Abschnitt 2

„Die Kirche des Heil. Grabes zu Jerusalem, wie sie die Kaiserin Helena bauete, hatte zwar noch die Langschiffe einer gewöhnlichen Basilika, aber diese bildeten nur den Zugang zu dem großen Kuppelgebäude, das, auf Säulen gestützt, die Grabesstelle bedeckte. Indessen boten die Kuppeln in technischer Beziehung manche Schwierigkeiten dar, besonders wenn man sie bei größern Gebäuden mit gradlinigen Mauern anwenden wollte; daher bemerken wir denn auch schon jetzt an andern Bauten das Bestreben, neue Kirchenformen zu erfinden, welche der Kuppel mehr zusagten. Eine wichtige Stelle in diesem Entwickelungsgange scheint die Hauptkirche zu Antiochien einzunehmen, die ebenfalls noch unter Constantins Herrschaft gebauet wurde. Eusebius selbst, der sie beschrieb, bezeichnet sie als ein höchst eigenthümliches, in seiner Art einziges Gebäude: der Haupttheil der Kirche achteckig, von gewaltiger Höhe, im Kreise umher viele Abtheilungen, Hallen, Krypten und Emporen, reich mit Gold und andern kostbaren Materialien geschmückt. Wir erkennen darin, außer der achteckigen Gestalt, die im Abendlande nur für Baptisterien oder kleinere Kirchen angewendet wurde, die Zusammensetzung des großen Gebäudes aus vielen einzelnen ohne Zweifel gewölbten Theilen: eine Anordnung, welche mit der der Kirche S. Vitale in Ravenna im Wesentlichen übereinzustimmen scheint. Die viereckige Gestalt scheint auch im Orient eine seltene geblieben zu sein; sie bildete nur den Uebergang zu den vierseitigen Kuppelgebäuden“ (Schnaase a. a. O. I, S. 123 flgd.). „Auch diese Moschee zu Jerusalem ist eine der ältesten; in ihren Haupttheilen besteht sie noch jetzt so, wie der Kalif Omar bald nach der Einnahme der heiligen Stadt (637) sie auf der Stelle des Salomonischen Tempels errichtete. An ihr sehen wir ganz das Schwankende der arabischen Kunst selbst für die Grundform ihrer heiligen Gebäude; denn sie ist in der ungewöhnlichen Form eines Achtecks erbaut“ (Schnaase a. a. O. S. 339).

Bestimmter entwickelt v. Quast in seiner Schrift „Ueber Form, Einrichtung und Ausschmückung der ältesten christlichen Kirchen“, Berlin, 1853, die Grundform der ältesten viereckigen, runden oder achteckigen Kirchen, welche er „centrale“ Anlagen nennt, indem er diese Anlage, die sich in den ältesten christlichen Kirchengebäuden findet, mit den allerältesten Grabkirchen in den Katakomben Roms in Verbindung bringt (S. 18 flgd.). Auch die Kirche auf dem Oelberge war ein runder Bau (S. 24) und im Abendlande war das erste Beispiel der Dom zu Trier, dessen noch vorhandener ältester Theil einen quadratischen Bau zeigt (S. 26 flgd.). „Aber es ist gewiß, daß diese abweichenden „Kirchenformen, namentlich die centralen, im Occident an sich seltener, mit der Zeit noch immer seltener wurden. - - Dagegen bemeisterte sich zunächst der Orient jener Centralformen, sogleich durchaus Gewölbe mit ihnen aufs engste verbindend, und erschuf hierdurch alsbald eine neue Bauweise, nach dem Ausgangspunkte dieser Richtung mit Recht die byzantinische geheißen, und schon nach zwei Jahrhunderten in der Kirche der göttlichen Weisheit, der heiligen Sophia, zu Constantinopel, das unübertroffene Prachtwerk der ganzen Gattung hinstellend“ (S. 28).


Ein merkwürdiges Beispiel des Einflusses des Orients auf den Occident bietet der große Dom zu Drontheim, an dessen östlicher Chorseite die Kapelle des Grabes des H. Olav im Achteck in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts angebauet ist; vgl. v. Minutoli der Dom zu Drontheim, 1853, S. 25, 30 - 32, 34 - 35 flgd., wo ebenfalls von der Bedeutung der kirchlichen Octogone gehandelt wird.

In Meklenburg sind nur wenig alte kirchliche Gebäude von achteckiger Grundform bekannt geworden: die Heil. Bluts-Kapelle zu Doberan, das neu entdeckte Octogon hinter dem Hochaltare in der Kirche zu Doberan und die Kirche zu Ludorf (vgl. Jahrb. XVI, S. 294 flgd.).

Diese achteckige Kapelle hinter dem Hochaltare der Kirche zu Doberan wollte man nun offenbar nicht an die Ostseite der Kirche anbauen; man stellte sie also in die Kirche im Osten dicht hinter den Hochaltar, von dem sie jetzt kaum einige Fuß entfernt ist. Ist die Kapelle alt, und älter als 1422, so mögen früher die Verhältnisse ganz anders gewesen sein, da die älteste, im J. 1232 geweihete doberaner Kirche im romanischen Style erbauet war und gegen Osten nicht so weit hinausging, als die jetzige Spitzbogenkirche. In der alten Kirche wird die Stelle des Octogons ungefähr in der östlichen Schlußmauer gelegen haben.

Die Sache möge sich übrigens Verhalten, wie sie wolle: sie ist der höchsten Beachtung werth, und die Kapelle verdient eine Wiederherstellung in alter Gestalt.

Ob nun dieses Octogon eine Kapelle der Heil. Drei Könige bildete, wie ich nach der gemalten Darstellung derselben in der Kapelle, der einzigen bildlichen Darstellung in derselben, gemuthmaßt habe, steht sehr zur Frage. Nach der Lage und Gestalt möchte die Kapelle eher eine Heil. Grabes- oder Fronleichnamskapelle gewesen sein, wie die Darstellungen des Heiligen Grabes in der katholischen Kirche sehr häufig sind. An dem Fronleichnams-Altare im südlichen Chorumgange sind auch die Heil. Drei Könige dargestellt (vgl. Jahrb. IX, S. 425 und 421).

Von Interesse ist die Frage, wann dieses Octogon so traurig verstümmelt ist. Ohne Zweifel geschah dies bei dem Begräbnisse des Herzogs Albrecht des Schönen im J. 1547. Dieser Herzog ward „im hohen Altare“ begraben. Damit ist nun wohl nicht gemeint, daß er in dem Altartische beigesetzt sei. Aber von der Rückwand des Hochaltars geht in das Octogon hinein ein von oben noch erkennbares Gewölbe, und eine kleine Thür in der Rückwand des Hochaltars soll zu dem Begräbnisse des Herzogs führen. Bei dieser Gelegenheit wurden denn wohl die beiden frei stehenden, westlichen Pfeiler des Octogons mit den schwarzen Marmorsäulen weggenommen, um die Gruft fundamentiren zu können, und das Gewölbe des Octogons mußte in seiner westlichen Hälfte bis an die Kirchenpfeiler abgetragen werden. Darauf spannte man den unschön construirten Bogen zwischen den beiden Pfeilern vor. Daher erklärt es sich denn auch, daß man ein Bruchstück von einer schwarzen Marmorsäule in dem Schutt und Sande auf dem Grabgewölbe des Herzogs und Bischofes Magnus fand, welcher im J. 1550 starb und in der alten fürstlichen Gruft im nördlichen Kreuzschiffe zuletzt beigesetzt ward. Es ist auffallend, daß der Herzog Albrecht grade hier, und nicht bei seinen Vorfahren begraben ist. Vielleicht wollten die Mönche des Klosters in der letzten Verzweifelung diesem streng römisch gesinnten Fürsten eine besondere Ehre erweisen oder durch ihn ein neues Heiligthum errichten, wenn sie denselben an der heiligsten Stelle begruben. Vielleicht mag bei dieser Gelegenheit auch das halbe Gewölbe eingestürzt sein, als man den Fundamenten der dünnen Marmorsäulen zu nahe kam.

So wurden binnen wenig Jahren zwei der merkwürdigsten Denkmäler der doberaner Kirche, das alte Fürstenbegräbniß (vgl. oben) und dieses Octogon, durch Begräbnisse vernichtet, ein Beweis, wie tief schon in der Mitte des 16. Jahrh., noch während des Bestehens des Klosters, der Sinn für alte kirchliche Kunst und Symbolik gesunken war.