Die Palästina-Frage.

Das Eingreifen der Türkei in den Weltkrieg ist für die Judenfrage ebenfalls von sehr weitgehender Bedeutung. In der Türkei erfreuten sich die Juden seit uralten Zeiten der vollsten Gleichberechtigung und aller bürgerlichen Freiheiten. In den Perioden der Verfolgungen und Austreibungen waren die Provinzen des türkischen Reiches eine sichere Zufluchtsstätte für die verzweifelten Juden. Der Bestand und die Konsolidierung des türkischen Reiches liegen somit im eminent jüdischen Interesse. Aber auch in einer anderen Beziehung greifen da die türkischen und die jüdischen Interessen ineinander. Der Sultan ist Herr von Palästina, dem heiligen Lande, wohin die Augen und die Hoffnungen aller Juden gerichtet sind. Ohne an dieser Stelle das modern-zionistische Problem berühren zu wollen, muss jedoch konstatiert werden, dass Palästina in den letzten Dezennien die Stätte einer ziemlich bedeutenden jüdischen Immigration wurde, welche sich im Laufe der Zeit auch auf die Nebenländer, Syrien und Mesopotamien erstrecken könnte. Wenn es möglich wäre, die politische Seite dieser Immigration beiseite zu lassen, so ist dieselbe für die Gesundung und Konsolidierung des türkischen Reiches von allergrößter Bedeutung. Die Juden sind das einzige Element, welches diese vernachlässigten Gebiete kultivieren und urbar machen könnte. Eine große Anzahl Juden könnte dort Aufnahme und Lebensunterhalt finden; andererseits aber die ökonomische Entwicklung und den materiellen Wohlstand fördern und somit auch für die Türkei wirtschaftlich und finanziell von kolossalem Nutzen sein.

Den Dreiverbandmächten, welche ja stets auf die türkischen Provinzen einen großen Appetit hatten und welche sich besonders in Palästina und Syrien mit ihren Aspirationen begegneten, war diese jüdische Immigration stets ein Dorn im Auge. Es ist kein Geheimnis, dass die wiederholt erlassenen Niederlassungsverbote für Juden in Palästina seitens der russischen und französischen Diplomaten in Konstantinopel geradezu erzwungen wurden. Andererseits bemühten sich eben diese Mächte, die Ansiedlung der Juden in Palästina für ihre Aspirationen auszunützen. In derselben Zeit, wo die Juden in Russland unmenschlich drangsaliert und verfolgt wurden, nahmen sich die russischen Konsulate in Palästina der dortigen jüdisch-russischen Immigranten geradezu väterlich an, angeblich, um sie vor jeder Belästigung zu schützen, in Wirklichkeit jedoch, um dieselben von der Annahme der ottomanischen Staatsbürgerschaft abzuhalten und stets die Gelegenheit zu haben, mit Hilfe derselben die russische „Einflusssphäre" in Palästina ausbreiten zu können.


Frankreich wiederum suchte mit allen Mitteln, seinen Einfluss im Lande mit Hilfe der dort existierenden im französischen Geiste geleiteten Alliance-Schulen zu stärken. Auch die vom Baron Edmund Rothschild (welcher angeblich jetzt unter dem Drucke der französischen Machthaber auf den seinen Urgroßvätern vor 100 Jahren verliehenen österreichischen Barontitel verzichten musste) in Palästina gegründeten und durch französische Administratoren verwalteten jüdischen Kolonien sollten demselben Zwecke dienen. Im vorigen Jahre gelang es sogar dem französischen Konsul in Jerusalem mittelst verschiedener Machinationen, das dortige hebräische Gymnasium unter französischem Protektorat zu stellen, bloß um die französische „Einflusssphäre" auszubreiten.

England, welches stets mit den Arabern in Palästina liebäugelte und dieselben gegen die türkische Oberherrschaft aufzuhetzen pflegte, bemühte sich schließlich, eine antijüdische Bewegung unter den Arabern zu inaugurieren, mit der angeblichen Drohung, die Juden wollen sich des Landes bemächtigen und mit Hilfe der Türken die Araber verdrängen.

All dies geschah seitens der Dreiverbandmächte unter dem Mantel der Freundschaft und des Wohlwollens für das ottomanische Reich. Nun hat wohl die Türkei das wahre Gesicht ihrer „Freunde" erkannt. Mit dem Schwert in der Hand will sie sich dieselben vom Leibe halten. Der endgültige Sieg der europäischen Zentralmächte und der Türkei wird wohl allen Machinationen der Dreiverbandmächte in Konstantinopel ein Ende bereiten und damit auch der Judenfrage in den türkischen Ländern eine andere Gestaltung geben. Die in der Türkei lebenden jüdischen Immigranten nehmen schon jetzt massenhaft das ottomanische Bürgerrecht an, sie werden ihre Schulen und anderen Institutionen in der Zukunft von jedem ausländischen Einflüsse freihalten und die willkürlichen „Einflusssphären" der Dreiverbandmächte werden verschwinden. Die Juden in Palästina werden nicht mehr das Objekt diplomatischer Quertreibereien und egoistischer Hinterlist sein, sie werden sich nach eigenem Gutdünken, als Bürger des türkischen Reiches, frei und ungehindert entwickeln können.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Weltkrieg und die Judenfrage.