Reisewege der Kaufleute

Konnten oder wollten die deutschen Kaufleute ihren Weg weder durch die Newa noch über Narwa nehmen, so fuhren sie in eine der baltischen Städte. Schon früher vor und nach der Gründung Rigas unterhielten die deutschen Kaufleute einen Handelsverkehr mit Smolensk und befuhren die Düna bis Polozk und Witebsk 72). Aber indem Riga emporblühte, riss es den Handel mehr und mehr an sich und übernahm die Vermittlung zwischen Reichsdeutschen und Russen. Neben Riga bestanden als See- und Handelsstädte Reval und Pernau. Es scheint nun, dass die deutschen Kaufleute, wenn sie von einer dieser drei Seestädte nach Nowgorod gehen wollten, stets zuerst nach Dorpat zogen und von hier aus über Pskow (Pleskau) nach Nowgorod. Es mag, wenn man zur Ermittlung dieser Wege auf die Karte blickt, befremdlich erscheinen, dass sie so führten; indes erklärt es sich gewiss dadurch, dass Dorpat nächst Riga und Reval die bedeutendste Stadt im baltischen Ostseegebiete war und mit den vorgenannten sicherlich durch Straßen verbunden gewesen ist 73). Von Dorpat nach Pskow gelangte man zu Wasser durch den Embach und Peipussee. Und Pskow war als wichtigster Beiort Nowgorods und überhaupt als sehr bedeutender Handelsplatz ohne Zweifel mit der letzteren Stadt verbunden. Es ist allerdings auch möglich, dass die Kaufleute von Riga direkt nach Pskow zogen ohne den Umweg über Dorpat zu machen. Wir finden einmal erwähnt, dass russische Kaufleute in terra adzelle überfallen und ermordet worden seien. Ich halte adzelle für den Ort Adsel an der livländischen Aa. Wenn auch deutsche Kaufleute über Adsel reisten, so berührten sie Dorpat nicht. In den Urkunden finden wir einige Anhaltepunkte dafür, dass der Landweg der deutschen Kaufleute in den oben bezeichneten Richtungen führte. Im lübischen Archive finden sich zwei Verzeichnisse der Schäden, welche deutsche Kaufleute auf ihren Reisen nach Nowgorod erlitten haben mit Angabe des Ortes, wo ihnen der Schaden zugefügt wurde 74). So heißt es da zuerst: dampna facta sunt Theutonicis mercatoribus inter Nogardiam et Plescoviam. Über Pskow sind also alle betreffenden geschädigten Kaufleute gegangen. Eben daselbst deutet eine Angabe darauf, dass Kaufleute von Dorpat nach Pskow und vice versa gereist sind.

Der Großfürst Andrei Alexandrowitsch gewährte 1301 den deutschen Kaufleuten sicheres Geleit im Gebiete von Nowgorod und wies ihnen 4 Wege für ihre Reisen an, einen auf den Flüssen und drei zu Lande 75). Leider sind diese drei Landwege in der Urkunde nicht näher bestimmt. Jedenfalls können sie nur innerhalb des Nowgoroder Gebietes gedacht sein, da der Fürst außerhalb derselben nicht für die Sicherheit der Kaufleute eintreten konnte. Nach den Ausfüllrungen Bereshkows 76) und nach dem, was wir von den Wegen anderweitig wissen, ist es sehr wahrscheinlich, dass folgende Landwege gemeint sind: Nowgorod-Narwa, Nowgorod-Pskow, Nowgorod-Nowy Torg (Torshok ), denn wir wissen, — bezüglich des letzteren — dass die Kaufleute auch selbst ins Innere des Landes gezogen sind und es wäre auffallend, wenn sie nicht grade für diese Reisen den Schutz der Fürsten erbeten hätten.


Endlich heißt es an einer Stelle, dass im Jahre 1208 Deutsche in Poloco geplündert worden seien 77). Sartorius hält diesen Ort für Polozk. Dies führt uns auf den vollständigen Landweg, dessen sich deutsche Kaufleute ebenfalls zur Reise nach Nowgorod bedient haben. Leider wissen wir darüber nicht viel mehr, als dass er benutzt worden ist. Es ist nicht zu ermitteln, wie er geführt hat, warum und wann ihn Kaufleute einschlugen; jedenfalls haben sie es nicht oft getan, da er unstreitig zeitraubender, kostspieliger, gefährlicher als der Seeweg war 78).

72) E. Pabst Heinrich v. Lettlands Livl. Chronik, Reval 1867 Cap. I an verschiedenen Stellen und weiter.

73) Cröger 1. c. I, S. 169. „Der Handelsweg von Riga nach Nowgorod ging längs der Küste auf der natürlichen Wasserstraße nach Pernau und von da auf der Pernau und dem Embach über Dorpat in den Peipus nach Pleskau.“

74) Sartorius-Lappenberg 1. c. II. S. 156. No. LXX, LXXI neuerdings gedruckt Hans Urkundenbuch III, S. 424.

75) Napiersky, Riissisch-livl. Urkunden S. 25. No. XLVIII. Hansisches Urkundenbuch 1, S. 453. No. 1353.

76) 1. c. S 155 ff.

77) Sartorius-Lappenberg 1. c. Bd. II, S. 157. No. LXX.

78) Sartorius-Lappenberg 1. c. Bd. II, S. 270. vergl. Grautoff 1. c. II, S. 332. Riesenkampf 1. c. S. 102—3 und Sartorius, Geschichte des hanseatischen Bundes, II, S. 435— 6.


Ob wir im Vorstehenden alle Wege aufgedeckt haben, die von den deutschen Kaufleuten zur Reise nach Nowgorod benutzt worden sind, muss dahingestellt bleiben. So viel aber ist jedenfalls klar, dass die Deutschen bei der außerordentlichen Wichtigkeit, welche sie ihrem russischen Handel beilegten, genug Wege gefunden haben, diesen zu treiben und immer neue Wege gefunden haben werden, falls der eine oder der andere einmal unbrauchbar geworden sein sollte.

In den Urkunden und Berichten, aus denen wir unsere Kenntnis schöpfen, hören wir viel von verschiedenen Fährlichkeiten und es könnte scheinen, als ob dem deutschen Kaufmann in Russland besonders viele und große Gefahren drohten. Es ist gewiss nicht zu leugnen, dass der Reisende auch hier sehr auf seiner Hut sein musste, denn bald wurde er von Schweden, bald von Finnen, Esten, Karelen, bald von den Russen selbst überfallen, seines Gutes und auch seines Lebens beraubt, bald drohten ihm Stürme oder Stromschnellen, durch welche ihn nur eine kundige Hand hindurchzuleiten im Stande war. Wir wissen es aus den obigen Verzeichnissen, dass Raub, Plünderung und Mord vorgekommen sind und aus Vertragsurkunden, dass die Nowgoroder sich zum Schutze der fremden Kaufleute verpflichteten. Auch sind wiederholt Gesandtschaften nach Nowgorod gegangen (z. B. 1292 und 1300), welche Schadenersatz fordern sollten, nachdem die deutschen Kaufleute unterwegs ein Unrecht erlitten hatten 79). Aber es fragt sich doch, ob trotz alledem nicht die große Gefährlichkeit der Straßen nach und in Russland nur beim Vergleich mit den heutigen Verhältnissen in die Augen fällt und schwindet, wenn man sie vom Standpunkt jener Zeiten betrachtet. Der reisende Kaufmann musste sich damals auf Vorkommnisse aller Art gefasst machen. Er war ebenso waffengewandt als handelskundig. Man denke an die Zeiten des herrschenden Faustrechts in Deutschland, an die wilden Seeräubereien, wie sie wenig später auf der Ostsee von den Vitalienbrüdern und bedeutend später auf dem Mittelmeer und dem atlantischen Ozean ausgeübt wurden, und ebenso wie den deutschen Kaufleuten in Russland mancher Schaden zustieß, so auch den russischen Kaufleuten in der Fremde. Um 1300 sind Nowgoroder in Riga beraubt und gemordet worden 80). Von den Piraten auf der Ostsee hatten sie eben so viel zu leiden, wie die Deutschen. Man wird daher soviel Klagen und Entschädigungsforderungen uns auch überliefert sind, doch behaupten dürfen, dass die Lage der Dinge in Russland nicht außergewöhnlich war, sondern den damaligen Verhältnissen entsprach 81). Ssolowjew bemerkt daher, nachdem er die Umstände besprochen, die dem Handel günstig und diejenigen, die ihm nachteilig waren: „Wenn wir alle genannten Hindernisse des Handels und die Zahl der darauf bezüglichen Nachrichten mit der Zahl der Jahre des besprochenen Zeitraums vergleichen, so müssen wir zu dem Schluss gelangen, dass es überhaupt wenige Hindernisse des Handels gab.“

Aus der Beschreibung der Wege, welche von den deutschen Kaufleuten eingeschlagen wurden, um nach Nowgorod zu gelangen, ist bereits ersichtlich, dass der Weg entweder nur zu Wasser oder teils zu Wasser, teils zu Lande führte. Dass die deutschen Kaufleute ihre Reise nach Nowgorod ganz zu Lande zurücklegten, ist, wie wir sahen, auch vorgekommen, aber doch sehr selten, wie es sich natürlich aus den Verhältnissen erklärt. Eine Landreise, zu jener Zeit, da die Transportmittel so außerordentlich unvollkommen waren, war schon an sich sehr beschwerlich und infolge der Unsicherheit der Straßen so gefährlich, dass sie ohne Not gewiss nicht gemacht wurde. Dazu kommt, dass die Reise nach Nowgorod durch die Gebiete der Preußen und Litauer führte, welche infolge der Wildheit und Rohheit ihrer Bewohner, vollends für Fremde besonders gefährlich waren. Man wird also, wenn auch Landreisen, wie gesagt, vorgekommen sind, bei in der Folge zu nennenden Landfahrern, vorzugsweise an die zu denken haben, welche bis zu einer der baltischen Städte zur See fuhren und von da nach Nowgorod auf die Weise gelangten, wie sie weiter oben beschrieben worden ist.

79) v. Bunge, Liv- Est- Curländisches Urkundenbuch I, S. 676 No. DXLII; Lübeckisches Urkundenbuch II, S. 567. No. DCXX. (Dasselbe Verzeichnis, welches sich bei Sart.-Lapp. II, S. 156 ff. No. LXX, LXXI. findet) vergl. Hans. Urkdb. I, S. 377, No. 1093.

80) Napiersky, Russisch-livländische Urkunden S. 28 No. L. vergl. ferner ibidem S. 78 No. XCVI, S. 90 No. CXVIII auch Lübisches Urkdb. II, S. 565 No. DCXX.

81) vergl. Bunge, L. E. C. Urkdb. 11, S. 311 No. DCCLXXXI, Hans. Urkdb. II, S. 270 No. 614. Russen und Deutsche kommen 1338 in Dorpat zusammen und setzen fest, dass der Verkehr durch Mord- und Raubtaten einzelner nicht gestört werden solle, dass sich die Geschädigten an den, der ihnen den Schaden zugefügt oder an die Gerichte halten sollen, nicht aber hemmend auf den Verkehr wirken dürfen. Ebensowenig soll ein Krieg der Nowgoroder mit Schweden, Dänemark, Dorpat, Riga, Ösel ein Hindernis für den Verkehr bedeuten.