Die Gründung der Handels-Höfe

Noch ehe die eigentlich deutschen Kaufleute aus dem Reiche nach Nowgorod gelangten, waren schon Goten, wie wir gesehen haben, dorthin gekommen 28) und hatten einen eigenen Hof begründet. Die Kirche desselben war dem hl. Olaw geweiht und nach demselben auch der Hof genannt 29).

K. Koppmann 30) und nach ihm Winckler 31) kennen noch einen dritten Hof mit eigener Kirche, den St. Nicolaushof, und erklären denselben als Gründung und Besitztum des Vereins deutscher Kaufleute auf Wisby. Dieser Ansicht tritt Bereshkow 32) entgegen. Mit Recht verweist er darauf, dass die auf uns gekommenen Quellen den St. Nicolaushof nicht erwähnen und nur eine Stelle in dem Entwurf von 1268 die Meinung hervorgebracht, als habe es einen Nicolaushof gegeben 33). Notwendig ist diese Folgerung aus jener Stelle aber nicht. Überdies fügt Bereshkow hinzu, dass es in Nowgorod wohl eine Kirche des hl. Nicolaus gegeben habe, dass sie jedoch griechisch- und nicht römischkatholisch gewesen sei und eben um sie handelt es sich an der zitierten Stelle. Wenn sonach in Nowgorod zwei fremde Kaufhof anzunehmen sind, so ist jedoch zu bemerken, dass wir mit dem Begriff des Kaufhofs denjenigen der Handelsgesellschaft verbinden 34). Es hat in Nowgorod nur zwei fremde Handelsgesellschaften gegeben, 1) die der gotischen, 2) die der deutschen Kaufleute. — Es ist nun nicht ausgeschlossen, dass z. B. die letztere tatsächlich zwei von einander getrennte Anlagen besessen hat und dass auf diese Weise mehr als zwei Höfe, im strengen Sinne des Wortes bestanden haben. So erklärt es sich auch, wenn Alexander Newsky in dem von ihm abgeschlossenen Vertrage den fremden Kaufleuten drei Höfe zugesteht 35). Doch ist die Verbindung zwischen den Höfen einer Gesellschaft so eng gewesen, dass die Trennung keinerlei Unterschiede begründete und bei den Kaufleuten selbst keine Rolle spielte 36).


28) Vergl. oben S. 6 u. Anm. II.

29) Vergl. hierzu die schon oben angeführte Nachricht der Annalen von dem Brande der Kirche 1152. Schiemann I. c. I. S. 189. Sartorius-Lappenberg 1 c. 1. S 13. Die Russen unterschieden die deutsche und die warägische Kirche, obwohl sie auch den Namen „Goten“ kannten.

30) Die Rezesse und andere Akten der Hansetage, Leipzig 1870, Bd. I. Einleitung XXIX, XXX.

31) 1. c. S. 7—8.

32) 1. e. S. 60 ff.

33) Hans. Urkdb. I, S. 281. Ab ecclesia s. Nicholai usque ad curiam hospitum curia non debet occupari edificiis.

34) Bereshkow, I c. S. 62.

35) Napiersky, Russisch-livländische Urkunden. S. 9 No. XVI.

36) Hans. Urkdbuch II. S. 222 No. 505: — — — de Duschen, de in der Goten hove stonden unde in anderen hoven, — —


Was die Kirche des hl. Freitags betrifft, welche wiederholt in Urkunden, erwähnt wird, so ist auch sie griechisch-katholisch gewesen, allerdings von sog. Kaufleuten von jenseits des Meeres erbaut. So nannten sich indes russische Kaufleute in Nowgorod, welche überseeischen Handel trieben und sind darunter nicht Ausländer zu verstehen 37).

Dass der St. Petershof von Deutschen aus dem Reich begründet worden, steht fest, aber wir wissen nicht genau, ob eine oder mehrere Städte und namentlich welche daran beteiligt waren. Das Verhältnis der deutschen Städte zu der Begründung des St. Petershofes ist keineswegs klar. Als der Hof gegründet wurde, bestand die deutsche Hansa noch nicht; sie hat sich vielmehr erst im XIII. Jahrhundert allmählich gebildet und erst im XIV. Jahrhundert nominell konstituiert. Der deutsche Kaufmann war im Russland in der Regel auf sich selbst angewiesen, er hatte an seiner Heimatstadt keinen Rückhalt, konnte sich auf sie nicht berufen. Ebenso wenig war der Kaufmann irgendwie politischer Vertreter seiner Stadt. Demnach liegt es nahe, anzunehmen, dass die ersten Kaufleute, welche nach Nowgorod kamen, nicht im Interesse ihrer Stadt, sondern in ihrem eigenen handelten, dass der deutsche Hof in Nowgorod nicht von dieser oder jener Stadt, noch von vereinigten Städten gegründet ist. Einen Städteverein gab es, wie wir sahen, noch nicht. Dagegen dürfen wir wohl annehmen, dass der St. Petershof von einem Verein deutscher Kaufleute begründet ist. Wir wissen, dass es solche Vereine in England, in den Niederlanden und namentlich in Wisby gegeben hat 38). Sie bestanden namentlich in älterer Zeit aus Kaufleuten einer Stadt, später auch aus Angehörigen verschiedener Städte. Sie hatten ihre eigene Organisation und waren unabhängig von der Heimatstadt ihrer Mitglieder. Die stramme Ordnung und zielbewusste Wirksamkeit brachte sie zur Blüte. Wir sehen sie im Genusse von Privilegien seitens der Regierungen, in deren Machtsphäre sie ihren Sitz hatten und dank denselben großartige Dimensionen annehmen. Einer der bedeutendsten war der Verein deutscher Kaufleute in Wisby. Wie seine Mitglieder ohne Zweifel als erste unter den deutschen Kaufleuten nach Nowgorod gelangten, so sind auch sie aller Wahrscheinlichkeit nach die Begründer des dortigen deutschen Hofes gewesen 39). Hierauf deutet die ganze Stellung des Hofes. Das älteste Recht desselben war aus dem wisbyschen Rechte abgeleitet, Wisby beanspruchte die oberste Appellationsinstanz für alle in Nowgorod nicht zum Austrag gelangenden Rechtshändel zu sein, in Wisby wurden endlich die Überschüsse des Hofes deponiert 40). Aber noch genauer können wir die Gründer des deutschen Hofs in Nowgorod bestimmen. Der Verein auf Wisby bestand besonders in älterer Zeit vorzugsweise aus westfälischen Kaufleuten. So werden in den beiden Verträgen, welche der Fürst von Smolensk Mstislaw Dawydowitsch im Jahre 1229 mit deutschen Kaufleuten in Gotland abschloss, von Vertretern deutscher Städte neben denen von Lübeck diejenigen von Soest, Dortmund, Münster, Groningen, Bremen genannt 41). Da nun überdies vorgeschrieben war, dass die vier Schlüssel, welche zu der Geldkiste auf Wisby existierten, in der die Nowgoroder Überschüsse aufgehoben wurden, sich in den Händen der Olderleute von Wisby, Lübeck, Soest, Dortmund befinden sollten, .so sind wir anzunehmen berechtigt, dass die Gründer des deutschen Hofs in Nowgorod vorzugsweise Westfalen waren 42). Wie sollte sich jene Vorschrift sonst wohl erklären lassen? Dass Wisby einen Schlüssel hatte, ist selbstverständlich; Lübeck kann sich seinen Schlüssel nachträglich verschafft hüben, nachdem es so auffallend schnell emporgeblüht war und nun am Ostseehandel großen Anteil nahm; es ist aber unerfindlich, wie Soest und Dortmund zu den Schlüsseln gelangt sein sollten, wenn sich der Besitz derselben nicht eben daherschrieb, dass sie einst bei der Anbauung die größten Kontingente an Menschen und Mitteln gestellt hatten 43).

37) Bereshkow I.e. S. 71. vergl. Sartorius-Lappenborg I.c. II. S. 39, Anm. 3.

38) Sartorius-Lappenberg I. c. Bd. I, S. 5 ff.

39) vergl. Bereshkow 1. c. S. 68.

40) vergl. Koppmann, Rezesse und andere Akten I, Einleitung S. XXIX, XXX.

41) cf. die Regesten bei Napiersky, Russisch-livl. Urkden. S. 2. 3 No. IIa, IIb. den Text Hans. Urkdbuch I, 232.

42) vergl. Berehkow 1. c. S. 68, auch Höhlbaum, Hansische Geschichtsblätter, Jahrgang 1872 S. 53 u. C. Cröger, Geschichte Liv-, Ehst- und Kurlands. St. Petersburg 1867. I. Teil S. 169, der darauf hinweist, dass sowohl der Verein deutscher Kaufleute auf Wisby, als auch der deutsche Hof in Nowgorod, den Lilienbusch im Wappen führten, d. h. das Wappen Soest hatten.

43) Behrmann 1. c. S. 30 f. sagt, dass der deutsche Hof in Nowgorod von den Städten Schleswig, Soest, Arteneburg, Bardewik und den wendischen Städten gegründet sei. In Soest hat er das Richtige getroffen. Im Übrigen wirft er chronologisch Auseinanderliegendes durch einander. Die wendischen Städte und Schleswig konnten zudem keinen deutschen Hof begründen.



Wenn also, wie wir gesehen haben der deutsche Hof und Handel in Nowgorod von dem Verein auf Gotland ausging, so konnte in jenen alten Zeiten von der Hansa nicht die Rede sein, da wir unter Hansa den Städtebund verstehen, wie er sich im XIII. und VIV. Jahrhundert entwickelte und dann mehrere Jahrhunderte hindurch bestand. Freilich ist nicht zu vergessen, dass ursprünglich der Name Hansa eben jenen Vereinen deutscher Kaufleute beigelegt worden zu sein scheint wie wir sie auf Gotland und anderswo finden und in dieser Bedeutung schon im XII. Jahrhundert vorkommt. — In London werden Kaufleute der deutschen Hansa erwähnt, in den Niederlanden bilden Hamburger Kaufleute eine Hansa, Lübecker ebenfalls. Hieraus ersieht man, dass das Wort Hansa im Westen in seiner ursprünglichen Bedeutung (== Handelsverein) gebraucht worden und dass die Bedeutung, in welcher das Wort eine so große Rolle in der Geschichte spielt, eine übertragene ist 44)

Hingegen im Osten auf Gotland oder in Nowgorod findet sich das Wort Hansa nie. Wir sehen es in keiner Urkunde, die von den russischen Fürsten ausgestellt ist. Mithin steht soviel fest, dass es nicht der allgemeine, sondern nur ein lokaler Name war. Der deutsche Hof in Nowgorod wurde genannt, lateinisch: curia Nogardensis, russisch: nemezkij dwor — der deutsche Hof. Daneben bedienten sich die deutschen Kaufleute in Nowgorod mit Vorliebe allgemeiner Bezeichnungen; sie nannten sich: communis mercator, communes Teutonici, Teutonici mercatores, universi mercatores in curia Nogardensi. Das Beiwort communis scheint mir auf die Zugehörigkeit zu einem Verein hindeuten zu sollen. —

Andererseits nannten die deutschen Kaufleute die Russen — Rutheni. Wie sie grade diese Bezeichnung gewählt haben, da die Russen, wo sie zuerst lateinisch genannt werden Rhos, später Russi und niederdeutsch Ruce, Rutze, Ruse heißen, vermag ich nicht zu erklären. Um nach Nowgorod zu gelangen, bedienten sich die deutschen Kaufleute verschiedener Wege. Der älteste und am häufigsten benutzte ist ohne Zweifel der Weg durch den finnischen Meerbusen, die Newa oder Nu (Ny), den Ladogasee und den Wolchow. Da die deutschen Kaufleute von Gotland aus zuerst nach Nowgorod gelangt sind, war er der am nächsten liegende, zumal er ein Stück der oben besprochenen großen Wasserstraße war. Einen anderen Wasserweg, durch den Wyborger Meerbusen und den Wuoksen, welche beiden Gewässer aber von Natur nicht zusammenhängen und also wohl künstlich wie Lowatj und Dnjepr verbunden waren, erwähnt Sartorius mit der Bemerkung, dass er vielleicht der älteste gewesen ist, der von Goten und Deutschen eingeschlagen wurde 45). Sartorius sagt aber selbst an derselben Stelle, dass „man im Handel mit fernen Ländern zu allen Zeiten zuerst den Weg einschlägt, der am schnellsten und sichersten zum Ziele führt.“ Man wird nicht behaupten können, dass der Weg durch den Wuoksen schneller und sicherer zum Ziele geführt habe, als der durch die Newa und dieser letztere wird daher als der älteste und am häufigsten gebrauchte gelten dürfen. — Deswegen soll nicht in Abrede gestellt werden, dass auch der andere Weg benutzt wurde, wenn es auch nicht ersichtlich ist, wie die fremden Kauffahrer denselben gewählt haben sollen. Es ist zwar leicht möglich, dass sie in den Wyborger Meerbusen eingelaufen sind, aber, da sie aus demselben zu Wasser nicht weiter gelangen konnten, lag es für sie nahe genug, den Weg durch die Newa einzuschlagen. Auch ist Finnland nie besonders reich gewesen und von größeren Ortschaften in jenen Gegenden ist nichts bekannt. Dass die deutschen Kaufleute vorzugsweise durch die Newa fuhren, geht auch aus verschiedenen Veranstaltungen und Bestimmungen hervor, die zwar selbst einer späteren Zeit angehören, doch auf frühere Zeiten schließen lassen. Vor der Mündung der Newa liegt lang gestreckt die Insel Kotlin (Ketlingen). Gegenwärtig befindet sich hier die Festung Kronstadt. Aber auch schon im XIII. Jahrhundert war hier eine russische Station 46). Wenn nun auch das Gebiet Nowgorods weiter reichte und die Birkeninseln (berko), die an der finnischen Küste südlich vom Wyborger Meerbusen liegen 47), mit umfasste, so war doch Kotlin der erste bewohnte Ort, zu dem die deutschen Kaufleute in Russland gelangten. Diese russische Station auf Kotlin hatte in Bezug auf die deutschen Kaufleute eine doppelte Bestimmung. Einmal sollte sie die Überfälle der Schweden, die im XIII. Jahrhundert dahin vordrangen, abwehren, und zweitens die fremden Kaufleute mit Lotsen versorgen, denn die Einfahrt in die Newa ist noch heute mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Winckler 48) nennt Kotlin von den Schweden befestigt, indem er von dem Seewege spricht. Es liegt außer allem Zweifel, dass er an dieser Stelle antizipiert. Denn auch abgesehen davon, dass die russische Station auf der Insel direkt bezeugt ist 49), ergibt sich das Vorhandensein derselben auch daraus, dass Nowgorod die Sicherheit des Verkehrs bis bzw. von Kotlin an garantierte 50), dass die Zusammenstöße mit den Schweden erst um die Mitte des XIII. Jahrhunderts begannen 51) und wie bekannt, zunächst mit einem Erfolge der Russen endeten. — Es steht vielmehr fest, dass sich die Russen bis zum Ende des XIII. Jahrhunderts sicher im Besitze der Newa und Kotlins glaubten, dass sie den Wert des Besitzes auch viel zu gut einsahen, als dass sie ihn an Schweden ohne zwingende Notwendigkeit hätten abtreten können. Die deutschen Kaufleute forderten den Schutz auch weiterhin bis zu den Birkeninseln 52), aber grade daraus, dass die Russen bis dahin keinen Schutz garantierten, ist ersichtlich, dass sie ihn von Kotlin ab sicher gewähren konnten und dies wäre unmöglich gewesen, wenn schon damals auf Kotlin eine schwedische Befestigung bestanden hätte. Die Schweden eroberten erst 1293 unter Torkel Knutson die Birkeninseln 53) und können erst später nach Kotlin gekommen sein.

44) Die Belege für vorstehende Angaben finden sich bei Sartorius-Lappenberg 1. c. Bd. I. S. 7, 10, 75, vergl. Koppmann, Rostocks Stellung in der Hansa. Jahrbb. d. Vereins f. meckl. Gesch. LII. R. Pauli, Hansische Geschichtsblätter, Jahrg. 1872, S. 15 ff., der darauf hinweist, dass das Wort Hansa in Frankreich auch Handelsabgabe bedeutete. — In dieser Bedeutung kommt das Wort Hansa auch im Osten vor, wie z. B. in der Urkunde Friedrich I. für Lübeck, wo den Russen u. a. gestattet wird absque theloneo et absque hansa zu handeln. Lübisches Urkundenbuch I. S. 10.

45) Sartorius-Lappenberg 1. c. Bd. I, S. 110 auch Anm. 2. Zuerst hat auf diesen Weg, der in deutschen Urkunden nicht erwähnt wird, Kall in den Anmerkungen zu Suhm, Historie af Danmark hingewiesen. Vergl. Behrmann 1. c. S. 68.

46) vergl. Schiemann 1. c. I. S. 182.

47) vergl. die Karte des St. Petersburger Gouvernements, auch A. G. Lehrberg, Untersuchungen zur Erläuterung d. älteren Geschichte Russlands. St. Ptbg. 1816 S. 257 ff.

48) Die deutsche Hansa in Russland S. 11.

49) vergl. Bereshkow 1. c. S. 151 f.

50) Hansisches Urkundenbuch I, S. 188 No. 532, S. 234. No. 665.

51) Frühere Zusammenstösse waren nur vereinzelt.

52) Hansisches Urkundenbuch, Bd. I, S. 229 No. 663.

53) Geyer, Geschichte Schwedens, deutsch von S. P. Leffler, Hamburg 1832, Bd. I, S. 172.