Der Zusammenbruch
Das vorliegende Buch soll Einblick gewähren in mancherlei Vorgänge vor und nach dem Zusammenbruch des Reichs, die nur wenige so unmittelbar aktiv und passiv miterlebt haben, wie der Verfasser. Es sind bereits einige Bücher über den Krieg und die Umgestaltung, die dem Zusammenbruch folgte, erschienen. Nahezu alle diese Bücher sind Verteidigungsschriften zugunsten oder zur Entlastung der betreffenden Autoren, also Tendenzbücher. Es ist Aufgabe einer objektiven Geschichtsforschung, die Wahrheit festzustellen. Dabei werden auch die Schriften derer zu beachten sein, die das Bedürfnis hatten, sich zu rechtfertigen, zu entschuldigen oder zu verteidigen. Ein solches Bedürfnis hat der Verfasser dieses Buches nicht. Er will an der Hand der von ihm nahezu sechs Jahre lang gemachten Aufzeichnungen und auf Grund seiner Erlebnisse Schilderungen geben, die weitere Kreise interessieren und für die zukünftigen Geschichtsschreiber nicht ganz wertlos sein dürften. Dass bei den Schilderungen die eigene Person des Verfassers und seine Partei im Vordergrund stehen, ist erklärlich, denn alle seine Erlebnisse machte er ja fast ausschließlich als der Vertreter seiner Partei. Vor dem Kriege gehörte er jahrelang dem Vorstand der Sozialdemokratischen Partei an. Im Kriege war er als Vorsitzender der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion auch vielfach deren Sprecher. Ob er Staatssekretär, Volksbeauftragter oder Ministerpräsident war, jedes Amt übte er aus als beauftragter Vertreter seiner Partei.
Der Verfasser war so oft gezwungen, im Reichstag, auf Parteitagen, in der Presse und in Versammlungen seine Partei zu vertreten, dass ihm und seiner Partei feindlich gesinnte Parteien und Politiker sich in der Geschmacklosigkeit gefielen, die von ihm vertretene Partei als die der „Scheidemänner'“ zu bezeichnen.
Oft ist der Verfasser auch persönlich verantwortlich gemacht worden für Entscheidungen seiner Partei, die er selbst bekämpft hatte, zu deren Vortrag er aber als Parteivertreter schließlich verpflichtet war. Das ist häufiger vorgekommen, als nach außen hin aus Gründen der Parteidisziplin bekanntgeworden ist. Ein markantes Beispiel wurde freilich von einem Vertreter des Parteivorstandes auf dem Weimarer Parteitag im Sommer 1919 bekanntgegeben, dass nämlich der Abgeordnete Scheidemann im Plenum des Reichstags den auf Stimmenthaltung lautenden Beschluss der Fraktion bei dem Brest-Litowsker Friedensvertrag vertreten musste, obwohl er in der Fraktion den Vertrag auf das entschiedenste bekämpft und seine Ablehnung gefordert hatte.
Das Buch erscheint auf vielfache Anregungen hin — niemand zuliebe und niemand zuleid. Es bringt Episoden aus bewegter Zeit, nicht etwa eine zusammenhängende Darstellung. Die geschilderten Episoden fallen aber ausnahmslos in sehr kritische Abschnitte der Kriegszeit und der Monate, die dem Zusammenbruch am 9. November folgten. Aus den Schilderungen geht hervor, dass der Zusammenbruch des Reichs geradezu unvermeidlich kommen musste als Folge des Krieges, und dass alles, was nach dem Zusammenbruch kam, sich mehr oder weniger zwangsläufig vollzogen hat.
Philipp Scheidemann
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Inhaltsverzeichnis.
1. Vorwort
2. An der Schwelle des Weltkriegs
3. Die Stellungnahme der S. P. D. zum Kriege
Die ersten Vorstandssitzungen. — Der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg vor den Vorständen der Reichstagsfraktionen. — Der Bruch der belgischen Neutralität und die Internationale.
4. Für einen Frieden der Verständigung
Der Scheidemann-Frieden. — Der Hunger. — Die Kartoffeln des Herrn von Gamp. — Neue Diskussionen über Bewilligung der Kriegskredite. — Das „größere Deutschland“. — „Ich denke nicht daran, die Kriegsziele der Alldeutschen zu verwirklichen.“ Die letzte Kundgebung der einigen sozialdemokratischen Partei. — Enge Fühlungnahme mit den österreichischen Parteigenossen. — Die Friedensinterpellation vom 6. Dezember 1915. — „Ein Wort für die Monarchie.“ — Der Kampf für die Demokratisierung. — „Zeit zur Tat.“ — „Reichskanzler Scheidemann.“
5. Der rücksichtslose U-Boot-Krieg
Das Jahr des Unheils 1917. — Besprechung mit Zimmermann. — Der Kanzler sagt nicht ja und nicht nein. — Die S. P. D. lehnt den U-Boot-Krieg ab. — Quessel und Cohen dafür. — Telegrammwechsel mit Gompers. — Unterredung mit dem Botschafter Grafen Bernstorff.
6. Die zwei Massenstreiks 1917 und 1918
Die Unterdrückung der Arbeiter. — Der Fall Eckardstein. — Aprilstreik 1917. — Die Forderungen der Leipziger Arbeiter. — Massenstreik 1918. — Die Situation vor dem Streik. — Unser Eintritt ins Streikkomitee. — Der nachmalige Reichspräsident als Verbrecher. — Straßendemonstrationen. — Ich werde von der Polizei misshandelt. — Die Rolle der Unabhängigen und die Borniertheit der Regierung. — „In geordneten Bahnen.“
7. Der Kampf um die Friedensresolution
Auftakt der Parlamentarisierung. — „Wenn der Kanzler ginge, würde das den Frieden erleichtern.“ — „Die Bekehrung des Matthias.“ — Stresemann immer noch für die Annexion Kurlands. — Der Kaiser „ringt mit sich“. — „Militärische Vernehmung durch die O. H. L.“ — Der Zeitgenosse Michaelis. — Mitarbeit Ludendorffs an der Resolution. — Wie ich es auffasse!
8. Die Antwort an den Papst
Die Fortsetzung der Politik der Halbheiten. — Um Gottes willen Schluss! — Der Siebenerausschuss. — Ein Zwischenspiel: Spahns falscher Zungenschlag, — Auf dem roten Sofa. — In 3 bis 4 Wochen Verhandlungen mit England. — Hornberger Schießen!
9. Die Stockholmer Konferenz
Die Hoffnung in allen Schützengräben. — Die mühseligen Vorbereitungen. — Elsass-Lothringen. — Vielleicht eine Grenzberichtigung. — Die Parteiresolution: Ohne Annexionen und Kriegsentschädigungen! — Die Regierung gegen unsere Formel. — Ludendorff hat Verständnis für eine Lösung der elsass-lothringischen Frage. — Wir informieren Stauning für einen Bericht an Albert Thomas. — Viktor Adler. — Die Ermordung Stürghs. — Ein Abend in Kopenhagen. — Beim Grafen Rantzau. — Dänemark und der U-Bootkrieg. — Die Verhandlungen in Stockholm. — Das Stockholmer Memorandum. — Ein lebendiger Franzose. — Ohne Annexionen: für alle, nicht nur für uns! — Beim schwedischen Außenminister. — „Apres la gucrre.“
10. Ein Weg zum revolutionären Russland
Begrüßung der Revolution. — Reise Borgbjergs nach Petersburg. — David soll sich mit einem A. und S.-Rat an der Ostfront treffen. — Borgbjergs Bericht. — Brest-Litowsk. — Der Herzog von Kurland. — Konkurrenzkampf der deutschen Fürsten.
11. Berliner Kleinkrieg
Zurück von Stockholm. — Niemand will die herannahende Katastrophe sehen. — Die Revolution im Reichstag. — Die glückliche Formulierung des Stockholmer Memorandums. — Zimmermann Ober die Dummheit der O. H. L. — Der Kanzler ist trostlos. Eine sozialdemokratische Denkschrift fürs Hauptquartier. — Verfassungsausschuss und Regierungssabotage. — Kampf um die Kommandogewalt. — Der unwahrhaftige Kriegsminister.
12. Die erste parlamentarische Regierung und der Zusammenbruch
Max Prinz von Baden wird Reichskanzler. — Soll die Sozialdemokratie in die Regierung eintreten? — Ich bin dagegen und werde zum Staatssekretär bestimmt. — „Exzellenz Scheidemann.“ — Die Amnestie, Dittmann und Liebknecht. — Der Brief des Prinzen Max an seinen Vetter Hohenlohe. — Ich bin für Rücktritt des Reichskanzlers und werde überstimmt. — Der Notschrei aus dem Hauptquartier. — Wie es an der Front aussah. — Ludendorff will neue Truppen. — Eine Begegnung mit dem Kaiser. — Sturmvögel von der Wasserkante. — Noske in Kiel. — Trostlosigkeit auf der ganzen Linie. — Noskes Bericht. — Der Kampf um die Abdankung des Kaisers. — Zensurgelüste. — Kein Kabinettsmitglied für das Bleiben Wilhelms II. — Mein Brief an den Kanzler. — Die letzten Tage. — Ultimatum der sozialdemokratischen Partei. — Nicht schießen lassen. — Der Tag des Zusammenbruchs! —
13. Die Revolution
Die Volksbeauftragten. — Das verschwundene Heer. — Der Kongress der A.- und S.-Räte. — Die Reichskonferenz der Bundesstaaten. — Die auswärtige Politik und die Unabhängigen. — Die Putsche gegen die Republik. — Der erste Putsch von rechts. — Die blutige Weihnacht. — Die „Regierung“ Liebknecht-Ledebour und der Januarputsch.
14. Der Friedensvertrag und das Kabinett Scheidemann
Der Versuch, in Verhandlungen zu kommen. — Das Kabinett ändert meine Rede. — „Dieser Vertrag ist nach Auffassung der Reichsregierung unannehmbar.“ — Die Agitation der Unabhängigen: Sofortige Unterzeichnung. — Der Reichspräsident mit mir einverstanden. — Die Gegenvorschläge und die Konferenz in Spa. — Erzberger verlangt eine Aussprache über die Folgen von Annahme und Ablehnung. — Mein Kampf um die Ablehnung. — Mein Rücktritt und die Vollendung des Zusammenbruchs.
12-017 Philipp Scheidemann, Redakteur und Mitglied des deutschen Reichstag
1-001 Wilhelm II. Deutsche Kaiser
1-002 Franz Josef I. Kaiser von Österreich und König von Ungarn
1-003 General Helmut J. L. v. Moltke. Chef des Generalstabs der deutschen Armee
1-007 S. M. S. Stralsund
1-009 18 cm Feldkanone der österreichisch-ungarischen Armee mit Bedienungsmannschaft
1-010 Bosnische Soldaten der österreichisch-ungarischen Armee auf der Rast
1-014 Dum-Dum-Geschosse
1-016 Beispiele der ungeheuren Wirkung eines einzigen Geschosses der 42 cm Haubitze auf das Panzerfort Loncin der Festung Lüttich
1-017 Zerstörte Drahtverhaue und Barrikaden vor dem Fort Loncin der Festung Lüttich
1-018 Die eroberten belgischen Festungsgeschütze der Zitadelle von Lüttich
1-019 Durch die deutschen Geschosse gesprengte und in die Luft geworfene Decken und Panzertürme des Forts Loncin der Festung Lüttich
1-020 Die Umwallung eines Forts von Lüttich nach der Einnahme
1-021 Die Zitadelle von Namur von der Beschießung
1-022 Aus dem zerstörten Teil der Stadt Löwen
1-023 Wilhelm, Kronprinz des deutschen Reiches
1-024 Kronprinz Rupprecht von Bayern
1-027 Generaloberst Josias v. Heeringen