Der aesthetische Tee

Die Berliner Gesellschaft von 1800 bis 1900
Autor: Tornius, Valerian Dr. (1883-1970) Germanist, Philosoph, Historiker, Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Schriftsteller. Gründer einer der ersten deutschen Volkshochschule (Leipzig 1919), Erscheinungsjahr: 1921
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Kunst, Kultur, Geselligkeit, Literatur, Lebenskultur, Bildung, Politik, Musik, Gesellschaft,
                              Einleitung

Salongeselligkeit gab es schon während der Renaissance in Italien. Überall, wo feinfühlige Frauen von Geist und Talent hervortraten, die es verstanden, bedeutende und kluge Persönlichkeiten heranzuziehen, wo das Gespräch oder die Debatte über irgendeinen Gegenstand zu einer besondern Kunst erhoben wurde, wo Bildung und Geselligkeit sich zu einem untrennbaren Ganzen vereinigten, wie beispielsweise an den Höfen zu Mantua, Ferrara und Urbino, entfaltete die Gemeinsamkeit der Interessen und die Vielseitigkeit der Ansichten jene sprühende fesselnde Unterhaltung, die uns als höchste Form des gesellschaftlichen Umgangs vorschwebt und die wir, leider, heutzutage so gut wie ganz verloren zu haben scheinen. Zum erstenmal empfand man damals, dass die Geselligkeit auch eine Kunst sein könne, und beide Geschlechter strebten unter diesem Gesichtspunkte nach einer Verfeinerung und Verschönerung des Daseins. Das Vollkommenste, was jenes Zeitalter an solcher neuen Lebenskultur hervorgebracht hat, waren die Abendunterhaltungen im Schlosse zu Urbino, die der Graf Castiglione in seinem Buche über den ,,Cortegiano“ so innig nachempfunden und so reizvoll der Nachwelt überliefert hat.

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Inhaltsverzeichnis
    Einleitung von Valerian Tornius
  1. Leseabende bei Dorothea Veit
  2. Der Kreis um Henriette Herz
  3. Rahels Salon
  4. Geselligkeit im Hause der Herzogin von Kurland
  5. Soireen bei Frau von Staël
  6. Ein Silvesterabend bei Hufeland
  7. Das Meusebachsche Haus
  8. Ein Abend bei Zelter
  9. Die Konzerte bei Mendelssohns
  10. Eduard Devrients Vorlesungen
  11. Das Palais Radziwill
  12. Berliner Schriftstellerinnen als Salondamen
  13. Ein Teeabend bei der Königin Elisabeth von Preußen
  14. Eine Walhalla der Dichter und Schöngeister im Herzen Berlins
  15. Lassalles Empfänge
  16. Das Haus Lepsius
  17. Der gelbe Olferssche Saal
  18. Frau Meyerbeers Empfangsabende
  19. Der Salon der Gräfin Schleinitz
  20. Einer der letzten Berliner Salons
Aber ein Salon im Sinne einer zwar zwanglosen, doch bewussten gesellschaftlichen Organisation fehlte noch in der Zeit der Renaissance. Das Verdienst, diesen geschaffen oder, wie Arvède Barine sich ausdrückt, erfunden zu haben, gebührt der Marquise de Rambouillet, die während der dreißiger und vierziger Jahre des siebzehnten Jahrhunderts in ihrem ,,Hôtel“ in der Rue St. Thomas du Louvre ihre berühmten literarischen Empfänge gab, bei denen die hervorragendsten Geister des damaligen Frankreich anzutreffen waren. Die Tradition des „blauen Salons“ der Marquise - so wurde das Zimmer genannt, in dem die Zusammenkünfte stattfanden - pflanzte sich, mit kurzen Unterbrechungen, in Paris fort. Es entstanden fortlaufend literarische Salons, und jeder neue übernahm gewissermaßen die Erbschaft seines Vorgängers und bildete sich auf seiner Basis weiter. So blühte in der Zeit der Regence der Salon der Marquise de Lambert, der in dem wirren Taumel rauschender Vergnügungen, ebenen sich die Gesellschaft damals in die Arme warf, das Banner gediegener Unterhaltung in aller Stille hochhielt; die Nachfolgerin der Marquise wurde Madame de Tencin, welche die Geschicke der französischen Literatur bis zum Jahre 1745 mit viel Erfolg leitete; als Madame de Tencin vom Schauplatz ihres Wirkens abtrat, eröffnete ihre Freundin Marie Therese Rodet*), die Witwe des reichen Spiegelfabrikanten Geoffrin, ihren Salon in der Rue Saint-Honoré, wo das gesamte geistige Frankreich sich zu versammeln pflegte. Das waren die Stätten, die das eigentlich Wertvolle und Bedeutende in Kunst und Wissenschaften gestalten halfen; sie stellten die Arena vor, in der die großen Geister vor einem Publikum ausgezeichneter Frauen ihr Können aneinander maßen, sie waren das Gewissen ihrer Zeit.

*) Geoffrin, Marie Thérèse, geborene Rodet (1699-1777) französische Autorin und Salonnière der Aufklärung. Sie gilt als eine der geistreichsten Frauen des 18. Jahrhunderts.

Neben diesen schöngeistigen Salons, die vornehmlich wissenschaftlichen und künstlerischen Interessen dienten, gab es im achtzehnten Jahrhundert nun noch eine Reihe anderer, nicht so streng auf Literatur gestimmter Salons, richtete sich doch der Ehrgeiz einer jeden Rokokodame auf die Beherrschung eines kleinen intimen Reiches der Geselligkeit und verheiratete sie sich meistens nur mit der Absicht, eine Rolle in der Welt zu spielen, einen Salon zu besitzen. Wer um die Mitte des Jahrhunderts als angesehener Fremdling nach Paris kam, befand sich darum in einiger Verlegenheit, wohin er seine Schritte lenken sollte, denn obschon jede Salonkönigin mindestens an einem bestimmten Tage in einer Woche empfing, waren doch so viele Gelegenheiten vorhanden, dass ein Monat nicht ausgereicht hätte, sich allen zu widmen. Sonntags hatte der Philosoph Grimm seine ,,diners de garçon“, Montags oder Mittwochs ging man zu Madame Geoffrin, um Berühmtheiten des Tages zu sehend am Dienstag tagte die sogenannte ,,Synagoge“, der Kreis, der sich um den gutmütigen Helvetius gebildet hatten Donnerstags hielt der gastfreie Rheinländer Baron Holbach offene Tafeln Freitags speiste man bei der klugen und aufopferungsvollen Gattin des künftigen Finanzministers, Madame Necker, wo ein funkelnder Esprit die Annehmlichkeiten eines reichen Mahles würzte, und Sonnabends konnte man bei der Freundin d’Alemberts, Julie Lespinasse nahezu die gesamte Enzyklopädie versammelt finden. Rauschende Geselligkeit, verbunden mit geistreicher Unterhaltung, bot die kleine Herzogin du Maine, eine erdrückende Fülle von Geselligkeit aller Art herrschte in dem Hause der entzündenden Madame de la Popelinière, Musik genoss man am besten bei Madame de Pléneuf und der Gräfin von Houdetot; über Politik erhielt man die eingehendste Unterweisung im Salon der Herzogin von Gramont, und wer die vollendetsten gesellschaftlichen Formen, die feinste Liebenswürdigkeit, die geschmackvollste Lebensart kennenlernen wollte, der fand dazu die geeignete Gelegenheit im Salon der Marschallin von Luxembourg, die einst als Madame de Boufflers zu den gefeiertsten Damen der lebenslustigen Regence gehört hatte. Kurzum, schier unübersehbar war die Zahl der Häuser, in denen die geistreiche Geselligkeit gepflegt wurde. Das ganze Leben der höheren Stände, sowohl das literarische wie das politische, spielte sich in ihnen ab. So entwirrten sich die Salons zu Machthabern der Rokokozeit, und die Frau war ihre selbstherrliche Königin.

Als mit dem Eindringen des französischen Einflusses in Deutschland allmählich, dem Beispiel der Hofkreise folgend, auch das gebildete Bürgertum sich in seinen gesellschaftlichen Sitten immer mehr an das Pariser Vorbild anlehnte, erwachte auch bei uns eine Salonkultur. In Leipzig, der Stadt, die damals am eifrigsten einen Kultus mit allem Ausländischen trieb und sich darauf etwas einbildete, den zierlichsten Anstand und den artigsten galanten Ton zu besitzen, erblühten die ersten anheimelnden Stätten verfeinerter Geselligkeit. Die Zieglerin und bald nach ihr die Gottschedin germanisierten sozusagen den französischen Salon. Ihre Häuser wurden die Schauplätze, auf denen die Leipziger Schöngeister das Raketenfeuerwerk ihres Esprits leuchten ließen. Solche Kreise entstanden auch anderswo: in Berlin, Darmstadt, Göttingen, Halle, Dresden, überall, wo Gruppen bedeutender Männer sich zusammenfanden, um in gemeinsamem Gedankenaustausch sich gegenseitig anzuregen und zu fördern. In Weimar erhielt diese Geselligkeit bei den Leseabenden und Unterhaltungen im Wittumspalais unter dem Vorsitz Anna Amaliens, bei den empfindsamen Morgenkaffees in dem Mansardenstübchen der Fräulein von Göchhausen, bei den Soireen in Goethes gastlichem Hause schon ein vorbildliches Gepräge.

Goethe wurde das Schlagwort der Zeit. Und auf den Namen des großen Weimarers gründeten sich dann die Berliner Goethegemeinden einer Henriette Herz und Rahel Levin, jene Gemeinden, deren gehaltvolle Gesprächskunst zu dem Höchsten gehört, was durch deutsche Salonkultur geschaffen worden ist. Das Haus am Gendarmenmarkt, wo Rahel wohnte, das neben den führenden Geistern der Romantik die Hohenzollernprinzen, neben den späteren Patrioten der Freiheitskriege die Spitzen der Berliner Gelehrtenwelt vereinigte, hat sich ein unvergängliches Andenken in der Geschichte des deutschen Geisteslebens erworben.

Mit Recht bemerkt Henriette Herz in ihren Erinnerungen, dass in einem monarchischen Staate nur der gesellige Kreis des Herrschers den Mittelpunkt für die Geselligkeit des Hofes bilden könne. Ein solcher, wie wir ihm etwa in Weimar begegnen, fehlte aber gegen Ausgang des alten und zu Beginn des neuen Jahrhunderts in Berlin. Und da der Hof immer dem Adel als Vorbild gilt, so fand man auch in den aristokratischen Häusern Berlins keine feingestimmte Geselligkeit. In den Häusern des Bürgerstandes gab es wohl prächtige Gastmähler und Feste, soweit es sich um die reicheren Familien handelte, aber von Bildung war nur der äußerlichste Firnis vorhanden. So blühte eine geistreiche Geselligkeit eigentlich nur in der vornehmeren jüdischen Gesellschaft, die sich dem neuen Geist der Zeit auch williger als die konservativen bürgerlichen Elemente erschloss. Dazu kam, dass durch die Gunst des Zufalls jenen Familien einige Frauen und Töchter angehörten, deren Schönheit und lebhafter Geist eine magnetische Anziehungskraft ausübten. Kein Wunder, dass selbst die adlige Jugend diesen Kreisen zuströmte, die alles Etikettenwesen verbannten und Zwanglosigkeit der Unterhaltung zu ihrer Lebensbedingung machten, ja dass allmählich die gesamte hoffnungsreiche, politische, literarische und künstlerische jüngere Generation hier hineingezogen wurde. „Bald folgten auch“, schreibt Henriette Herz, ,,die feinsinnigen unter den reiferen Männern, nachdem die Kunde solcher Geselligkeit in ihre Kreise gedrungen war. Ich meine, pour comble wurden wir zulegt Mode, denn auch die fremden Diplomaten verschmähten uns nicht!“

Zuerst war es das Haus Mendelssohn, dem bald darauf das Meyerbeers folgte, das diese feinsinnige Gastlichkeit, ohne Rücksicht auf Rang und Stand, lediglich mit Beachtung geistiger Vorzüge und Talente in ausgiebiger Weise pflegte. Beide Häuser haben sozusagen der Berliner Salongeselligkeit die Bahn gewiesen und durch drei Generationen fortdauernd den Ruf erlesener Pflegestätten geistvollen Verkehrs genossen. Neben diesen die Überlieferung sorgfältig von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzenden Kreisen entstanden dann allmählich jene, die sich vornehmlich um irgendeine bedeutende Persönlichkeit der Literatur oder Wissenschaft bildeten, in einem intimeren Rahmen sich hielten und in anregendem Gedankenaustausch den Gang der Weltgeschehnisse verfolgten. Solche Art der Geselligkeit zeichnete zu Beginn des vorigen Jahrhunderts die Zusammenkünfte bei dem Mediziner Hufeland aus, etwas später die Abende beidem Literaturhistoriker Meusebach, um die Mitte des Jahrhunderts das Haus des Kunsthistorikers Kugler, in den fünfziger und sechziger Jahren die Empfänge bei dem Ägyptologen Lepsius und in den siebziger und achtziger Jahren die Soireen bei dem Physiker Helmholtz. Dazwischen tauchten auch Fremde auf und eröffneten für die Dauer ihres Aufenthalts einen Salon, so zum Beispiel die Herzogin von Kurland, Frau von Staël und Ferdinand Lassalle. Selbstverständlich wollten der Hof und die fürstlichen Häuser den bürgerlichen in dieser Beziehung nicht nachstehen. Man denke nur an das Palais Radziwill, das unter dem schöngeistigen Fürsten Anton Heinrich sich in einen wahren Musenhof verwandelte, ferner an die Teeabende der Königin Elisabeth und an die Donnerstagsempfänge der Kronprinzessin und späteren Kaiserin Friedrich. Die gediegensten aristokratischen Pflegestätten der Geselligkeit waren wohl das Haus des Museumsdirektors von Olfers, wo die angesehensten Künstler und Gelehrten Berlins sich zu versammeln pflegten und seine Gattin Hedwig Olfers die Honneurs machte, und ferner der Salon der Gräfin Schleinitz, wo die erste Wagnergemeinde entstand, derselbe Salon, den Menzel in einer Zeichnung verewigt hat.

Das waren aber auch die letzten Berliner Salons. Hier leuchteten sie noch einmal auf, die Strahlen jener reizvollen Geselligkeit, die während der Renaissance aufging und in der Zeit des Rokokos ihr schönstes Farbenspiel entwickelte, leuchteten sie mit ihrer Herz und Geist erfrischenden Anmut, um gegen das Jahrhundertende zu erlöschen.

Geoffrin, Marie Thérèse, geborene Rodet (1699-1777) französische Autorin und Salonnière der Aufklärung. Sie gilt als eine der geistreichsten Frauen des 18. Jahrhunderts.

Geoffrin, Marie Thérèse, geborene Rodet (1699-1777) französische Autorin und Salonnière der Aufklärung. Sie gilt als eine der geistreichsten Frauen des 18. Jahrhunderts.

Germaine von Staël-Holstein

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Collage berühmter Frauen

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Hufeland, Christoph Wilhelm (1762-1836) deutscher Arzt und Sozialhygieniker

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Felix Mendelsohn-Bartholdy

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Meyerbeer, Giacomo (1791-1864)

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Goethe. Zeichnung von Johann Heinrich Lips, 1791.

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