Zangwill’s Illusionen.

Nach all dem Gesagten begreift man erst recht den ganzen Wahnwitz Israel Zangwill's, welcher einen Aufruf an die Juden Westeuropas erließ mit dem Verlangen, den Sieg der Dreiverbandmächte herbeizuwünschen, da ihm angeblich der englische Staatssekretär des Äußeren, Sir Edward Grey, die Versicherung gab, England würde nach einem siegreichen Kriege in Petersburg für eine Verbesserung der Lage der russischen Juden intervenieren.

Wie eitel eine derartige Hoffnung wäre, ist schon daraus klar zu ersehen, dass dasselbe England, welches früher, so lange es in Russland einen Feind sah, öfters für die Juden eintrat, seine diesbezügliche Haltung gerade in dem Momente änderte, als der Wallfisch und der Eisbär Bundesgenossen wurden. Es ist viel mehr sicher, dass entweder die englische Diplomatie gar nicht den ehrlichen Willen hat, sich die Gunst der Petersburger Machthaber der Juden wegen zu verscherzen, oder dass der Zar jede derartige Intervention selbst seiner besten Freunde und Verbündeten zurückwies. Dass übrigens irgendwelche auswärtige Intervention zugunsten der Juden in Russland erfolglos bleiben wird, beweist ja der russischamerikanische Handelsvertragskonflikt, bei welchem das Zarenreich es lieber auf einen Zollkrieg mit Amerika ankommen ließ, als in dem Judenpunkte auch um ein Jota nachzugeben.


Nur ein auf dem Schlachtfelde besiegtes und geschlagenes Russland wird — ähnlich wie nach dem Kriege mit Japan — gezwungen sein, allen seinen Völkern, und auch den Juden mehr Freiheit und Menschenrechte zu gewähren.

Die russische Regierung ließ sich von Zeit zu Zeit dazu herbei, in der europäischen Presse gewisse Hoffnungen auf eine Besserung der Lage der Juden im Zarenreiche zu erwecken. Dies geschah immer nur in denjenigen Momenten, wo Russland an den europäischen Geldsack appellieren und dadurch auch mit der Stimmung der jüdischen haute finance rechnen musste. Kaum hatte jedoch der Petersburger Staatssäckel die neuen Milliarden eingesackt, so zerflossen all diese Versprechungen wie Seifenblasen. Diese wiederholten Komödien waren bereits derart durchsichtig, dass das Londoner Haus Rotschild ein für allemal erklärte, es werde sich an gar keiner russischen Anleihe beteiligen, bevor die Lage der Juden im Zarenreiche nicht eine definitive Besserung erfahren werde. Auf Petersburger Versprechungen gibt Lord Rotschild, trotz aller Interventionen Sir Edward Grey's, nichts. Höchstens der „Träumer des Ghetto", Israel Zangwill, kann den Petersburger Reaktionären auf den Leim gehen. Freilich, dieser Wahnwitz ist nicht viel größer, als die Illusion, einen Judenstaat in Angola oder in Mesopotamien zu gründen. Zangwill hat auch mit seinem Aufrufe einen großen, allgemeinen — Lacherfolg erzielt. Die jüdische Presse seines eigenen Landes antwortete ihm mit der beißendsten Ironie und der gelungenste Witz ist wohl das „Petersburger Telegramm" einer jüdisch-amerikanischen Zeitung, wonach der Zar Zangwill und seinen Freunden nach Beendigung des Krieges ein spezielles Territorium in — Sibirien in Aussicht gestellt haben sollte. . . .
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Weltkrieg und die Judenfrage.