Die Unterschiede zwischen Land- und Wasser-, Sommer- und Winterfahrer

Es ist nun darauf hinzuweisen, dass zwischen Land- und Wasserfahrern nicht nur ein in der Sache selbst liegender Unterschied bestand, sondern auch durch das Gesetz und die Vorschriften für den Handel und Verkehr in und mit Russland ein ganz bestimmter Unterschied gemacht wurde. Die Wasserfahrer, also diejenigen, welche bis nach Nowgorod zu Wasser fuhren, hatten Vorrechte, welche den Landfahrern abgingen 82). Aus welchen Gründen ihnen diese Vorrechte eingeräumt waren, ist nicht sicher zu bestimmen, doch liegt es nahe, sie daraus abzuleiten, dass die Wasserfahrer die Stifter des Hofes gewesen sind. Welche Gründe andererseits die einen Kaufleute veranlassten, ganz zur See zu reisen, die anderen nur bis zu einer der baltischen Städte, ist eben so nicht bestimmt zu ermitteln, allein es ist höchst wahrscheinlich, dass die letzteren Handelsgeschäfte auch in den baltischen Landen hatten. Davon, dass gewisse Kaufleute an den Seeweg, andere an den Landweg gebunden gewesen wären, wird nichts berichtet; wir dürfen es daher nicht annehmen. Doch mussten diejenigen, welche zu Wasser nach Nowgorod gekommen waren, auch zu Wasser wieder gehen, und ebenso diejenigen, die zu Lande gereist waren, auch zu Lande zurückreisen 83). Auch scheint kein Unterschied zwischen See- und Landstädten bestanden zu haben, der die Verschiedenheit des einzuschlagenden Reiseweges veranlasst haben könnte.

Ein anderer Unterschied ist derjenige zwischen Sommerfahrern (hospites estivales) und Winterfahrern (hospites hyemales); die letzteren hatten Vorrechte vor den anderen 84). Unter Sommerfahrern verstand man diejenigen Kaufleute, welche zu Beginn eines Sommers nach Nowgorod kamen, den Sommer über dort handelten und zum Schluss desselben zurückkehrten, Winterfahrer dagegen waren diejenigen, welche den Winter über in Nowgorod handelten. Es ist nicht anzunehmen, dass die Scheidung in Winter- und Sommerfahrer dadurch entstanden sei, dass Kaufleute, welche nach Nowgorod in der einen Jahreszeit gekommen waren, durch unvorhergesehene Umstände aufgehalten worden und daher erst in der folgenden Jahreszeit den Rückweg antreten konnten. Wäre dies der Fall gewesen, so würden die betreffenden Kaufleute mehr oder weniger durch eigene Schuld Winter- bzw. Sommerfahrer geworden sein und die einen hätten mithin keine Privilegien vor den andern verdienen können. Ich halte es für durchaus wahrscheinlich, dass z. B. die Winterfahrer bereits in der ganz bestimmten Absicht von Hause absegelten, den Winter über in Nowgorod zu bleiben, demgemäß eine größere Menge an Waren mitnahmen, um in der längeren Zeit auch einen größeren Vorrat daran zu haben. Ganz ebenso wie der Unterschied zwischen Land- und Wasserfahrern, wird auch dieser Unterschied in den Gesetzen und Vorschriften gemacht und dies konnte doch nur geschehen, wenn die Winterfahrer, wie die Sommerfahrer ein rechtlich bestehendes Institut waren. Dies konnte nicht zufällig dadurch entstehen, dass sich dieser und jener verspätet und nun wegen des inzwischen eingetretenen Winters liegen blieb, sondern musste von vornherein aus bestimmten tatsächlich bestehenden Gründen errichtet werden. Allerdings kam es auch vor, dass sich Kaufleute verspäteten. In diesem Falle, wenn also ein mit Schlitten zu Lande gekommener Winterfahrer zu lange liegen blieb, die Schlittenbahn verschwunden war und er zur Rückreise den Wasserweg benutzen musste, wurde er Sommerfahrer, ebenso wurde der zu Schiff gekommene Sommerfahrer ein Winterfahrer, falls die Flüsse inzwischen gefroren waren 85).


82) vergl. Sartorius-Lappenberg 1. c. Bd. I, S. 125.

83) Hansisches Urkundenbuch Bd. I, S. 235 No. 665. Napriersky Russ.-livl. Urkunden S. 72 No. LXXXVIII.

84) Die Vorrechte der Wasserfahrer und Winterfahrer werden weiter unten ausführlicher besprochen.

85) Napiersky, Russisch-livl. Urkunden 1. c. S. 72.



Aus diesen Fällen die Scheidung ableiten zu wollen, wäre aber, wie gesagt, falsch.

Als Erklärung dafür, dass der Unterschied gemacht wurde, kann wohl der Umstand gelten, dass der deutsche Hof in Nowgorod nicht Raum genug enthielt, wenn alle mit Russland handelnden Kaufleute zu gleicher Zeit dahin gingen. Raummangel hat die Deutschen in Nowgorod oft genug bedrückt. Auch bei den Verhältnissen, die tatsächlich bestanden haben, ist es nicht selten vorgekommen, dass die Kaufleute im Hofe keinen Platz mehr fanden und daher außerhalb desselben in der Stadt Wohnung nehmen mussten. So suchte man einem allzugroßen Zinsfluss vorzubeugen, da dieser aus mancherlei Gründen nicht ratsam schien, ohne übrigens dem einzelnen Kaufmanne vorzuschreiben, welche Jahreszeit er zu seiner Reise nach Russland benutzen solle 86)

Bei alledem müssen wir festhalten, dass sich der damalige Verkehr nicht in unserer modernen Weise vollzog, ich meine, dass der damalige Kaufmann nicht einzeln nach Russland fuhr, wann es ihm beliebte, sondern, dass sich die Russlandfahrer zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten versammelten und die Reise in Admiralschaften, d. h. gemeinsam zurücklegten 87). Mancherlei Umstände sprechen dafür. Einmal war das gemeinschaftliche Reisen auch sonst wegen der Verhältnisse Sitte. Der Kaufmann bedurfte eines Rückhaltes und er suchte ihn, da er ihn bei seiner Regierung nicht fand im Zusammenschluss mit anderen 88). Ferner — und das ist für den vorliegenden Fall besonders wichtig — war verordnet, dass sich die Kaufleute, sobald sie in die Newa kämen, einen Oldermann wählen sollten. Diese Verordnung hatte nur in dem Fall einen Sinn, wenn mehrere Schiffe zugleich dorthin gelangten; ein einzelnes Schiff hatte doch seinen natürlichen Oldermann in seinem Eigentümer oder Führer. Der Versammlungsort der nach Nowgorod segelnden Schiffe war Wisby 89) Dort schlossen sie sich in Admiralschaften zusammen und segelten als solche weiter nach Russland. Die Zeit der Fahrt dürfte Frühling und Herbst gewesen sein; die Teilung in Sommer- und Winterführer deutet jedenfalls darauf 90). Im XIV. Jahrhundert begann der Verkehr sich zu ändern. Wenn auch im allgemeinen das gemeinschaftliche Reisen bestehen blieb, so kamen nun doch auch schon Einzelreisen vor. Die deutschen Kaufleute haben Freiheit zu reisen, wann sie wollen. Sie kommen und gehen unaufhörlich nicht mehr zu bestimmten Zeiten.

Ehe wir, wie es gebührt, die Verträge kennen lernen, welche zwischen Nowgorod und den deutschen Kaulleuten abgeschlossen worden sind und den Verkehr regelten, wird es geeignet sein, einen Blick auf die Verfassung Nowgorods zu werfen 91). Dass letzteres neben den anderen russischen Fürstentümern und Städten eine Sonderstellung einnahm, ist bekannt; es kommt nun darauf an, diese eigentümliche Sonderstellung, auf die übrigens schon weiter oben hingewiesen wurde, scharfer zu bezeichnen. Groß-Nowgorod war die Hauptstadt eines Gebietes, welches fast dem gesamten nördlichen Teil des heutigen europäischen Russlands gleichkommt.

Dieses Gebiet zerfiel in Fünfschaften, sog. Pjatinen:

1) Wodskaja Pjatina am Ladogasee;
2) Obonjeshskaja Pjatina nördlich des Onegasees bis zum weissen Meer;
3) Beshezkaja Pjatina bis zur Msta;
4) Derewskaja Pjatina bis zur Lowalj;
5) Schelonskaja Pjatina bis zur Luga und etliche Wolosten, in die das weiter gelegene Land eingeteilt war. Die äußerste jugrische Wolost lag jenseits des Uralgebirges. Dennoch steht die Stadt im Vordergrunde, in ihr konzentrierte sich das gesamte Leben des Landes und Volkes, hier gelangte es zu seiner eigentümlichen Entfaltung.