Der Wolf in Russland.
Aus: Russische Revue. Monatsschrift für die Kunde Russlands. Band X
Autor: Brückner, Alexander (1856-1939) Professor der Slawistik, Erscheinungsjahr: 1877
Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Wölfe, Raubtiere, Jagd, Wild, Ausrottung, Russland, Sibirien, Lebensgefahr, Schäden durch die Wölfe an Nutztieren, Rinder, Schafe, Gänse, Hunde, Haustiere, Viehzucht, Pferde, Rinder, Ziegen, Kamele, Nimrod, Herkules
Inhaltsverzeichnis
Die Ausrottung von Raubtieren ist eine Art von Produktion. Seit die wilden Hunde in Australien ausgerottet wurden, haben sich dort die Kängurus vermehrt. In Algier vernichtet ein Löwe durchschnittlich jährlich Vieh für 700 Thaler. Dass der Wolf in England seit dem zehnten Jahrhundert ausgerottet ist, hat der Viehzucht dieses Landes unermesslichen Vorschub geleistet. Nicht umsonst werden in einzelnen Gegenden, wie z. B. in New-Hampshire, Tausende von Dollars als Prämien für die Tötung von Bären verausgabt. Wenn die Tiger in Ostindien vertilgt werden könnten, so würden Tausende von Menschen, deren Leben ein gewaltsames Ende gemacht wird, erhalten bleiben. Es erklärt sich leicht, wie die Jäger auf niederen Kulturstufen, wenn sie besonders mutig und erfolgreich wirkten, als Wohltäter der Menschheit galten. Ein Nimrod, ein Herkules, ein Theseus waren Könige und Halbgötter. Ähnliches mag auch heute noch in Afrika und Amerika vorkommen.
Eine Geschichte der Jagd in Russland ist noch zu schreiben. Es fehlt nicht an reichlichem Material für die Behandlung dieses Stoffes. Von den ersten Fürsten Russlands wissen wir, dass sie Jäger, zum Teil sehr kühne Jäger gewesen seien. Wladimir Monomach preist in seiner, an seine Kinder gerichteten geistlichen Ermahnung seine Jagdabenteuer und zählt die Gefahren auf, denen er im Kampfe mit wilden Tieren ausgesetzt gewesen sei. Von den Moskauer Fürsten ist ganz besonders der Vater Peters des Großen ein leidenschaftlicher Jäger: dem Vorurteil geistlicher Kreise zum Trotz, in denen, wie wir aus dem „Domostroi“ wissen, die Jagd mit abgerichteten Hunden und Vögeln oder etwa das Abrichten von Bären für eine Sünde gehalten wurde, liebte der Zar Alexei Michailowitsch die Jagd und pflegte sie in großem Maßstabe, mit einem gewaltigen Aufwande zu betreiben. Peter der Große war kein Jäger. Die Jagdliebhaberei seines Enkels, Peters II., dagegen ist bekannt. Sie hat wesentlich dazu beigetragen, dass der jugendliche Fürst so früh ins Grab sank, die Kaiserin Anna Ioannowna war eine ebenso vortreffliche Schützin als Reiterin.
Eine Geschichte des Wildstandes in Russland wird unzweifelhaft im Laufe der Jahrhunderte eine Abnahme desselben zur Evidenz bringen. Wie anderswo, so noch mehr in Russland ist die Jagd auf Pelztiere eine Art Raubbau gewesen. Auch für den Bestand der wilden Tiere würde eine historische Untersuchung dieses Gegenstandes unzweifelhaft eine Abnahme derselben ergeben. Doch müsste diese Abnahme eine viel beträchtlichere gewesen sein, wenn dem Volke im Ganzen und Großen einerseits mehr Mittel an Zeit und Waffen zu Gebote ständen, andererseits eine größere Jagdliebhaberei inne wohnte. Wie viel in Betreff der Ausrottung schädlicher Tiere in Russland noch zu tun bleibt, zeigt ganz besonders der Schaden, den der Wolf in Russland alljährlich anzurichten pflegt, und dessen Ermittlung Gegenstand der Forschung gewesen ist.
Wir entnehmen die folgenden Angaben über diese hochwichtige Frage einer vor Kurzem erschienenen, in der Druckerei des Ministeriums des Innern gedruckten Broschüre von Herrn I.asarewski: „Über die Vernichtung von Vieh und Wild durch den Wolf und über die Ausrottung des Wolfes“ (1876. 71 Seiten).
Nach den im Ministerium des Innern gemachten statistischen Zusammenstellungen betrug im Jahre 1873 in 45 Gouvernements der, durch den Wolf angerichtete Schaden die Summe von 7 1/2 Millionen Rubeln. Die am Schlimmsten heimgesuchten Gouvernements sind: Ssamara (650.000Rbl. ), Wologda (560.000 Rbl.), Wolhynien (448.000 Rbl.), Wjatka (364.000 Rbl.), Mohilew (295.000 Rbl.), Orel (270.000 Rbl.), Minsk (245.000 Rbl.), u. s. w. Die geringsten Angaben finden sich u. A. in folgenden Gouvernements: Archangel (18.000Rbl.), Jekaiterinosslaw (27.000 Rbl.). Poltawa (32.000 Rbl.), Olonez (39.000 Rbl.), Chersson (41.000 Rbl.). Verhältnismäßig gering ist der Schaden in den Ostseeprovinzen: Kurland (870 Rbl.). Livland (13.900 Rbl.), Estland (29.320 Rbl.), ebenfalls gering ist derselbe in den Gouvernements des Zartums Polen.
Diese Zahlen sind jedenfalls eher zu niedrig, als zu hoch gegriffen; sie haben mehr den Charakter ungefährer Schätzungen, als genauer statistischer Erhebungen. Schon die Annahme eines Durchschnittspreises (30 Rbl. für ein Stück Großvieh, 4 Rbl. für ein Stück Kleinvieh) erscheint bedenklich, weil willkürlich. Die Viehpreise in den verschiedenen Gegenden weichen sehr erheblich von einander ab. Aus manchen Gouvernements sind offenbar zu geringe Zahlen mitgeteilt worden, so z. B. aus den südlichen Gouvernements, so aus dem Gouvernement Archangel. Wie unrichtig die Angaben der statistischen Komites, welche jene Daten lieferten, in Bezug auf diesen Gegenstand zu sein pflegen, zeigt folgender Umstand. Den Angaben des statistischen Komites von Wjatka zufolge wurden in diesem Gouvernement 67.500 Stück Vieh vernichtet; die Angaben der Landschaftsämter dieses Gouvernements liefern eine mehr als doppelt so hohe Ziffer, nämlich 41.500 Stück Vieh. Den statistischen Nachrichten des Komite des Gouv. Wologda zufolge, wurden in diesem Gouvernement 23.000 Stück Vieh vernichtet; die entsprechende Ziffer der Landschaftsämter lautet ganz anders, nämlich 49.000 Rbl. Man darf annehmen, dass die höhere Ziffer der Wahrheit näherkommt; man darf ferner annehmen, dass in allen Gouvernements dergleichen Differenzen vorkommen dürften. So ist die Ziffer 86.000 Rbl. für den Schaden in Astrachan gewiss viel zu niedrig gegriffen, da man weiß, dass allein in einem Kreise dieses Gouvernements (im Uralskischen Kreise) 16.000 Stück Vieh jährlich von Wölfen gefressen werden: im ganzen Osten und Südosten spielt die Viehzucht die allergrößte Rolle, hat der Wolf am meisten Spielraum. Viele furchtbare Verluste an Pferden, Kühen, Ziegen, Kamelen u. s. w. mögen gar nicht zur Perception der, die statistischen Zahlen sammelnden Behörden gelangen. Während z. B. den offiziellen Angaben zufolge im Tscherdynskischen Kreise des Gouvernements Perm der Wolf gar keinen Schaden angerichtet haben soll, weiß man, dass daselbst in einer einzigen Nacht 3.000 den Wogulen gehörende Renntiere von Wölfen getötet wurden. — In einzelnen Gouvernement: sind die Verlustangaben eingestandenermaßen unvollständig, lückenhaft. So haben in einem Kreise von 49 Gemeinden oder Ortschaften, welche überhaupt in Betracht hätten kommen müssen, nur 22 Angaben geliefert, die 27 anderen haben geschwiegen.
Außerdem werden bei diesen Zusammenstellungen nur die Verluste an Groß- und Kleinvieh berücksichtigt, während die Verluste an Federvieh ebenfalls sehr erheblich zu sein pflegen. So nimmt man an, dass im Kasan'schen Gouvernement in einem Jahre etwa 11.000 Gänse, im Kaluga'schen 2.000 Gänse von den Wölfen gefressen werden. Der Verlust an Gänsen im ganzen Reiche mag auf eine halbe Million Stück angenommen werden können. Die Zahl der von den Wölfen alljährlich getöteten Hunde wird auf mindestens 100.000 Stück geschätzt.
In Betracht aller dieser Umstände dürfte der, durch den Wolf alljährlich an Haustieren in Russland angerichtete Schaden, wie Herr Lasarewski meint, auf mindestens 15 Millionen Rubel zu veranschlagen sein.
Eine Geschichte der Jagd in Russland ist noch zu schreiben. Es fehlt nicht an reichlichem Material für die Behandlung dieses Stoffes. Von den ersten Fürsten Russlands wissen wir, dass sie Jäger, zum Teil sehr kühne Jäger gewesen seien. Wladimir Monomach preist in seiner, an seine Kinder gerichteten geistlichen Ermahnung seine Jagdabenteuer und zählt die Gefahren auf, denen er im Kampfe mit wilden Tieren ausgesetzt gewesen sei. Von den Moskauer Fürsten ist ganz besonders der Vater Peters des Großen ein leidenschaftlicher Jäger: dem Vorurteil geistlicher Kreise zum Trotz, in denen, wie wir aus dem „Domostroi“ wissen, die Jagd mit abgerichteten Hunden und Vögeln oder etwa das Abrichten von Bären für eine Sünde gehalten wurde, liebte der Zar Alexei Michailowitsch die Jagd und pflegte sie in großem Maßstabe, mit einem gewaltigen Aufwande zu betreiben. Peter der Große war kein Jäger. Die Jagdliebhaberei seines Enkels, Peters II., dagegen ist bekannt. Sie hat wesentlich dazu beigetragen, dass der jugendliche Fürst so früh ins Grab sank, die Kaiserin Anna Ioannowna war eine ebenso vortreffliche Schützin als Reiterin.
Eine Geschichte des Wildstandes in Russland wird unzweifelhaft im Laufe der Jahrhunderte eine Abnahme desselben zur Evidenz bringen. Wie anderswo, so noch mehr in Russland ist die Jagd auf Pelztiere eine Art Raubbau gewesen. Auch für den Bestand der wilden Tiere würde eine historische Untersuchung dieses Gegenstandes unzweifelhaft eine Abnahme derselben ergeben. Doch müsste diese Abnahme eine viel beträchtlichere gewesen sein, wenn dem Volke im Ganzen und Großen einerseits mehr Mittel an Zeit und Waffen zu Gebote ständen, andererseits eine größere Jagdliebhaberei inne wohnte. Wie viel in Betreff der Ausrottung schädlicher Tiere in Russland noch zu tun bleibt, zeigt ganz besonders der Schaden, den der Wolf in Russland alljährlich anzurichten pflegt, und dessen Ermittlung Gegenstand der Forschung gewesen ist.
Wir entnehmen die folgenden Angaben über diese hochwichtige Frage einer vor Kurzem erschienenen, in der Druckerei des Ministeriums des Innern gedruckten Broschüre von Herrn I.asarewski: „Über die Vernichtung von Vieh und Wild durch den Wolf und über die Ausrottung des Wolfes“ (1876. 71 Seiten).
Nach den im Ministerium des Innern gemachten statistischen Zusammenstellungen betrug im Jahre 1873 in 45 Gouvernements der, durch den Wolf angerichtete Schaden die Summe von 7 1/2 Millionen Rubeln. Die am Schlimmsten heimgesuchten Gouvernements sind: Ssamara (650.000Rbl. ), Wologda (560.000 Rbl.), Wolhynien (448.000 Rbl.), Wjatka (364.000 Rbl.), Mohilew (295.000 Rbl.), Orel (270.000 Rbl.), Minsk (245.000 Rbl.), u. s. w. Die geringsten Angaben finden sich u. A. in folgenden Gouvernements: Archangel (18.000Rbl.), Jekaiterinosslaw (27.000 Rbl.). Poltawa (32.000 Rbl.), Olonez (39.000 Rbl.), Chersson (41.000 Rbl.). Verhältnismäßig gering ist der Schaden in den Ostseeprovinzen: Kurland (870 Rbl.). Livland (13.900 Rbl.), Estland (29.320 Rbl.), ebenfalls gering ist derselbe in den Gouvernements des Zartums Polen.
Diese Zahlen sind jedenfalls eher zu niedrig, als zu hoch gegriffen; sie haben mehr den Charakter ungefährer Schätzungen, als genauer statistischer Erhebungen. Schon die Annahme eines Durchschnittspreises (30 Rbl. für ein Stück Großvieh, 4 Rbl. für ein Stück Kleinvieh) erscheint bedenklich, weil willkürlich. Die Viehpreise in den verschiedenen Gegenden weichen sehr erheblich von einander ab. Aus manchen Gouvernements sind offenbar zu geringe Zahlen mitgeteilt worden, so z. B. aus den südlichen Gouvernements, so aus dem Gouvernement Archangel. Wie unrichtig die Angaben der statistischen Komites, welche jene Daten lieferten, in Bezug auf diesen Gegenstand zu sein pflegen, zeigt folgender Umstand. Den Angaben des statistischen Komites von Wjatka zufolge wurden in diesem Gouvernement 67.500 Stück Vieh vernichtet; die Angaben der Landschaftsämter dieses Gouvernements liefern eine mehr als doppelt so hohe Ziffer, nämlich 41.500 Stück Vieh. Den statistischen Nachrichten des Komite des Gouv. Wologda zufolge, wurden in diesem Gouvernement 23.000 Stück Vieh vernichtet; die entsprechende Ziffer der Landschaftsämter lautet ganz anders, nämlich 49.000 Rbl. Man darf annehmen, dass die höhere Ziffer der Wahrheit näherkommt; man darf ferner annehmen, dass in allen Gouvernements dergleichen Differenzen vorkommen dürften. So ist die Ziffer 86.000 Rbl. für den Schaden in Astrachan gewiss viel zu niedrig gegriffen, da man weiß, dass allein in einem Kreise dieses Gouvernements (im Uralskischen Kreise) 16.000 Stück Vieh jährlich von Wölfen gefressen werden: im ganzen Osten und Südosten spielt die Viehzucht die allergrößte Rolle, hat der Wolf am meisten Spielraum. Viele furchtbare Verluste an Pferden, Kühen, Ziegen, Kamelen u. s. w. mögen gar nicht zur Perception der, die statistischen Zahlen sammelnden Behörden gelangen. Während z. B. den offiziellen Angaben zufolge im Tscherdynskischen Kreise des Gouvernements Perm der Wolf gar keinen Schaden angerichtet haben soll, weiß man, dass daselbst in einer einzigen Nacht 3.000 den Wogulen gehörende Renntiere von Wölfen getötet wurden. — In einzelnen Gouvernement: sind die Verlustangaben eingestandenermaßen unvollständig, lückenhaft. So haben in einem Kreise von 49 Gemeinden oder Ortschaften, welche überhaupt in Betracht hätten kommen müssen, nur 22 Angaben geliefert, die 27 anderen haben geschwiegen.
Außerdem werden bei diesen Zusammenstellungen nur die Verluste an Groß- und Kleinvieh berücksichtigt, während die Verluste an Federvieh ebenfalls sehr erheblich zu sein pflegen. So nimmt man an, dass im Kasan'schen Gouvernement in einem Jahre etwa 11.000 Gänse, im Kaluga'schen 2.000 Gänse von den Wölfen gefressen werden. Der Verlust an Gänsen im ganzen Reiche mag auf eine halbe Million Stück angenommen werden können. Die Zahl der von den Wölfen alljährlich getöteten Hunde wird auf mindestens 100.000 Stück geschätzt.
In Betracht aller dieser Umstände dürfte der, durch den Wolf alljährlich an Haustieren in Russland angerichtete Schaden, wie Herr Lasarewski meint, auf mindestens 15 Millionen Rubel zu veranschlagen sein.