Kapitel 05 - Geronimo de Aguilar.

Franziska erholte sich im Verlauf des Tages, und als alle bei der abendlichen Lampe wieder versammelt waren, begann Cajetan seine versprochene Erzählung wie folgt.

Zur Zeit, als das Auftauchen unbekannter Welten die Geister des alten Europa bewegte, lebte in Spanien ein verarmter Edelmann namens Geronimo de Aguilar, ein ruheloser Charakter, der, seit die Taten des Christoph Columbus und anderer Helden von sich reden gemacht, nur den einzigen Willen hatte, es jenen Männern gleichzutun. Aber da war guter Rat teuer. Als Matrose oder Soldat oder selbst als untergeordneter Offizier auf einem Schiff zu dienen, erlaubte Geronimos Stolz nicht, und um die Leitung auch nur der kleinsten Expedition zu bekommen, mußte man entweder Geld oder mächtige Gönner haben. So blieb nichts übrig, als sich in Geduld zu fassen, obgleich Geronimo sich mit Recht sagte, daß jede Stunde kostbar sei und jeder verstrichene Tag ihn einer unwiederbringlichen Möglichkeit beraube. Er brachte seine schlaflosen Nächte über alten Folianten und neuen Landkarten zu, halb rasend vor ohnmächtiger Ruhmsucht und Tatbegier, und von morgens bis abends beschwatzte er Freunde und Bekannte, saß in den Vorzimmern hoher und höchster Herren, reichte Bittschriften und gelehrte Auseinandersetzungen ein, und mit jeder fehlgeschlagenen Hoffnung wurde er rabiater, mit jeder lässigen Vertröstung um so leidenschaftlicher besessen.


„Beim Herzen Marias“, sagte er, „was der Glückspilz Columbus erreicht hat, ist noch nichts, und wenn man mich gewähren läßt, will ich zeigen, daß es nichts ist; ich will euch die Atlantis der Alten wiederfinden, will Länder erobern, in denen es mehr Gold gibt als bei uns Pflastersteine, und bringe eure Schiffe so mit Schätzen beladen zurück, daß ihr den Kindern Kleinodien zum spielen geben könnt, wie sie jetzt im königlichen Tresor bewacht werden. Aber säumt nicht länger, denn die Zeit ist trächtig.“

Derlei glühende Reden führte er häufig, bei denen seine schwarzen Augen brannten, als ob der ganze Mensch mit Feuer angefüllt sei. Viele hielten ihn natürlich für einen Prahler, andere glaubten ihn vom Teufel behext, aber es gab auch Leute, die der Meinung Ausdruck gaben, daß es den Versuch wohl lohnen könnte, ihn übers Meer zu schicken, und daß ein Mann, der die Kraft zu großen Geschäften in sich spüre, nicht mit der Bescheidenheit eines Schulmeisters davon zu sprechen nötig habe. Eines Tages ließ ihn der Graf Callinjos, ein ehemaliger Kämmerer, der vom Hof verbannt war, ein reicher Herr und Sonderling, zu sich kommen, und indem er auf einen mit Goldstücken bedeckten Tisch hinwies, sagte er: „Hier sind zehntausend Pesetas. Ich habe, Sennor de Aguilar, von Ihren Plänen und Absichten vernommen und bin gewillt, diese Summe zu opfern. Rüsten Sie damit die Brigantine Elena aus, die mein Eigentum ist und im Hafen von Cadix vor Anker liegt. Ich gebe Ihnen eine Frist von drei Jahren. Höre ich bis dahin nichts von Ihnen, so erachte ich Schiff, Geld und Mannschaft für verloren. Kommen Sie aber unverrichteter Dinge zurück, so sind Sie durch den Verlauf des Unternehmens nicht nur als lächerlicher Rodomont entlarvt, sondern ich werde auch Mittel finden, Sie für Ihren Übermut und Dünkel zu bestrafen.“

Bei jedem andern Anlaß hätte eine solche Sprache Geronimos Blut in Wallung versetzt; in diesem Augenblick empfand er nur überschwängliche Freude; er nahm stumm die Hand des Grafen, beugte sich nieder und drückte sie an seine Lippen. Und so redselig, aufgelöst, hitzig und wild man Geronimo bisher gesehen hatte, so schweigsam, kalt, gesammelt und maßvoll zeigte er sich jetzt. Bei der Bemannung und Befrachtung des Schiffes wußte er zu nutzen, was seine Vorgänger durch Erfolge wie Mißlingen ihn gelehrt, und in allem bewies er so viel Vernunft und Tüchtigkeit, daß des verwunderten Lobes über ihn kein Ende war. Zu Anfang des Herbstes waren die Vorbereitungen beendet, und an einem klaren Oktobermorgen lichtete die Brigantine die Anker und stach in See, begleitet von den Zurufen des am Hafen versammelten Volks. Geronimo stand am Heck des Schiffes, und er zuckte auf wie eine Flamme, als ihm das Vaterland den letzten Gruß schickte. Er ließ kein Herz zurück, kein Gut, keinen Freund, nicht einmal einen Hund. Er war allein, er wußte es, und er bedauerte es nicht. Eingesponnen in seine berauschenden Visionen, hatte er seit langem nichts mehr übrig für Beziehungen zärtlicher Art.

Die Brigg lief trefflich vor dem Wind, und mit wachsender Erwartung lenkten alle den Blick nach dem geheimnisvollen Westen. Selbst die rohen Matrosen spürten einen abergläubischen Schauder, als jene Sterne niedriger stiegen und dann verschwanden, mit denen sie seit ihrer Kindheit vertraut waren, und sie wurden durch den Anblick des neuen Himmels, seiner unbekannten Bilder und phosphoreszierenden Wolken lebhaft an die Gefahren ermahnt, denen sie entgegengingen. Nur Geronimo dachte lediglich an den Ruhm, der seiner wartete, und, ein wahrer Midas des Traums, verwandelte er in Gold, was in den Bereich seiner Ahnungen und Hoffnungen kam, denn er wußte, daß die Reichtümer, die er gewann, das einzige Mittel zum Ruhm und die sicherste Bürgschaft dafür waren. Es befand sich ein Mönch auf dem Schiff, der schon zum zweitenmal die Fahrt über den Ozean machte, und auf der Insel Hispaniola gewesen war, um im Auftrag seines Ordens für das Christentum zu wirken. Er erzählte oft und mit trauriger Miene, wie grausam die Spanier in jenen paradiesischen Ländern gehaust, wie schnöde sie das Vertrauen der unschuldigen Eingeborenen hintergangen und in nimmersatter Habgier blühende Gegenden verwüstet hätten. Was könne das Wort des Heilands fruchten, wo Verrat, Mord und Plünderung die Religion der Bekehrungseifrigen als verabscheuenswerte Heuchelei erscheinen lasse?

Geronimo hörte gleichgiltig zu. Wurde aber der Name des Columbus oder einer der ihm folgenden kühnen Seefahrer genannt, so ballte sich seine Faust, und Blässe überzog das lange Oval seines Gesichts. Denn diese Namen hatten eine selbstverständliche Leichtigkeit des Klanges und der Bildung, während sein eigener Name leblos tönte und völlig an die leibhafte Erscheinung gebunden war.

Nun erhob sich in der sechsten Woche ein gewaltiger Sturm, der viele Tage lang anhielt und das Schiff aus seinem Kurs weit nach Nordwesten trieb. Die Mastbäume hatten gekappt werden müssen, das Steuer war zerbrochen, hilflos schwankte das Fahrzeug in der Strömung unbefahrener Meere. Als eines Morgens ein Matrose den langersehnten Landmelderuf ausstieß, glaubten sie sich schon gerettet, doch blickten sie voll Bangigkeit gegen die Küste, da sie nicht wußten, wo sie sich befanden und welches Los ihnen dort bevorstand. Näherkommend gewahrten sie eine Schrecken einflößende Brandung, und ehe sie noch beraten konnten, wie das drohende Verderben abzuwenden sei, stieß das Schiff gegen eine Felsenklippe. Der Rumpf füllte sich schnell mit Wasser, die meisten Leute wurden in der ersten Verwirrung von den Wogen gepackt und fortgespült, andere büßten das Leben ein bei der Bemühung, ein Boot klar zu machen, und binnen kurzer Frist war die Brigg samt ihrer Mannschaft vom Meer verschlungen.

Vielleicht ist es der ungewöhnliche Lebens- und Tatenwille, gegen den selbst die Elemente machtlos sind, der solche Männer wie Geronimo aus Gefahren rettet, die alle Schwächeren rings um sie vernichten. Er wurde von einer riesigen Welle durch einen Kanal zwischen den Riffen geschleudert und ans Land gespült. Als er aus einer tiefen Bewußtlosigkeit erwachte, sah er sich von seltsam gekleideten Menschen umgeben. Einer gab ihm aus einem kupfernen Gefäß zu trinken, ein anderer half ihm, sich aufzurichten, und sie führten ihn zu einem großen Dorf. Durch Geberden erkundigten sie sich nach seiner Herkunft; er deutete nach Osten. Es traten feierlich schreitende Personen auf ihn zu, die Priester sein mußten, und mit Blumen und kostbaren Stoffen geschmückte, die er für Häuptlinge halten durfte. In melodischen Lauten sprachen sie ihn an. Er antwortete in der Zunge seiner Heimat, mit ausdrucksvollen Gesten bald zum Himmel, bald auf das Meer, bald auf seine abgerissenen Gewänder weisend. Am andern Tag wurde er in eine Stadt gebracht, deren prächtige Straßen und Märkte, Gärten, Paläste, Basteien und Treppentürme sein Staunen erweckten. Er ward vor den Thron eines jungen Fürsten oder Kaziken geleitet, der einen weiß und blauen, mit Smaragden besäten Mantel und an den Füßen goldverzierte Halbschuhe trug. Mit Freundlichkeit sah er sich von diesem begrüßt und mit kindlich anmutiger Neugier betrachtet. Was er vom Leben und Treiben des Volkes wahrnahm, gab ihm die Vorstellung gesitteter Zustände, des Reichtums und der Schönheit. Man ließ ihn verstehen, daß man ihn nicht als einen Gefangenen, sondern als einen Gast zu behandeln wünsche und führte ihn in ein neben dem Palast des Kaziken gelegenes Haus, wo er wohnen sollte.

Geronimo wußte natürlich nicht, daß er sich in dem ungeheuren Reich der Azteken befand, von dem jede Provinz, auch die, an deren Küste er Schiffbruch gelitten, ein Königreich für sich bildete, denn keines Europäers Fuß hatte vor ihm dieses Land betreten. Auch wußte er kaum, unter welchem Himmelsstrich er war, und bisweilen hatte er das Gefühl, auf einen andern Stern versetzt zu sein. Alles war ihm neu und fremd, die Luft, die er atmete und das Kleid, das sie ihm geschenkt hatten, jeder Baum und jedes Tier, jedes Auge, das auf ihm verweilte, jeder Laut, den er vernahm. Ganz zu schweigen von der tiefen Einsamkeit, der er sich preisgegeben sah, der Einsamkeit eines denkenden Menschen, so schien es ihm, unter Barbaren, zehrte die Qual an seinem Gemüt, durch unüberbrückbare Meere von der Heimat getrennt zu sein. Er umfing all das märchenhafte Leben und Weben mit der Gier des Eroberers, beschaute das Wunderland mit den Sinnen und Blicken von drüben, mit der selbstsüchtigen Genugtuung des zurückkehrenden Siegers. Für ihn allein war es nichts, ein Traum, ein Spottbild. Obschon er am Ziel war, trug ihm dies keine Früchte, und die Welt, die er gefunden, war so lang eine Chimäre, bis er seinen Landsleuten und seinem Kaiser davon Nachricht geben konnte. Er hielt sich für den rechtmäßigen Eigentümer von allem, was er ringsum sah, Volk und Fürst betrachtete er insgeheim als seine Sklaven, und das heimtückische Schicksal, im Besitz unermeßlicher Schätze tatenlos den Verlauf der köstlichen Zeit abwarten zu sollen, versetzte ihn in solche Verzweiflung, daß er sich ganze Nächte lang in ohnmächtiger Wut auf seinem Lager wälzte und Gebete zum Himmel schickte, die mehr Lästerungen als fromme Worte enthielten.

Bald nahm er wahr, daß unter den Eingeborenen ein Streit über seine Person herrschte. Bei aller Freundlichkeit, die man ihm erwies, sah er sich doch ohne Unterlaß belauert, und jeder Schritt, den er tat, wurde sorgsam überwacht. Aufmerksam, wie er war, und scharfsinnig geworden durch die Not, lernte er manches von der Sprache des Volks verstehen; ein paar Jünglinge, die zu seiner Bedienung bestellt waren, erleichterten ihm dies, und eines Tages entdeckte er, daß wunderliche Dinge im Werk waren und ein Verhängnis über ihm schwebte.

Es gab nämlich bei den Mexikanern eine altüberlieferte Weissagung, derzufolge ein Sohn der Sonne, ein Gott oder Halbgott also, dereinst von Osten kommen würde, um das Reich zu unterwerfen. Nun waren bei der Ankunft Geronimos viele aus dem Stamm des Glaubens gewesen, dieser Fremdling sei die langverkündete Erscheinung. Daher hatte er in manchen Mienen eine Furcht und scheue Demut bemerkt, die ihm mehr zu denken gegeben hätten, wenn ihn sein eigenes Unglück weniger beschäftigt hätte. Nur die Priester bekämpften die Meinung über den Schiffbrüchigen mit Heftigkeit, und ihr vornehmster Gegengrund war, daß der Sonnensohn in jedem Falle glänzender und feierlicher aufgetreten wäre als dieser hilflos Verlassene. Es wurde eingewandt, dies möge eine List des Göttlichen sein, um sie in Sicherheit zu wiegen, aber die Priester beharrten bei ihrer Ansicht, Geronimo sei der Angehörige eines unbekannten Volkes, von ausgezeichneter Bildung freilich und schönen Leibes, von dem man jedoch Verrat befürchten müsse, von dessen Stammesbrüdern Gefahr drohe, und sie forderten, daß der Mann geopfert und sein Herz auf dem Jaspisblock zu Ehren des Kriegsgottes verbrannt werde.

Der Fürst und seine Edlen widersetzten sich schon im Gefühl verpflichtender Gastfreundschaft dem Ratschluß ihrer Priester, und der Streit währte so lang, bis der Kazike eine Anzahl von denen, die in seinem Machtbezirk Rang und Stimme hatten, zu sich rief und folgendermaßen sprach: „Wir wollen über den Fremdling nicht mit Ungerechtigkeit richten. Ist er von göttlicher Herkunft, so muß er auch imstande sein, uns ein Zeichen seiner Göttlichkeit zu geben. Was aber, denkt ihr, zeugt am meisten für die Eigenschaften eines Gottes? Ich denke, die Kraft ist es, womit er dem gegenüber unempfindlich bleibt, was uns Menschliche alle unterwirft, die Liebe zum Weib, die Verführung der Sinne. Prüfen wir ihn; fällt er in der Versuchung, so sollen die Priester Recht behalten, bewährt er sich, so laßt ihn friedlich bei uns wohnen.“

Mit dieser Rede des sanften und klugen Fürsten erklärten sich alle einverstanden, und sie waren überzeugt, daß er sein Vorhaben aufs Verständigste ausführen würde. Geronimo, obgleich er nicht erfahren konnte, was man mit ihm anstellen wollte, ahnte wie gesagt ein Unheil und seine Schlauheit gab ihm ein, an den Kaziken ein Verlangen zu richten, um aus der Antwort irgend einen Hinweis zu erhalten. Er warf sich also dem Fürsten zu Füßen und bat in den spärlichen Worten, deren er mächtig war, ein Schiff bauen zu dürfen. Er wußte, daß dies fast unmöglich war, da die Mexikaner nicht die geringste Kunde vom Schiffsbauwesen hatten, obwohl sie mit ihren unvollkommenen Werkzeugen aus Obsidian und Feuerstein in anderer Weise wahre Wunder zu stande brachten. Aber in seiner gesteigerten Ungeduld und Pein dachte Geronimo doch bisweilen daran, mit einem, wenn auch noch so gebrechlichen Boot eine der neuspanischen Inseln zu erreichen.

„Wozu willst du ein Schiff haben, Malinche?“ fragte der Fürst heiter und vertraut. Malinche war der Schmeichelname, den die Mexikaner für den düstern Fremdling erfunden hatten, und den sie späterhin, freilich oft flehend und bekümmert, den spanischen Heerführern gegenüber gebrauchten. – „Um in meine Heimat zu fahren“, antwortete Geronimo. – „Ein solches Schiff können wir nicht machen, das dich so weit trägt“, sagte der junge Herrscher. – „Befiehl nur deinen Zimmerleuten, daß sie tun, was ich sie lehre, und das Schiff wird gebaut werden“, gab Geronimo, bleich vor Erregung, zu verstehen. – „Vielleicht, wenn der Mond sich erneut“, entgegnete der Fürst rätselvoll und mit seiner mädchenhaften Liebenswürdigkeit; „heute nicht, aber vielleicht, wenn der Mond sich erneut.“

Daraus entnahm Geronimo von ungefähr die Frist, die ihm verstattet war, denn der Mond stand jetzt in seinem Anfang. Er bereitete sich zu unablässiger Wachsamkeit vor, aber wer weiß, wie es ihm trotzdem ergangen wäre, wenn er nicht eines Tages, als er mit zweien der ihn bewachenden Diener durch die Gärten des Königs ging, einen Knaben aus den Klauen eines Puma errettet hätte. Das Tier war ausgebrochen und hatte den Knaben, der schon aus vielen Wunden blutete, überfallen. Mutig stürzte Geronimo hinzu, ermunterte seine Begleiter, ihre Waffen zu gebrauchen und vertrieb den Puma durch sein Geschrei. Am andern Tag kam der Vater des Knaben, ein alter und sehr kostbar gekleideter Mann, in sein Haus, dankte ihm bewegt, sah ihn tief und lange an, neigte sich plötzlich zu seinem Ohr und flüsterte: „Wenn du ein Weib berührst, Fremdling, bist du verloren.“ Nachdem der Greis den also gewarnten Geronimo verlassen hatte, gab er sich selbst den Tod, weil er das Bewußtsein nicht ertragen konnte, seinen Fürsten verraten zu haben. Einige Tage später kam ein Abgesandter des Kaziken und fragte den Geronimo im Namen seines Herrn, ob er sich nicht mit einer von den Töchtern des Landes verbinden wollte. Geronimo machte eine tiefe Verbeugung und als Antwort schüttelte er nur ernst und verneinend den Kopf. Wenige Stunden hernach stellte sich ein zweiter Sendbote ein und verkündete, das schönste und reichste Mädchen, edelgeboren und von reinen Sitten, begehre, von ihm zum Weib genommen zu werden; der Fürst werde sicherlich erzürnt sein, wenn er diese Ehre ausschlage. Durch die offenbare Absichtlichkeit und Beharrlichkeit doppelt zur Vorsicht gemahnt, wiederholte Geronimo seine Weigerung in gleicher Form.

Als er in der nächsten Nacht vom Schlaf erwachte, war er nicht wenig erstaunt, sich in einem andern Raum zu finden als der war, worin er sich zur Ruhe begeben. Es war ein von oben matt erhellter Saal, voll von einer bläulichen Dämmerung. Der Fußboden und die Wände waren von einem Teppich lebendiger Blumen bedeckt. Der Geruch, den diese Blumen ausströmten, hatte die eigentümliche Folge für Geronimo, daß er seine Gedanken lähmte und zugleich eine fieberische Begehrlichkeit in ihm aufregte. Die Mexikaner besaßen eine der Magie verwandte Kunst in der Vermischung der Blumendüfte, und sie brachten damit Wirkungen hervor, die sonst nur von Giften und narkotischen Getränken erzeugt werden. Auch liebten sie die Blumen über alles, und sie veranstalteten besondere Blumenfeste, wo Männer, Weiber und Kinder, mit Blumen geschmückt, in Prozessionen durch die Landschaft zogen.

Geronimo erblickte sechzehn Jünglinge, die durch das geweitete Portal schritten und sich ihm näherten. Sie trugen schöne Gegenstände in den Händen: goldgewirkte Stoffe, goldgestickte Schuhe, Waffen, die reich verziert waren, ein Gefäß voll farbiger Edelsteine, ein anderes, das mit Perlen gefüllt war, ferner wunderbare Figürchen aus Achat und aus Silber, eine goldene indianische Ähre, von breiten silbernen Blättern umgeben, und die beiden letzten stellten einen Springbrunnen vor ihn hin, der einen funkelnden Goldstrahl emporwarf, während Tiere und kleine Vögel, ebenfalls aus Gold, an seinem Rand saßen. In atemlosem Staunen betrachtete Geronimo diese Dinge, und als ihm der älteste der Schätzebringer bedeutete, daß alles ihm gehöre, sagte er sich, daß man mit solchen Herrlichkeiten eine ganze spanische Provinz reich machen könne. Dennoch verzog er keine Miene; er hielt die geballten Fäuste auf der Brust und spürte ahnungsvoll die verborgene Gefahr. Nach einer Weile erhob er die Augen und sah an der Längswand des Raumes zwölf junge Mädchen mit ebenholzschwarzen Haaren; je zu dreien gesellt, kauerten sie auf dem Boden, und ihre Hände waren in flinker Arbeit geschäftig; dabei lächelten sie, als ob ihr Tun nur auf eine Täuschung ziele. Es waren drei Korbflechterinnen, drei Kranzwinderinnen, drei Stoffwirkerinnen und drei Perlenputzerinnen. Bisweilen stand eine auf und tanzte lautlos umher, entblößte die olivenfarbige Brust, und die andern schauten mit falschem, lockendem Lächeln zu. Dann sangen sie im Chor beinahe flüsternd eine dumpfe Melodie, bei der sie im Wechsel den Namen Tochrua gellend und sehnsüchtig hinausschrieen. Plötzlich schwiegen sie, die ganze Schar kauerte sich dicht zusammen und kroch wie ein einziger Körper zu seinem Lager her und sie streckten schmeichlerisch die Arme aus und zwölf Lippenpaare öffneten sich in einer sinnlichen Weise, und die Leiber schienen sich den Gewändern wie einer neblig trüben Flüssigkeit zu entwinden, das Fleisch leuchtete in sattem Karmin und strömte einen rosenartigen Geruch aus, und sie girrten wie die Tauben und drängten sich immer enger aneinander und fingen leise zu lachen an, als ob sie gekitzelt würden, und ihre Hände berührten ihn wie weiche kleine Tiere, da schloß er die Augen, wandte sich ab und wühlte das Gesicht in die Kissen. So wollte er bleiben, was auch kommen mochte, und da es nun ruhig ward, verfiel er in Schlaf. Als der Morgen kam, lag er wieder im Gemach seines Hauses. Er fühlte sich matt und zerschlagen und suchte der Schwäche dadurch Herr zu werden, daß er seine Gedanken hartnäckig über den Ozean in die Heimat schickte.

In der folgenden Nacht erwachte er abermals in jenem Blumensaal. Er begriff nicht, wie es zuging, und vermutete, daß sie ihm betäubende Mittel in die Speisen oder ins Wasser mischten. Während die Blumenwände gestern hauptsächlich aus blauen und weißen Blüten bestanden hatten, waren es heute dunkelrote, aus denen wie Augen vereinzelte gelbe Dolden blickten. Er vernahm ein Geräusch, ähnlich fernem Trommelwirbel, dann erschallten die hellen Klänge eines Beckens, dann aufregende Lustschreie, dann ein Gelächter, dann ein gezogener Flötenton, alles in der Finsternis, denn das Dämmerlicht von oben war erloschen. Geronimo grübelte, wie er es anstellen könnte, sich zu schützen, da wurde es hell, und fünf zierliche Mädchen traten an sein Lager. Jedes trug einen Smaragd von märchenhafter Größe und unvergleichlichem Glanz. Der erste Smaragd hatte die Form einer Schnecke, der zweite die eines Horns, der dritte stellte einen Fisch mit goldenen Augen dar, der vierte war höchst kunstvoll zu einem Reif verarbeitet, der fünfte und schönste bildete eine Schale mit goldenen Füßen. Diese fünf Edelsteine boten sie ihm knieend dar und sagten mit Zikadenstimmen: „Das schenkt dir Tochrua, und das, und das, und das, und das.“ Jetzt schritt durch ihren Kreis eine in purpurne Schleier gehüllte Frauengestalt. „Tochrua!“ riefen ihr die Mädchen zu, und sie grüßte die Knieenden mit einer bezaubernden Stimme voll Metall und an den Endungen der Worte austönend wie in einem Schluchzen. Um den Hals und um die Brüste hatte sie Perlenketten geschlungen, die durch den Flor schimmerten, und sie kam nahe heran und sagte zu Geronimo: „Malinche, nimm mich zu dir.“ Geronimo verstand es wohl, aber er antwortete nicht, auch regte er sich nicht. Sie breitete die Arme aus und die Mädchen zogen ihr liebkosend den Schleier vom Haupt, da gewahrte Geronimo, daß sie schön war wie ein Wunder, rot wie Zedernholz die Haut, die Augen schwermütig flehend, der Mund wie ein aufgeschnittener Pfirsich. „Malinche, nimm mich zu dir,“ sagte sie, und immer wieder, in immer neuer Musik der Stimme.

Geronimo kehrte sich erbleichend hinweg, doch jetzt drang dumpfer Gesang von allen Seiten, von unten, von oben an sein Ohr. Er suchte sich abzulenken mit Bildern, die ihm seine Wünsche vorgaukelten, mit den Bildern seiner Heimkehr und seines endlichen Triumphes, aber vergeblich kämpfte der gebundene Wille gegen das Blutfieber. Das wieder abnehmende Licht des Raumes zeigte ihm Tochrua als einen Schatten, jede ihrer langsamen Geberden erweckte eine quälende Neugier in ihm, und fast verlor er unter den rätselhaften Lauten, die aus der Dunkelheit drangen, Erinnerung und Besinnung. Der Morgen fand ihn auf seinem gewöhnlichen Lager erschöpft, beunruhigt und traurig. Faul schlich der Tag dahin, niemand besuchte ihn, schweigend eilten die Diener durch das Haus, Markt- und Straßenlärm erstickten auf der Schwelle, stets glaubte er Tochruas Augen auf sich geheftet, und ein Verlangen, das von Angst begleitet war, brannte unstillbar in seiner Brust. Als es Abend wurde, kam ein weißhaariger, magerer und finsterer Priester in sein Gemach, starrte ihm eine Weile forschend ins Gesicht und sagte: „Merk auf, Fremdling! Tochrua muß sterben, wenn du sie verschmähst.“ Damit entfernte er sich und überließ Geronimo seiner Bestürzung.

In der folgenden und in der zweitfolgenden Nacht geschah nichts. Geronimo wurde dessen nicht froh, er erkannte die tiefe List darin, und seine Ohnmacht verurteilte ihn zur Geduld. In der dritten Nacht erwachte er unter einer hochgewölbten Kuppel, und sein erster Blick fiel auf ein Liebespaar, das ganz oben zu schweben schien und sich umschlungen hielt. Die Kuppel stand auf Säulen in einem von blauen Flämmchen geisterhaft erleuchteten Garten, von dem man nur schwarze Laubmauern sah, und im Laub drinnen kauerten weiße stille Vögel, während auf den Wegen kupferfarbene Schlangen krochen oder auch stille dalagen. Geronimo gewahrte eine Frauenschulter, ein herauf- und hinabtauchendes Gesicht, das gleichsam mitten aus einer Verzückung geflohen war, dann nackte flüchtige Körper, die vorüberwirbelten wie Fackeln. Nichts mehr als dies, und es war eine stundenlang dauernde Pein. Seine Adern glühten, eine seltsame Vergessenheit überfiel ihn, er wünschte, daß Tochrua käme, rings um sein Lager häuften unsichtbare Hände Reichtümer über Reichtümer, die Luft war voll von Seufzern, aus der Tiefe streckten sich zahllose Arme nach ihm, Tänzerinnen schwebten mit schwalbenhaftem Zwitschern vorbei, Jünglinge huschten um die lautlos sich ergebenden, und die Ungreifbarkeit und schwüle Hast des ganzen Treibens versetzte Geronimo in feurigen Schrecken. Es fruchtete nicht, daß er die Lider zudrückte, er spürte die Gestalten durch die Haut, er atmete den verführenden Dunst, ihre Tritte raschelten, ihre Gewänder knisterten, auch ertönten karge Saiteninstrumente, seine Fantasie kam der Wirklichkeit zuvor, er zitterte vor Grauen und Begier, und so schaute er denn.

Da war ein Kranz zuckender Figuren, Haupt an Haupt, Lende an Lende, ungenügendes Licht machte sie wesenloser, und auf einmal erschien vor den hold Zurückweichenden Tochrua gewandlos und marmorhaft. Geronimo richtete sich empor; es war, als ob nichts mehr ihn verhindern könne, die herrliche Gestalt an sich zu reißen, doch wunderlich, ihr Antlitz war ernst und betrübt; ein aufrichtiges Gefühl und edle Teilnahme war in ihren Mienen und verkündeten dem erlahmenden Geronimo das nicht abwendbare Verhängnis: Tod für ihn, wenn er sie nahm, Tod für sie, wenn er sie ließ. Da wurde er in letztem Zusammenraffen der Gefahr inne, schlug die Hände vors Gesicht, sank aufs Lager zurück und verblieb regungslos. Als die Nacht zu Ende ging und er noch einmal mit erleichtertem Sinn zu schauen sich entschloß, wandelte ein Zug von Mädchen und Knaben in weißen Gewändern, weiße Blumen in den Haaren, durch den Raum. Nicht zu mißkennen, daß es ein Trauergeleite war, auch sangen sie eine Weise, die einem Totenlied ähnelte, und klagende Stimmen riefen: „O Malinche! O Malinche!“

Der unglückliche Geronimo sah sich dem Grenzenlosen preisgegeben, und der aufgereizte Zustand seines Innern verwandelte sich in eisige Erstarrung, als sie in der nächsten Nacht, diesmal hatten sie ihn in seinem Haus gelassen, den Leichnam der schönen Tochrua hereintrugen. Ein Sklave hielt auf einer Schüssel aus blauem Stein Tochruas Herz, das noch zu schlagen schien, und frisch leuchtete das Blut auf dem glänzenden Mineral. Kaum gespürte Tränen flossen über Geronimos Wangen, und es war ihm, als ob alle Triebe seines leidenschaftlichen Willens plötzlich gebrochen wären. Jede Wollust schwand aus seiner Brust, auch die Wollust des Ehrgeizes, und er empfand Gleichgiltigkeit gegen alles, was ihm bisher erstrebenswert geschienen. Es kam ihm vor, als sei er nur ein Ding, fern vom Leben und vom Tod. Es wurde ihm bewußt, daß er durch die vergangenen Tage und Jahre wie ein Mensch ohne Seele gerast war, und daß er nichts auf der Welt besessen, weil er nichts auf der Welt geliebt. Und welche Künste sie von nun ab ersannen, ob ihre biegsamen Körper durch den duftenden Opalschatten des Gemachs schwammen wie Fische in lauer Flut, ob sie lautlos oder singend ihre elfenhaft lockenden Tänze ausführten, es erregte mit nichten seine Begierde, weil der Tod sich in das beziehungsvolle Spiel gemengt, und auch deshalb, weil sie alle so lieblich waren, Männer und Frauen, und das reine Wohlgefallen den Brand der Sinne auslöschte.

In einer Nacht weckten ihn Jünglinge und führten ihn ins Freie. Alsbald stand er am Fuß eines Treppenturmes, dessen breit ansteigende Stufen sich erst im dunklen Äther zu verlieren schienen. Geronimo stieg hinan, und wie er so die balsamische Nacht mit sich in die Höhe trug und sein befreites Auge weitum schweifen ließ, da hatte er das Gefühl, von einer schweren Krankheit genesen zu sein, und das berückende Schauspiel, das sich ihm bot, verwandelte vollends sein Herz.

Nun müßt ihr euch eine mexikanische Nacht vorstellen: einen Himmel von überwältigender Sternenpracht, den Horizont beglüht vom Feuer der Vulkane, in geahnter Nähe das Meer, Palmen, aus der Dunkelheit strebend, den blaugrünen Schimmer des Kaktusgestrüpps, Feuerfliegen und Feuerkäfer durch die Zweige des Mangodickichts schwirrend, aus den Wäldern die Stimmen kreischender Vögel, das heisere Kläffen des Tukans, den Schrei des Baumpanthers und von den Tiefen der Selvas Töne kommend, die selbst den Eingeborenen fremdartig klingen. Als ihm auf der Plattform des Turmes vor einem Tempel zwei Priester entgegentraten und sich vor ihm, zum Zeichen, daß er die Probe bestanden, zur Erde beugten, da war es unumstößlicher Beschluß in Geronimo, nichts zu unternehmen, was den Europäern Kunde von diesem Land geben konnte.

Wer durfte ihn zur Rechenschaft fordern? In der Heimat mußte man glauben, daß ihn das Meer verschlungen habe, und Jahrzehnte, Jahrhunderte mochte es dauern, so dachte er, bis ein anderer Seefahrer an diese Küste verschlagen wurde. Wie sonderbar! Einer entdeckt ein neues Land und faßt den Plan, seine Entdeckung zu verheimlichen, als ob es sich um einen Gegenstand handle, den man im Schrank verschließen kann. Geronimo glich einem Mann, der, zur Ehe mit einer ungeliebten Frau gezwungen, plötzlich Vorzüge des Geistes und des Körpers an ihr findet, die ihn veranlassen, eine geheimnisvolle Abgeschiedenheit mit ihr aufzusuchen, um sein unerwartetes Glück eifersüchtig zu verbergen. Nun liebte er diese blühende Erde, diesen indigoblauen Himmel mit einer nie gekannten Inbrunst; er liebte die Berge, die aus gelbem Marmor gebaut schienen, die undurchdringlichen Urwälder, den Bananenbaum, den Heuschreckenbaum, den Armadill, das Jaguarrohr, das über vierzig Fuß hoch wächst, und die Lianen, die ihre Ranken von Wipfel zu Wipfel schlingen. Die Unschuld der Eingeborenen rührte ihn umso tiefer, wenn er sie mit der Lasterhaftigkeit seiner Landsleute verglich, ihr anmutiges Schreiten, ihre Freundlichkeit und all das Triebhafte, das zwischen Tier und Engel ist, mit der stolzen Verdrossenheit und zweckbeladenen Schwere, die er in der Heimat gewohnt war zu sehen. Er erinnerte sich der Unbill, die er von Jugend auf in einem durch Neid, Ohnmacht und Haß verschlungenen Gewebe der Existenzen hatte ertragen müssen; und daß er dorthin hatte zurückkehren wollen, wo eine wunderlose Zeit und Natur ihre Geschöpfe aus Krampf und Fieber zeugte und zu unbeseeltem Halbleben verdammte, dünkte ihn kaum noch begreiflich.

Der Fürst und seine Edlen, die nun die göttliche Art des Fremdlings nicht mehr bezweifelten, überhäuften ihn mit Geschenken, und Geronimo hinwiederum zeigte sich durch sinnreiche Ratschläge und allerlei Unterweisungen des Rufes würdig, den er als eine ungewöhnliche Erscheinung unter ihnen genoß. So vergingen Monate und Jahre, in denen Geronimo fast jedes Andenken an sein früheres Leben austilgte, als eines Tages das Gerücht eintraf, es seien an einem fernen Punkt der Küste viele große Schiffe gelandet und Männer mit feuerspeienden Waffen, auf grauenhaften Untieren sitzend, zögen der Hauptstadt des Kaisers zu. Geronimo erschrak, und eine tiefe Traurigkeit bemächtigte sich seiner. Er beschwor den Kaziken, ein Heer auszurüsten und die Eindringlinge zu bekämpfen. „Ich danke dir für deinen Rat, Malinche,“ sagte der Fürst, „aber nun künde uns doch, ob diese Fremden deine Brüder, ob sie gleichfalls Söhne der Sonne sind, und was es für Tiere sein mögen, mit denen sie verwachsen scheinen.“

Den Mexikanern waren nämlich die Pferde unbekannt, und besonders die Reiter darauf erregten ihr Entsetzen. Geronimo beruhigte sie nach Kräften, aber es war ihm klar bewußt, daß sie allesamt Verlorene waren, diese lieblichen, ängstlichen und abergläubischen Kinder, die bis jetzt in einer Verborgenheit gewohnt, welche der Gartenheimat des Menschengeschlechts glich. Acht Tage später überschritt er mit dem Heer des Kaziken den Gebirgshochpaß, der sie noch von dem Tal trennte, in dem die Spanier lagerten. Inzwischen hatte der Anführer der kleinen spanischen Schar, Don Fernando Cortez, von einigen Mexikanern, die seine Bundesgenossen waren, die Nachricht erhalten, daß einer seiner Landsleute bei dem Kaziken weilte, ob als ein Gefangener oder als Gast konnte er der Mitteilung nicht entnehmen. Er sandte Botschaft und ließ dem Fürsten ein Lösegeld bieten. Da sagte Geronimo zu seinen Freunden, sie möchten ihn ziehen lassen, er wolle die Spanier in ihre Gewalt geben. Im spanischen Lager angelangt, wurde er vor das Zelt des Fernando Cortez gebracht, und dieser selbst trat auf ihn zu, ein mächtig anzuschauender Mann, blond von Haar und Bart und mit Augen, in denen jeder begegnende Blick zerbrach. Geronimo war erschüttert, sich wieder bei den Seinen zu finden, und der Anblick der stolzen und trotzigen Erscheinung ihm gegenüber benahm ihm den Mut. Er wußte nicht, wie ihm geschah, plötzlich beugte er sich in seinem mexikanischen Kleid nieder und begrüßte seinen Landsmann so, wie es die mit ihm gekommenen Eingeborenen taten, indem er mit der Hand den Erdboden und darnach die Stirn berührte. Hierauf wandte er sich ab und weinte. Cortez umarmte ihn huldvoll, viele von den Rittern sprachen ihm kameradschaftlich zu, aber was sein eigentliches Herzleid ausmachte, konnten sie natürlich nicht wissen; für einen Zwiespalt wie den in seiner Brust gab es keine Heilung mehr.

Da er die Muttersprache fast vergessen hatte, vermochte er seine merkwürdigen Erlebnisse anfangs nur stockend zu berichten. Um nicht das Ziel des Neides zu werden, schenkte er den neuen Gefährten vieles von seinen mitgebrachten Reichtümern, indessen stachelte er damit doch nur ihre Habsucht an, auch Cortez sagte sich wohl: wo Datteln verschenkt werden, sind die Palmen nicht weit. Deshalb lieh er den Einflüsterungen Geronimos ein williges Ohr und zog mit seiner Mannschaft über das Gebirge. Nun war er nebst allem andern ein Meister des listigen Wortes und der umgarnenden Rede, und während er erwog, wie er das Heer des Kaziken, das ihm den Weg nach der Hauptstadt verlegte, unschädlich machen könnte, wußte er unter der Maske des Wohlwollens für den jungen Fürsten Geronimo dahin zu beschwatzen, daß dieser sich bereit erklärte, den Kaziken bei Zusicherung freien Geleites und ehrenvollen Empfangs in das spanische Lager zu führen. Geronimo ließ sich täuschen. Er schmeichelte sich mit der Hoffnung, daß Cortez, wenn er die Feinde in ihrer Übermacht erblickte, der Vernunft gehorchen und umkehren würde und daß ihm selbst die Verschuldung eines Blutbades und mörderischen Anschlags am Ende erspart blieb. So ging er also zu den Mexikanern, und seinem beteuernden Zuspruch, wobei er die eigene Person als Geisel anbot, gelang es, den zögernden Fürsten von der Gefahrlosigkeit und Nützlichkeit eines solchen Schrittes zu überzeugen. Kaum jedoch war der Fürst bei den Spaniern, so enthüllte sich der Betrug. Sein Zelt wurde mit Wachen umgeben, und niemand durfte ihm nahen außer Cortez und Geronimo, der bei den Gesprächen als Dolmetscher dienen mußte. Aufs äußerste bestürzt, konnte sich Geronimo nicht entschließen, an so viel Heimtücke zu glauben, auch versicherte ihm Cortez immer wieder, daß es nur eine einschüchternde Maßregel sei, um die Barbaren im Zaum zu halten. In der Tat wagten die Mexikaner nichts zu unternehmen, solange ihr Herr in der Gewalt des Spaniers war.

Eines Abends zu später Stunde ging Geronimo heimlich in das Zelt des Kaziken, den er wie einen Bruder liebte. Der junge Fürst kauerte auf dem Boden; seit zwei Tagen aß und sprach er nicht mehr, und als ihn Geronimo ermuntern wollte, schaute er ihn nur kummervoll an wie ein Reh, wenn der Winter kommt. „Rede doch, Malinche, deinem Gebieter zu, daß er mir die Freiheit gibt,“ sagte er endlich, „ich will ihm alle Schätze meines Palastes dafür ausliefern.“ Trotz der vorgerückten Stunde suchte Geronimo noch den Befehlshaber auf und fand ihn zu seinem Erstaunen völlig geharnischt und zur Schlacht gerüstet. Er teilte ihm die Worte des Gefangenen mit und flehte dringlich, Cortez möge den Fürsten entlassen. „Eine solche Bitte ist ein Verrat an Ihrem Vaterland, Don Aguilar,“ erwiderte Cortez hart. Da schwieg Geronimo betroffen. Verräter hier, Verräter dort; kein Ausweg. So war er denn verloren und verdammt. Zum zweiten Mal ging er in das Zelt des Kaziken und warf sich vor ihm nieder. Der unglückliche Fürst wußte nun genug. „Sieh, Malinche,“ sagte er sanft und düster, indem er sein Kleid auftat und seine nackte Haut sehen ließ, „ich bin doch nur ein Mensch, was könntet ihr billig verlangen, ihr Göttlichen, von uns, die wir bloß Menschen sind?“

In diesem Augenblick erscholl die spanische Schlachttrompete; Geronimo eilte hinaus, schon waren die Ritter hingestürmt gegen das aztekische Lager. Auf eine nächtliche Überrumpelung nicht gefaßt und durch das Schnauben, Wiehern und Galoppieren der Pferde in den ungeheuersten Schrecken versetzt, flohen die Mexikaner ordnungslos und wurden von den Verfolgern zu Tausenden niedergemacht. Als Geronimo zur Walstatt kam, war alles schon entschieden, und die Ritter sammelten auf, was sie an Gold und Kleinodien erraffen konnten. Die Erde troff von Blut, die Leichen der Erschlagenen waren nur so ineinandergewühlt und Geronimo, von einem leidenschaftlichen Gram überwältigt, verwünschte sich und sein ganzes Leben. Als er aber ins spanische Lager zurückkehrte und das Zelt des gefangenen Fürsten betrat, da lag dieser tot auf einem Teppich hingebreitet; ein langer Dolch hatte sein Herz durchbohrt.

Cortez stellte sich sehr erzürnt über diese Tat, doch Geronimo durchschaute die Heuchelei und, vor Schmerz zitternd, warf er ihm einen Blick zu, vor dem sich selbst dieser Eherne verfärbte. Er fing an, dem Geronimo zu mißtrauen, und hätte ihn gern aus seiner Nähe entfernt. Nun erfuhr Geronimo, daß Cortez den Plan hegte, Leute nach Westen zu senden, die in möglichster Heimlichkeit und Stille das Land durchziehen sollten, um das Ufer des jenseitigen Meeres zu suchen, von dem ihm dunkle Kunde geworden war. Geronimo machte sich erbötig, die schwierige Aufgabe durchzuführen, Cortez ging mit Freuden auf seinen Vorschlag ein und bestimmte drei Söldner zu seiner Begleitung. Am Tag vor seiner Abreise verteilte Geronimo alles, was er noch an Schätzen besaß, unter seine Kameraden. Einem gewissen Pedro de Alvarez aber, einem ritterlichen Mann, vertraute er einen Edelstein im Wert von mehr als zwanzigtausend Pesetas an und sprach: „Wenn ihr nach Spanien kommt, so gebt dies Kleinod dem Grafen Callinjos in Cordova. Sagt ihm, daß er keinen Undankbaren gewählt hat. Sagt ihm, daß ich kein Verräter bin, wie unser Führer argwöhnt. Sagt ihm, daß ich dieses wunderbare Land als erster Spanier betreten habe, aber daß ich auf den Ruhm verzichte, der eine solche Tat sonst krönt. Ja, ich verachte den Ruhm, da er nichts weiter ist als die Einbildung und Qual eines lieblosen Herzens.“

Diese Botschaft gelangte nicht an ihr Ziel. Don Alvarez fand in den Kämpfen der sogenannten traurigen Nacht den Tod, und der Graf Callinjos lag längst unter der Erde. Indessen zog Geronimo mit seinen Begleitern unverdrossen durch das Land nach Westen, über Bäche, Flüsse und Gebirge. Sie wanderten nur des Nachts und schliefen bei Tag an schwer zugänglichen Orten. Geronimo war stets schweigsam, und die Soldaten begannen ihn dieser Schweigsamkeit wegen und weil er auf keinen ihrer rohen Scherze, keine ihrer Prahlereien und Lügen einging, zu hassen, so wie sie ihrerseits ihm so tief verächtlich wurden, daß er sich weit fort von ihnen wünschte. Ihre Gesichter, Worte und Geberden erweckten ihm Ekel und Widerwillen, die andachtslose, augenlose Art, wie sie durch die zauberischen Gegenden schritten, umdüsterte sein Gemüt. Als sie nun nach vielen Wochen an die Küste eines neuen, ungeheuren Meeres kamen, da faßte Geronimo einen seltsamen Entschluß, den er mit großer Vorsicht ausführte. Gegen Abend, als seine Gefährten noch schliefen, stand er heimlich auf, ging ans Meeresufer, wo eine Siedlung von Fischern war, löste ein Kanu los, belud es mit einem wassergefüllten Kürbis und einem Säckchen voll Datteln, stieg hinein, schlug das brandende Wasser kräftig mit den Rudern und fuhr hinaus.

Als die drei Spanier erwachten, sahen sie, daß er fort war. Während sie sich noch verwunderten, gewahrte einer das Boot, das höchstens eine Meile entfernt war und auf den von der untergehenden Sonne geröteten Wellen tanzte. Sie eilten an den Rand des Wassers und riefen so laut sie konnten. „Geronimo!“ riefen sie wohl ein dutzendmal, „Geronimo!“ Er hörte nicht und antwortete nicht. Bald wurde es dunkel, und sie fragten einander mürrisch und bestürzt: „Was mag das sein? wohin mag er steuern?“

Ja, wohin mochte er steuern? Nach einem andern unentdeckten Land? nach einer glücklichen Insel? Oder nur ziellos in die Nacht und ins Unbekannte? Er fuhr gegen Westen, der Sonne nach, ganz allein auf dem einsamen Ozean. Wie lange und wie weit er gefahren ist, das weiß niemand.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der goldene Spiegel