Der Zulfikarpass (Afghanistans) 1885

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 15. 1886
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Afghanistan, England, Kolonialmacht, Kolonialkrieg, Russland
In Mittelasien sind in den letzten Jahren durch die russischerseits erfolgte Einverleibung von Turkestan, die Umwandlung von Chiwa und Buchara in russische Schutzgebiete und die Besetzung von Merw Russland und England einander immer näher gerückt, so dass heute nur noch Afghanistan das einzige neutrale Gebiet zwischen den russischen und englisch-ostindischen Besitzungen bildet. Durch diplomatische Verhandlungen zwischen den beiden Reichen war nun ausgemacht worden, dass das Reich des Emirs Abdurrahman für alle Zeiten eine derartige neutrale Zone, eine Art Puffer zwischen den beiden rivalisierenden Mächten bilden sollte, allein dies Abkommen war praktisch nur von geringem Wert, da die Nordgrenze von Afghanistan bisher durchaus nicht feststand.

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Es wurde nun eine englisch-russische Kommission ernannt, um diese Linie festzustellen, aber bevor dieselbe noch ihre gemeinschaftlichen Arbeiten begonnen hatte, erscholl im Juli 1885 plötzlich die Alarmnachricht von dem angeblichen Vorrücken der Russen auf Herat (vergl. Heft 22 des Jahrgangs 1885) und dem Zusammenstoß zwischen diesen und den Afghanen am Kuschkflusse, wodurch der englisch-russische Konflikt entstand, der beinahe zu kriegerischen Verwickelungen geführt hätte. Es gelang auch diesmal der Kunst der Diplomaten, eine friedliche Einigung herbeizuführen, die jedoch, nachdem alles Übrige schon vereinbart war, lange Zeit hindurch an der Zulfikar-Frage zu scheitern drohte. Dieser Streit drehte sich um die Ziehung der Grenze zwischen Nordafghanistan und dem jetzt russisch gewordenen Turkmenengebiet am Zulfikarpass zwischen Sserachs und Kussan, im Nordwesten von Herat, dem „Schlüssel Indiens“. Nördlich vom Paropamisus zieht sich zwischen den Flüssen Kuschk und Herirud ein Höhenzug von Osten nach Westen, von dem nach Norden eine Anzahl schmaler Ausläufer in ziemlich parallelen Linien geht. Der westlichste derselben begleitet auf eine kurze Strecke das Tal des Herirud auf dessen östlicher Seite, welches sich gerade dort verengt und das der erwähnte Höhenzug somit beherrscht. Dies ist der wichtige Zulfikarpass, von dem wir oben auf Seite 353 eine vom Ufer des Herirud aus aufgenommene Ansicht bringen. Derselbe trägt seinen Namen von dem Schwerte Mohammeds, Zualfekar, ist 3 bis 4 Kilometer lang, an der schmalsten Stelle etwa 30 Meter breit, und seine aus Sandstein bestehenden Seitenwände steigen bis zu 120 Meter Höhe steil empor. Inmitten seines Einganges am Herirud erhebt sich ein Wachtturm. Bei den Verhandlungen hatte sich Russland von vornherein willig gezeigt, den Pass selbst den Afghanen zu überlassen, und ebenso den Höhenzug, soweit er diesen im Osten begleitet.

Die Schwierigkeiten der Einigung wurden dadurch herbeigeführt, dass England für die Afghanen den ganzen, weit in die Ebene hinaus verlaufenden Höhenzug auch nordwärts von dem Passe forderte, so dass das afghanische Gebiet den direkten Verkehr zwischen den Bewohnern der Ebene unterbrochen haben würde. Dies wollten die Russen nicht zugestehen, sondern verlangten für sich den nördlichen Teil des Höhenzuges samt den dortigen Einsattelungen. Im September 1885 wurde dann aber ein gütliches Übereinkommen zwischen England und Russland abgeschlossen, worin die genauere und beide Teile befriedigende Abgrenzung der 770 Kilometer langen Linie vom Zulfikarpasse nach Kodja Saleh einer von beiden Mächten zu ernennenden Grenzkommission vorbehalten wurde, die am 10. November an Ort und Stelle zusammentreten sollte. Diese hat nunmehr ihr Werk größtenteils bereits vollendet, und daher konnte die Königin von England bei der Eröffnung des Parlaments am 21. Januar 1886 die begründete Hoffnung aussprechen, die Arbeit derselben werde dazu angetan sein, die Aufrechthaltung des Friedens in Mittelasien zu sichern.

Afghanistan - Der Zulfikarpass an der Grenze zu Russland

Afghanistan - Der Zulfikarpass an der Grenze zu Russland