oberst, ein Mann in vorgerücktem Alter eingezogen und daß das Mädchen seine Tochter sei. Herr de Landa wandelte nun täglich zu der Stelle, wo er das Fräulein zuerst gewahrt, es war Sommer, das schöne Geschöpf weilte tagelang im Garten, aus flüchtigen Grüßen wurden Gespräche, bald wandelte man gemeinsam über die Wege des Landaschen Parks, und ein stilles Pförtchen erleichterte die Zusammenkunft; Herr de Landa brachte Bücher, das Fräulein Josepha las sie, Herr de Landa bot sein Herz an, das Fräulein Josepha nahm es. Zu Anfang des Herbstes starb der Oberst, es stellte sich heraus, daß seine Vermögensumstände zerrüttet waren, und Josepha hätte sich einen Brotverdienst suchen müssen. Da erklärte ihr Herr de Landa, daß er seine Familie verlassen wolle, um ihr anzugehören. Das Mädchen war sehr bekümmert; nicht als ob sie das Gefühl des Mannes nicht erwidert hätte, im Gegenteil, sie liebte ihn mit der ganzen Glut ihrer Jugend, obwohl er um fünfzehn Jahre älter war als sie; aber in ihrer Redlichkeit sträubte sie sich dagegen, die Zerstörerin seines häuslichen Glücks zu sein, der Frau den Gatten, den Kindern ihren Vater zu rauben. Ich will dir sein, was du von mir forderst, sagte sie, nur laß mich nicht zur Verbrecherin an dir und den Deinen werden. Herr de Landa war jedoch ein zu gerader Mensch, um das Zwieträchtige und Unbefriedigende eines solchen Verhältnisses dauernd ertragen zu können, ein jäher Entschluß beendete sein Schwanken, und er teilte seiner Frau mit, wie die Dinge stünden. Diese hatte natürlich längst geahnt, längst das Schlimme nahen gefühlt; sie schwieg eine Weile, endlich sagte sie zu ihm: scheiden lasse ich mich nicht von dir, das kann ich nicht, das wäre mein Tod; wenn du aber nicht ohne Josepha leben kannst, so nimm sie ins Haus, ich will mit meinen besten Kräften versuchen, mit ihr unter einem Dach zu wirtschaften. Herr de Landa war sehr überrascht von diesem Vorschlag, er verbarg seine Bewegung und ging ohne zu antworten hinweg. Seine Verwunderung wuchs, als Josepha durchaus nicht entrüstet oder verletzt war, als er ihr von dem sonderbaren Ansinnen erzählte; tapfer blickte sie dem Ungemeinen ins Auge, ehe noch der Tag verfloß, begab sie sich zu Frau de Landa, war betroffen von deren Güte und von einer Seelengröße erobert, der sie nur durch Nacheiferung danken zu können glaubte. Der Pakt war alsbald geschlossen. Die äußere Form machte geringe Schwierigkeit, – Josepha war die Vertrauensdame des Hauses, die Schlüsselbewahrerin, während sich Frau de Landa mehr der Erziehung der Söhne widmete. Es gibt keine Leidenschaft, über die sich nicht endlich das Grau der Alltäglichkeit breitete; was anfangs abenteuerlich, ja gefährlich erschienen war, wurde Gewohnheit, die Empfindung des Problematischen wurde durch stetige und herzliche Einigkeit verdrängt, und so friedensvoll fügten sich die beiden Frauen in ihrem Wandel und in ihren Gepflogenheiten ineinander, daß sie Abend für Abend in demselben Zimmer an demselben Tisch saßen, Handarbeiten verfertigten, Wäsche ausbesserten, dabei von „ihm“ sprachen, der in Gesellschaft gegangen war oder sich auf Reisen befand und den sie in all ihren Regungen, in Worten und Gedanken treu begleiteten. Auch die Söhne nahmen die Ordnung des Hauses als eine natürliche hin, sie dutzten Josepha und behandelten sie wie eine Freundin. Einundzwanzig Jahre waren verflossen, da starb Herr de Landa eines plötzlichen Todes. Als die schmerzlichen Tage der ersten Trauer vorüber waren und Frau de Landa eines Abends mit ihren Söhnen über deren Zukunft sprach, kam Josepha herein, trat auf den älteren Sohn zu, überreichte ihm die Schlüssel, die sie so lange im Besitz gehabt, und sagte, er möge nun nach seinem eigenen Ermessen darüber schalten, sie erwarte seine Befehle. Der junge Mann wußte nichts zu antworten, aber Frau de Landa nahm die Schlüssel aus seiner Hand und gab sie Josepha mit den Worten zurück: Nichts da, Josepha, es bleibt alles beim Alten. Und so führten die zwei Frauen ihr bisheriges Leben weiter, saßen wie vorher bei der abendlichen Lampe und unterhielten sich von „ihm“, der nun gestorben war, von seinen Tugenden und seinen Fehlern, von dem, was er getan und was er gesprochen und wie mancher Charakterzug in den Söhnen an ihn gemahne. Sie verstanden sich in jedem Blick und Laut, sie waren wie zwei Schwestern, die durch gemeinsam erprobte Liebe unverbrüchlich aneinander gebunden waren.“

Cajetan, entzückt von der Erzählung, sagte, er habe sich das Eheleben des historischen oder vielmehr sagenhaften Grafen von Gleichen ziemlich jammervoll gedacht. „Ich sehe zwölf oder fünfzehn Kinder, niemand kennt sich aus, welches die Sprößlinge der Türkin und welches die der älteren Gemahlin sind, die zwei Frauen lassen kein gutes Haar aneinander, das Schloß wird für den Grafen der ungemütlichste Aufenthalt auf Erden und vielleicht wandert er als Greis noch einmal ins heilige Land, bloß um vor seiner Familie Ruhe zu finden. Aber Sie haben mich bekehrt, lieber Rudolf. Wenn die gräflichen Herrschaften so famose Leute waren wie diese de Landas, muß ich mich meiner Skepsis schämen.“

„Hätte die Josepha Kinder gehabt, wer weiß, ob nicht Frau de Landa doch eifersüchtig geworden wäre,“ bemerkte Franziska. „Ich kann mich ja in keine der beiden Frauen versetzen, obwohl ich mir bewußt bin, daß die Lockung, die für euch Männer die wesentlichste in der Liebe ist, für uns viel geringer ist als ihr alle vermutet. Das gröbste Weib ist darin noch nicht so materiell wie der zarteste Mann.“

„Du lobst mir die Frauen zu sehr“, entgegnete Georg Vinzenz, „das läßt nur darauf schließen, daß du die Männer besser kennst. Ich gebe zu, daß der Mann die Sinnlichkeit sozusagen wörtlicher nimmt; umso tiefer befindet er sich im Einklang mit der Natur, der jede Aufbauschung und Verschnörkelung ihrer einfachen Triebe eigentlich lästig sein muß. Überhaupt, – die Männer, die Frauen, was heißt das? Ich kann mit den Generalbegriffen nach dem Muster französischer Maximen-Sammlungen nichts anfangen. Der Soundso, die Soundso, darüber läßt sich reden.“

„Erinnerst du dich, Rudolf“, wandte sich Franziska an Borsati, „an die Geschichte eines gewissen Meier, der auch mit zwei Frauen lebte und der so stolz auf seinen Sohn war, den er von der rechtmäßigen Frau hatte? Der Sohn aber war nicht von ihm, sondern von einem Vetter, und die Frau, ein wunderliches Gemisch von Heldin und Sklavin, hatte den Mann aus Liebe hintergangen. Erinnerst du dich? Wir hörten die Geschichte vor Jahren, als ich in Nürnberg gastierte und du mir nachgereist warst.“

Borsati nickte. „Ich erinnere mich“, antwortete er. „In der Gesellschaft, in der sie erzählt wurde, wollte jemand damit beweisen, daß der moralische Geist des gegenwärtigen deutschen Bürgertums gebrochen sei, und ich hatte beim besten Willen nichts anderes finden können als daß ein aufgeblasener Tropf vom Schicksal gebührend traktiert worden war.

Peter Hannibal Meier hieß der Mann; war ein Prahler und Besserwisser, unverträglich wie ein Hamster und boshaft wie ein Irrwisch. Er hatte einen wohlhabenden Vetter in der Stadt, den Vetter Julius, wie ich ihn ein für allemal nennen will, und dieser Vetter Julius war mit einem netten, obschon nicht sehr geistreichen Mädchen verlobt. Peter Hannibal Meier mißgönnte dem Vetter Julius das hübsche Frauenzimmer und entschloß sich, sie ihm wegzuschnappen. Die gute Cilly, das war der Name des Mädchens, wurde von den Eigenschaften des neuen Bewerbers geblendet und erhoffte sich mit ihm ein weit erhabeneres Los als an der Seite des biedern und bescheidenen Vetter Julius. Kurz nach der Hochzeit entwickelte Peter Hannibal der Frau sein Eheprogramm. Er erklärte ihr, daß er sich sieben Söhne wünsche. Jeden dieser Söhne hatte er schon zu einem Beruf bestimmt und es gab einen Offizier, einen Staatsmann, einen Gutsbesitzer, einen Schiffsreeder und einen Superintendenten darunter. „Wir gründen ein neues Geschlecht“, sagte er, „eine Dynastie Meier, und in dreißig oder vierzig Jahren wird es hier eine Exzellenz Meier, dort einen Baron Meier, hier einen General Meier, dort einen Regierungsrat Meier geben; also spute dich, Cilly; du mußt nur wollen; wenn man ernstlich will, kann einem nichts mißlingen.“ Der Frau war es nicht recht behaglich zumut, sie erkannte, daß der schwierigere Teil der Aufgabe ihren Schultern zufiel, und sie meinte treuherzig, daß einem der liebe Gott anstatt eines Sohnes auch eine Tochter bescheren könne, ein Argument, das Peter Hannibal geringschätzig abtat. „Ich bin mir selber lieber Gott genug“, sagte er frech; „tue du deine Pflicht und laß den lieben Gott zufrieden.“ Aber Peter Hannibal Meier wurde in seiner Zuversicht getäuscht. Frist auf Frist verstrich; er wunderte sich; er fand sich beleidigt und mißachtet; er höhnte; er fragte bitter, wann sich die Gnädige endlich zu entschließen gedenke, und als zwei Jahre um waren, verließ ihn die Geduld vollends, er jagte die alte häßliche Köchin, die im Haus war, eines Tages davon und machte ein frisches, dralles Mädchen vom Land ausfindig, die seine Favoritin wurde, während Cilly als Aschenbrödel das neue Flitterwochenglück durch ihre Dienstleistungen erhöhen mußte. Wieder vergingen viele Monate, ohne daß sich Peter Hannibals Hoffnung auf Nachwuchs erfüllte. Inzwischen faulenzte er und lief in die Bierkneipen, um mit Wut gegen Bismarck zu politisieren, dessen geschworener Feind er war, und auch sonst die Weltzustände kritisch zu beleuchten. Das Kaufmannsgeschäft, das er betrieb, brachte nichts ein, und er ging damit um, andere Quellen des Reichtums zu finden. So fiel er einem berüchtigten Bauspekulanten in die Hände, der ihm in den verlockendsten Tönen ein Grundstück anpries, in dessen Besitz man innerhalb kurzer Zeit ein Vermögen erwerben könne und das für einen Spottpreis zu haben sei. Doch Peter Hannibal Meier, so lecker er auf den Köder war, vermochte das Kapital nicht aufzubringen und da kein Mensch sonst gewillt war, ihm Kredit einzuräumen, richtete er sein Augenmerk auf den Vetter Julius. Er befahl seiner erschrockenen Frau, zu dem ehemaligen Verlobten zu gehen und ihn um das Geld zu bitten. Als sie sich weigerte, drohte er, sich von ihr scheiden zu lassen, und verfehlte nicht, ihr die schwere Unterlassungssünde vorzuwerfen, die sie ihm gegenüber auf dem Gewissen hatte. „Woher weißt du denn so genau, daß ich die Schuld trage?“ fragte die geängstete und gekränkte Frau, die sich selbst darnach sehnte, Mutter zu werden. Sie verstummte jedoch demütig vor der Miene unermeßlichen Staunens in Peter Hannibals Gesicht. Die Verwegenheit eines solchen Zweifels stimmte ihn geradezu froh, und er trällerte sein Lieblingslied, den Jungfernkranz aus dem Freischütz. Cilly trat den sauern Gang an. Als es Abend wurde, brachte sie die gewünschten siebentausend Mark und warf sich ihrem vergötterten Peter Hannibal schluchzend an die Brust. Einige Wochen später teilte sie dem Gatten mit, daß sie einem freudigen Ereignis entgegensehe, und ehe das Jahr verflossen war, erblickte Karl Theodor, der erste Meier, das Licht der Welt. Peter Hannibal nahm die Glückwünsche seiner Bekannten als den Dankeszoll auf, der einem siegreichen Helden gebührt, und wandelte in der Stadt herum mit einer Miene, als ob noch nie zuvor ein Mann etwas so Wunderbares vollendet hätte. Die Magd verlor an Gunst, Peter Hannibal wurde nicht müde, ihr die Tugenden seiner Cilly zu rühmen, aber die Person, verärgert und neidisch, konnte einen bösen Argwohn nicht verhehlen und schlich durch das Haus wie Jemand, der die Ursache eines Brandgeruchs sucht. Peter Hannibal kaufte das Stück Land, ließ es einzäunen, spazierte jeden Tag stundenlang, in großartige Berechnungen vertieft, auf dem sandigen Boden umher und fühlte sich als Grundbesitzer ebenso stolz wie als Vater eines verheißungsvollen Sprößlings. Die junge Magd wob indessen ihre Pläne. Sie wußte Cilly, die seit der Geburt des Kindes immer häufigere Anfälle von Melancholie hatte, so geschickt zu umschmeicheln, daß sie aus Hindeutungen, verlorenen Worten, Belauschung des Schweigens und des Schlafes der Frau ihren Verdacht bald genug bestätigt fand. Nun begann sie ihre Wissenschaft den Nachbarn anzuvertrauen, es wurde gemunkelt und geraunt, Scherzreden und Sticheleien schwirrten auf, aber Peter Hannibal steckte in seinem Dünkel und seiner Selbstverhimmelung wie in einem unverletzbaren Panzer, er hörte nichts und merkte nichts. Jetzt wurde zu dem giftigen Mittel gegriffen, das in der bürgerlichen Gesellschaft stets zur Anwendung gelangt, wenn Feigheit und Tücke sich verschwistern, zu anonymen Briefen. Peter Hannibal brauchte geraume Zeit, bis das Unfaßliche ihm bewußt wurde. Im ersten Ausbruch der Raserei zerschlug er in der Küche die Töpfe und Teller. Die Magd, unter dem Vorwand, ihn zu beruhigen, stachelte ihn noch mehr auf durch die Versicherung, daß Vetter Julius der Urheber der schimpflichen Gerüchte sei. Da zog der ergrimmte Mann seinen Sonntagsrock an, nahm eine Hundspeitsche und begab sich zu Vetter Julius. Geruhsam saß Vetter Julius auf seinem Kontorsessel, als Peter Hannibal über die Schwelle stürmte. Er war eine stattliche Erscheinung, hatte ein rundes, volles Gesicht mit einem aufgedrehten Schnurrbart, der wie ein gewichster Stiefel glänzte. Peter Hannibal vollführte einen mächtigen Lärm, und er fuchtelte dem Vetter mit der Peitsche so unbequem vor der Nase herum, daß dieser lammfromme Herr endlich etwas wie Zorn zu zeigen anfing. Es wäre ihm niemals eingefallen, die von ihm noch immer geliebte Cilly bloßzustellen; wie er aber diesen Menschen so vor sich stehen sah, dieses Sammelsurium von Prahlerei, Eigenlob, Ohnmacht und Selbstsicherheit, stieg ihm der Verdruß wie heißer Wein zu Kopf; er vergaß Rücksicht und geleistetes Versprechen, er erinnerte sich nur der niedergetretenen und besudelten Seele jenes Weibes, und in dürren Worten stellte er den Tatbestand fest; sodann verließ er das Zimmer. Peter Hannibal starrte wie geschlagen vor sich hin. Trotz des strömenden Regens wanderte er zu seinem Grundstück hinaus, und irrte dort die kreuz und quer gleich Timon, der von allen Freunden verraten in die Wildnis floh. Am nächsten Tag war er krank und lag monatelang darnieder, treu gepflegt von Cilly und der jungen Magd. Als er das Bett wieder verlassen konnte, zeigte er ein schweigsames und geheimnisvolles Betragen und erschien wie einer, der mit tiefem Bedacht wichtige Unternehmungen vorbereitet. Er fühlte sich als das Opfer eines Betrugs; es handelte sich gleichsam um die falsche Buchung auf einem Kontokorrent; ein Posten war auf Soll geschrieben worden, der von rechtswegen auf Haben stehen mußte. Lange erwog er das Projekt, nach Afrika zu reisen, um neue Diamantfelder zu entdecken; später beschäftigte er sich mit der Erfindung einer Maschine zum Melken der Kühe, zuletzt wollte er eine Zeitung gründen. Alle diese unruhigen Ideen hatten ein und dasselbe Ziel. Da ereignete es sich, daß eine Bahnbauanlage, deren Durchführung bisher nur von einigen im Zauber des Spekulantenwesens verstrickten Kleinbürgern ernst genommen worden, auf einmal im Landtag beschlossen wurde und daß Peter Hannibals Grundstück wider Erwarten im Werte stieg. Es handelte sich keineswegs um die fabelhafte Summe, die er einst geträumt, doch es war immerhin ein ansehnlicher Gewinn, den er löste. An einem strahlenden Sommertag trat er im Bratenrock mit weißer Kravatte, ein rundes Hütchen auf dem Kopf lächelnd aus seinem Haus und richtete den elastischen Schritt zur Wohnung des Vetters Julius. „Lieber Julius“, redete er den Vetter an, „du hast den traurigen Mut besessen, an der Legitimität meiner ehelichen und väterlichen Umstände Zweifel auszusprechen, die –“ – „Zweifel?“ unterbrach ihn Vetter Julius verwundert, „Zweifel waren es durchaus nicht –“ – „Bitte schön“, fuhr Peter Hannibal schneidend fort, „du hast gezweifelt. Es ist dir aber nicht gelungen, meine felsenfeste Überzeugung zu erschüttern. Deine Argumente sind vor meinem nachprüfenden Urteil zerronnen wie Butter in der Pfanne. Was kannst du mir abstreiten? was kannst du mir beweisen? Kannst du mir beweisen, daß in den Adern meines Sohnes anderes Blut fließt als das meine? Nein! Also Respekt vor dem Bewußtsein eines Vaters, mein lieber Julius! An der Vergangenheit hast du mich vorübergehend irre machen können, die Zukunft kannst du mir nicht rauben, die speist an meinem Tisch, die wohnt in meinem Haus. Aber ich bin nicht gekommen, um mit dir zu philosophieren, ich bin gekommen, um deine materiellen Ansprüche zu befriedigen und meine idealen gegen fernere Ränke sicher zu stellen.“ Damit entnahm Peter Hannibal seiner Brieftasche sieben Tausendmarkscheine, legte sie auf das zwischen ihm und dem sprachlosen Vetter Julius befindliche Pult, machte eine spöttisch-artige Verbeugung und entfernte sich hocherhobenen Hauptes. Vetter Julius schaute ihm mit offenem Mund nach. Er ergriff einen der Scheine, hielt ihn gegen das Licht und schüttelte den Kopf. Plötzlich aber brach er in ein dröhnendes Gelächter aus, das ihm den Atem versetzte und ihn zwang, Weste und Hemdkragen aufzuknöpfen. Erst als er ein Glas mit Kognak vermischten Wassers getrunken hatte, milderte sich die erstickende Heiterkeit. Auch in den nächsten Tagen passierte es ihm noch zu öfteren Malen, daß sich, etwa während eines Spaziergangs, sein ernsthaftes Nußknackergesicht jäh verzerrte, wobei er, um nicht einem unwiderstehlichen Kitzel nachzugeben, den Knauf des Stockes zwischen die Zähne schob. Jedoch das Gelächter der Kleinen bildet den Stolz der Großen. Peter Hannibal spürte eine so wohltuende Wonne in seiner Brust, daß er in einem Fleischerladen ein frisch abgestochenes Ferkel erstand, das der Lehrling ausweidete und mit einem Lorbeergewinde um die Ohren dem Käufer überreichte. „Bravo“, sagte Peter Hannibal, „Lorbeer muß dabei sein; Schwein und Lorbeer, das gehört zusammen.“ Mit seiner angenehmen Last kam er zum Tor des Hauses, wo der kleine Karl Theodor stand, ein spinöser Bursche mit überlangen Armen und entzündeten Augen. Er setzte ihm den Lorbeer auf den glattgeschornen Kopf und erschien mit strahlendem Gesicht vor den beiden Frauen, das Schwein in der Linken, den Sohn an der Rechten; Cilly drückte ihm einen Kuß auf die Stirn, die Magd versorgte das Ferkel, dann langte Peter Hannibal die Gitarre von der Wand und sang mit empfindsam tremolierender Stimme das Lied vom Jungfernkranz. „Ich fühle mich wie neugeboren“, sagte er am Abend, bevor er schlafen ging; „ich habe die Menschen kennen gelernt und habe sie traktiert wie sie es verdienen. Peter Hannibal Meier braucht die Menschen nicht, er ist sich selber genug.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der goldene Spiegel