Die Schifffahrt auf Newa, Ladogasee und Wolchow

An der Newa selbst scheinen keine bedeutenden Ansiedlungen gewesen zu sein. Zwar errichteten die Schweden hier 1300 ein festes Schloss Landskrona 54), doch wurde dasselbe schon im nächsten Jahre von den Russen wieder zerstört. Am Ausfluss der Newa aus dem Ladogasee an der Stelle, wo jetzt Schlüsselburg liegt, befand sich ein von den Russen angelegter Ort Orechowez, der uns durch einen im Jahre 1328 daselbst zwischen Nowgorod und Schweden abgeschlossenen Vertrag bekannt ist 55); doch scheint auch er im deutsch-russischen Verkehr keine Rolle gespielt zu haben. So fuhren die Kaufleute ohne weitere Station durch die Newa in den Ladogasee (auch Newasee, See Nowo, Aldoga, Oldagische See genannt), bis sie in Ladoga, das am Wolchow — 14 1/2 Werst von seiner Mündung in den See gelegen ist, zum zweiten Mal ihre Anker auswarfen. Ladoga war nicht nur Station am Wege der Kaufleute. Sie hatten dort eine Kirche und dazu gehörige Grundstücke. Die Kirche war dem hl. Nicolaus geweiht 56). Jedenfalls hatten sie daselbst auch einen Handelsplatz, über den wir aber nichts Genaueres wissen. Nicht alle Kaufleute mochten die immerhin beschwerliche Umladung aus den größeren Seeschiffen in die Flussschiffe vornehmen und zogen es vor, in Ladoga zu bleiben 57).

Winckler 58) bemerkt, dass die deutschen Koggen hier liegen blieben, da sie für den Wolchow zu tiefgehend gewesen seien, und die Waren in russische Flussschiffe, sog. Lodien oder Lichterschiffe umgeladen werden mussten. Ladoga war aber nicht der einzige Ort, wo die Umladung stattfand. Wir wissen vielmehr aus einem Vertrage 59), dass es Bestimmungen gab für Lichter-Schiffe von Nowgorod bis zur Newa und für solche von Nowgorod bis Ladoga. Die Kaufleute sind also, je nach dem Wasserstande oder der Beschaffenheit ihrer Schiffe in diesen entweder bis zur Newa oder bis Ladoga gefahren und von dort bis Nowgorod in russischen Lodien. Und das ist nicht merkwürdig. Auch heute noch können die großen Seeschiffe nicht bis nach Petersburg kommen, sondern müssen in Kronstadt liegen bleiben. In dem Vertrage wird der Ort nicht genannt, bei welchem die deutschen Kaufleute, wenn sie nur bis zur Newa fuhren, auf die russischen Lodien übergingen, aber es kann doch wohl kein Zweifel bestehen, dass dieser Ort eben jene russische Station auf der Insel Kotlin war.


Von Ladoga aus fuhren die deutschen Kaufleute den Wolchow stromauf. Schon nachdem sie 10 Werst gefahren waren, also 24 Werst vom Ladogasee entfernt, gelangten sie an das untere Ende der Wolchow'schen Stromschnellen, die 8 Werst, 200 Faden lang, in dieser Ausdehnung nur ein Gefälle von 20' haben. Sie boten der Schifffahrt kein unübersteigbares Hindernis, aber freilich ließen sie sich auch nicht mit gewöhnlichen Mitteln überwinden. Man bediente sich daher an dieser Stelle der sog. Vorschkerle“ 60). Wie letztere die Schiffe durch die Stromschnellen brachten, können wir nicht mit Bestimmtheit ermitteln. Vielleicht zogen sie die Schiffe, indem sie selbst am Ufer entlang gingen. Aus der Urkunde ist dies zwar nicht ersichtlich; sie sagt nur, dass die ductores oder vectores, qui dicuntur vorschkerle die Kaufleute expedire bezw. conducere sollen 61). Aber in anbetracht dessen, dass noch heute Lastfahrzeuge, z. B. auf der Wolga in dieser Weise befördert werden, dass sie von mehreren Männern, zuweilen auch wohl von Pferden, die am Ufer gehen, gezogen werden, scheint es mir nicht ausgeschlossen, dass die Vorschkerle, die vertragsmäßig von den Nowgorodern gestellt werden mussten, eben diese Obliegenheit hatten. Andererseits ist es aber auch möglich, dass unter den Vorschkerlen besonders kundige Männer zu verstehen sind, die die Stromschnellen sehr genau kannten und die Schiffe daher hindurch zu leiten vermochten, dass also die Vorschkerle — Lotsen waren 62).

54) Landskrona lag unweit der Newamündung auf dem Boden des heutigen Petersburg.

55) Bereshkow 1. c. S 126. vergl. Strahl, Geschichte des russischen Staates, Hamburg 1839, Bd. II, S. 104.

56) Hansisches Urkundenbuch Bd. 1, S. 231 No. 663. vergl. Sartorius-Lappenborg 1. c. Bd. II. S. 39, Anm. 1.

57) Bereshkow 1. c. S. 58. Karamsin I. c. Bd. I, Anm. S. 194. No. 485. Vergl. was oben über Ladoga gesagt ist. Ob diese Nicolaikirche in Ladoga diejenige ist, welche Koppmann in Nowgorod annimmt oder ob er diese für sich bestehen lässt, bleibt dahingestellt.

58) 1. c. S. 11.

59) Hansischos Urkundenbuch I. S. 234. No. 665.

60) Über der Etymologie dieses Wortes herrscht Dunkel. Karamsin 1. c. Bd. III. Anm. S. 150 leitet es von Ishora ab, indem er Ishora (ein Flüsschen, das unweit St. Petersburg in die Newa mündet) und Vorsch identifiziert. Das dürfte indes ein missglückter Versuch der Erklärung sein. Sartorius hält Vorsch für dasselbe Wort wie fors, das in der altnordischisländischen Sprache Wasserfall bedeutet. Verjl. Sartorius-Lappenberg 1. c. II. S. Hb. Anni. 4. Krug, Forschungen in der älteren Geschichte Russlands. St. Petbg. 1848. Bd. II, S. 629 f. Jedenfalls war Vorsch die bei der Deutschen übliche Benennung der Stromschnellen, denn es heißt; cum hospites venerint ad torrentem, qui dicitur vorsch. etc. Nach Schiller-Lübben Mittelniederdeutsches Wörterbuch V. 431 ist vorsch sogar gleich Wasserfall.

61) Hansisches Urkundenbuch I. S. 230. No. 663.

62) Ssolowjew, Geschichte Russlands. Bd. IV, S. 250.